Mit seinem Urteil vom 17.05.2017 setzt sich der BGH mit der Frage der
Bedeutung eines im selbständigen Beweisverfahren eingeholten Gutachtens für das
Hauptsacheverfahren, mit Einwendungen gegen das Gutachten im selbständigen Beweisverfahren
und deren Bedeutung für das Hauptsacheverfahren, mit der Beachtlichkeit von
(gar auf Privatgutachten gestützten) Einwendungen gegen das gerichtlich eingeholte
Gutachten im selbständigen Beweisverfahren (auch unter Berücksichtigung der
Problematik der Präklusion) und mit der notwendigen und nachvollziehbar im
Urteil darzulegenden Würdigung durch das Gericht auseinander, welchem Gutachten
es folgen will.
Zum Hintergrund des
Rechtstreits:
Die Beklagte brachte im Jahr 2008
einen geschliffenen Boden in einer etwa 490m² großen Verkaufshalle für die
Klägerin ein. Nach Fertigstellung der Arbeiten zeigten sich Risse im
aufgebrachten Terrazzo-Oberbelag. Der von der Klägerin beauftragte
Sachverständige W. sah dies als während der Austrocknung entstandene
Schwindrisse an. Eine Sanierung durch Verschluss der Risse mit Feinstzementen
oder Kunstharz sei mit einem Aufwand von € 5.50,00 möglich. Nunmehr leitete die
Klägerin ein selbständiges Beweisverfahren gegen die Beklagte ein. Der vom Gericht
bestellte Sachverständige H. beurteilte die Risse als Trennrisse, beruhend auf
einem fehlenden Haftungsverbund zwischen Terrazzo-Vorsatz und Unterbeton. Nach
seinen Angaben könne der Mangel nur durch einen kompletten Abbruch des
Terrazzo-Vorsatzes und evtl. des Unterbetons bei einem Kostenaufwand von netto
€ 125.000,00 beseitigt werden.
Das Gutachten wurde der Beklagten
vom Landgericht, bei dem das selbständige Beweisverfahren geführt wurde, mit
einer Frist zur Stellungnahme binnen drei Wochen überlassen. Sie erhob, unter
Vorlage eines Privatgutachtens des Sachverständigen B., Einwendungen gegen das
gerichtliche Gutachten und beantragte die Anhörung des Sachverständigen H. Dieser
wurde angehört, Damit endete das Beweisverfahren.
In der Folge erhob die Klägerin
Kostenvorschussklage zur Mängelbeseitigung und machte einen Betrag von € 125.000,00
geltend, verbunden mit dem Feststellungsantrag, dass die beklagte ihr sämtliche
weiteren Schäden zu ersetzen habe. In
der Klageerwiderung wiederholte die Beklagte ihre Einwendungen gegen das
Gutachten des Sachverständigen H. aus dem Beweisverfahren und ihre Kritik auf
weitere Aspekte gestützt, die durch die Anhörung des Sachverständigen H. im
Beweisverfahren bekannt wurden. Im Laufe
des Verfahrens vertiefte die Beklagte ihre Einwendungen durch Einholung eines
weiteren Gutachtens des Sachverständigen B. und des Sachverständigen R.
Das Landgericht gab der Klage
statt. Es hielt die Ausführungen des Sachverständigen H. für überzeugend.
Anlass zur Einholung eines weiteren Gutachtens bestünde nicht. Die Beklagte habe im Beweisverfahren die
Möglichkeit der Anhörung des Sachverständigen gehabt. Sollte sie dort der
Ansicht gewesen sein, ihre Einwendungen seien nicht ausreichend beantwortet
worden, hätte sie die Möglichkeit zu einer entsprechenden Antragsstellung
gehabt, was sie nicht genutzt habe. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil
des OLG wurde zurückgewiesen. Das OLG vertrat die Ansicht, dass Einwendungen
gegen ein im selbständigen Beweisverfahren eingeholtes Gutachten auch im
Hauptsacheverfahren zuzulassen seien, ergäbe sich, dass das Gutachten nicht
überzeugend, lückenhaft oder widersprüchlich sei. Das Gutachten sei aber überzeugend
und die Einwände der Beklagten, die Risse seien auf Temperaturschwankungen,
Zugluft oder punktuelle Belastung während der Austrocknungsphase
zurückzuführen, vom Beklagten H. ausreichend beantwortet worden. Einwendungen
der Beklagten, die auf die während des Hauptsacheverfahrens eingeholten
Privatgutachten B. und R. gestützt würden, wären nicht zu berücksichtigen, da
sie nicht innerhalb angemessener Frist gem. § 411 Abs. 4 S. 1 ZPO erhoben,
sondern lange nach Ablauf der Klageerwiderungsfrist.
Dagegen erhob die Beklagte
Nichtzulassungsbeschwerde zum BGH, die von diesem zugelassen wurde; auf die Revision
wurde das Urteil des OLG aufgehoben und der Rechtstreit zurückverwiesen.
Die Erwägungen des BGH:
Das OLG habe sich nicht
ausreichend mit den Vorbringen der Beklagten gegen das Beweisergebnis nach
Einholung des Gutachtens H. auseinandergesetzt und daher entscheidungserhebliches
Vorbringen und Beweisantritte der Beklagten entgegen Art. 103 Abs. 1 GG
(Gewährung rechtlichen Gehörs) unberücksichtigt gelassen. Der Tatrichter müsse zwingend
mit Einwendungen der Partei gegen ein gerichtlich eingeholtes Gutachtes berücksichtigen
und sei verpflichtet, sie mit von einer Partei vorgelegten Privatgutachten
auseinanderzusetzen. Wenn sich aus dem Privatgutachten ein Widerspruch zum
gerichtlich eingeholten Gutachten ergäbe, müsse er auf eine Aufklärung
hinwirken; Unklarheiten, Zweifeln oder Widersprüchen müsse der Tatrichter
von Amts wegen nachgehen. Kann der gerichtlich bestellte Sachverständige im
Rahmen seiner Anhörung Einwendungen, die sich aus dem Privatgutachten ergeben,
nicht ausräumen, müsse das Gericht im Rahmen seiner Pflicht zur Sachverhaltsaufklärung
ein weiteres Gutachten einholen. Es hat sich mit den Gutachten
sachlich und kritisch auseinanderzusetzen und darlegen, warum es einem von
ihnen den Vorzug gibt. Dies gelte unabhängig davon, ob das gerichtliche
Gutachten im Rahmen eines selbständigen Beweisverfahrens oder durch den in der
Sache zur Entscheidung berufenen Richter eingeholt wurde, arg. §§ 493, 492 Abs.
1 ZPO. Das habe zur Folge, dass das Beweisverfahren im Hauptsacheverfahren
fortzusetzen sei, wenn dem Prozessgericht das im selbständigen Beweisverfahren
eingeholte Gutachten ergänzungsbedürftig erscheine, § 412 Abs. 1 ZPO.
Diesen Anforderungen würde die
Entscheidung des OLG nicht gerecht. Die Beklagte habe bereits im selbständigen
Beweisverfahren (näher in der Entscheidung dargelegte) detaillierte
Einwendungen gegen das gerichtlich eingeholte Gutachten des Sachverständigen H.
erhoben und diese im Hauptsacheverfahren weiter vertieft und ergänzt. Mit
diesen Einwendungen habe sich das OLG nicht ausreichend auseinandergesetzt. Seine
Begründung, die Ausführungen des Sachverständigen H. seien überzeugend (weshalb
eine weitere Anhörung des Sachverständigen H. im Hauptsacheverfahren nicht mehr
erforderlich sei), würden sich angesichts der kritischen, aus den verschiedenen
Privatgutachtend es Beklagten hervorgehenden Einwendungen als bloße Leerformeln
darstellen. Unabhängig von der Einschätzung des im selbständigen
Beweisverfahren tätigen Richters habe der in der Hauptsache zur Entscheidung
berufene Richter in Folge der Gleichbehandlung nach § 493 Abs. 1 ZPO bezüglich
der Gutachten aus einem selbständigen Beweisverfahren und einem streitigen
Verfahren zu prüfen, ob die Anhörung des Sachverständigen im Beweisverfahren
zur Klärung der Streitpunkte geführt habe. Vorliegend würde sich weder aus dem
Protokoll über die Anhörung des Sachverständigen H. im selbständigen Beweisverfahren
noch aus den Urteilsgründen ergeben, weshalb die Klärung durch die Anhörung
herbeigeführt worden sei. S sei vielmehr dokumentiert, dass der Sachverständige
nicht alle Fragen mit der gebotenen Klarheit beantworten konnte, was die Fortführung
der Beweisaufnahme indiziere.
Auch habe das OLG das Vorbringen
gegen das Beweisergebnis nicht als verspätet zurückweisen dürfen. Der Verstoß
gegen Präklusionsvorschriften stelle eine Verletzung rechtlichen Gehörs dar. Es könne offen bleiben, ob die
Präklusionsvorschriften gem. § 411 Abs. 4 ZPO iVm. 296 Abs. 1m 493 ZPO zur Anwendung
kommen können, wenn den Parteien nach Eingang des Gerichtsgutachtens eine Frist
gesetzt würde, die den Anforderungen des § 296 Abs. 1 ZPO genüge. Dies hätte
zur Voraussetzung gehabt, dass (was nicht erfolgte) die im selbständigen
Beweisverfahren gesetzte Stellungnahmefrist mit einem Hinweis über die Folgen
der Nichtbeachtung der Frist versehen wäre. Und: Vorliegend würde eine Präklusion aber auch
deshalb ausscheiden, da die Beklagte innerhalb der gesetzten Frist Einwendungen
erhoben hatte, weshalb diese Einwendungen (vertieft durch Vorlage weiterer
Gutachten) nicht mit der Begründung hätten unberücksichtigt bleiben dürfen, die
Beklagte hätte noch im selbständigen Beweisverfahren auf eine
Ergänzungsbedürftigkeit oder Klärungsbedürftigkeit hinweisen müssen und bereits
dort weitere Beweisantritte tätigen müssen.
Da der Gehörsverstoß entscheidungserheblich sei, sei der Rechtsstreit zurückzuverweisen, da nicht
ausgeschlossen sei, dass bei Berücksichtigung der Einwände der Beklagten das
OLG zu einem anderen Ergebnis gelangt wäre.
BGH, Urteil vom 17.05.2017 - VII ZR 36/15 -