Der Bundesfinanzhof (BFH) hat eine Beschwerde gegen eine Entscheidung des FG Rheinland-Pfalz, mit der einem Antrag auf Aussetzung der Vollziehung aus einem Grundsteuerwertbescheid entsprochen worden war, zurückgewiesen. Allerdings erfolgte die Zurückweisung der vom Finanzamt eingelegten Beschwerde nicht aus verfassungsrechtlichen Erwägungen, sondern auf der Grundlage der materiellen Rechtmäßigkeit.
Grundlage war ein Grundsteuerwertbescheid in Rheinland-Pfalz. Die Ermittlung in Rheinland-Pfalz (wie auch in Brandenburg, Bremen, Mecklenburg-Vorpommern, Nordrhein-Westfalen, Sachsen-Anhalt und Schleswig-Holstein) erfolgt nach dem Bundesmodell. Der BFH folgte zwar dem Finanzgericht darin, dass der angefochtene Bescheid ernstliche Zweifel an seiner Rechtmäßigkeit aufwerfe und damit das Gericht der Hauptsache die Vollziehung des angefochtenen Bescheides nach § 69 Abs. 3 iVm. Abs. 2 FGO aussetzen könne. Ernstliche Zweifel würden bestehen, wenn neben Gründen für die Rechtmäßigkeit des Bescheides gewichtige Umstände gegen die Rechtsmäßigkeit zutage treten würden, die eine Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung der Tatfragen bewirken würden. Bei der vorzunehmenden summarischen Prüfung sei von dem Vortrag der beteiligten und der Aktenlage auszugehen, wobei für die Gewährung der Aussetzung der Vollziehung (AdV) die für die Rechtswidrigkeit sprechenden Gründe überwiegen müssten.
Vorliegend hatte der Senat nach dem Vortrag der Parteien und der Aktenlage lediglich einfachrechtliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides. Diese Zweifel würden sich aus der verfassungskonformen Auslegung der Bewertungsvorschriften ergeben, da danach die Möglichkeit eingeräumt werden müsse, dass bei einer Verletzung des Übermaßverbots die Möglichkeit gegeben werden müsse, einen niedrigeren gemeinen Wert nachzuweisen.
Bei der Neureglung der
Grundsteuer sei der Belastungsgrund nach der gesetzgeberischen Vorstellung die
durch den Grundbesitz vermittelte Möglichkeit einer ertragsbringenden Nutzung,
die sich im Sollertrag widerspiegelt und eine objektive Leistungsfähigkeit
vermittle (BT-Drs. 19/11085, 84).
Die Besteuerung müsse den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz genügen und das daraus
folgende Übermaßverbot bei der Besteuerung beachten. Dass sei nur gewahrt, wenn
gewährleistet ist, dass sich das Gesetz auf der Bewertungsebene am gemeinen
Wert als dem maßgeblichen Bewertungsziel orientiert und den Sollertrag mittels
einer verkehrswertorientierten Bemessungsgrundlage bestimme (BT-Drs. 19/11085,
90). Unterschiede im Einzelfall zum Wert nach §§ 217 ff BewG und dem gemeinen Wert
müssten grundsätzlich hingenommen werden, solange ein Verstoß gegen das
Übermaßverbot entweder durch verfassungskonforme Auslegung der Vorschrift oder
durch eine Billigkeitsmaßnahme abgewandt werden könne. Eine Verletzung des
Übermaßverbots läge vor, wenn der vom Finanzamt festgestellte Wert den
nachgewiesenen gemeinen Wert um 40% oder mehr übersteige (BFH, Urteil vom
16.11.2022 - II R 39/20 -).
Der Senat wies darauf hin, dass er bereits zu verschiedenen Bewertungsnormen entschieden habe, dass bei einem Ausschluss von Billigkeitsmaßnahmen in verfassungskonformer Auslegung der betreffenden Vorschriften der Nachweis eines niedrigeren gemeinen Werts zur Vermeidung eines Verstoßes gegen das grundgesetzliche Übermaßverbot zuzulassen sei, wenn der Gesetzgeber einen solchen Nachweis nicht ausdrücklich geregelt habe. Bestünde diese Möglichkeit, seien die pauschalierenden und typisierenden Bewertungsvorschriften nicht verfassungswidrig.
Auch vorliegend sei nach dem Siebenten Abschnitt des Bewertungsgesetzes eine abweichende Wertfeststellung aus Billigkeitsgründen nicht vorgesehen (s. § 220 S. 2 BewG). Damit seien die vorgenannten Rechtsprechungsgrundsätze zu übertragen , weshalb ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides bestünden. Es sei nicht ausgeschlossen, dass dem Antragsteller im Hauptsacheverfahren der Nachweis eines niedrigeren gemeinen Werts gelinge.
Vorliegend habe der Antragsteller Umstände vorgetragen, die einen erfolgreichen Nachweis eines niedrigeren gemeinen Werts für die gesamte wirtschaftliche Einheit mit der erforderlichen Abweichung zu dem im typisierten Verfahren festgestellten Grundsteuerwert im Hauptsacheverfahren möglich erscheinen ließen: Baujahr 1880 und schlechter Instandhaltungszustand wegen unterbliebener Renovierungen, weshalb dem Gebäude kein erheblicher Mehrwert beizumessen sei und die wirtschaftliche Einheit nur mit dem Bodenwert abzüglich etwaiger Freilegungskosten zu bewerten sei (sogen. Liquidationsobjekt). Es seien nach den Ausführungen auch Zweifel begründet, dass sich mit dem Gebäude im benannten Zustand die gesetzlich typisierten Mieterträge erzielen ließen, wie sie vom Finanzamt mit einem typisierten Reinertrag von € 3.635,28 bzw. kapitalisierten Reinertrag iHv. € 64.998,81 angenommen wurden.
Offen ließ der BFH, ob ein vom Finanzgericht angenommenes strukturelles Vollzugsdefizit bestünde, da nicht gewährleistet sei, dass die Gutachterausschüsse bei der Ermittlung des Bodenrichtwertes sämtliche wertbeeinflussenden Grundstücksmerkmale berücksichtigen würden. Denn – s.o. – der Antragsteller habe die Möglichkeit, den Nachweis eines geringeren gemeinen Wertes zu führen. Anmerkung: Das ist zwar in der Sache richtig, führt aber zu einer erheblichen Belastung des Steuerpflichtigen, der in Ansehung von Ungenauigkeiten der Gutachterausschüsse mit der Beweislast wie auch ggf. den Kosten (für das Gutachten) beschwert wäre, zudem eine Ungenauigkeit bis 40% hinzunehmen hätte.
Offen ließ der BFH auch, ob verfassungsrechtliche Zweifel ein einer gleichheitsgerechten Bewertung bestehen, da – so das Finanzgericht – im typisierten Bewertungsverfahren nach §§ 252 ff BewG nur eine unzureichende Differenzierung nach der Lage der Gebäude und der Größe des Grundstücks erfolge, da der Antragsteller vorliegend keine lage- oder größenbedingt unzutreffenden Wertfeststellungen gerügt habe.
BFH, Beschluss vom
27.05.2024 - II B 78/23 (AdV) -
Aus den Gründen:
Tenor
Die Beschwerde des Antragsgegners gegen den Beschluss des Finanzgerichts Rheinland-Pfalz vom 23.11.2023 - 4 V 1295/23 wird als unbegründet zurückgewiesen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens hat der Antragsgegner zu tragen.
Tatbestand
A.
Die
Antragstellerin und Beschwerdegegnerin (Antragstellerin) ist Eigentümerin des
Grundbesitzes in X, X-Straße 123, Gemarkung X, Flur 456,
Flurstück 789/10. Der Bodenrichtwert für das 351 qm große und mit
einem Einfamilienhaus bebaute Grundstück betrug zum 01.01.2022 125 € pro
qm.
In ihrer
Erklärung zur Feststellung des Grundsteuerwerts vom 04.09.2022 gab die
Antragstellerin als Art des Grundstücks "Einfamilienhaus" an, das
erstmals vor 1949 bezugsfertig gewesen sei und über eine Wohnung mit einer
Wohnfläche von 72 qm verfüge.
Mit Bescheid
vom 28.12.2022 stellte der Antragsgegner und Beschwerdeführer (Finanzamt
--FA--) den Grundsteuerwert der wirtschaftlichen Einheit zum 01.01.2022 auf
91.600 € fest. Diesen Betrag ermittelte das FA gemäß § 250
Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 1, § 252 Satz 1, § 230 des
Bewertungsgesetzes (BewG) aus der Summe des kapitalisierten Reinertrags des
Grundstücks und des abgezinsten Bodenwerts.
Bei der
Bestimmung des kapitalisierten Reinertrags des Grundstücks nach § 253
Abs. 1 BewG setzte es als monatliche Nettokaltmiete gemäß Anlage 39
zum BewG den für Einfamilienhäuser mit Baujahr bis 1948 und einer Wohnfläche
von 60 qm bis unter 100 qm geltenden Wert von 6,23 € pro qm an
und nahm hiervon gemäß § 254 BewG i.V.m. Anlage 39 zum BewG einen
Abschlag in Höhe von 10 % aufgrund der Mietniveaustufe 2 vor. Da die
Restnutzungsdauer des vor dem Jahr 1949 bezugsfertigen Gebäudes gemäß
Anlage 38 zum BewG weniger als sieben Jahre betrug, ging das FA von einer
gemäß § 253 Abs. 2 Satz 5 BewG i.V.m. Anlage 38 zum BewG
fingierten Restnutzungsdauer des Gebäudes von 24 Jahren (30 % von
80 Jahren) aus. Hieraus ergab sich ein Reinertrag des Grundstücks gemäß
§§ 253, 254 BewG i.V.m. Anlage 39 zum BewG in Höhe von
3.635,28 € (= 5,61 € pro qm x 72 qm x 12 abzüglich
Bewirtschaftungskosten in Höhe von 25 %) und ein kapitalisierter
Reinertrag des Grundstücks gemäß § 253 BewG i.V.m. Anlage 37 zum BewG
in Höhe von 64.998,81 € (= 3.635,28 € x 17,88).
Bei der
Bestimmung des Bodenwerts legte das FA gemäß § 257 Abs. 1
Satz 1, § 247 BewG den erklärten Bodenrichtwert sowie gemäß
§ 257 Abs. 1 Satz 2 BewG i.V.m. Anlage 36 zum BewG einen
Umrechnungskoeffizienten in Höhe von 1,10 für Grundstücke mit einer Größe von
größer gleich 350 qm zugrunde. Ausgehend von einem Liegenschaftszins von
2,5 % für Einfamilienhäuser gemäß § 256 Abs. 1 Satz 2
Nr. 1 BewG ermittelte es den abgezinsten Bodenwert mit 26.684,34 €,
indem es gemäß § 257 Abs. 2 BewG den Bodenwert in Höhe von
48.262,50 € (= 351 qm x 125 € pro qm x 1,10) mit dem
Abzinsungsfaktor gemäß Anlage 41 zum BewG in Höhe von 0,5529
multiplizierte.
Gegen den
Bescheid vom 28.12.2022 legte die Antragstellerin Einspruch ein und beantragte
die Aussetzung der Vollziehung (AdV). Den Antrag auf AdV lehnte das FA am
27.01.2023 ab. Den gegen die Ablehnung der AdV eingelegten Einspruch wies es
mit Einspruchsentscheidung vom 25.04.2023 als unbegründet zurück, da der
festgestellte Grundsteuerwert und der Grundsteuermessbetrag zutreffend nach den
gesetzlichen Regelungen ermittelt worden seien. Bei der Bewertung für
Grundsteuerzwecke handele es sich um eine typisierte Bewertung, die keine
individuelle Verkehrswertermittlung in Bezug auf das Objekt darstelle.
Die
Antragstellerin stellte daraufhin einen Antrag auf AdV beim Finanzgericht (FG),
den sie im Wesentlichen damit begründete, dass seit dem Baujahr des
Einfamilienhauses im Jahr 1880 keine wesentlichen Renovierungen vorgenommen
worden seien. Der festgestellte Grundsteuerwert sei daher gemessen am Wert des
Hauses zu hoch.
Das FG hat mit
Beschluss vom 23.11.2023 - 4 V 1295/23 die Vollziehung des
Grundsteuerwertbescheids ausgesetzt und die Beschwerde zugelassen. Die Gründe
sind in Entscheidungen der Finanzgerichte 2024, 93 mitgeteilt.
Gegen die vom
FG gewährte AdV wendet sich das FA mit seiner Beschwerde.
Das FA
beantragt, den Beschluss des FG vom 23.11.2023 - 4 V 1295/23
aufzuheben und den Antrag der Antragstellerin auf AdV abzulehnen.
Die
Antragstellerin beantragt, die Beschwerde des FA als unbegründet
zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
B.
Die nach
§ 128 Abs. 3 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zulässige
Beschwerde ist unbegründet. Zu Recht hat das FG den angefochtenen
Feststellungsbescheid über den Grundsteuerwert von der Vollziehung ausgesetzt.
I.
Zutreffend ist
das FG von der Zulässigkeit des AdV-Antrags der Antragstellerin ausgegangen.
1. Zu
Recht hat das FG insbesondere entschieden, dass der Finanzrechtsweg nach
§ 33 Abs. 1 Nr. 1 FGO eröffnet ist, da der Rechtsstreit eine
öffentlich-rechtliche Streitigkeit über eine Abgabenangelegenheit betrifft, die
der Gesetzgebung des Bundes und der Verwaltung durch die Landesfinanzbehörden
unterliegt.
a) Der
vorliegende Streit über die Feststellung des Grundsteuerwerts betrifft eine
Abgabenangelegenheit im Sinne des § 33 Abs. 1 Nr. 1 FGO (vgl.
hierzu Gräber/Herbert, Finanzgerichtsordnung, 9. Aufl., § 33
Rz 19). Dies gilt auch, soweit sich die von der Antragstellerin erhobenen
Einwände auf den für das streitgegenständliche Grundstück ermittelten
Bodenrichtwert beziehen. Denn die Antragstellerin wendet sich nicht isoliert
gegen den Bodenrichtwert als solchen, sondern begehrt die AdV des gegen sie
ergangenen Wertfeststellungsbescheids, in den der Bodenrichtwert lediglich als
eine Feststellungsgrundlage Eingang gefunden hat. Dem Rechtsstreit liegt daher,
wie das FG zu Recht ausgeführt hat, bereits in formell-rechtlicher Hinsicht ein
in einer Abgabenangelegenheit ergangener Bescheid zugrunde.
Für die
Eröffnung des Finanzrechtswegs spielt es keine Rolle, ob die erhobenen
Einwendungen gegen den Wertfeststellungsbescheid und dessen
Feststellungsgrundlagen im Ergebnis durchgreifen oder nicht. Das gilt auch für
die vom FG in diesem Zusammenhang geprüfte Frage, ob und wenn ja welche
Einwendungen gegen die vom Gutachterausschuss festgestellten Bodenrichtwerte im
finanzgerichtlichen Verfahren erhoben werden können. Denn dies betrifft nicht
die Zulässigkeit des Rechtswegs, sondern ist eine Frage der Begründetheit des
AdV-Antrags oder der Anfechtungsklage.
b) Die
streitige Abgabenangelegenheit unterfällt auch der Gesetzgebung des Bundes im
Sinne des § 33 Abs. 1 Nr. 1 FGO. Dem Bund steht nach
Art. 105 Abs. 2 Satz 1 des Grundgesetzes (GG) die konkurrierende
Gesetzgebungskompetenz für die Grundsteuer zu, ohne dass dies an die weiteren
Voraussetzungen des Art. 72 Abs. 2 GG geknüpft ist (vgl. BTDrucks
19/11084, S. 6).
Art. 105
Abs. 2 Satz 1 GG ist durch das Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes
(Art. 72, 105 und 125b) vom 15.11.2019 (BGBl I 2019, 1546) mit Wirkung zum
21.11.2019 und damit noch vor Inkrafttreten des Grundsteuer-Reformgesetzes vom
26.11.2019 (BGBl I 2019, 1794) eingefügt worden. Unerheblich ist in diesem
Zusammenhang, dass sich der Gesetzgeber für die Neuregelungen des
Grundsteuer-Reformgesetzes in der Begründung zum Gesetzentwurf auch auf die
Gesetzgebungskompetenz aus Art. 125a Abs. 2 Satz 1 GG gestützt hat,
weil seiner Ansicht nach mit dem Gesetzentwurf fortgeltendes Bundesrecht
lediglich fortgeschrieben werde und keine grundlegende Neukonzeption des
Grundsteuerrechts beabsichtigt sei (vgl. BTDrucks 19/11085, S. 90).
Ebenso wenig
steht es der Gesetzgebungskompetenz des Bundes im vorliegenden Fall entgegen,
dass der Bund den Ländern in Art. 72 Abs. 3 Satz 1 Nr. 7 GG
das Recht zur Abweichungsgesetzgebung eingeräumt hat. Dabei kann dahinstehen,
ob § 33 Abs. 1 Nr. 1 FGO auch dann eingreift, wenn ein Land auf
der Grundlage von Art. 72 Abs. 3 Satz 1 Nr. 7 GG
abweichende landesgesetzliche Regelungen geschaffen hat (vgl. hierzu Krumm in
Tipke/Kruse, § 33 FGO Rz 19a und 19b, m.w.N.). Denn der
rheinland-pfälzische Landesgesetzgeber hat von seiner Abweichungsbefugnis in
Art. 72 Abs. 3 Satz 1 Nr. 7 GG keinen Gebrauch gemacht,
sondern legt der Berechnung der Grundsteuer vielmehr das sogenannte
Bundesmodell zugrunde.
c) Die
streitige Abgabenangelegenheit unterliegt auch der Verwaltung durch die
Landesfinanzbehörden im Sinne des § 33 Abs. 1 Nr. 1 FGO. Zwar
hat der rheinland-pfälzische Landesgesetzgeber auf der Grundlage von
Art. 108 Abs. 4 Satz 2 GG in § 5 Abs. 1
Halbsatz 1 des Kommunalabgabengesetzes (KAG) geregelt, dass die Verwaltung
der Grundsteuer den Gemeinden obliegt. Dies gilt jedoch nach § 5
Abs. 1 Halbsatz 2 KAG nicht für die Festsetzung und Zerlegung der
Steuermessbeträge. Damit verbleibt es hinsichtlich der Festsetzung des
Grundsteuermessbetrags und der dieser vorgelagerten Feststellung des
Grundsteuerwerts bei der Verwaltungskompetenz der Landesfinanzbehörden gemäß
Art. 108 Abs. 2 Satz 1 GG.
2. Der
Zulässigkeit des Antrags auf AdV steht auch nicht ein fehlendes
Rechtschutzbedürfnis der Antragstellerin entgegen.
Die Gewährung
der AdV ist insbesondere nicht deshalb ausgeschlossen, weil der angefochtene
Grundsteuerwertbescheid nach § 266 Abs. 1 BewG i.V.m. § 36
Abs. 1 des Grundsteuergesetzes erst für die Grundsteuer des Jahres 2025
von Bedeutung ist. Einwendungen gegen den Grundsteuerwert können nur durch
einen Rechtsbehelf gegen den Grundsteuerwertbescheid geltend gemacht werden.
Dies ergibt sich daraus, dass für das Feststellungsverfahren nach § 219
Abs. 1 BewG die Vorschriften über die Durchführung der Besteuerung
sinngemäß gelten (§ 181 Abs. 1 Satz 1 der Abgabenordnung --AO--,
vgl. auch Krumm/Paeßens, BewG § 219 Rz 5). Feststellungsbescheide
sind nach § 182 Abs. 1 Satz 1 AO, auch wenn sie noch nicht
unanfechtbar sind, für andere Feststellungsbescheide, für Steuermessbescheide,
für Steuerbescheide und für Steueranmeldungen (Folgebescheide) bindend, soweit
die in den Feststellungsbescheiden getroffenen Feststellungen für diese
Folgebescheide von Bedeutung sind. Die Antragstellerin kann ihre Einwendungen,
die sich auf die gesonderte Wertfeststellung beziehen, daher nicht im Rahmen
eines Rechtsbehelfs gegen den Grundsteuerbescheid als Folgebescheid geltend
machen (vgl. Beschluss des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 25.09.2018 -
II B 13/18, BFH/NV 2019, 25, Rz 8). Ein Sachverhalt, über den im
Feststellungsverfahren entschieden worden ist, kann im Folgeverfahren nicht
einer hiervon abweichenden Beurteilung unterworfen werden (vgl. BFH-Urteil vom
14.11.2018 - I R 47/16, BFHE 263, 393, BStBl II 2019, 419,
Rz 14).
II.
Der Antrag der
Antragstellerin auf AdV des Grundsteuerwertbescheids ist, wie vom FG erkannt,
auch begründet.
1. Nach
§ 69 Abs. 3 i.V.m. Abs. 2 FGO kann das Gericht der Hauptsache
die Vollziehung eines angefochtenen Verwaltungsakts ganz oder teilweise
aussetzen. Die Aussetzung soll erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der
Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts bestehen oder wenn die
Vollziehung für den Betroffenen eine unbillige, nicht durch überwiegende
öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte.
Ernstliche
Zweifel an der Rechtmäßigkeit eines angefochtenen Verwaltungsakts sind zu
bejahen, wenn bei einer summarischen Überprüfung des Bescheids neben für die
Rechtmäßigkeit sprechende Umstände, gewichtige gegen die Rechtmäßigkeit
sprechende Gründe zutage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der
Beurteilung der Rechtsfragen oder Unklarheiten in der Beurteilung der Tatfragen
bewirken. Die Entscheidung hierüber ergeht bei der im Verfahren der AdV
gebotenen summarischen Prüfung aufgrund des Sachverhalts, der sich aus dem
Vortrag der Beteiligten und der Aktenlage ergibt. Zur Gewährung der AdV ist es
nicht erforderlich, dass die für die Rechtswidrigkeit sprechenden Gründe im
Sinne einer Erfolgswahrscheinlichkeit überwiegen (ständige Rechtsprechung seit
dem BFH-Beschluss vom 10.02.1967 - III B 9/66, BFHE 87, 447,
BStBl III 1967, 182, unter II.3.; vgl. auch BFH-Beschlüsse vom
18.06.1997 - II B 33/97, BFHE 182, 379, BStBl II 1997, 515,
unter II.1., m.w.N. und vom 11.08.2014 - II B 131/13, BFH/NV
2015, 5, Rz 10).
2. Der
Senat hat einfachrechtliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Bescheids vom
28.12.2022 in Bezug auf die Höhe des festgestellten Grundsteuerwerts.
a) Die
Zweifel ergeben sich daraus, dass dem Steuerpflichtigen bei
verfassungskonformer Auslegung der Bewertungsvorschriften die Möglichkeit
eingeräumt werden muss, bei einer Verletzung des Übermaßverbots einen
niedrigeren gemeinen Wert nachzuweisen.
aa) Der
angefochtene Grundsteuerwertbescheid vom 28.12.2022 beruht auf den mit dem
Grundsteuer-Reformgesetz im Siebenten Abschnitt des Bewertungsgesetzes neu
eingefügten §§ 218 ff. BewG. Die Neuregelung der Bewertung für Zwecke
der Grundsteuer war erforderlich, nachdem das Bundesverfassungsgericht (BVerfG)
mit seinem Urteil vom 10.04.2018 - 1 BvL 11/14,
1 BvL 12/24, 1 BvL 1/15, 1 BvR 639/11,
1 BvR 889/12 (BVerfGE 148, 147) die Einheitsbewertung nach dem Ersten
Abschnitt des Bewertungsgesetzes für die Bemessung der Grundsteuer für
unvereinbar mit Art. 3 Abs. 1 GG erklärt und den Gesetzgeber bis zum
31.12.2019 zum Erlass einer Neuregelung aufgefordert hatte. Die als unvereinbar
mit Art. 3 Abs. 1 GG festgestellten Regeln über die Einheitsbewertung
durften nach der Entscheidung des BVerfG bis zu diesem Zeitpunkt, nach
Verkündung einer Neuregelung für weitere fünf Jahre ab der Verkündung,
längstens aber bis zum 31.12.2024 weiter angewandt werden (sogenannte
Fortgeltungsanordnung).
bb) Die
vom Gesetzgeber erlassenen Neuregelungen enthalten aus Gründen der
Automatisierung und Bewältigung der Neubewertung von über 36 Millionen
wirtschaftlichen Einheiten auf einen einheitlichen Hauptfeststellungsstichtag
eine Vielzahl von Typisierungen und Pauschalierungen (vgl. BTDrucks 19/11085).
Das BVerfG hat dem Gesetzgeber bei der Wahl der Bemessungsgrundlage und bei der
Ausgestaltung der Bewertungsregelungen einen weiten Gestaltungsspielraum
zugestanden, solange sie geeignet sind, den mit der Steuer verfolgten
Belastungsgrund zu erfassen und dabei die Relation der Wirtschaftsgüter
zueinander realitäts- und gleichheitsgerecht abzubilden. Der Gesetzgeber
verfügt gerade in Massenverfahren der vorliegenden Art über einen großen
Typisierungs- und Pauschalierungsspielraum (vgl. BVerfG-Urteil vom
10.04.2018 - 1 BvL 11/14, 1 BvL 12/24,
1 BvL 1/15, 1 BvR 639/11, 1 BvR 889/12, BVerfGE
148, 147, Rz 168, m.w.N.).
cc) Bei
der Neuregelung der Grundsteuer hat der Gesetzgeber allein an das Innehaben von
Grundbesitz und die damit verbundene (abstrakte) Leistungskraft angeknüpft,
ohne dass es auf die persönlichen Verhältnisse des Steuerpflichtigen, die
Ausdruck seiner subjektiven Leistungsfähigkeit sein können, ankommt.
Belastungsgrund ist nach der gesetzgeberischen Vorstellung die durch den
Grundbesitz vermittelte Möglichkeit einer ertragsbringenden Nutzung, die sich
im Sollertrag widerspiegelt und eine objektive Leistungsfähigkeit vermittelt
(BTDrucks 19/11085, S. 84).
dd) Eine
dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz genügende und das daraus folgende
Übermaßverbot beachtende Besteuerung ist wegen dieser
Belastungsgrundentscheidung des Gesetzgebers daher grundsätzlich nur dann
gewährleistet, wenn sich das Gesetz auf der Bewertungsebene am gemeinen Wert
als dem maßgeblichen Bewertungsziel orientiert und den Sollertrag mittels einer
verkehrswertorientierten Bemessungsgrundlage bestimmt (vgl. auch BTDrucks
19/11085, S. 90). Soweit sich im Einzelfall ein Unterschied zwischen dem
gemäß §§ 218 ff. BewG ermittelten Wert und dem gemeinen Wert ergibt,
ist dies aufgrund der typisierenden und pauschalierenden Wertermittlung des
Bewertungsgesetzes, die notwendigerweise mit Ungenauigkeiten verbunden ist,
grundsätzlich hinzunehmen. Verfassungsgemäß ist solch eine typisierende
Regelung aber nur solange, wie ein Verstoß gegen das Übermaßverbot im
Einzelfall entweder durch verfassungskonforme Auslegung der Vorschrift oder
durch eine Billigkeitsmaßnahme abgewendet werden kann (vgl. BFH-Urteil vom 02.07.2004 -
II R 22/02, BFH/NV 2004, 1519, unter II.3.a, m.w.N.). Das
Übermaßverbot kann insbesondere dann verletzt sein, wenn sich der festgestellte
Wert als erheblich über das normale Maß hinausgehend erweist. Nach der
bisherigen Senatsrechtsprechung setzt dies regelmäßig voraus, dass der vom
Finanzamt festgestellte Wert den nachgewiesenen niedrigeren gemeinen Wert um
40 % oder mehr übersteigt (vgl. z.B. BFH-Urteil vom 16.11.2022 -
II R 39/20, BFHE 279, 201, BStBl II 2024, 246, Rz 27 zu
§ 166 BewG).
ee) Der
Senat hat zu verschiedenen typisierenden Bewertungsnormen entschieden, dass bei
Ausschluss von Billigkeitsmaßnahmen in verfassungskonformer Auslegung der
betreffenden Vorschriften der Nachweis eines niedrigeren gemeinen Werts zur
Vermeidung eines Verstoßes gegen das grundgesetzliche Übermaßverbot zuzulassen
ist, wenn der Gesetzgeber einen solchen Nachweis nicht ausdrücklich geregelt
hat (vgl. BFH-Urteile vom 05.05.2004 - II R 45/01, BFHE 204,
570, BStBl II 2004, 1036, unter II.4.; vom 02.07.2004 - II R 22/02,
BFH/NV 2004, 1519, unter II.3.a; vom 29.09.2004 - II R 57/02,
BFHE 207, 52, BStBl II 2004, 1041, unter II.; vom 08.06.2005 -
II R 8/03, BFH/NV 2005, 2170, unter II.2.; vom 17.05.2006 -
II R 58/02, BFH/NV 2006, 1804, unter II.2.; vom 22.01.2009 -
II R 9/07, BFH/NV 2009, 1096, unter II.2.b; vom 22.01.2009 -
II R 10/07, juris, unter II.2.b und vom 11.12.2013 -
II R 22/11, BFH/NV 2014, 1086, Rz 13, jeweils zu § 148
BewG; BFH-Urteile vom 30.01.2019 - II R 9/16, BFHE 263, 267,
BStBl II 2019, 599, Rz 19 ff. und vom 16.11.2022 -
II R 39/20, BFHE 279, 201, BStBl II 2024, 246, Rz 22, jeweils zu
§ 166 BewG; BFH-Urteil vom 17.06.2020 - II R 43/17, BFHE
269, 364, BStBl II 2022, 13, Rz 21 zu § 97 BewG).
Besteht die
Möglichkeit einer solchen verfassungskonformen Auslegung, sind die
pauschalierenden und typisierenden Bewertungsvorschriften nicht
verfassungswidrig. Vielmehr ist dem Einwand möglicher verfassungswidriger
Überbewertungen durch Anwendung dieser Vorschriften grundsätzlich der Boden
entzogen (BFH-Urteile vom 22.01.2009 - II R 9/07, BFH/NV 2009,
1096, unter II.2.b und vom 08.06.2005 - II R 8/03, BFH/NV 2005,
2170, unter II.2.).
b) Diese
Rechtsprechungsgrundsätze sind bei der im vorliegenden Verfahren gebotenen und
zugleich ausreichenden summarischen Prüfung auf die Bewertung nach dem
Siebenten Abschnitt des Bewertungsgesetzes, die eine abweichende
Wertfeststellung aus Billigkeitsgründen nicht vorsieht (vgl. § 220
Satz 2 BewG), zu übertragen, sodass ernstliche Zweifel an der
Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheids bestehen. Es ist nicht
ausgeschlossen, dass zur Vermeidung einer Übermaßbesteuerung im konkreten
Einzelfall der Nachweis eines niedrigeren gemeinen Werts in
verfassungskonformer Auslegung der §§ 218 ff. BewG im
Hauptsacheverfahren gelingt.
aa) Die
Antragstellerin hat konkrete Umstände des Einzelfalls vorgetragen, die den
erfolgreichen Nachweis eines niedrigeren gemeinen Werts für die gesamte
wirtschaftliche Einheit mit der erforderlichen Abweichung zu dem im typisierten
Verfahren festgestellten Grundsteuerwert im Hauptsacheverfahren möglich
erscheinen lassen (vgl. auch BFH-Beschluss vom 23.10.2002 -
II B 153/01, BFHE 200, 393, BStBl II 2003, 118, unter II.3.).
bb) Nach
ihren Ausführungen könnte aufgrund des durch das Baujahr 1880 bedingten
erheblichen Alters des Gebäudes und dessen schlechten Instandhaltungszustands
infolge der nach dem Vorbringen der Antragstellerin seit der Erbauung
unterbliebenen jeglichen Renovierungen im Rahmen der Ermittlung des
Verkehrswerts der gesamten wirtschaftlichen Einheit dem Gebäude kein
erheblicher Mehrwert beizumessen und die wirtschaftliche Einheit lediglich mit
dem Bodenwert gegebenenfalls abzüglich etwaiger Freilegungskosten zu bewerten
sein (sogenanntes Liquidationsobjekt). Die Ausführungen begründen auch Zweifel
daran, dass sich mit einem Gebäude, das sich in dem von der Antragstellerin
geschilderten Zustand befindet, die gesetzlich typisierten Mieterträge erzielen
lassen. Es kann deshalb nicht ohne weiteres davon ausgegangen werden, dass der
vom FA in Ansatz gebrachte gesetzlich typisierte Reinertrag in Höhe von
3.635,28 € beziehungsweise der kapitalisierte Reinertrag in Höhe von
64.998,81 € den tatsächlich erzielbaren Reinerträgen entspricht.
cc) Vor
diesem Hintergrund erscheint es bei summarischer Prüfung im Streitfall
zumindest möglich, dass der im angefochtenen Grundsteuerwertbescheid nach dem
typisierten Bewertungsverfahren festgestellte Wert erheblich von dem gemeinen
Wert der wirtschaftlichen Einheit abweicht und ein entsprechender Nachweis
dieser Abweichung --beispielsweise durch ein Sachverständigengutachten--
geführt werden kann.
3. Da
nach den oben dargestellten Grundsätzen bereits ernstliche Zweifel an der
einfach-rechtlichen Rechtmäßigkeit des angefochtenen Feststellungsbescheids im
konkreten Einzelfall bestehen, war nicht mehr zu prüfen, ob die AdV auch wegen
der vom FG geäußerten weiteren verfassungsrechtlichen Zweifel an der Gültigkeit
der dem Bescheid zugrunde liegenden Bewertungsvorschriften zu gewähren ist.
Das gilt
insbesondere, soweit das FG ein strukturelles Vollzugsdefizit mit der
Begründung bejaht hat, es sei nicht gewährleistet, dass die Gutachterausschüsse
bei der Ermittlung der Bodenrichtwerte sämtliche wertbeeinflussenden
Grundstücksmerkmale berücksichtigen würden. Denn da die Antragstellerin die
Möglichkeit hat, den Nachweis eines geringeren gemeinen Werts der gesamten
wirtschaftlichen Einheit zu führen, ist die Frage, ob im Bereich der
Bodenrichtwertermittlung in tatsächlicher Hinsicht ein Vollzugsdefizit besteht,
für das vorliegende Verfahren nicht weiter entscheidungserheblich.
Ebenfalls
offenbleiben kann, ob verfassungsrechtliche Zweifel hinsichtlich einer
gleichheitsgerechten Bewertung bestehen, weil nach der Ansicht des FG im
typisierten Ertragswertverfahren der §§ 252 ff. BewG nur eine
unzureichende Differenzierung nach der Lage der Gebäude und der Größe des
Grundstücks erfolgt, denn die Antragstellerin rügt vorliegend keine lage- oder
größenbedingt unzutreffende Wertfeststellung, sondern macht vielmehr geltend,
dass ihrem Gebäude aufgrund des tatsächlichen Instandhaltungszustands kein
erheblicher Mehrwert beizumessen sei. Ob die Nichtberücksichtigung
lagebedingter Mietpreisunterschiede zu einer etwaigen Gleichheitswidrigkeit
führt, ist daher auf der Grundlage des Vorbringens der Antragstellerin, auf
dessen Prüfung der Senat im Aussetzungsverfahren grundsätzlich beschränkt ist,
nicht entscheidungserheblich. Es bedarf deshalb auch keiner Entscheidung des
Senats zu der Frage, ob ein besonderes berechtigtes Interesse der
Antragstellerin an der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes besteht, dem der
Vorrang gegenüber dem öffentlichen Interesse am Vollzug des Gesetzes
einzuräumen ist (vgl. hierzu BFH-Beschlüsse vom 18.01.2023 -
II B 53/22 (AdV), BFH/NV 2023, 382, Rz 9; vom
20.09.2022 - II B 3/22 (AdV), BFH/NV 2022, 1328, Rz 9
und vom 19.02.2018 - II B 75/16, BFH/NV 2018, 706, Rz 33,
m.w.N.).
4. Die
Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO.
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