Das Fahrzeug der Klägerin fuhr an
einem in der Gegenrichtung auf der aus ihrer Sicht linken Straßenseite
stehenden Müllfahrzeug der Beklagten vorbei, welches dort mit laufenden Motor,
laufender Trommel/Schüttung und eingeschalteten gelben Rundumleuchten sowie
Warnblinkanlage stand. Dabei kollidierte sie mit Müllcontainer, der von einem
Mitarbeiter der Beklagten quer über die Straße geschoben wurde. Das Landgericht
gab der auf Schadensersatz gerichteten Klage im Verhältnis einer Haftungsquote
von 50 : 50 statt. Auf die Berufung der Klägerin änderte das OLG das Urteil
dahingehend insoweit ab, als es eine Schadenquote zugunsten der Klägerin von 25%
zu Lasten der Klägerin, 75% zu Lastend er Beklagten annahm. Die von der
Beklagten eingelegte (vom OLG zugelassene) Revision, mit der diese die
Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils begehrte, war insoweit
erfolgreich, als das Urteil des OLG aufgehoben und der Rechtsstreit an dieses
zurückverwiesen wurde.
Der BGH reklamierte, dass vom OLG
in die Abwägung der Verschuldens- und Verursachungsbeiträge nach § 17 Abs. 2
StVG einen Verstoß der Fahrerin des klägerischen Fahrzeugs nach §§ 1, 3 Abs. 1
StVO nicht eingestellt hatte.
Grundsätzlich habe die Klägerin
einen Anspruch aus § 7 StVG. Die Beschädigung sei „bei dem Betrieb eines
Kraftfahrzeuges iSv. § 7 Abs. 1 StVG erfolgt. Bei Fahrzeugen mit
Arbeitsfunktion sei dazu ein Zusammenhang mit der Bestimmung als eine der
Fortbewegung und dem Transport dienenden Maschine erforderlich. Das
Schadensgeschehen müsse durch das Fahrzeug (mit) geprägt werden. Es müsse sich
um eine Auswirkung derjenigen Gefahren handeln, für die nach dem Sinn der Haftungsvorschrift
schadlos gehalten werden soll.
Maßgeblich käme es darauf an, dass die Schadenursache in einem nahen
örtlichen und zeitlichen Zusammenhang mit einem bestimmten Betriebsvorgang oder
einer bestimmten Betriebseinrichtung des Kraftfahrzeuges stünde. Eine Haftung
nach § 7 StVG entfalle bei Kraftfahrzeugen mit Arbeitsfunktion entfalle
jedenfalls dann, wenn die Fortbewegungs- und Transportfunktion keine Rolle mehr
spiele und sie nur als Arbeitsmaschine eingesetzt würde oder sich die Gefahr
aus einem gegenüber der Betriebsgefahr eigenständigen Gefahrenkreis
verwirklicht habe. So läge ein „Betrieb“ auch dann vor, wenn das Fahrzeug, ggf.
mit einer speziellen Entladevorrichtung, entladen würde. In diesen Fällen würde
der Halter auch für die Gefahr dann haften, die das Kraftfahrzeug in dem in
Anspruch genommenen Verkehrsraum für andere Verkehrsteilnehmer darstelle, wobei
nicht dies nicht nur für die Gefahr durch das entladende Fahrzeug gelte,
sondern auch die Gefahr, die von der Entladevorrichtung und dem Ladegut ausgehe
(BGH, Urteil vom 08.12.2015 - VI ZR 139/15 -). Vorliegend handele es sich bei
dem Müllwagen zwar um ein Kraftfahrzeug mit Arbeitsfunktion, doch stünde der
Unfall in einem haftungsrechtlich relevanten Zusammenhang mit der Bestimmung
des Müllfahrzeuges als eine dem Transport dienende Maschine, wobei zur
Erfüllung der Transportfunktion die Mülltonnen zum Fahrzeug zum Entleeren und
wieder zurückgebracht werden müssten. Damit läge eine Zurechnung zu den
Gefahren nach § 7 StVG vor.
Die Haftungsverteilung nach § 17
Abs. 2 StVG habe aufgrund aller festgestellten, d.h. zugestandenen oder nach §
286 ZPO erwiesenen Umstände zu erfolgen. In erster Linie sei dabei das Maß der
Verursachung entscheidende, ein weiterer Faktor sei das beidseitige
Verschulden.
Da das Entleeren und
Zurückbringen der Müllcontainer zum Betrieb des Fahrzeugs gehöre, begründe ein
unfallursächlicher Verstoß der Beklagten gegen die StVO eine Erhöhung der
Betriebsgefahr des Müllfahrzeugs, was bei der Abwägung zugunsten der Klägerin
zu berücksichtigen sei. Die Privilegierung von Fahrzeugen der Müllabfuhr nach §
35 Abs. 6 S. 1 StVO durch Einräumung von Sonderrechten befreie nicht von den
übrigen Vorschriften der StVO. Hier sei der Beklagten ein Verstoß gegen § 1
Abs. 2 StVO borzuwerfen, da deren Mitarbeiter einen großen, schweren
Müllcontainer quer über die Straße geschoben habe, ohne auf den Verkehr zu
achten. Hätte er ihn nicht geschoben sondern gezogen, wäre das klägerische
Fahrzeug für ihn erkennbar gewesen. In der gefahrenträchtigen Situation sei es
geboten gewesen, den Container zu ziehen, statt ihn zu schieben. Weiterhin läge
eine Erhöhung der Betriebsgefahr für das Müllfahrzeug durch dessen Größe und
der dadurch bedingten Sichtbeeinträchtigung, die sich auf den Unfall ausgewirkt
hätten, vor.
Während insoweit der BGH insoweit den
Erwägungen für das Müllfahrzeug folgte, sah es die Erwägungen dazu nicht als
zutreffend an, demzufolge der Fahrerin des klägerischen Fahrzeugs kein die
Betriebsgefahr des Fahrzeugs erhöhender Verstoß gegen die StVO vorzuwerfen sei.
Bei der Vorbeifahrt an einem im
Einsatz befindlichen Müllfahrzeug sei besondere Vorsicht und Rücksichtnahme
geboten, um die Müllwerker nicht zu gefährden. Zwar gelte der
Vertrauensgrundsatz, dass derjenige, der sich verkehrsgerecht verhalte, auch
damit rechnen dürfe, dass andere Verkehrsteilnehmer den Verkehr nicht durch
pflichtwidriges Verhalten gefährden, solange die sichtbare Verkehrslage keine
andere Beurteilung zulasse. Zu den Ausnahmen vom Vertrauensgrundsatz würden
nicht nur rechtzeitig wahrnehmbare Verkehrswidrigkeiten Dritter zählen, sondern
auch solche die möglicherweise noch nicht erkennbar seien, mit denen aber ein
gewissenhafter Fahrer pflichtgemäß rechnen müsse (BGH, Urteil vom 15.05.1973 -
VI ZR 62/72 -).
Da das Hauptaugenmerk des
Müllwerkers auf die Arbeit gerichtet sei, diese in möglichst kurzer Zeit auf
kurzen Wegen zu verrichten, dürfe der an einem Müllfahrzeug Vorbeifahrende nicht
auf ein verkehrsgerechtes Verhalten des Müllwerkers vertrauen. Mit einem unachtsamen
Hervortreten und einer Bewegung einige Schritte seitlich neben das Müllfahrzeug
müsse er rechnen. Lasse sich ein ausreichender Sicherheitsabstand zum
Müllfahrzeug zur Vermeidung von Gefährdungen hinter dem Müllfahrzeug Hervortretender
nicht einhalten, so sei die Geschwindigkeit gem. §§ 1, 3 Abs. 1 S. 2 StVO so
weit zu drosseln, dass der Vorbeifahrende sein Fahrzeug notfalls sofort zum
Stillstand bringen könne (so bereits für Linienbusse vor Schaffung von § 20
StVO BGH, Urteil vom 10.04.1968 - VI ZR 145/65 -). Zwar bestünde nicht wie in § 20 StVO für
öffentliche Verkehrsmittel und Schulbusse oder wie in § 3 Abs. 2a StVO für
Kinder, Hilfsbedürftige und ältere Menschen eine besondere Regelung zu einer
Vorbeifahrt an Müllfahrzeugen, doch ergäben sich hier die entsprechenden
Anforderungen aus §§ 1, 3 Abs. 1 S. 2 StVO und den Einschränkungen zum
Vertrauensgrundsatz.
Hier habe der seitliche Abstand zwischen
dem klägerischen Fahrzeug und dem Müllfahrzeug allenfalls rund 50 cm bemessen,
weshalb die festgestellte Geschwindigkeit des klägerischen Fahrzeugs zu hoch
gewesen sei, um das Fahrzeug notfalls - insbesondere bei einem plötzlichen
Hervortreten eines Müllwerkers, auch bei einem Abstand von unter 5 m zwischen
Fahrzeug du Gefahrenpunkt - zum sofortigen Stillstand zu bringen.
Im Rahmen der neuen Entscheidung
durch das OLG sei von diesem im Rahmen tatrichterlicher Würdigung eine neue
Abwägung nicht nur unter Berücksichtigung des Verkehrsverstoßes der Beklagten,
sondern auch der Klägerin vorzunehmen.
Anmerkung: Das
Urteil des BGH wird künftig die Leitlinie bei Unfällen entsprechender Art bei
Müllfahrzeugen sein. Es fragt sich allerdings, weshalb der Gesetzgeber in §§ 20
und 3 Abs. 2a StVO für bestimmte Fälle Vorschriften schuf, wenn doch – folgt man
der Diktion des BGH – ohnehin über §§ 1, 3 Abs. 1 S. 2 in Verbindung mit der Einschränkung
des Vertrauensgrundsatzes diese Einschränkung besteht; der BGH festigte damit
seien Rechtsprechung zur Einschränkung des Vertrauensschutzes in seinem Urteil
vom 04.04.2023 - VI ZR 11/21 - (Überqueren der Fahrbahn durch
Fußgänger und Annahme, dieser werde an der Mittellinie stehen bleiben).
Weitergehend wird man wohl kaum diese Entscheidung auf Müllfahrzeuge beschränken
können, da eine ähnliche Situation z.B. im Rahmen von Umzugswagen bei dem Ein-
bzw. Ausladen von Möbeln, bei Getränkelieferanten für das Ein- und Ausladen von
Getränkekisten bestehen.
BGH, Urteil vom 12.12.2023 -
VI ZR 77/23 -