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Montag, 30. September 2024

Verzögerung und Substantiierungsanforderung im selbständigen Beweisverfahren

Im Rahmen eines selbständigen Beweisverfahrens erließ das zuständige Landgericht (LG) am 22.01.2024 einen Beschluss, mit dessen Ziffer 1 sie den Antrag der Antragstellerin (AS), in Ansehung ihrer Einwendungen gegen dessen Gutachten des gerichtlichen Sachverständigen einen Ortstermin anzuordnen, zurückwies; es hatte statt dessen die Anhörung des Sachverständigen gem. §§ 492 Abs. 1 iVm. 411 Abs. 3 ZPO angeordnet. Die dagegen von der AS eingelegte sofortige Beschwerde sah das das Beschwerdegericht (OLG) als unstatthaft und damit unzulässig an. Es habe sich um eine verfahrensleitende Entscheidung und damit Zwischenentscheidung des LG nach §§ 492 Abs. 1m 411 Abs. 3 ZPO gehandelt, welche grundsätzlich nicht isoliert anfechtbar sei. Nur wenn diese Zwischenentscheidung bleibend einen rechtlichen Nachteil der Partei zur Folge habe, der sich im weiteren Verfahren nicht oder nicht mehr vollständig beheben lassen würde, sei die Beschwerde zulässig. Dafür sei hier nichts ersichtlich. Zudem sei der Antrag auf Anberaumung eines Ortstermins anstelle der Anhörung des Sachverständigen auch in der Sache nicht begründet, da es im Ermessen des Tatrichters läge, in welcher geeigneten Weise er seiner Pflicht zur Sachaufklärung nachkommen würde § 411 Abs. 3 ZPO; BGH, Urteil vom 16.04.2013 - VI ZR 44/12 -). Das Landgericht habe überzeugend seine Ermessungserwägungen dargelegt, ohne dass Ermessensfehler erkennbar wären.

Statthaft sei die sofortige Beschwerde zu Ziffer 2 des Beschlusses, mit der das LG den Sachverständigen angewiesen hatte, Fenster (die Gegenstand des ursprünglichen Antrages waren) nunmehr doch nicht zu begutachten. Der Sache nach habe es sich hier um eine Entscheidung über die nicht vollständige Ausführung des ursprünglichen Beweisbeschlusses gehandelt, gegen den die sofortige Beschwerde nach §§ 567 Abs. 1 Nr. 2, 490 Abs. 1 ZPO statthaft sei. Hintergrund war, dass zunächst der Zugang zu der streitbefangenen Wohnung nicht zugänglich war, was in die Risikosphäre der AS falle. Auch könne ein Beweismittel nur benutzt werden, wann nach der freien Überzeugung des Gerichts das Verfahren nicht verzögere, wobei der Verzögerungsbegriff des § 296 ZPO gelte. Damit sei zu bedenken, ob durch zumutbare prozessleitende Maßnahmen eine Verzögerung noch aufgefangen werden könne. Alleine die abstrakte Überlegung des LG, die Beweisaufnahme sie bereits weit fortgeschritten, sei nicht ausreichend, von einer entsprechenden Beweisaufnahme abzusehen. Der Termin zur mündlichen Anhörung des Sachverständigen sei erst im April 2024, weshalb es geboten gewesen wäre darauf hinzuwirken, dass noch vor diesem Termin einen Ortstermin zum Fenster abhalten könne.

Ferner hatte es das LG unter Ziffer 3 des Beschlusses abgelehnt, eine sachverständige Begutachtung weiterer Wohnungen der AS durchzuführen. Dabei würde es sich um eine teilweise Zurückweisung des Antrages auf Durchführung eines selbständigen Beweisverfahrens handeln, weshalb eine sofortige Beschwerde dagegen statthaft sei. Gleichwohl habe das LG zu Recht den Antrag der AS als unzulässig behandelt. Ein selbständiges Beweisverfahren sei nach § 485 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 ZPO u.a. im Hinblick auf den Zustand einer Sache möglich. Allerdings dürften nicht pauschal Mängel an einem Bauteil eines Gebäudes behauptet werden. Auch nach der sogen. Symptomtheorie genüge es nicht, ohne jegliche Qualifizierung von Mängeln der Sache zu sprechen. Ein Ausforschungsbeweis im Sinne einer erstmaligen Bestandsaufnahme sei im selbständigen Beweisverfahren nicht zu erheben. Den, wenn auch minimalen Anforderungen an die Substantiierung im selbständigen Beweisverfahren nach § 487 Nr. 2 ZPO würde dann nicht genügt, wenn der Antragsteller in lediglich formelhafter und pauschaler Weise Tatsachenbehauptungen aufstelle, ohne diese zu dem zu Grunde liegenden Sachverhalt in Beziehung zu setzen (BGH, Beschluss vom 10.11.2015 - VI ZB 11/15 -). Auch in der Beschwerdeschrift habe die AS lediglich die Individualisierung der Wohnungen vorgenommen, aber keine näheren Angaben zu den angeblichen Mängeln der Fenster in der Wohnung gemacht.

Hansetisches Oberlandesgericht Hamburg, Beschluss vom 15.02.2024 - 4 W 15/24 -

Samstag, 10. August 2024

Kosten des selbständigen Beweisverfahrens und Nebenintervention im Hauptsacheverfahren

Die Antragssteller (Kläger im Hauptsacheverfahren) hatten ein selbständiges Beweisverfahren u.a. gegen die Streithelferin des späteren Hauptsacheverfahrens als Antragsgegnerin eingeleitet.  Auf Antrag der Streithelferin setzte das Landgericht (LG) nach dessen Abschluss der Klägerin eine Frist zur Klageerhebung. Nachdem die Klage nicht erhoben wurde, erlegte das LG die Kosten der Streithelferin den Klägern auf, § 494a Abs. 1 ZPO, die entsprechend gegen die Kläger festgesetzt und von diesen ausgeglichen wurden. In der Folge erhoben die Kläger auf der Grundlage des dem selbständigen Beweisverfahrens zugrunde liegenden Sachverhalts Klage gegen die weiteren Antragsgegner des selbständigen Beweisverfahrens; in diesem Verfahren trat die Streithelferin nunmehr dem Rechtsstreit auf Seiten der Beklagten bei. Das LG hatte in dem in diesem Verfahren ergangenen Urteil die Kosten den Klägerin zu 55% und zu 45% den Beklagten auferlegt, ferner den Klägerin Kosten der Streithelferin zu 55% auferlegt (§ 101 ZPO).

In dem Kostenfestsetzungsverfahren auf der Grundlage des Urteils setzte das LG die Kosten der Streithelferin ohne Berücksichtigung deren bereits im selbständigen Beweisverfahren festgesetzten Kosten fest. Im Rahmen der von den Klägern dagegen eingelegten Beschwerde änderte das Oberlandesgericht (OLG) den Kostenfestsetzungsbeschluss ab und nahm eine Anrechnung entsprechend einer Rückfestsetzung der gezahlten Kosten aus dem selbständigen Beweisverfahren insoweit vor, als es die dort zu erstattenden Kosten gemäß der Kostenquotelung im Urteil berechnete und die Überzahlung den Klägern gutschrieb. Dagegen erhob die Streithelferin die vom OLG zugelassene Rechtsbeschwerde zum BGH.

Der BGH gab der Rechtsbeschwerde der Streithelferin statt.

Nach § 91 Abs. 4 ZPO seien auch solche Kosten im Kostenfestsetzungsverfahren nach §§ 103 ff ZPO zu berücksichtigen, die die obsiegende Partei der unterliegenden Partei auf der Grundlage einer nur vorläufigen Kostenentscheidung im Verlauf eines Rechtstreits gezahlt habe. Bei einer nur vorläufigen Kostengrundentscheidung müsse eine Partei hinnehmen, dass der Titel zu gleichen Bedingungen wieder rückgängig gemacht würde.

Voraussetzung eines erfolgreichen Rückfestsetzungsantrags der Kläger sei aber, dass die hier von den Klägern erbrachte Zahlung an die unterlegene Partei erfolgte (BBGH, Beschluss vom 20.11.2012 - VI ZB 64/11 -). Diese Voraussetzung habe hier nicht vorgelegen; es könne auch dahinsteh, ob die im selbständigen Beweisverfahren ergangene Kostenentscheidung eine vorläufige Kostenentscheidung sei, da bereits keine  abweichende nachträgliche Verteilung der im selbständigen Beweisverfahren der Klägerin zugunsten der Streithelferin auferlegten Kosten vorlägen.

Die Kosten des selbständigen Beweisverfahrens würden zu den Kosten des nachfolgenden Hauptsacheverfahrens gehören. Sie würden von der dort ergehenden Kostenentscheidung mit umfasst, wenn die Parteien beider Verfahren identisch seien (BGH, Beschluss vom 09.02.2006 - VII ZB 59/05 -). Von der Kostenentscheidung im Hauptsacheverfahren nicht erfasst würden die außergerichtlichen Kosten derjenigen Beteiligten am selbständigen Beweisverfahren, die am Hauptsacheverfahren nicht beteiligt gewesen seien (dies hätten die Möglichkeit einen Antrag nach § 494a Abs. 2 ZPO im selbständigen Beweisverfahren zu stellen). War mithin ehemalige (Mit-) Antragsgegnerin im selbständigen Beweisverfahren nicht Partei des Hauptsacheverfahrens, könnten seine außergerichtlichen Kosten keine Kosten des Hauptsacheverfahrens sein.

Die erforderliche Parteiidentität würde fehlen, wenn der Antragsgegner eines selbständigen Beweisverfahrens in einem nachfolgenden Hauptsacheverfahren lediglich der Beklagtenseite als Streithelfer beitrete, da der Streithelfer nur Gehilfe der unterstützten Partei, nicht aber selbst Partei sei (BGH, Urteil vom 04.10.1994 - VI ZR 223/93 -). Die Nebenintervention führe nicht zur Parteistellung.

Die Ersatzfähigkeit der Kosten der Nebenintervention würden sich nach §§ 101 Abs. 1 iVm. §§ 91 ff ZPO daran orientieren, inwieweit die unterstützte Hauptpartei unterlegen ist. Danach habe der Streithelfer u.U. seien Kosten auch dann selbst zu tragen, wenn der Antragsteller ihn in das selbständige Beweisverfahren einbezogen habe, obwohl er keine Ansprüche gegen den Antragsgegner habe.  Dies gelte unabhängig davon, inwieweit der Streithelfer Einfluss auf Verfahren habe nehmen können oder ihm nach § 67 S. 1 Halbs. 2 ZPO Erklärungen und Handlungen verwehrt waren.

Zudem könnte der Antragsteller im Anschluss an das Hauptsacheverfahren auch noch Klage gegen den den Antragsgegner unterstützenden Streithelfer erheben, was die Gefahr widersprüchlicher Kostenentscheidungen hinsichtlich er im selbständigen Beweisverfahren entstandenen Kosten beinhalte, würde über diese bereits als Teil der Kosten der Nebenintervention entschieden. Ein nicht mitverklagter Antragsgegner eines selbständigen Beweisverfahrens müsste auf einen Beitritt zum Hauptsacheverfahren eggen einen anderen Antragsgegner verzichten, um sich den Vorteil der vollen Kostenerstattung nach § 494a Abs. 2 ZPO zu erhalten. Das aber würde die gesetzliche Möglichkeit entwerten, die Hauptpartei zu unterstützen und ihn zudem benachteiligen können, wo ihm nach einer Streitverkündung die Prozessergebnisse aufgrund er Interventionswirkung der Streitverkündung nach § § 74 Abs. 3 iVm. § 68 ZPO in einem Folgeprozess entgegengehalten werden könnten.

Der Umstand der Verwertung des Ergebnisses der Beweisaufnahme aus dem selbständigen Beweisverfahren im Hauptsacheverfahren könne für sich keine andere Betrachtung rechtfertigen.

BGH, Beschluss vom 06.06.2024 - V ZB 67/23 -

Samstag, 15. Juni 2024

Zulässigkeit eines Gegenantrages im selbständigen Beweisverfahren

Die Antragsteller (AS) ließen ein Einfamilienhaus errichten und beauftragten den Antragsgegner zu 1 (AG 1) mit Architektenleistungen, die Antragsgegner zu 2 (AG 2) mit den Rohbauarbeiten und die Antragsgegnerin zu 3 (AG 3) mit der Tragwerksplanung. Nach Fertigstellung und Bezug kam es im Untergeschoss zu einem Wasserschaden. Die AG betreiben das selbständige Beweisverfahren zur Klärung der Ursachen und der Verantwortlichkeit für den Wasserschaden sowie die Existenz von Planungs- und Ausführungsfehlern. Nach dem vom Gericht eingeholten Gutachten lag eine mangelhafte Planung der WU-Konstruktion vor, wodurch sich eine Sollrissstelle habe ausbilden können, die zu einer unkontrollierten Rissbildung führen könne. Ob der Wasserschaden mit diesem Mangel zusammenhänge sei allerdings eher unwahrscheinlich, aber nicht auszuschließen.  Auf Antrag der AG 3 ordnete nunmehr das Landgericht eine schriftliche Ergänzung des Sachverständigengutachtens dazu an, ob es zerstörungsfreie Methoden zur Feststellung, ob in der Bodenplatte Risse aufgetreten seien, gäbe. Dies verneinte der Sachverständige. Nunmehr beantragte die AG 3, den Sachverständigen mit der Untersuchung der Bodenplatte auf Risse zu beauftragen. Dem stattgebenden Beschluss sind die AS entgegengetreten, woraufhin das Landgericht den Beschluss dahingehend abänderte, dass von der angeordneten Beweisaufnahme abgesehen werde. Die dagegen von der AG 3 eingelegte sofortige Beschwerde wurde nach fehlender Abhilfe durch das Landgericht vom Oberlandesgericht (OLG) zurückgewiesen.

Das OLG verwies darauf, dass die Klärung, ob bereits in der Bodenplatte Risse aufgetreten seien, über den bisherigen Untersuchungsgegenstand hinausginge; bisher sei es um die Klärung der Ursache und der Verantwortlichkeit für den Wasserschaden und Planungs- und Ausführungsfehler gegangen. Damit läge keine Identität vor, weshalb der Antrag der AG 3 keinen Antrag auf eine neue Begutachtung iSv. § 485 Abs. 3 ZPO iVm. § 412 Abs. 1 ZPO enthalte, gegen dessen Ablehnung kein Rechtsmittel gegeben wäre. Das OLG stellte daher die Zulässigkeit der sofortigen Beschwerde fest. Allerdings sah es diese nicht als begründet an.

Die AS hätten kein Interesse daran gehabt festzustellen, ob die Bodenplatte bereits Risse habe. Für sie war es ausreichend, dass ein Planungs-, Ausführungs- oder Überwachungsfehler vorlag, für den es (zutreffend) nicht darauf ankäme, ob bereits Risse in der WU-Konstruktion vorlagen. Damit ziele der Antrag der AG 3 auf eine Erweiterung des Untersuchungsgegenstandes, bei dem es im Wesentlichen um die Aufklärung von Tatsachen gehen würde, mit denen sie im Hauptsacheverfahren die Leistungsverweigerungsrechte des § 275 Abs. 2 BGB (unverhältnismäßiger Aufwand) und des § 635 Abs. 3 BGB (unverhältnismäßige Mängelbeseitigungskosten) begründen wolle. Derartige Gegenanträge seien im selbständigen Beweisverfahren zulässig, wenn sie sich im Rahmen des dem Beweissicherungsantrag zugrundeliegenden Sachkomplex halten würden und vor Beendigung des selbständigen Beweisverfahrens gestellt würden (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 25.06.1996 - 21 W 20/96 -; OLG Hamm, Beschluss vom 29.10.2002 - 21 W 25/02 -). Da zumeist das selbständige Beweisverfahren in der Variante des § 485 Abs. 2 ZPO zur Vorbereitung des Hauptsacheverfahrens betrieben würde, sei ferner erforderlich, dass durch die Erweiterung der Beweisaufnahme keine wesentliche Verzögerung des Verfahrens eintrete (OLG Nürnberg, Beschluss vom 30.09.2002 - 13 W 2914/02 -). Vorliegend würde aber die beantragte Beweisanordnung zu einer wesentlichen Verzögerung führen, da es nach den Angaben des Sachverständigen keine sichere Methode gebe, um vertikale Risse in der Bodenplatte zerstörungsfrei zu detektieren. Es müsste damit der komplette Bodenaufbau des Kellers bis zur Bodenplatte zurückgebaut werden, ferner (zur Feststellung, ob die Risse wasserführend seien) eine Messung des Grundwasserspiegels erfolgen und ggf. ein Bodengutachten eingeholt werden.

Auch wenn vorliegend das selbständige Beweisverfahren noch nicht abgeschlossen sei (es würden noch weitere Ergänzungsgutachten zu Einwendungen und Ergänzungsfragen der AS und der AG 3 erforderlich sein), so würde doch die Erstellung der Ergänzungsgutachten weitaus geringeren organisatorischen und technischen Aufwand erfordern als die Feststellung von Rissen in der Bodenplatte und nach Ansicht des OLG voraussichtlich auch schneller erfolgen.

Nach Ansicht des OLG stünde aber dem Beweisantrag der AG 3 auch dessen Undurchführbarkeit entgegen. Die Durchführung erfordere eine Zerstörung der vorhandenen Substanz (Rückbau des kompletten Bodenaufbaus des Kallers bis zur Bodenplatte). Die AS seien der Beweisanordnung entgegengetreten und hätten deutlich gemacht, dass sie als Eigentümer dem Eingriff in die Bausubstanz nicht zustimmen würden, zudem das Untergeschoss komplett aus Wohnung ausgebaut sei. Damit könne der AS auch nach § 144 Abs. 1 S. 3 ZPO (Schutz der Wohnung) eine Duldung nicht aufgegeben werden. Eine Beweisanordnung, die aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen nicht durchführbar sei, könne nicht verlangt werden.

OLG Karlsruhe, Beschluss vom 16.04.2024 - 8 W 7/24 -

Mittwoch, 29. Juni 2022

Selbständiges Beweisverfahren im Zusammenhang mit einem Verkehrsunfall, § 485 Abs. 2 ZPO

Das Landgericht hatte die Zulässigkeitsvoraussetzungen des § 485 Abs. 2 ZPO für ein selbständiges Beweisverfahren negiert, welches der Antragsteller zur Vorbereitung eines Prozesses nach einem Verkehrsunfall beantragt hatte. Die sofortige Beschwerde gegen den zurückweisenden Beschluss wies das OLG zurück, welches sich dem Landgericht anschloss.

Das OLG führte aus, ein selbständiges Beweisverfahren könne auch Verkehrsunfälle zum Gegenstand haben. Das sei aber dann nicht der Fall, wenn von vornherein zu erwarten sei, dass das Unfallgeschehen und damit die Verantwortlichkeit für die Schäden nur durch Vernehmung von Zeugen und Anhörung von Parteien als Grundlage für ein Sachverständigengutachten hinreichend geklärt werden könne.  In diesem Fall würde es am erforderlichen rechtlichen Interesse an der Durchführung des selbständigen Beweisverfahrens ermangeln, welches nur durch Einholung eines (schriftlichen) Sachverständigengutachtens geführt werden kann.

Vorliegend würde es an objektiven Anhaltspunkten (wie Spuren auf der Fahrbahn) fehlen, um den exakten Unfallort feststellen zu können. Da vorliegend darüber gestritten würde, wer seine Fahrspur verlassen habe, käme es darauf aber an. Zeugen und Parteien könnten in einem selbständigen Beweisverfahren nach § 485 Abs. 2 ZPO nicht angehört bzw. vernommen werden. Da die Einlassung des Antragsgegners, der Streit um das Verlassen der Fahrspur, deutlich erkennen lasse, dass zumindest eine ergänzende Begutachtung gem. § 412 ZPO im streitigen Verfahren (Hauptsacheverfahren) erforderlich werden würde, wobei zuvor die Zeugen und Parteien zu vernehmen bzw. anzuhören wären (zweckmäßig in Gegenwart des Sachverständigen), würde ein jetzt eingeholtes Sachverständigengutachten weder zur Beschleunigung noch zur Kostenreduzierung führen. Ein anderweitiges rechtliches Interesse des Antragstellers sei aber nicht ersichtlich und vom Antragsteller auch nicht dargetan, weshalb der Antrag als unzulässig zurückzuweisen sei.

OLG Hamm, Beschluss vom 21.01.2022 - 9 W 5/22 -

Samstag, 30. April 2022

Selbständiges Beweisverfahren nach § 485 Abs. 2 ZPO und Schiedsgutachterabrede

Der Streit der Parteien ging in der Sache um behauptete Mängel an einer neuerrichteten Autobahnbrücke. Die Antragstellerin beantragte die Einleitung eines selbständigen Beweisverfahrens nach § 485 Abs. 2 ZPO zur Feststellung von Mängeln bestimmten Stahlbauteilen, dessen Zulässigkeit sich aus § 485 Abs. 1 Fall 2 ZPO wie auch aus € 485 Abs. 2 ZPO ergebe. Von der Antragsgegnerin wurde auf die vereinbarten VOB/B verwiesen, weshalb dem selbständigen Beweisverfahren die Schiedsgutachterabrede nach § 18 Abs. 4 VOB/B und Ziffer 2.3.6. ZTV-ING, Teil 1, Abschnitt 1 entgegenstünde. Das Landgericht wies den Antrag zurück. Auch die sofortige Beschwerde war nicht erfolgreich, weshalb die Antragstellerin die zugelassene Rechtsbeschwerde einlegte. Aber auch diese führte nicht zum Erfolg. Der BGH vertrat die Ansicht, dass die Schiedsgutachterabrede nach § 18 Abs. 4 VOB/B Vorrang habe und es von daher der Antragstellerin an einem rechtlichen Interesse an einem selbständigen Beweisverfahren ermangele.

Nach § 18 Abs. 4 S. 1 VOB/B könne jeder Vertragspartei bei Meinungsverschiedenheiten unter anderem über die Eigenschaft von Stoffen oder Bauteilen, für die allgemein gültige Prüfverfahren bestünden, die materialtechnische Untersuchung durch eine staatliche oder staatlich geprüfte Materialprüfungsstelle vornehmen lassen, deren Feststellungen nach § 18 Abs. 4 VOB/B verbindlich seien. Die Regelung in § 18 Abs. 4 VOB/B stelle eine Schiedsgutachterabrede dar, soweit der gegenständliche Anwendungsbereich reiche.

Im Einzelnen zeigte der BGH den unterschiedlichen Meinungsstand in Rechtsprechung und Literatur zum Verhältnis eines selbständigen Beweisverfahrens im Verhältnis zu einer Schiedsgutachterabrede der Parteien auf. Teilweise würde für ein selbständiges Beweisverfahren das rechtliche Interesse negiert, wenn die Parteien eine Schiedsgutachterabrede getroffen hätten. Nach anderer Ansicht bliebe die Durchführung eines selbständigen Beweisverfahrens trotz Schiedsgutachtervereinbarung zulässig. Eine vermittelnde Ansicht nehme eine Zulässigkeit des selbständigen Beweisverfahrens an, solange ein Schiedsgutachterverfahren noch nicht eingeleitet worden sei bzw. ein Schiedsgutachten noch nicht eingeholt worden sei.  Der BGH folgte der ersten Auffassung zur Unzulässigkeit wegen fehlenden rechtlichen Interesses.

Mit der Schiedsgutachterabrede würden die Parteien die Abrede treffen, dass die gegenständlich in der Vereinbarung (hier § 18 Abs. 4 ZPO) erfassten Tatsachenfragen grundsätzlich bindend durch den Schiedsgutachter festgestellt werden sollen, dessen Feststellungen dann nur noch bedingt nach Maßgabe von §§ 317 ff BGB gerichtlich überprüfbar seien (BGH, Urteil vom 11.03.2021 - VII ZR 196/18 -). Der Wille der Parteien sei mit der Schiedsgutachterabrede darauf gerichtet, dass bei einer Auseinandersetzung ein Schiedsgutachten eingeholt werden solle und über das Beweisthema gerade keine gerichtliche Beweiserhebung vorgenommen werden solle.

Es entspräche den Grundsätzen der Privatautonomie zu entscheiden, ob bei Auseinandersetzungen über tatsächliche Fragen ein Gericht selbständiges Beweisverfahren angestrengt werden soll/kann oder nicht. Ein entsprechender Vertrag, mit dem sich eine Partei zu einem bestimmten prozessualen Verpflichtet oder sich verpflichtet ein solches zu unterlassen, sei wirksam, wenn die Handlung oder Unterlassung möglich sei und weder gegen ein gesetzliches Verbot noch gegen die guten Sitten verstoße (BGH, Urteil vom 21.12.2005 - VIII ZR 108/04 -). Haben die Parteien eine Vereinbarung dahingehend getroffen, dass Feststellungen auf andere Weise als durch ein selbständiges Beweisverfahren getroffen werden sollen, fehle es daher an einem rechtlichen Interesse für eine vorherige oder parallele Durchführung des selbständigen Beweisverfahrens. Dies gelte auch für § 18 Abs. 4 VOB/B. Die sich daraus ergebende Sperrwirkung trage auch dem Umstand Rechnung, eine doppelte Begutachtung in derselben Angelegenheit zu vermeiden.

Auch der Umstand, dass im Rahmen des Schiedsgutachterabrede keine Streitverkündung nach §§ 72 ff ZPO möglich sei und von daher in einem Folgeprozess mit einem Dritten eventuell doch ein gerichtliches Gutachten einzuholen ist, ändert im Hinblick auf die Zulässigkeit der privatautonomen Vereinbarung der Parteien nichts.

Zudem läge auch kein Fall des § 485 Abs. 1 Fall 2 ZPO vor vor dem Hintergrund, dass sich die Stahlbauteile an einem Ort im Ausland befänden. Dies begründe ohne Hinzutreten weiterer Umstände nicht die Besorgnis eines Beweismittelverlusts (wobei für Gegenstände, die ins Ausland verbracht werden sollen, anders gelten könnte).

BGH, Beschluss vom 26.01.2022 - VII ZB 19/21 -

Donnerstag, 24. März 2022

Das selbstständiges Beweisverfahren (§ 485 Abs. 2 ZPO) und die beschränkte Zulässigkeit nach Verkehrsunfall

Ist ein streitiges Verfahre noch nicht anhängig, kann bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 485 Abs. 2 ZPO die Durchführung eine selbständigen Beweisverfahren beantragt werden. Dieses dient (auch) dazu, einen beweis für ein mögliches späteres Hauptsacheverfahren zu sichern. Es wird häufig in Bausachen genutzt, da sich die Streitverfahren lange hinziehen und die die Sicherung eines Beweises im Hinblick z.B. auf einen Mangel der Bausache erforderlich ist vor dem Hintergrund, dass er beseitigt werden soll und das Bauwerk nutzen zu können. Mit der Beseitigung des Mangels könnte gegebenenfalls der Bauherr nicht mehr den Nachwies führen, dass ein vom Bauunternehmer zu vertretender Mangel vorliegt. Häufig besteht in solchen Fällen auch Übereinstimmung zwischen den Parteien auf Durchführung des Verfahrens, da - wird der behauptete Mangel nicht beseitigt - durch die Prozessdauer ein weitergehender Schaden des Bauherrn entstehen könnte, für den möglicherweise der Bauunternehmer aufzukommen hat.

Das selbständige Beweisverfahren bewirkt lediglich einen Beweisbeschluss zu dem vorgegebenen Beweisthema, die Einholung des Gutachtens und evtl. Ergänzung desselben oder auch Anhörung des bestellten Sachverständigen. Eine Entscheidung in der Sache ergeht in diesem Verfahren nicht.

Vorliegend musste sich das OLG mit einem Antrag auf Durchführung des selbständigen Beweisverfahrens nach einem Verkehrsunfall auseinandersetzen, der vom Landgericht als unzulässig zurückgewiesen worden war.

Soweit anstelle eines privaten Sachverständigengutachtens über den Schadensumfang ein selbständiges Beweisverfahren nach § 485 Abs. 2 ZPO angestrengt wird, wird dies in der Regel für zulässig angesehen. Nur vereinzelt wird die Auffassung vertreten, anstelle des selbständigen Beweisverfahrens könne der Antragsteller auch ein Privatgutachten einholen.

Vorliegend wollte der Antragsteller mittels der beantragten Einholung eines unfallanalytischen Sachverständigengutachtens die Verantwortlichkeit der Beteiligten an den Schäden geklärt wissen. Das Landgericht, und ihm folgen das OLG, haben aber die Zulässigkeitsvoraussetzungen nach § 485 Abs. 2 ZPO negiert.

§ 485 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 ZPO sieht vor, dass ein selbständiger Beweisantrag zur Feststellung der Ursache eines Personenschadens, Sachschadens oder Sachmangels zulässig ist. Damit, so das OLG, könnten grundsätzlich auch Verkehrsunfälle Gegenstand eines solchen Verfahrens sein. Allerdings würde dies nicht gelten, wenn von vornherein zu erwarten sei, dass das Unfallgeschehen selbst und damit auch die Verantwortlichkeit für die dabei entstandenen Schäden nur durch die Vernehmung von Zeugen und Anhörung der Parteien hinreichend geklärt werden könne. Wenn, wie hier, objektive Anknüpfungstatsachen (so Spuren auf der Fahrbahn) fehlen würden, die auf den Kollisionsort schließen ließen, und der Streit darum gehen würde, welcher Beteiligte seine Fahrspur verlassen habe, würde dies dem selbständigen Beweisverfahren entgegenstehen. Es würden Anknüpfungstatsachen für das Sachverständigengutachten fehlen, die erst durch die Vernehmung von Zeugen und Anhörung der Parteien geschaffen werden könnten. In einem selbständigen Beweisverfahren könnten aber Zeugen und Parteien nach § 485 Abs. 2 ZPO nicht angehört werden; § 485 Abs. 2 S. 1 ZPO sieht lediglich die schriftliche Begutachtung durch einen Sachverständigen vor. Damit käme es (nach Angabe des OLG schon angesichts der Einlassung der Antragsgegner in dem Verfahren) mit überwiegender Wahrscheinlichkeit zu einer (jedenfalls ergänzenden) Begutachtung in dem Hauptsacheverfahren (also dem Verfahren nach Klageerhebung) gem. § 412 ZPO mit Partei- und Zeugenbefragung, weshalb das selbständige Beweisverfahren weder zu einer Verfahrensbeschleunigung noch zu einer Kostenreduzierung führen würde. Da auch vom Antragsteller keine sonstigen Gründe für die isolierte Einholung eines unfallanalytischen Gutachtens benannt worden seien und solche auch nicht ersichtlich seien, sei der Antrag unzulässig und zurückzuweisen.

Instruktiv ist in diesem Zusammenhang ein Urteil des OLG Düsseldorf vom 07.04.2008 - I-1 U 212/07-), in dem der Kläger mit der Reparatur bis zum Abschluss eines selbständigen Beweisverfahrens zuwartete und von daher streitiger Nutzungsausfall bzw. Mietwagenkosten anfielen. Das OLG sah das Zuwarten in der besonderen Konstellation als zulässig an (also kein Verstoß gegen die Schadensgeringhaltungsverpflichtung), da der Kläger habe davon ausgehen dürfen, dass für die Unfallrekonstruktion eine Gegenüberstellung der Fahrzeuge beschädigten Fahrzeuge erforderlich sei, er dies aber mittels Privatgutachten - da er keinen Zugriff auf das gegnerische Fahrzeug nehmen kann - nicht habe ohne das Beweisverfahren bewerkstelligen können.

OLG Hamm, Beschluss vom 21.01.2022 - 9 W 5/22 -

Dienstag, 15. Januar 2019

Erledigung des selbständigen Beweisverfahrens durch Klageerhebung


Der Antragsteller (AS) beantragte im Oktober 2011 bei dem LG Tübingen die Durchführung eines selbständigen Beweisverfahrens gem. § 485 Abs. 2 ZPO. Mit Beweisbeschluss vom Februar 2012 bestellte das Landgericht einen Sachverständigen, der im Oktober 2012 sein Gutachten vorlegte. Im August 1993 erhob der AS Klage vor dem Landgericht Tübingen und bezog sich zum Bewies seiner Mängelbehauptungen auf das im Beweisverfahren eingeholte Gutachten. Im Februar 2014 setzte das Landgericht als Prozessgericht den Rechtsstreit bis zum Abschluss des Beweisverfahrens aus. Im Beweisverfahren selbst erstatte der Sachverständige nach weiteren Mängelbehauptungen des AS weitere Gutachten im Juni 2015 und März 2017. Mit Schriftsatz vom April 2017 legte der AS einen umfangreichen Schriftsatz im Beweisverfahren mit Fragen an den Sachverständigen vor und stellte einen weiteren Ergänzungsantrag im September 2017. Im Dezember 2017 nahm das Prozessgericht den Rechtsstreit wieder auf, erteilte den Parteien Auflagen und Hinweise, zog die Akte des selbständigen Beweisverfahrens bei, forderte einen Auslagenvorschuss zur Ladung des Sachverständigen und bestimmte einen Verhandlungstermin. Mit Beschluss vom gleichen Tag erklärte das Landgericht im Rahmen des selbständigen Beweisverfahrens dieses für beendet und setzte den Verfahrenswert fest.

Der AS erhob gegen die jeweiligen Beschlüsse Beschwerde. Das Prozessgericht half nicht ab und legte den Vorgang dem OLG vor, welches die Beschwerde mit Beschluss vom 17.01.2018 - 10 W 4/18 - zurückwies. Im selbständigen Beweisverfahren half das Landgericht der Beschwerde ebenfalls nicht ab und legte sie dem OLG vor.

Die zulässige Beschwerde des AS gegen den Beschluss des Landgerichts, das selbständige Beweisverfahren für beendet zu erklären, sah der Senat als zulässig, in der Sache aber nicht begründet an.

Als Prozessgericht wies das Landgericht die gegen seinen Beschluss zur Wiederaufnahme des Verfahrens gerichtete Beschwerde zurück. Die Zulässigkeit ergäbe sich daraus, dass gegen die Ablehnung des Antrages auf Durchführung des Beweisverfahrens die sofortige Beschwerde statthaft sei, ebenso gegen die Ablehnung der Änderung oder Ergänzung des Beweisbeschlusses oder des Antrages auf Erläuterung des Gutachtens. Eine förmliche Beendigung des selbständigen Beweisverfahrens sei im Gesetz nicht vorgesehen; erfolge sie, würde sich dies inzident als Ablehnung der Durchführung des Beweisverfahrens darstellen und mithin notwendig das Beschwerderecht (als fristgebundene sofortige Beschwerde) eröffnen.

Allerdings sei die Beschwerde hier in der Sache nicht begründet. Das selbständige Beweisverfahren sei beendet, wenn die Beweissicherung sachlich erledigt sei (BGH, Urteil vom 28.10.2010 - VI ZR 172/09 -). Es sei es aber auch dann erledigt, wenn die Zuständigkeit für die Beweiserhebung auf das Prozessgericht übergehen würde, was dann der Fall sei, wenn in der Hauptsache Klage vor dem Prozessgericht erhoben würde (BGH, Beschluss vom 22.07.2004 - VII ZB 3/03 -) und das Prozessgericht die Akten des Beweisverfahrens beiziehen würde.

Diesem Übergang stünde nicht entgegen, dass das Gericht im selbständigen Beweisverfahren noch nicht sämtliche Beweisfragen erledigt oder Anträge/Fragen abgearbeitet habe. Das Prozessgericht sei verpflichtet, wenn es die Akten des noch nicht beendeten Beweisverfahrens beiziehe, die Beweisaufnahme im vorgefundenen Stand selbst fortzusetzen (BGH, Beschluss vom 14.11.2017 - VIII ZR 101/17 -), weshalb eine Zuständigkeit des Gerichts des selbständigen Beweisverfahrens daneben nicht bestehen könne (arg. § 485 Abs. 1 1. Halbs. ZPO). Nicht Voraussetzung sei ein eigener Beweisbeschluss im streitigen Verfahren (Prozessverfahren). Die (vorgezogene) Beweisaufnahme im selbständigen Beweisverfahren stehe einer Beweisaufnahme im streitigen verfahren gleich, § 493 Abs. 1 ZPO, und wirke daher wie eine vor dem Prozessgericht durchgeführte Beweisaufnahme. Allerdings sei das Prozessgericht nicht verpflichtet, im Umfang sämtlicher im selbständigen Beweisverfahren gestellter Anträge weiter Beweis zu erheben, da es hier (anders als im selbständigen Beweisverfahren) auf die Erheblichkeit für den Prozessstoff ankäme, weshalb die Fortsetzung der Beweisaufnahme über unerhebliche Tatsachen unzulässig wäre. Da vorliegend der AS nicht dargelegt habe, dass er im selbständigen Beweisverfahren die Feststellung von Mängeln angestrebt habe, die nicht gleichzeitig zum Gegenstand des streitigen Verfahrens gemacht wurden, war auch insoweit nicht das selbständige Beweisverfahren fortzuführen gewesen.


OLG Stuttgart, Beschluss vom 04.05.2018 - 10 W 6/18 -

Samstag, 26. August 2017

Selbständiges Beweisverfahren und Berücksichtigung von Einwendungen gegen das Gutachten im nachfolgendem Hauptsacheverfahren unter Beachtung von Präklusionsvorschriften

Mit seinem Urteil vom 17.05.2017 setzt sich der BGH mit der Frage der Bedeutung eines im selbständigen Beweisverfahren eingeholten Gutachtens für das Hauptsacheverfahren, mit Einwendungen gegen das Gutachten im selbständigen Beweisverfahren und deren Bedeutung für das Hauptsacheverfahren, mit der Beachtlichkeit von (gar auf Privatgutachten gestützten) Einwendungen gegen das gerichtlich eingeholte Gutachten im selbständigen Beweisverfahren (auch unter Berücksichtigung der Problematik der Präklusion) und mit der notwendigen und nachvollziehbar im Urteil darzulegenden Würdigung durch das Gericht auseinander, welchem Gutachten es folgen will.

Zum Hintergrund des Rechtstreits:

Die Beklagte brachte im Jahr 2008 einen geschliffenen Boden in einer etwa 490m² großen Verkaufshalle für die Klägerin ein. Nach Fertigstellung der Arbeiten zeigten sich Risse im aufgebrachten Terrazzo-Oberbelag. Der von der Klägerin beauftragte Sachverständige W. sah dies als während der Austrocknung entstandene Schwindrisse an. Eine Sanierung durch Verschluss der Risse mit Feinstzementen oder Kunstharz sei mit einem Aufwand von € 5.50,00 möglich. Nunmehr leitete die Klägerin ein selbständiges Beweisverfahren gegen die Beklagte ein. Der vom Gericht bestellte Sachverständige H. beurteilte die Risse als Trennrisse, beruhend auf einem fehlenden Haftungsverbund zwischen Terrazzo-Vorsatz und Unterbeton. Nach seinen Angaben könne der Mangel nur durch einen kompletten Abbruch des Terrazzo-Vorsatzes und evtl. des Unterbetons bei einem Kostenaufwand von netto € 125.000,00 beseitigt werden.

Das Gutachten wurde der Beklagten vom Landgericht, bei dem das selbständige Beweisverfahren geführt wurde, mit einer Frist zur Stellungnahme binnen drei Wochen überlassen. Sie erhob, unter Vorlage eines Privatgutachtens des Sachverständigen B., Einwendungen gegen das gerichtliche Gutachten und beantragte die Anhörung des Sachverständigen H. Dieser wurde angehört, Damit endete das Beweisverfahren.

In der Folge erhob die Klägerin Kostenvorschussklage zur Mängelbeseitigung und machte einen Betrag von € 125.000,00 geltend, verbunden mit dem Feststellungsantrag, dass die beklagte ihr sämtliche weiteren Schäden zu ersetzen habe.  In der Klageerwiderung wiederholte die Beklagte ihre Einwendungen gegen das Gutachten des Sachverständigen H. aus dem Beweisverfahren und ihre Kritik auf weitere Aspekte gestützt, die durch die Anhörung des Sachverständigen H. im Beweisverfahren bekannt  wurden. Im Laufe des Verfahrens vertiefte die Beklagte ihre Einwendungen durch Einholung eines weiteren Gutachtens des Sachverständigen B. und des Sachverständigen R.

Das Landgericht gab der Klage statt. Es hielt die Ausführungen des Sachverständigen H. für überzeugend. Anlass zur Einholung eines weiteren Gutachtens bestünde nicht.  Die Beklagte habe im Beweisverfahren die Möglichkeit der Anhörung des Sachverständigen gehabt. Sollte sie dort der Ansicht gewesen sein, ihre Einwendungen seien nicht ausreichend beantwortet worden, hätte sie die Möglichkeit zu einer entsprechenden Antragsstellung gehabt, was sie nicht genutzt habe. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des OLG wurde zurückgewiesen. Das OLG vertrat die Ansicht, dass Einwendungen gegen ein im selbständigen Beweisverfahren eingeholtes Gutachten auch im Hauptsacheverfahren zuzulassen seien, ergäbe sich, dass das Gutachten nicht überzeugend, lückenhaft oder widersprüchlich sei. Das Gutachten sei aber überzeugend und die Einwände der Beklagten, die Risse seien auf Temperaturschwankungen, Zugluft oder punktuelle Belastung während der Austrocknungsphase zurückzuführen, vom Beklagten H. ausreichend beantwortet worden. Einwendungen der Beklagten, die auf die während des Hauptsacheverfahrens eingeholten Privatgutachten B. und R. gestützt würden, wären nicht zu berücksichtigen, da sie nicht innerhalb angemessener Frist gem. § 411 Abs. 4 S. 1 ZPO erhoben, sondern lange nach Ablauf der Klageerwiderungsfrist.

Dagegen erhob die Beklagte Nichtzulassungsbeschwerde zum BGH, die von diesem zugelassen wurde; auf die Revision wurde das Urteil des OLG aufgehoben und der Rechtstreit zurückverwiesen.

Die Erwägungen des BGH:

Das OLG habe sich nicht ausreichend mit den Vorbringen der Beklagten gegen das Beweisergebnis nach Einholung des Gutachtens H. auseinandergesetzt und daher entscheidungserhebliches Vorbringen und Beweisantritte der Beklagten entgegen Art. 103 Abs. 1 GG (Gewährung rechtlichen Gehörs) unberücksichtigt gelassen. Der Tatrichter müsse zwingend mit Einwendungen der Partei gegen ein gerichtlich eingeholtes Gutachtes berücksichtigen und sei verpflichtet, sie mit von einer Partei vorgelegten Privatgutachten auseinanderzusetzen. Wenn sich aus dem Privatgutachten ein Widerspruch zum gerichtlich eingeholten Gutachten ergäbe, müsse er auf eine Aufklärung hinwirken; Unklarheiten, Zweifeln oder Widersprüchen müsse der Tatrichter von Amts wegen nachgehen. Kann der gerichtlich bestellte Sachverständige im Rahmen seiner Anhörung Einwendungen, die sich aus dem Privatgutachten ergeben, nicht ausräumen, müsse das Gericht im Rahmen seiner Pflicht zur Sachverhaltsaufklärung ein weiteres Gutachten einholen. Es hat sich mit den Gutachten sachlich und kritisch auseinanderzusetzen und darlegen, warum es einem von ihnen den Vorzug gibt. Dies gelte unabhängig davon, ob das gerichtliche Gutachten im Rahmen eines selbständigen Beweisverfahrens oder durch den in der Sache zur Entscheidung berufenen Richter eingeholt wurde, arg. §§ 493, 492 Abs. 1 ZPO. Das habe zur Folge, dass das Beweisverfahren im Hauptsacheverfahren fortzusetzen sei, wenn dem Prozessgericht das im selbständigen Beweisverfahren eingeholte Gutachten ergänzungsbedürftig erscheine, § 412 Abs. 1 ZPO.

Diesen Anforderungen würde die Entscheidung des OLG nicht gerecht. Die Beklagte habe bereits im selbständigen Beweisverfahren (näher in der Entscheidung dargelegte) detaillierte Einwendungen gegen das gerichtlich eingeholte Gutachten des Sachverständigen H. erhoben und diese im Hauptsacheverfahren weiter vertieft und ergänzt. Mit diesen Einwendungen habe sich das OLG nicht ausreichend auseinandergesetzt. Seine Begründung, die Ausführungen des Sachverständigen H. seien überzeugend (weshalb eine weitere Anhörung des Sachverständigen H. im Hauptsacheverfahren nicht mehr erforderlich sei), würden sich angesichts der kritischen, aus den verschiedenen Privatgutachtend es Beklagten hervorgehenden Einwendungen als bloße Leerformeln darstellen. Unabhängig von der Einschätzung des im selbständigen Beweisverfahren tätigen Richters habe der in der Hauptsache zur Entscheidung berufene Richter in Folge der Gleichbehandlung nach § 493 Abs. 1 ZPO bezüglich der Gutachten aus einem selbständigen Beweisverfahren und einem streitigen Verfahren zu prüfen, ob die Anhörung des Sachverständigen im Beweisverfahren zur Klärung der Streitpunkte geführt habe. Vorliegend würde sich weder aus dem Protokoll über die Anhörung des Sachverständigen H. im selbständigen Beweisverfahren noch aus den Urteilsgründen ergeben, weshalb die Klärung durch die Anhörung herbeigeführt worden sei. S sei vielmehr dokumentiert, dass der Sachverständige nicht alle Fragen mit der gebotenen Klarheit beantworten konnte, was die Fortführung der Beweisaufnahme indiziere.

Auch habe das OLG das Vorbringen gegen das Beweisergebnis nicht als verspätet zurückweisen dürfen. Der Verstoß gegen Präklusionsvorschriften stelle eine Verletzung rechtlichen Gehörs dar.  Es könne offen bleiben, ob die Präklusionsvorschriften gem. § 411 Abs. 4 ZPO iVm. 296 Abs. 1m 493 ZPO zur Anwendung kommen können, wenn den Parteien nach Eingang des Gerichtsgutachtens eine Frist gesetzt würde, die den Anforderungen des § 296 Abs. 1 ZPO genüge. Dies hätte zur Voraussetzung gehabt, dass (was nicht erfolgte) die im selbständigen Beweisverfahren gesetzte Stellungnahmefrist mit einem Hinweis über die Folgen der Nichtbeachtung der Frist versehen wäre. Und:  Vorliegend würde eine Präklusion aber auch deshalb ausscheiden, da die Beklagte innerhalb der gesetzten Frist Einwendungen erhoben hatte, weshalb diese Einwendungen (vertieft durch Vorlage weiterer Gutachten) nicht mit der Begründung hätten unberücksichtigt bleiben dürfen, die Beklagte hätte noch im selbständigen Beweisverfahren auf eine Ergänzungsbedürftigkeit oder Klärungsbedürftigkeit hinweisen müssen und bereits dort weitere Beweisantritte tätigen müssen.

Da der Gehörsverstoß entscheidungserheblich sei, sei der Rechtsstreit zurückzuverweisen, da nicht ausgeschlossen sei, dass bei Berücksichtigung der Einwände der Beklagten das OLG zu einem anderen Ergebnis gelangt wäre.


BGH, Urteil vom 17.05.2017 - VII ZR 36/15 -