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Sonntag, 4. Februar 2024

Vorsicht beim Vorbeifahren an Müllfahrzeugen - Mithaftung

Das Fahrzeug der Klägerin fuhr an einem in der Gegenrichtung auf der aus ihrer Sicht linken Straßenseite stehenden Müllfahrzeug der Beklagten vorbei, welches dort mit laufenden Motor, laufender Trommel/Schüttung und eingeschalteten gelben Rundumleuchten sowie Warnblinkanlage stand. Dabei kollidierte sie mit Müllcontainer, der von einem Mitarbeiter der Beklagten quer über die Straße geschoben wurde. Das Landgericht gab der auf Schadensersatz gerichteten Klage im Verhältnis einer Haftungsquote von 50 : 50 statt. Auf die Berufung der Klägerin änderte das OLG das Urteil dahingehend insoweit ab, als es eine Schadenquote zugunsten der Klägerin von 25% zu Lasten der Klägerin, 75% zu Lastend er Beklagten annahm. Die von der Beklagten eingelegte (vom OLG zugelassene) Revision, mit der diese die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils begehrte, war insoweit erfolgreich, als das Urteil des OLG aufgehoben und der Rechtsstreit an dieses zurückverwiesen wurde.

Der BGH reklamierte, dass vom OLG in die Abwägung der Verschuldens- und Verursachungsbeiträge nach § 17 Abs. 2 StVG einen Verstoß der Fahrerin des klägerischen Fahrzeugs nach §§ 1, 3 Abs. 1 StVO nicht eingestellt hatte.

Grundsätzlich habe die Klägerin einen Anspruch aus § 7 StVG. Die Beschädigung sei „bei dem Betrieb eines Kraftfahrzeuges iSv. § 7 Abs. 1 StVG erfolgt. Bei Fahrzeugen mit Arbeitsfunktion sei dazu ein Zusammenhang mit der Bestimmung als eine der Fortbewegung und dem Transport dienenden Maschine erforderlich. Das Schadensgeschehen müsse durch das Fahrzeug (mit) geprägt werden. Es müsse sich um eine Auswirkung derjenigen Gefahren handeln, für die nach dem Sinn der Haftungsvorschrift schadlos gehalten werden soll.  Maßgeblich käme es darauf an, dass die Schadenursache in einem nahen örtlichen und zeitlichen Zusammenhang mit einem bestimmten Betriebsvorgang oder einer bestimmten Betriebseinrichtung des Kraftfahrzeuges stünde. Eine Haftung nach § 7 StVG entfalle bei Kraftfahrzeugen mit Arbeitsfunktion entfalle jedenfalls dann, wenn die Fortbewegungs- und Transportfunktion keine Rolle mehr spiele und sie nur als Arbeitsmaschine eingesetzt würde oder sich die Gefahr aus einem gegenüber der Betriebsgefahr eigenständigen Gefahrenkreis verwirklicht habe. So läge ein „Betrieb“ auch dann vor, wenn das Fahrzeug, ggf. mit einer speziellen Entladevorrichtung, entladen würde. In diesen Fällen würde der Halter auch für die Gefahr dann haften, die das Kraftfahrzeug in dem in Anspruch genommenen Verkehrsraum für andere Verkehrsteilnehmer darstelle, wobei nicht dies nicht nur für die Gefahr durch das entladende Fahrzeug gelte, sondern auch die Gefahr, die von der Entladevorrichtung und dem Ladegut ausgehe (BGH, Urteil vom 08.12.2015 - VI ZR 139/15 -). Vorliegend handele es sich bei dem Müllwagen zwar um ein Kraftfahrzeug mit Arbeitsfunktion, doch stünde der Unfall in einem haftungsrechtlich relevanten Zusammenhang mit der Bestimmung des Müllfahrzeuges als eine dem Transport dienende Maschine, wobei zur Erfüllung der Transportfunktion die Mülltonnen zum Fahrzeug zum Entleeren und wieder zurückgebracht werden müssten. Damit läge eine Zurechnung zu den Gefahren nach § 7 StVG vor.

Die Haftungsverteilung nach § 17 Abs. 2 StVG habe aufgrund aller festgestellten, d.h. zugestandenen oder nach § 286 ZPO erwiesenen Umstände zu erfolgen. In erster Linie sei dabei das Maß der Verursachung entscheidende, ein weiterer Faktor sei das beidseitige Verschulden.

Da das Entleeren und Zurückbringen der Müllcontainer zum Betrieb des Fahrzeugs gehöre, begründe ein unfallursächlicher Verstoß der Beklagten gegen die StVO eine Erhöhung der Betriebsgefahr des Müllfahrzeugs, was bei der Abwägung zugunsten der Klägerin zu berücksichtigen sei. Die Privilegierung von Fahrzeugen der Müllabfuhr nach § 35 Abs. 6 S. 1 StVO durch Einräumung von Sonderrechten befreie nicht von den übrigen Vorschriften der StVO. Hier sei der Beklagten ein Verstoß gegen § 1 Abs. 2 StVO borzuwerfen, da deren Mitarbeiter einen großen, schweren Müllcontainer quer über die Straße geschoben habe, ohne auf den Verkehr zu achten. Hätte er ihn nicht geschoben sondern gezogen, wäre das klägerische Fahrzeug für ihn erkennbar gewesen. In der gefahrenträchtigen Situation sei es geboten gewesen, den Container zu ziehen, statt ihn zu schieben. Weiterhin läge eine Erhöhung der Betriebsgefahr für das Müllfahrzeug durch dessen Größe und der dadurch bedingten Sichtbeeinträchtigung, die sich auf den Unfall ausgewirkt hätten, vor.

Während insoweit der BGH insoweit den Erwägungen für das Müllfahrzeug folgte, sah es die Erwägungen dazu nicht als zutreffend an, demzufolge der Fahrerin des klägerischen Fahrzeugs kein die Betriebsgefahr des Fahrzeugs erhöhender Verstoß gegen die StVO vorzuwerfen sei.

Bei der Vorbeifahrt an einem im Einsatz befindlichen Müllfahrzeug sei besondere Vorsicht und Rücksichtnahme geboten, um die Müllwerker nicht zu gefährden. Zwar gelte der Vertrauensgrundsatz, dass derjenige, der sich verkehrsgerecht verhalte, auch damit rechnen dürfe, dass andere Verkehrsteilnehmer den Verkehr nicht durch pflichtwidriges Verhalten gefährden, solange die sichtbare Verkehrslage keine andere Beurteilung zulasse. Zu den Ausnahmen vom Vertrauensgrundsatz würden nicht nur rechtzeitig wahrnehmbare Verkehrswidrigkeiten Dritter zählen, sondern auch solche die möglicherweise noch nicht erkennbar seien, mit denen aber ein gewissenhafter Fahrer pflichtgemäß rechnen müsse (BGH, Urteil vom 15.05.1973 - VI ZR 62/72 -).

Da das Hauptaugenmerk des Müllwerkers auf die Arbeit gerichtet sei, diese in möglichst kurzer Zeit auf kurzen Wegen zu verrichten, dürfe der an einem Müllfahrzeug Vorbeifahrende nicht auf ein verkehrsgerechtes Verhalten des Müllwerkers vertrauen. Mit einem unachtsamen Hervortreten und einer Bewegung einige Schritte seitlich neben das Müllfahrzeug müsse er rechnen. Lasse sich ein ausreichender Sicherheitsabstand zum Müllfahrzeug zur Vermeidung von Gefährdungen hinter dem Müllfahrzeug Hervortretender nicht einhalten, so sei die Geschwindigkeit gem. §§ 1, 3 Abs. 1 S. 2 StVO so weit zu drosseln, dass der Vorbeifahrende sein Fahrzeug notfalls sofort zum Stillstand bringen könne (so bereits für Linienbusse vor Schaffung von § 20 StVO BGH, Urteil vom 10.04.1968 - VI ZR 145/65 -).  Zwar bestünde nicht wie in § 20 StVO für öffentliche Verkehrsmittel und Schulbusse oder wie in § 3 Abs. 2a StVO für Kinder, Hilfsbedürftige und ältere Menschen eine besondere Regelung zu einer Vorbeifahrt an Müllfahrzeugen, doch ergäben sich hier die entsprechenden Anforderungen aus §§ 1, 3 Abs. 1 S. 2 StVO und den Einschränkungen zum Vertrauensgrundsatz.

Hier habe der seitliche Abstand zwischen dem klägerischen Fahrzeug und dem Müllfahrzeug allenfalls rund 50 cm bemessen, weshalb die festgestellte Geschwindigkeit des klägerischen Fahrzeugs zu hoch gewesen sei, um das Fahrzeug notfalls - insbesondere bei einem plötzlichen Hervortreten eines Müllwerkers, auch bei einem Abstand von unter 5 m zwischen Fahrzeug du Gefahrenpunkt - zum sofortigen Stillstand zu bringen.

Im Rahmen der neuen Entscheidung durch das OLG sei von diesem im Rahmen tatrichterlicher Würdigung eine neue Abwägung nicht nur unter Berücksichtigung des Verkehrsverstoßes der Beklagten, sondern auch der Klägerin vorzunehmen.

Anmerkung: Das Urteil des BGH wird künftig die Leitlinie bei Unfällen entsprechender Art bei Müllfahrzeugen sein. Es fragt sich allerdings, weshalb der Gesetzgeber in §§ 20 und 3 Abs. 2a StVO für bestimmte Fälle Vorschriften schuf, wenn doch – folgt man der Diktion des BGH – ohnehin über §§ 1, 3 Abs. 1 S. 2 in Verbindung mit der Einschränkung des Vertrauensgrundsatzes diese Einschränkung besteht; der BGH festigte damit seien Rechtsprechung zur Einschränkung des Vertrauensschutzes in seinem Urteil vom 04.04.2023 - VI ZR 11/21 - (Überqueren der Fahrbahn durch Fußgänger und Annahme, dieser werde an der Mittellinie stehen bleiben). Weitergehend wird man wohl kaum diese Entscheidung auf Müllfahrzeuge beschränken können, da eine ähnliche Situation z.B. im Rahmen von Umzugswagen bei dem Ein- bzw. Ausladen von Möbeln, bei Getränkelieferanten für das Ein- und Ausladen von Getränkekisten bestehen.

BGH, Urteil vom 12.12.2023 - VI ZR 77/23 -