Die Fahrerin des Pkw des Klägers
bog nach links in eine Straße ab. Zu dieser Zeit befuhr der Zweibeklagte die
Straße, in die die das klägerische Fahrzeug einbog um letztlich in gleicher
Fahrtrichtung weiterzufahren, wie der klägerische Pkw nach seinem Einbiegen.
Bis zu der Einmündung der Straße, aus der der klägerische Pkw auf die vom
Beklagtenfahrzeug genutzte Straße einfuhr, war die vom Beklagtenfahrzeug
genutzte Straße eine Einbahnstraße, die das Beklagtenahrzeug entgegen der
erlaubten Fahrtrichtung befuhr; erst ab der Einmündung war ein Befahren in
beiden Fahrtrichtungen zulässig. Im Kreuzungsbereich kollidierten die
Fahrzeuge.
Der Kläger klagte auf Erstattung
des ihm entstandenen Schadens zu 100%. Das Amtsgericht gab der Klage in Höhe
von 50% statt. Die dagegen vom Kläger eingelegte Berufung wurde vom Landgericht
zurückgewiesen. Für keine der Parteien sei der Verkehrsunfall unabwendbar iSv.
§ 17 Abs. 2 StVG gewesen; beiden Parteien (Fahrern) sei ein Verschuldensvorwurf
zu machen.
Das schuldhafte Verhalten der
Beklagtenseite sei der Verstoß des Beklagten zu 2. als Fahrer des Fahrzeugs
gegen Zeichen 220 zu § 41 Abs. 2 Nr. 2 StVO, wobei dahinstehen könne und müsse
(diesbezüglich sei kein Vortrag erfolgt), ob der Beklagte zu 2. Auch gegen
Zeichen 267 StVO (Verbot der Einfahrt in die Straße) verstoßen habe. Jedenfalls
sei der Beklaget zu 2. bei der ursprünglichen Einfahrt in die Straße an dem
Zeichen 220 voreigekommen, welches allen Verkehrsteilnehmern auf der Fahrbahn
die Fahrtrichtung vorschreibe. Auch wenn er dies bei der ursprünglichen
Einfahrt in die Straße übersehen oder vergessen habe, begrüne dies einen
Fahrlässigkeitsvorwurf. Der Verstoß sei auch mitursächlich gewesen, da es ohne
diesen Verstoß nicht zu dem Verkehrsunfall gekommen wäre. Zudem habe der
Beklagte zu 2., informatorisch angehört, angegeben, auf aus seiner Sicht von
links kommenden Verkehr nicht geachtet zu haben, was einen Verstoß gegen § 1
Abs. 2 StVO darstelle, da er damit habe rechnen müssen, dass ein Kraftfahrer
die Einbahnstraße in die Gegenrichtung befahre.
Ein unfallursächliches
Verschulden auf Klägerseite läge darin begründet, dass die Fahrerin nach dem
Bewies des ersten Anscheins gegen das Gebot des § 8 Abs. 1 S. 1 StVO verstoßen
habe. Das Beklagtenfahrzeug sei aus Sicht des klägerischen Fahrzeugs von
rechtsgekommen. Dem Vorfahrtsrecht des Beklagtenfahrzeugs würde nicht entgegen stehen,
dass dieses die in diesem Bereich als Einbahnstraße ausgeschilderte Straße in
verbotener Fahrtrichtung befahren wurde. Zwar habe der BGH ein Vorfahrtsrecht ein
Vorfahrtsrecht ausgeschlossen, wenn es schon an einem Recht zum Fahren
ermangele (BGH, Urteil vom 06.10.1981 - VI ZR 296/79 -). Dem könne aber
„inzwischen für die vorliegende Fallgestaltung nicht gefolgt werden“, da dies
inkonsequent wäre. Auch derjenige, der unter Verstoß gegen das Rechtsfahrgebot
links fahre behalte nach der Rechtsprechung des BGH sein Vorfahrtsrecht (BGH,
Urteil vom 19.09.1974 - III ZR 73/72 -). Auch würde das Vorfahrtsrecht nicht
tangiert, wenn der Vorfahrtsberechtigte eine für ihn (nicht allgemein)
gesperrte Straße nutze (zu denken wäre hier an Anliegerstraßen o.ä.). Seit 1977 könnten zudem Einbahnstraße für den
Radverkehr in beide Fahrtrichtungen geöffnet werden; mithin habe ein Radfahrer
(wobei es sich nicht notwendig um Zweiräder handeln müsse) der die
Einbahnstraße berechtigt entgegen der Einbahnstraße entgegen der Fahrtrichtung
befahre in diesem Fall die Vorfahrt gegenüber von links kommenden Fahrzeugen.
Angesehen davon dürfe der nach § 8 Abs. 1 S. 1 StVO Wartepflichtige nicht
darauf vertrauen, dass aus der verbotenen Richtung überhaupt kein Fahrzeug käme;
er müsse schon aus Rücksicht auf etwaige Anlieger oder Vorrechtsfahrzeuge (§ 35
Abs. 1 StVO: Polizei, Feuerwehr pp.) die Fahrbahn in beiden Fahrtrichtungen
beobachten.
Die Revision wurde nicht
zugelassen, da keine grundsätzliche Bedeutung bestünde. Auch würde die
Zulassung nicht aus Gründen der Fortbildung des Rechts geboten sein, da es für
die rechtliche Beurteilung typischer oder verallgemeinerungsfähiger
Lebenssachverhalte an einer richtungsweisenden Orientierungshilfe ermangele.
Die Entscheidung des BGH vom 06.10.1981 - VI ZR 296/79 - veranlasse die Zulassung nicht, da sie noch
nicht die Möglichkeit berücksichtige, das zwischenzeitlich Fahrradfahrern die
Möglichkeit gegeben werden könne, die Einbahnstraße in beiden Fahrtrichtungen
zu nutzen.
Kommentar
Der Entscheidung des Landgerichts
kann insgesamt nicht gefolgt werden.
1. Das Beklagtenfahrzeug fuhr
unzulässig entgegen der Einbahnstraße und es kam deshalb (wohl da die Fahrerin
des klägerischen Fahrzeugs nicht nach rechts bei Einfahrt auf diese Straße, die
aber der Einfahrt in beide Fahrtrichtungen freigegeben war) zum Verkehrsunfall.
Wenn das Beklagtenfahrzeug die Einbahnstraße nur ein Stück befahren hätte um
dann dort zu wenden, wäre nachvollziehbar, wenn hier ein Verstoß gegen Zeichen
220 angenommen wird. Wurde die Straße in voller Länge befahren und nur zur
Durchfahrt genutzt, muss sich der Fahrer nicht merken, ob eine solche Straße
Einbahnstraße ist, um dies bei der Rückfahrt noch zu erinnern und zu beachten.
Es käme also in diesem Fall darauf an, dass das Zeichen 267 an der Einfahrt zu
Straße stand.
2. Für die Fahrerin des Klägerfahrzeugs
war erkennbar, dass die Straße, auf die sie auffuhr, nach rechts eine
Einbahnstraße war, die nicht in der Fahrtrichtung zu ihr hätte befahren werden
dürfen. Es wird auch nicht ausgeführt (und war wohl auch nicht der Fall), dass
diese Einbahnstraße für Fahrradfahrer in beiden Fahrtrichtungen freigegeben
war, was auch durch entsprechend Beschilderung „Radfahrer frei“ (Zeichen 1022-10).
Ist dieses nicht vorhanden, konnte sich die Fahrerin des klägerischen Pkw
darauf verlassen, dass auch Radfahrer nicht die Straße entgegen der
Fahrtrichtung befahren. Ebensowenig verfängt nicht der Verweis auf
Sonderrechtsfahrzeuge. Nutzen diese entgegen der allgemeinen Verkehrsregelungen
Straßen (z.B. Überqueren von Kreuzungen mit roter Ampelschaltung), so haben sie
ihre Absicht deutlich kundzutun (z.B. Einschalten der Sirene); insoweit wird
daran erinnert, dass bei Herannahen eines nur mit Blaulicht versehenen Polizei-
oder Krankenwagens die Kreuzung nicht durch Hineinfahren in dieselbe trotz
Rotlichts der Ampelanlage genutzt werden darf, sondern erst, wenn auch die
Sirene am Einsatzfahrzeug eingeschaltet wird.
3. Die Revision hätte hier
zwingend wegen Abweichung von dem Urteil des BGH vom 06.10.1981 - VI ZR 296/79
- zugelassen werden müssen. Gemäß § 546 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 ZPO ist die Revision
zuzulassen, wenn das Urteil von einer Entscheidung des BGH abweicht und auf
dieser Abweichung (wie hier) beruht (BVerfG, Beschluss vom 19.12.2000 - i BvR
1684/99 -). Die Überlegungen des Landgerichts, weshalb gleichwohl die Revision
nicht zugelassen wurde, tragen nicht. Zum Einen ergibt sich aus weiteren
Entscheidungen des BGH nicht, dass er an seiner bisherigen Rechtsprechung nicht
festhält. Zum Anderen stützt sich das Landgericht für die Nichtzulassung auf
das möglicherweise Radfahrern eingeräumte (hier nicht einmal feststellbare)
Recht, die Einbahnstraße in beiden Fahrtrichtungen zu befahren. Da nicht
festgestellt wurde, dass ein derartiges Recht für Fahrradfahrer bestand, liegt
eine Abweichung vor, die zwingend die Revisionszulassung nach sich zog. Denn es
muss auch in diesem Fall von einer verbotenen Nutzung der Einbahnstraße durch
Radfahrer ausgegangen werden, wenn sie diese entgegen der vorgeschriebenen
Fahrtrichtung befahren (was auch bußgeldbewährt ist). Zudem: Wenn, wie das
Landgericht angibt, die Regelung zu Fahrradfahrern in 1977 geschaffen wurde,
lag diese zum Zeitpunkt der Entscheidung des BGH bereits vor. Auch die in dem
Urteilsgründen benannten weiteren Erwägungen des Landgerichts tragen dessen
Entscheidung nicht. Zwar hat der BGH entschieden, dass sich das Vorfahrtsrecht
auf einer Straße auf die gesamte Straßenbreite und nicht lediglich auf die
rechte Fahrspur bezieht, weshalb ein einbiegen auf eine Vorfahrtsstraße und
eine Kollision mit dem sich auf der Vorfahrtsstraße entgegen dem
Rechtsfahrgebot links fahrenden Fahrzeug als Vorfahrtsverletzung darstellt.
Eine solche Konstellation lag hier aber nicht vor, da das Beklagtenfahrzeug
eine Einbahnstraße schlicht verbotswidrig entgegen der vorgeschriebenen
Fahrtrichtung befuhr.
Bei dieser Situation eine
hälftige Haftungsteilung anzunehmen, ist nicht nachvollziehbar, da damit die
Grundsätze der Straßenverkehrsordnung verkehrt werden. Der grob regelwidrig
Fahrende Verkehrsteilnehmer, der die Einbahnstraße verboten befährt, kommt in
den von der Verkehrsordnung nicht vorgesehenen Genuss eines „rechts vor
links“-Vorteils, obwohl doch gerade deshalb in Bereichen von Einbahnstraßen
keine Vorfahrtszeichen bzw. Vorfahrtbeachtungszeichen aufgestellt werden, da es
an den Beschilderungen fehlt, wenn nur in eine bestimmte Richtung eingebogen
werden kann, aus der anderen Richtung keine Gefahr droht oder drohen kann.
LG Wuppertal, Urteil vom
30.06.2022 - 9 S 48/22 -