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Samstag, 6. Juli 2024

Grundsteuer: Wertfeststellung nach dem Bundesmodell und Gegengutachten

Der Bundesfinanzhof (BFH) hat eine Beschwerde gegen eine Entscheidung des FG Rheinland-Pfalz, mit der einem Antrag auf Aussetzung der Vollziehung aus einem Grundsteuerwertbescheid entsprochen worden war, zurückgewiesen. Allerdings erfolgte die Zurückweisung der vom Finanzamt eingelegten Beschwerde nicht aus verfassungsrechtlichen Erwägungen, sondern auf der Grundlage der materiellen Rechtmäßigkeit.

Grundlage war ein Grundsteuerwertbescheid in Rheinland-Pfalz. Die Ermittlung in Rheinland-Pfalz (wie auch in Brandenburg, Bremen, Mecklenburg-Vorpommern, Nordrhein-Westfalen, Sachsen-Anhalt und Schleswig-Holstein) erfolgt nach dem Bundesmodell. Der BFH folgte zwar dem Finanzgericht darin, dass der angefochtene Bescheid ernstliche Zweifel an seiner Rechtmäßigkeit aufwerfe und damit das Gericht der Hauptsache die Vollziehung des angefochtenen Bescheides nach § 69 Abs. 3 iVm. Abs. 2 FGO aussetzen könne. Ernstliche Zweifel würden bestehen, wenn neben Gründen für die Rechtmäßigkeit des Bescheides gewichtige Umstände gegen die Rechtsmäßigkeit zutage treten würden, die eine Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung der Tatfragen bewirken würden. Bei der vorzunehmenden summarischen Prüfung sei von dem Vortrag der beteiligten und der Aktenlage auszugehen, wobei für die Gewährung der Aussetzung der Vollziehung (AdV) die für die Rechtswidrigkeit sprechenden Gründe überwiegen müssten.

Vorliegend hatte der Senat nach dem Vortrag der Parteien und der Aktenlage lediglich einfachrechtliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides. Diese Zweifel würden sich aus der verfassungskonformen Auslegung der Bewertungsvorschriften ergeben, da danach die Möglichkeit eingeräumt werden müsse, dass bei einer Verletzung des Übermaßverbots die Möglichkeit gegeben werden müsse, einen niedrigeren gemeinen Wert nachzuweisen.

Bei der Neureglung der Grundsteuer sei der Belastungsgrund nach der gesetzgeberischen Vorstellung die durch den Grundbesitz vermittelte Möglichkeit einer ertragsbringenden Nutzung, die sich im Sollertrag widerspiegelt und eine objektive Leistungsfähigkeit vermittle (BT-Drs. 19/11085, 84).

Die Besteuerung müsse den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz genügen und das daraus folgende Übermaßverbot bei der Besteuerung beachten. Dass sei nur gewahrt, wenn gewährleistet ist, dass sich das Gesetz auf der Bewertungsebene am gemeinen Wert als dem maßgeblichen Bewertungsziel orientiert und den Sollertrag mittels einer verkehrswertorientierten Bemessungsgrundlage bestimme (BT-Drs. 19/11085, 90). Unterschiede im Einzelfall zum Wert nach §§ 217 ff BewG und dem gemeinen Wert müssten grundsätzlich hingenommen werden, solange ein Verstoß gegen das Übermaßverbot entweder durch verfassungskonforme Auslegung der Vorschrift oder durch eine Billigkeitsmaßnahme abgewandt werden könne. Eine Verletzung des Übermaßverbots läge vor, wenn der vom Finanzamt festgestellte Wert den nachgewiesenen gemeinen Wert um 40% oder mehr übersteige (BFH, Urteil vom 16.11.2022 - II R 39/20 -).

Der Senat wies darauf hin, dass er bereits zu verschiedenen Bewertungsnormen entschieden habe, dass bei einem Ausschluss von Billigkeitsmaßnahmen in verfassungskonformer Auslegung der betreffenden Vorschriften der Nachweis eines niedrigeren gemeinen Werts zur Vermeidung eines Verstoßes gegen das grundgesetzliche Übermaßverbot zuzulassen sei, wenn der Gesetzgeber einen solchen Nachweis nicht ausdrücklich geregelt habe. Bestünde diese Möglichkeit, seien die pauschalierenden und typisierenden Bewertungsvorschriften nicht verfassungswidrig.

Auch vorliegend sei nach dem Siebenten Abschnitt des Bewertungsgesetzes eine abweichende Wertfeststellung aus Billigkeitsgründen nicht vorgesehen (s. § 220 S. 2 BewG). Damit seien die vorgenannten Rechtsprechungsgrundsätze zu übertragen , weshalb ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides bestünden. Es sei nicht ausgeschlossen, dass dem Antragsteller im Hauptsacheverfahren der Nachweis eines niedrigeren gemeinen Werts gelinge.

Vorliegend habe der Antragsteller Umstände vorgetragen, die einen erfolgreichen Nachweis eines niedrigeren gemeinen Werts für die gesamte wirtschaftliche Einheit mit der erforderlichen Abweichung zu dem im typisierten Verfahren festgestellten Grundsteuerwert im Hauptsacheverfahren möglich erscheinen ließen: Baujahr 1880 und schlechter Instandhaltungszustand wegen unterbliebener Renovierungen, weshalb dem Gebäude kein erheblicher Mehrwert beizumessen sei und die wirtschaftliche Einheit nur mit dem Bodenwert abzüglich etwaiger Freilegungskosten zu bewerten sei (sogen. Liquidationsobjekt). Es seien nach den Ausführungen auch Zweifel begründet, dass sich mit dem Gebäude im benannten Zustand die gesetzlich typisierten Mieterträge erzielen ließen, wie sie vom Finanzamt mit einem typisierten Reinertrag von € 3.635,28 bzw. kapitalisierten Reinertrag iHv. € 64.998,81 angenommen wurden.

Offen ließ der BFH, ob ein vom Finanzgericht angenommenes strukturelles Vollzugsdefizit bestünde, da nicht gewährleistet sei, dass die Gutachterausschüsse bei der Ermittlung des Bodenrichtwertes sämtliche wertbeeinflussenden Grundstücksmerkmale berücksichtigen würden. Denn – s.o. – der Antragsteller habe die Möglichkeit, den Nachweis eines geringeren gemeinen Wertes zu führen. Anmerkung: Das ist zwar in der Sache richtig, führt aber zu einer erheblichen Belastung des Steuerpflichtigen, der in Ansehung von Ungenauigkeiten der Gutachterausschüsse mit der Beweislast wie auch ggf. den Kosten (für das Gutachten) beschwert wäre, zudem eine Ungenauigkeit bis 40% hinzunehmen hätte.

Offen ließ der BFH auch, ob verfassungsrechtliche Zweifel ein einer gleichheitsgerechten Bewertung bestehen, da – so das Finanzgericht – im typisierten Bewertungsverfahren nach §§ 252 ff BewG nur eine unzureichende Differenzierung nach der Lage der Gebäude und der Größe des Grundstücks erfolge, da der Antragsteller vorliegend keine lage- oder größenbedingt unzutreffenden Wertfeststellungen gerügt habe.

BFH, Beschluss vom 27.05.2024 - II B 78/23 (AdV) -

Donnerstag, 21. März 2024

Verwertung des Gutachtens des wegen Besorgnis der Befangenheit erfolgreich abgelehnten Sachverständigen ?

Es handelte sich um einen Arzthaftungsprozess. In der Verhandlung über ein medizinisches Gutachten des vom Gericht bestellten Sachverständigen (SV) lehnte die Klägerin diesen wegen Besorgnis der Befangenheit ab und begründete dies in einem späteren Schriftsatz, zu dem der Sachverständige Stellung nahm. Dem Befangenheitsantrag wurde im Beschwerdeverfahren vor dem OLG stattgegeben, allerdings im Hinblick darauf, dass zwischenzeitlich die Klägerin ihren Befangenheitsantrag auf den Inhalt der Stellungnahme des SV stützte. In der Folge wurde die Klage unter Berücksichtigung des Gutachtens des abgelehnten SV abgewiesen. Die dagegen eingelegte Berufung wurde zurückgewiesen, wobei der Senat insoweit die Befangenheitsablehnung (festgestellt durch einen anderen Senat) als unzulässig ansah.  Die Revision der Klägerin führte zur Aufhebung des Urteils und Zurückverweisung des Rechtsstreits an das OLG. 

Zunächst stellte der BGH fest, dass gem. § 412 Abs. 2 ZPO die Begutachtung durch einen anderen SV anordnen „kann“, wenn der bestellte Sachverständige erfolgreich abgelehnt worden sei. „Kann“ sei hier dahingehend zu verstehen, dass das Gutachten des abgelehnten SV grundsätzlich nicht mehr verwertet werden dürfe. Gründe, die eine Ausnahme zulassen würden, lägen nicht vor. 

In diesem Zusammenhang setzte sich der BGH mit der Annahme des Berufungsgerichts auseinander, das Ablehnungsgesuch der Klägerin als unzulässig einzustufen. Er verwies zutreffend darauf, dass diese Beurteilung der Bindungswirkung der im Ablehnungsverfahren getroffenen Entscheidung widerspreche. Die Entscheidung des anderen Senats des OLG, mit der dem Ablehnungsantrag stattgegeben worden sei, unterliege gem. §§ 512, 406 Abs. 5 ZPO nicht der Beurteilung des Berufungsgerichts, welches an die rechtskräftige Entscheidung gebunden sei. 

Eine Ausnahme von dem aus § 412 Abs. 2 ZPO verankerten Verwertungsverbot läge vor, wenn die sich auf die Befangenheit des Sachverständigen berufene Partei den Ablehnungsgrund selbst in rechtsmissbräuchlicher Weise provoziert habe und gleichzeitig kein Anlass bestünde, dass die Unvoreingenommenheit des Sachverständigen schon bei Erstellung seiner bisherigen Gutachten beeinträchtigt gewesen sei (BGH, Beschluss vom 26.04.2007 - VII ZB 18/06 -). Die Entscheidung zur weiteren Verwertbarkeit sei nicht Teil des Ablehnungsverfahrens. Welche Folgen die erfolgreiche Ablehnung habe, sei vom Gericht im Rahmen seiner Entscheidung, welche Beweise noch zu erheben sind, zu beurteilen. 

Hier habe das Berufungsgericht schon keine Feststellungen getroffen, aus denen sich ergäbe, dass die Klägerin den Ablehnungsgrund rechtsmissbräuchlich provoziert habe. 

Auch habe es rechtsfehlerhaft angenommen, dass kein Anlass zur Besorgnis bestünde, dass die Unvoreingenommenheit des SV schon bei Erstellung des Gutachtens beeinträchtigt gewesen sei. In seinen Ausführungen habe das Berufungsgericht zunächst nur dargelegt, was die Klägerin als Befangenheitsgrund iSv. § 406 Abs. 1 S. 1 , § 42 Abs. 1 und 2 ZPO angesehen habe. Den fehlenden Anlass zur Besorgnis der beeinträchtigten Unvoreingenommenheit des SV habe das Berufungsgericht mit dem Hinweis darauf begründet. Dass der SV und er Prozessbevollmächtigte der Klägerin vor der Erstellung des Gutachtens nicht aufeinandergetroffen seien und daher für den SV (anders als ins einer späteren Stellungnahme zum Befangenheitsantrag nach der mündlichen Verhandlung) kein Anlass bestanden habe, das Verhalten des klägerischen Prozessbevollmächtigten in der mündlichen Verhandlung zu bewerten und zu kritisieren.  Es würden Darlegungen im Urteil fehlen, ob die Unvoreingenommenheit des SV bereits zuvor beeinträchtigt gewesen sein könnte. Dass sich diese mögliche Beeinträchtigung nicht schon früher offenbart hätte, folge nicht, dass sie nicht vorgelegen habe. 

Offen ließ der BGH, ob die Verwertbarkeit des Gutachtens auch dann in Betracht kommen könne, wenn die sich auf die Befangenheit berufene Partei dem Ablehnungsgrund nicht rechtsmissbräuchlich provoziert habe. Auch dann käme eine Verwertung des Gutachtens nur in Betracht, wenn kein Anlass zu der Besorgnis bestünde, dass die Unvoreingenommenheit des SV schon bei dessen Erstellung (und ggf. Erläuterung) beeinträchtigt gewesen sei. Dies sei hier nicht der Fall. 

BGH, Urteil vom 05.12.2023 - VI ZR 34/22 -

Mittwoch, 3. August 2022

Ärztlicher Behandlungsfehler und Beginn des Laufs der Verjährung, §§ 195, 199 BGB

Bei dem Antragsteller wurde von Ärzten der Beklagten am 25.01.2017 eine Leistenhernienoperatin durchgeführt. Danach bildeten sich beim ihm eine Sepsis mit Nierenversagen bei 4-Quadranten-Reritonitis. Nach Ansicht des Antragstellers sei dies auf eine unzureichende Reaktion der Ärzte auf die von ihm geäußerten extremen Schmerzen und eine unzureichende Befunderhebung zurückzuführen.

Für seien Klage auf Schadensersatz in Form von Schmerzensgeld, vorgerichtlichen Rechtsanwaltsgebühren und einer Einstandsverpflichtung der Beklagten für mögliche kausale Zukunftsschäden beantragte der Antragsteller Prozesskostenhilfe, § 114 ZPO. Die Beklagte erhob im Rahmen ihrer Stellungnahme die Einrede der Verjährung. Mit Hinweis auf die eingetretene Verjährung lehnte das Landgericht die Bewilligung von Prozesskostenhilfe ab, da es damit an einer für die Gewährung von Prozesskostenhilfe notwendigen hinreichenden Erfolgsaussicht für die beabsichtigte Klage ermangele, § 114 Abs. 1 S. 1 ZPO.

Die dagegen von dem Antragsteller eingelegte sofortige Beschwerde war erfolgreich.

Wie auch bereits das Landgericht sah auch das Oberlandesgericht im Rahmen seiner Beschwerdeprüfung den Vortrag des Antragstellers zu einer Haftung der Beklagten als ausreichend an, wobei es darauf verwies, dass zwar der Patient einen Behandlungsfehler darlegen und beweisen müsse, allerdings von ihm im Hinblick auf das bestehende Informationsgefälle zwischen ihm und dem Arzt keine genauen Kenntnisse der medizinischen Vorgänge erwartet und gefordert würden und mithin nur maßvolle Anforderungen an seien Substantiierungslast zu stellen seien, wonach er sich auf einen Vortrag beschränken könne, der die Vermutung eines ärztlichen Fehlverhaltens aufgrund der Folgen für den Patienten gestatte (BGH, Urteil vom 08.06.2004 - VI ZR 199/03 -).

Gegen die nach dem für die Gewährung der Prozesskostenhilfe sprechende Erfolgsaussicht gemäß Vortrag des Antragstellers könnte danach lediglich der Eintritt der Verjährung sprechen. Es gilt hier für die in Betracht kommenden Ansprüche gem. §§ 630a ff, 823ff BGB die regelmäßige Verjährungsfrist nach §§ 195, 199 Abs. 1 BGB von drei Jahren, beginnend mit dem Schluss des Kalenderjahres, in dem der Anspruch entstanden ist und der Gläubiger von den den Anspruch begründenden Umstände und der Person des Schuldners Kenntnis erlangt oder aber ohne grobe Fahrlässigkeit hätte erlangen müssen. Dies zugrunde legend wies das OLG als Beschwerdegericht darauf hin, die erforderliche Kenntnis bzw. grob fahrlässige Unkenntnis sei nicht schon dann zu bejahen, wenn dem Patienten lediglich der negative Ausgang der ärztlichen Behandlung bekannt sei. Vielmehr sei erforderlich, dass er auch auf einen ärztlichen Behandlungsfehler als Ursache hätte schließen können müssen. Erforderlich sei dazu nicht nur die Kenntnis von den Tatsachen, aus denen sich auch für den medizinischen Laien ergäbe, dass der behandelnde Arzt von dem üblichen medizinischen Vorgehen abgewichen sei oder Maßnahmen nicht getroffen hätte, die nach ärztlichem Standard zur Vermeidung oder Beherrschung von Komplikationen erforderlich sind. Diese Kenntnis ei aber erst vorhanden, wenn die dem Antragsteller (Patienten) bekannten Tatsachen ausreichen, um den Schluss auf ein schuldhaftes Fehlverhalten des Arztes und auf die Ursache des Verhaltens für den Schaden als naheliegend erscheinen würden (BGH, Urteil vom 08.11.2016 - VI ZR 594/215 -). Im Hinblick auf ärztliche Behandlungsfehler sei zudem die Kenntnis des Abweichens vom medizinischen Standard oder des Unterlassens medizinisch gebotener Handlungen erforderlich.  Diese Kenntnis richte sich in Ansehung der Komplexität moderner medizinischer Behandlungsweisen nicht nach wissenschaftlichen Kriterien, sondern der Parallelwertung in der Laiensphäre des Patienten, nach der die Behandlung nicht lege artis durchgeführt worden sei. Er müsse mithin diejenigen Behandlungstatsachen kennen, die in Bezug auf einen Behandlungsfehler ein ärztliches Fehlverhalten und in Bezug auf die Schadenskausalität eine ursächliche Verknüpfung bei objektiver Betrachtung nahelegen. Ob eine Abweichung vom Standard vorläge könne der Laie, mit Ausnahme grundlegender Behandlungsmethoden, erst durch eine ärztliche Begutachtung des Schadens feststellen. Diese Begutachtung sei vorprozessual erst durch ein von der Krankenkasse eingeholtes viszeralchirurgisches MDR-Gutachten vom 18.08.2020, welches der Antragsteller mit Schreiben der Krankenasse vom 24.08.2020 zur Kenntnis erhielt, erfolgt. Ob eine fachgutachterliche Stellungnahme für den Lauf der Verjährungsfrist zwingend sei (so OLG Köln, Urteil vom 05.03.2018 - 5 U 98/16 -) könne auf sich beruhen, da nicht ersichtlich sei, aufgrund welcher sonstiger Umstände der Antragsteller zuvor die nach den benannten Maßstäben gebotene Kenntnis hätte erlangen können.

OLG Dresden, Beschluss vom 04.05.2022 - 4 W 252/22 -

Donnerstag, 9. Mai 2019

Unterlassen der beantragten Anhörung des gerichtlich bestellten Sachverständigen


Der Beklagte wandte sich mit seiner Nichtzulassungsbeschwerde zum BGH gegen ein Urteil des OLG Frankfurt und rügte die Verletzung des rechtlichen Gehörs durch das OLG. Dem lag zugrunde, dass der Beklagte  eine Wohnungseigentumsanlage mit Tiefgarage errichtete und die klagende Wohnungseigentümergemeinschaft von ihm einen Kostenvorschuss für die Beseitigung eines Mangels des Tiefgaragenbodens begehrte. Die Klägerin hatte zunächst ein selbständiges Beweisverfahren durchgeführt, in dem der vom Gericht bestellte Sachverständige ein schriftliches Gutachten und drei schriftliche Ergänzungen vorlegte. Auf der Grundlage dieser Gutachten im Beweisverfahren gab das Landgericht der Klage statt. Die Berufung, in deren Rahmen die Beklagte die unterlassene, von ihm aber beantragte mündliche Anhörung des Sachverständigen rügte, wurde vom OLG ohne Anhörung des Sachverständigen zurückgewiesen.

Der BGH sah das rechtliche Gehör des Beklagten (Art. 103 GG) in entscheidungserheblicher Weise als verletzt an. Nicht nur verlange Art. 103 Abs. 1 GG, dass das Gericht die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis nehmen und in Erwägung zu ziehen habe, sondern auch, dass es erhebliche Beweisanträge berücksichtigt. Dieses Recht ergäbe sich bereits aus §§ 397, 402 ZPO und sei Teil des Grundrechts auf Gewährung rechtlichen Gehörs , womit eine Nichtberücksichtigung eines solchen Beweisangebots gegen Art. 103 Abs. 1 GG verstoße, wenn sie im Prozessrecht keine Stütze fände.

Im Berufungsverfahren habe der Beklagte bereits die Verletzung rechtlichen Gehörs durch das Landgericht gerügt, da trotz seines Antrags der Sachverständige nicht mündlich angehört worden sei, womit er ersichtlich an seinem entsprechenden Anhörungsantrag aus erster Instanz festgehalten habe. Weder habe das OLG diesen Antrag erwähnt noch ausgeführt, weshalb es den Sachverständigen nicht angehört habe. Es käme nicht darauf an, ob das Gericht noch Erläuterungsbedarf sähe oder zu erwarten sei, dass der Sachverständige seine bisherige Ansicht ändere, ebensowenig darauf, ob das Gutachten Mängel aufweise. Die Parteien hätten nach §§ 397, 402 ZPO einen Anspruch darauf, dem Sachverständigen Fragen zu stellen, die sie zur Aufklärung des Sachverhalts für wesentlich ansehen, wobei dieses Recht unabhängig von § 411 Abs. 3 ZPO (Möglichkeit des Gerichts, von sich aus den Sachverständigen zum Termin zu laden) bestünde. Auch sei hier kein Ausnahmefall ersichtlich, bei dem trotz Antrag von der Anhörung abgesehen werden könne (BGH, Urteil vom 29.10.2002 - VI ZR 353/01 -: Rechtsmissbrauch und Prozessverschleppung).

Das Urteil des OLG beruhe auch auf dem Verfahrensverstoß, da sich das OLG auf dieses Gutachten beziehe und nicht ausgeschlossen werden könne, dass es nach Anhörung des Sachverständigen zu einem anderen Ergebnis gekommen wäre.

Von daher wurde das Urteil aufgehoben und der Rechtsstreit an das OLG zurückverwiesen, welches nun den Sachverständigen anzuhören hat. Der BGH wies zudem drauf hin, dass die Feststellung der allgemein anerkannten Regeln der Technik vom Gericht regelmäßig nur aufgrund sachverständiger Beratung getroffen werden könne.

BGH, Beschluss vom 06.03.2019 - VII ZR 303/16 -

Freitag, 2. November 2018

Unwirksame Abtretung von Schadensersatzansprüchen auf Sachverständigenkosten durch den Geschädigten an den Sachverständigen


Der Beklagte wurde von der Klägerin, einem Inkassounternehmen, auf Zahlung von Sachverständigenkosten in Anspruch genommen. Dem lag ein vom  Beklagten verursachter Verkehrsunfall zugrunde, für den er zu 100% eintrittspflichtig war. Nach dem Verkehrsunfall beauftragte der Geschädigte einen Sachverständigen, der von dem Geschädigten ein Formular für den Gutachtenauftrag unterschreiben ließ, in dem eine Klausel „Abtretung und Zahlungsanweisung“ enthalten war. Danach trat der Geschädigte seinen Anspruch auf Sachverständigenkosten gegen den Schädiger (Beklagten) an den  Sachverständigen ab, der sich vorbehielt, den Anspruch bei erfolgloser (vorgerichtlicher) Geltendmachung gegen den Schädiger bzw. dessen Versicherer vom Beklagten gegen Verzicht auf die Rechte aus der Abtretung zu fordern und ferner vorbehielt, seinerseits den Anspruch zur Weiterverfolgung an eine Verrechnungsstelle abzutreten.

Das Amtsgericht hatte der Klage stattgegeben. Die Berufung führte zur Abänderung des Urteils und Klageabweisung. Die zugelassene Revision der Klägerin wurde vom BGH zurückgewiesen.

Nach Auffassung des Landgerichts sei die Klägerin nicht aktivlegitimiert. Dem folgte der BGH. Die Klausel zur „Abtretung und Zahlungsanweisung“ sei wegen Verstoßes gegen das Transparenzgebot des § 307 Abs. 1 S. 2 BGB unwirksam.  An seinen dem eventuell entgegenstehenden Entscheidungen vom 17.10.2017 - VI ZR 527/16 - und 24.10.2017 - VI ZR 504/16 - sowie - VI ZR 514/16 - würde der Senat nicht festhalten.

Der Verwender Allgemeiner Geschäftsbedingungen (AGB) sei verpflichtet, Rechte und Pflichten seiner Vertragspartner möglichst klar und durchschaubar darzustellen. Er müsse mithin die tatbestandlichen Voraussetzungen und Rechtsfolgen möglichst klar und durchschaubar darstellen und es dürften keine ungerechtfertigten Beurteilungsspielräume entstehen.  Abzustellen sei dabei auf die Verständnis- und Erkenntnismöglichkeiten eines typischerweise zu erwartenden Durchschnittskunden. Diesen Anforderungen entspräche die Klausel nicht. So sei bereits nicht klar, welche Rechte dem Unfallgeschädigten gegenüber dem Sachverständigen nach der „zur Sicherung“ und „erfüllungshalber“ erfolgten (Erst-) Abtretung an den Sachverständigen zustehen sollen, wenn dieser seinen Honoraranspruch gegen ihn geltend macht.  Zwar sei vorgesehen, dass in diesem Fall der Sachverständige dann auf die Rechte aus der Abtretung gegen den Anspruchsgegner (Zug um Zug gegen Erfüllung) verzichte. Dies sei aber bereits unklar, da dies nicht klar eine Rückabtretung beinhalte und das auch nach dem Klauselwerk nicht von einem durchschnittlichen Unfallgeschädigten so verstanden werden müsse.  Zumal hier der Sachverständige ersichtlich auch eine Weiterabtretung vornehmen wolle, also die abgetretene Forderung gar nicht bei ihm verbliebe.

BGH, Urteil vom 17.07.2018 - VI ZR 274/17 -

Samstag, 26. August 2017

Selbständiges Beweisverfahren und Berücksichtigung von Einwendungen gegen das Gutachten im nachfolgendem Hauptsacheverfahren unter Beachtung von Präklusionsvorschriften

Mit seinem Urteil vom 17.05.2017 setzt sich der BGH mit der Frage der Bedeutung eines im selbständigen Beweisverfahren eingeholten Gutachtens für das Hauptsacheverfahren, mit Einwendungen gegen das Gutachten im selbständigen Beweisverfahren und deren Bedeutung für das Hauptsacheverfahren, mit der Beachtlichkeit von (gar auf Privatgutachten gestützten) Einwendungen gegen das gerichtlich eingeholte Gutachten im selbständigen Beweisverfahren (auch unter Berücksichtigung der Problematik der Präklusion) und mit der notwendigen und nachvollziehbar im Urteil darzulegenden Würdigung durch das Gericht auseinander, welchem Gutachten es folgen will.

Zum Hintergrund des Rechtstreits:

Die Beklagte brachte im Jahr 2008 einen geschliffenen Boden in einer etwa 490m² großen Verkaufshalle für die Klägerin ein. Nach Fertigstellung der Arbeiten zeigten sich Risse im aufgebrachten Terrazzo-Oberbelag. Der von der Klägerin beauftragte Sachverständige W. sah dies als während der Austrocknung entstandene Schwindrisse an. Eine Sanierung durch Verschluss der Risse mit Feinstzementen oder Kunstharz sei mit einem Aufwand von € 5.50,00 möglich. Nunmehr leitete die Klägerin ein selbständiges Beweisverfahren gegen die Beklagte ein. Der vom Gericht bestellte Sachverständige H. beurteilte die Risse als Trennrisse, beruhend auf einem fehlenden Haftungsverbund zwischen Terrazzo-Vorsatz und Unterbeton. Nach seinen Angaben könne der Mangel nur durch einen kompletten Abbruch des Terrazzo-Vorsatzes und evtl. des Unterbetons bei einem Kostenaufwand von netto € 125.000,00 beseitigt werden.

Das Gutachten wurde der Beklagten vom Landgericht, bei dem das selbständige Beweisverfahren geführt wurde, mit einer Frist zur Stellungnahme binnen drei Wochen überlassen. Sie erhob, unter Vorlage eines Privatgutachtens des Sachverständigen B., Einwendungen gegen das gerichtliche Gutachten und beantragte die Anhörung des Sachverständigen H. Dieser wurde angehört, Damit endete das Beweisverfahren.

In der Folge erhob die Klägerin Kostenvorschussklage zur Mängelbeseitigung und machte einen Betrag von € 125.000,00 geltend, verbunden mit dem Feststellungsantrag, dass die beklagte ihr sämtliche weiteren Schäden zu ersetzen habe.  In der Klageerwiderung wiederholte die Beklagte ihre Einwendungen gegen das Gutachten des Sachverständigen H. aus dem Beweisverfahren und ihre Kritik auf weitere Aspekte gestützt, die durch die Anhörung des Sachverständigen H. im Beweisverfahren bekannt  wurden. Im Laufe des Verfahrens vertiefte die Beklagte ihre Einwendungen durch Einholung eines weiteren Gutachtens des Sachverständigen B. und des Sachverständigen R.

Das Landgericht gab der Klage statt. Es hielt die Ausführungen des Sachverständigen H. für überzeugend. Anlass zur Einholung eines weiteren Gutachtens bestünde nicht.  Die Beklagte habe im Beweisverfahren die Möglichkeit der Anhörung des Sachverständigen gehabt. Sollte sie dort der Ansicht gewesen sein, ihre Einwendungen seien nicht ausreichend beantwortet worden, hätte sie die Möglichkeit zu einer entsprechenden Antragsstellung gehabt, was sie nicht genutzt habe. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des OLG wurde zurückgewiesen. Das OLG vertrat die Ansicht, dass Einwendungen gegen ein im selbständigen Beweisverfahren eingeholtes Gutachten auch im Hauptsacheverfahren zuzulassen seien, ergäbe sich, dass das Gutachten nicht überzeugend, lückenhaft oder widersprüchlich sei. Das Gutachten sei aber überzeugend und die Einwände der Beklagten, die Risse seien auf Temperaturschwankungen, Zugluft oder punktuelle Belastung während der Austrocknungsphase zurückzuführen, vom Beklagten H. ausreichend beantwortet worden. Einwendungen der Beklagten, die auf die während des Hauptsacheverfahrens eingeholten Privatgutachten B. und R. gestützt würden, wären nicht zu berücksichtigen, da sie nicht innerhalb angemessener Frist gem. § 411 Abs. 4 S. 1 ZPO erhoben, sondern lange nach Ablauf der Klageerwiderungsfrist.

Dagegen erhob die Beklagte Nichtzulassungsbeschwerde zum BGH, die von diesem zugelassen wurde; auf die Revision wurde das Urteil des OLG aufgehoben und der Rechtstreit zurückverwiesen.

Die Erwägungen des BGH:

Das OLG habe sich nicht ausreichend mit den Vorbringen der Beklagten gegen das Beweisergebnis nach Einholung des Gutachtens H. auseinandergesetzt und daher entscheidungserhebliches Vorbringen und Beweisantritte der Beklagten entgegen Art. 103 Abs. 1 GG (Gewährung rechtlichen Gehörs) unberücksichtigt gelassen. Der Tatrichter müsse zwingend mit Einwendungen der Partei gegen ein gerichtlich eingeholtes Gutachtes berücksichtigen und sei verpflichtet, sie mit von einer Partei vorgelegten Privatgutachten auseinanderzusetzen. Wenn sich aus dem Privatgutachten ein Widerspruch zum gerichtlich eingeholten Gutachten ergäbe, müsse er auf eine Aufklärung hinwirken; Unklarheiten, Zweifeln oder Widersprüchen müsse der Tatrichter von Amts wegen nachgehen. Kann der gerichtlich bestellte Sachverständige im Rahmen seiner Anhörung Einwendungen, die sich aus dem Privatgutachten ergeben, nicht ausräumen, müsse das Gericht im Rahmen seiner Pflicht zur Sachverhaltsaufklärung ein weiteres Gutachten einholen. Es hat sich mit den Gutachten sachlich und kritisch auseinanderzusetzen und darlegen, warum es einem von ihnen den Vorzug gibt. Dies gelte unabhängig davon, ob das gerichtliche Gutachten im Rahmen eines selbständigen Beweisverfahrens oder durch den in der Sache zur Entscheidung berufenen Richter eingeholt wurde, arg. §§ 493, 492 Abs. 1 ZPO. Das habe zur Folge, dass das Beweisverfahren im Hauptsacheverfahren fortzusetzen sei, wenn dem Prozessgericht das im selbständigen Beweisverfahren eingeholte Gutachten ergänzungsbedürftig erscheine, § 412 Abs. 1 ZPO.

Diesen Anforderungen würde die Entscheidung des OLG nicht gerecht. Die Beklagte habe bereits im selbständigen Beweisverfahren (näher in der Entscheidung dargelegte) detaillierte Einwendungen gegen das gerichtlich eingeholte Gutachten des Sachverständigen H. erhoben und diese im Hauptsacheverfahren weiter vertieft und ergänzt. Mit diesen Einwendungen habe sich das OLG nicht ausreichend auseinandergesetzt. Seine Begründung, die Ausführungen des Sachverständigen H. seien überzeugend (weshalb eine weitere Anhörung des Sachverständigen H. im Hauptsacheverfahren nicht mehr erforderlich sei), würden sich angesichts der kritischen, aus den verschiedenen Privatgutachtend es Beklagten hervorgehenden Einwendungen als bloße Leerformeln darstellen. Unabhängig von der Einschätzung des im selbständigen Beweisverfahren tätigen Richters habe der in der Hauptsache zur Entscheidung berufene Richter in Folge der Gleichbehandlung nach § 493 Abs. 1 ZPO bezüglich der Gutachten aus einem selbständigen Beweisverfahren und einem streitigen Verfahren zu prüfen, ob die Anhörung des Sachverständigen im Beweisverfahren zur Klärung der Streitpunkte geführt habe. Vorliegend würde sich weder aus dem Protokoll über die Anhörung des Sachverständigen H. im selbständigen Beweisverfahren noch aus den Urteilsgründen ergeben, weshalb die Klärung durch die Anhörung herbeigeführt worden sei. S sei vielmehr dokumentiert, dass der Sachverständige nicht alle Fragen mit der gebotenen Klarheit beantworten konnte, was die Fortführung der Beweisaufnahme indiziere.

Auch habe das OLG das Vorbringen gegen das Beweisergebnis nicht als verspätet zurückweisen dürfen. Der Verstoß gegen Präklusionsvorschriften stelle eine Verletzung rechtlichen Gehörs dar.  Es könne offen bleiben, ob die Präklusionsvorschriften gem. § 411 Abs. 4 ZPO iVm. 296 Abs. 1m 493 ZPO zur Anwendung kommen können, wenn den Parteien nach Eingang des Gerichtsgutachtens eine Frist gesetzt würde, die den Anforderungen des § 296 Abs. 1 ZPO genüge. Dies hätte zur Voraussetzung gehabt, dass (was nicht erfolgte) die im selbständigen Beweisverfahren gesetzte Stellungnahmefrist mit einem Hinweis über die Folgen der Nichtbeachtung der Frist versehen wäre. Und:  Vorliegend würde eine Präklusion aber auch deshalb ausscheiden, da die Beklagte innerhalb der gesetzten Frist Einwendungen erhoben hatte, weshalb diese Einwendungen (vertieft durch Vorlage weiterer Gutachten) nicht mit der Begründung hätten unberücksichtigt bleiben dürfen, die Beklagte hätte noch im selbständigen Beweisverfahren auf eine Ergänzungsbedürftigkeit oder Klärungsbedürftigkeit hinweisen müssen und bereits dort weitere Beweisantritte tätigen müssen.

Da der Gehörsverstoß entscheidungserheblich sei, sei der Rechtsstreit zurückzuverweisen, da nicht ausgeschlossen sei, dass bei Berücksichtigung der Einwände der Beklagten das OLG zu einem anderen Ergebnis gelangt wäre.


BGH, Urteil vom 17.05.2017 - VII ZR 36/15 -

Samstag, 12. August 2017

Fitnessstudio: Ärztliches Attest zum Nachweis einer Erkrankung nicht ausreichend

In vielen AGB von Fitnessstudios war früher die Klausel enthalten, dass bei Vorlage eines (aussagekräftigen) Attestes eine fristlose Kündigung wegen Krankheit möglich sei. Dagegen hatte sich ein Nutzer erfolgreich mit dem Argument gewehrt, dies würde seine Privatsphäre tangieren. Der BGH gab ihm Recht. Er sah die Klausel als unzulässig an, verwies aber darauf, dass der Nutzer spätestens im Prozess seine Erkrankung darlegen und im Bestreitensfall nachweisen müsse (Urteil vom 08.02.2012 - XII ZR 42/10 -).

Im vorliegenden Fall kündigte die Nutzerin (die Beklagte) ebenfalls wegen einer von ihm behaupteten, die Nutzung der Einrichtung des Fitnessstudios ausschließenden Erkrankung und legte die Kopie eines Attestes vor. Das Fitnessstudio erhob gleichwohl Zahlungsklage, der das Amtsgericht (mit Ausnahmen von Nebenforderungen) stattgab. Gegen das Urteil legte die Beklagte Berufung ein. Sie vertrat die Ansicht, dass das (in Kopie vorgelegte) Attest mit der Diagnose „rez. Lumbalgie“ ausreichend sei, den Nachweis der Unzumutbarkeit am Festhalten am Vertrag zu belegen. Weitergehende Auskünfte könne die Klägerin nicht fordern und im Übrigen stelle sich das Attest auch nicht als ergänzender Parteivortrag dar, sondern als Beweismittel.

Dem folgte das Landgericht nicht. Es erhob durch Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens Beweis und wies danach die Berufung als unbegründet zurück.  Die Beklagte habe den Beweis einer von ihr behaupteten, die Nutzung des Studios ausschließenden Erkrankung nicht erbracht.

Das Attest sei schon deshalb nicht als Beweismittel in Betracht gekommen, da es nur als Kopie und nicht als Original (Urkunde, § 420 ZPO) vorgelegt worden wäre und die Klägerin die Echtheit bestritten habe. Unabhängig davon könne mit Attesten als Privaturkunde iSv. § 416 ZPO auch lediglich die tatsächliche Abgabe der im Attest beurkundeten Erklärungen des behandelnden Arztes, nicht aber das Bestehen der beurkundeten Beschwerden bewiesen werden. Für das Bestehen könne allenfalls eine Vernutung bestehen. Auch aus der Entscheidung des BGH vom 08.02.2012 (s.o.) ließe sich entgegen der Annahme der Beklagten nicht herleiten, dass ein Attest zum Beweis genügen würde. Im Gegenteil ließe sich dieser Entscheidung entnehmen, dass bei Zweifeln über die Berechtigung der außerordentlichen Kündigung dies in einem gerichtlichen Verfahren zu klären wäre, was aber gerade bedeuten würde, dass die allgemeinen Beweisgrundsätze gelten und die Vorlage eines Attestes nicht als ausreichend angesehen werden könne.

Vorliegend habe zwar das von der Kammer eingeholte Gutachten eine Erkrankung an rez. Lumbalgien bei der Klägerin bestätigt, nicht jedoch, dass die Beklagte nicht mehr die Geräte im Fitnessstudio nutzen könne. Rezidivierende Lumbalgien würden zwar wohl vorliegen können, aber ohne klinischen Befund, da die Beklagte, ihren Angaben gegenüber dem medizinischen Sachverständigen zufolge, wieder ein Fitness-Training absolviere. Bei Phasen einer akuten Schmerzhaftigkeit wäre zwar eine Trainingsunterbrechung möglich, doch könne das Training ggf. mit gewissen Modifikationen durchgeführt werden. Nach den Angaben des Sachverständigen, denen sich die Kammer anschloss, ist damit ein Gerätetraining für die Beklagte möglich. Alleine mögliche Phasen der Einschränkung der Trainingsmöglichkeit würden keinen Gründen für eine Kündigung wegen Unzumutbarkeit des Festhaltens am Vertrag nach § 314 Abs. 1 BGB begründen.


LG Frankfurt am Main, Urteil vom 24.07.2017 - 2-01 S 283/15 -

Samstag, 6. August 2016

Prozessrecht: Berücksichtigung eines Privatgutachtens und Verbot des Bestreitens mit Nichtwissen von behaupteten Angaben des beauftragten Untervermittlers

Das Gericht hat auch ein privates Sachverständigengutachten zu berücksichtigen, welches im Widerspruch zu dem gerichtlich eingeholten Gutachten steht. Und es hat Beratungsleistungen eines vom Verkäufer eingeschalteten Untervermittlers zu Lasten des Verkäufers zu berücksichtigen.


Nachdem der vom Verkäufer (Beklagten) eingeschaltete Untervermittler dem Kläger als potentiellen Käufer nach dessen Angaben ein Steuersparmodell mit Wirtschaftlichkeitsberechnung vorgestellt hatte und einen bestimmten gewinn bei Veräußerung der Wohnung nach zehn Jahren versprach, erwarb der Kläger die Wohnung.  

Der BGH ging auf Grund der vorinstanzlichen Feststellungen davon aus, dass nicht ausgeschlossen werden könne, dass der Kaufvertrag sittenwidrig sei und der Kläger einen Anspruch aus ungerechtfertigter Bereicherung haben kann.

Die Sittenwidrigkeit des Vertrages leitet der BGH aus der Überhöhung des Kaufpreises um knapp 100% gegenüber dem Verkehrswert gem. dem vom Kläger vorgelegten Privatgutachten. Mit diesem hatte sich die Vorinstanz nicht auseinandergesetzt. Dies wäre aber nach Auffassung des BGH notwendig gewesen. Gegebenenfalls hätte es den von ihm bestellten Sachverständigen anhören müssen, ohne dass es dazu eines Antrages des Klägers bedurft habe. Auch hätte es eventuell, wenn die Anhörung noch keine endgültige Klärung bringt, einen weiteren Sachverständigen bestellen müssen.

Damit konnte entgegen der Annahme der Vorinstanz nicht davon ausgegangen werden, dass keine Sittenwidrigkeit vorliegt. Die fehlende Berücksichtigung des Privatgutachtens stellt sich als Verletzung rechtlichen Gehörs dar.

Ferner hätte die Vorinstanz auch den klägerischen Vortrag zu dem Untervermittler beachten müssen. Zwar habe der Kläger für seine Behauptung keinen Beweis angeboten. Allerdings habe der Beklagte diesen Vortrag lediglich mit Nichtwissen bestritten. Da aber der Untervermittler von ihm eingeschaltet wurde und die Beratung für ihn übernahm, kam zum einen zwischen den Vertragsparteien ein Beratungsvertrag zustande. Liegt hier durch den Untervermittler ein Beratungsfehler vor (wie vom Kläger nach Auffassung des BBG schlüssig dargelegt wurde), geht dies zu Lasten des Beklagten. Dieser durfte die Angaben des Klägers nicht zulässig mit Nichtwissen bestreiten, § 138 Abs. 4 ZPO. Da er den Untervermittler eingeschaltet hatte, hätte er sich bei diesem auch kundig machen können und müssen.


BGH, Urteil vom 22.04.2016 – V ZR 256/14 -

Freitag, 18. März 2016

Versicherungsrecht: Kein Anspruch auf von Versicherung eingeholte Gutachten, es sei denn, § 242 BGB greife im Einzelfall (hier verneint)

Der Kläger verlangte Herausgabe von einem oder Einsichtnahme in ein vom Versicherer der Wohnungseigentümergemeinschaft eingeholtes Gutachten. Unabhängig davon, ob der Kläger als Miteigentümer der WEG überhaupt ein eigenes Recht hat, hat das Landgericht diesen Anspruch in der Sache verneint. Es musste, da sich zwischenzeitlich die Hauptsache erledigte (§ 91a ZPO) nur noch im Rahmen eines Kostenbeschlusses entscheiden.

Für den geltend gemachten Anspruch fehlte es nach Auffassung des Landgerichts an einer Rechtsgrundlage.

§ 3 Abs. 4 VVG sei nur für die dort konkret benannten Umstände anwendbar und träfe auf Gutachten nicht zu.

§ 202 VVG betrifft lediglich Gutachten im Krankenversicherungsbereich, nicht in den sonstigen Versicherungszweigen (die hier betroffen waren).

Auch § 810 Alt. 1 BGB kommt nach Auffassung des Landgerichts nicht in Betracht. Voraussetzung wäre, dass das Gutachten zumindest auch im Interesse desjenigen erstellt wurde, der die Herausgabe/Einsicht fordert. Wird das Gutachten vom Versicherer eingeholt, um eine eigene Leistungspflicht festzustellen, kommt diese Annahme nach Der Entscheidung des Landgerichts nicht in Betracht. Der Versicherer handele lediglich im eigenen Interesse und nicht auch um eine Aufgabe des Versicherungsnehmers bzw. Versicherten wahrzunehmen.

Auch ein auf § 242 BGB (Treu und Glauben) gestützter Anspruch scheide aus. Dies wurde vorliegend deshalb verneint, da der Kläger zunächst versucht habe im Rahmen der Leitungswasserversicherung resultierende Schäden über diese Versicherung abzurechnen. Dies sei unredlich gewesen; § 242 BGB greife aber nur, wenn sich derjenige, der sich auf § 242 BGB beruft, selbst redlich verhält.


LG München I, Beschluss vom 14.10.2015 – 26 O 8341/15 -

Dienstag, 14. April 2015

Ordnungsgeld gegen Sachverständigen bei Überschreitung der Bearbeitungsfrist

Gerichte sind häufig auf Gutachten von Sachverständigen aus den verschiedensten Bereichen angewiesen. Ihre Bearbeitung selbst ist den Gerichten entzogen. Kommt es hier allerdings zu Verzögerungen bei der Gutachtenerstellung, kann dies auch dem gerichtlichen beschleunigungsgebot zuwiderlaufen und bei einer Verzögerungsrüge einer Partei zu einer Haftung des Gerichts nach § 198 GVG führen. Die Gerichte tun von daher gut daran, wenn sie dem Sachverständigen eine Frist zur Erstellung des Gutachtens setzen. Hält der Sachverständige die Frist nicht ein, kann er sich zum einen neben dem das Beschleunigungsgebot verletzenden Gericht haftbar machen, besteht zum anderen nach einem Beschluss des OLG Koblenz  die Möglichkeit, gegen den Sachverständigen ein Ordnungsgeld gem. § 411 Abs. 2 ZPO festzusetzen. Voraussetzung für die Festsetzung des Ordnungsgeldes ist jedoch neben der Fristsetzung und ihrer Überschreitung durch den Sachverständigen, dass dem Sachverständigen eine Nachfrist mit Androhung eines Ordnungsgeldes gesetzt wird. Gleichzeitig weist aber das OLG Koblenz auch darauf hin, dass sich dann die Verhängung eines Ordnungsgeldes vernietet, wenn der Sachverständige seine verspätete Vorlage des Gutachtens ausreichend entschuldigt, wobei nach Auffassung des OLG Koblenz eine Aufarbeitung von Rückständen durch den Sachverständigen ausreichend sein soll.

Einen Kommentar von RA Niehus finden Sie auf der Seite Rechtsprechungssammlung

OLG Koblenz, Beschluss vom 20.01.2014 - 3 W 695/13 -