Sonntag, 25. Februar 2024

Haftung für Kollision bei Abbiegen in mehrspurige Straße

Der Kläger wollte nach links in eine doppelspurige Straße einbiegen, der beklagte Fahrer (nachfolgend Beklagter), der aus der Gegenrichtung kam, nach rechts. Der Kläger wollte auf der linken der durch eine unterbrochene Linie getrennten Fahrspuren auffahren, allerdings der Beklagte auch, weshalb die Fahrzeuge kollidierten. Das Landgericht hatte die Klage abgewiesen.

Das OLG stimmte im Berufungsverfahren dem Landgericht zu, dass sowohl der Kläger als auch die Beklagtenseite grundsätzlich nach §§ 7, 17, 18 StVG für den Schadensfall einstandspflichtig seien, da der Unfall bei den Betrieb von Kraftfahrzeugen entstanden sei und weder auf höhere Gewalt zurückzuführen sie noch für einen der Beteiligten ein unabwendbares Ereignis iSv. § 17 Abs. 3 StVG darstelle. 

Der Kläger habe gegen § 9 Abs. 4 StVO verstoßen. Danach müsse ein Linksabbieger entgegenkommende Fahrzeuge, die ihrerseits nach rechts abbiegen wollten, durchfahren lassen. Es würden die gleichen Grundsätze gelten wie für die Begegnung mit einem auf einer bevorrechtigten Straße fahrenden Fahrzeug.  Damit habe der Kläger die ihm als Linksabbieger nach § 9 Abs. 4 StVO treffende Wartepflicht nicht beachtet. Er hätte zunächst den Abbiegevorgang des Beklagten abwarten müssen. Dabei käme es nicht darauf an, ob er von einer engen Bogenfahrt des Beklagtenfahrzeugs ausgegangen sei, welches auf der rechten Fahrspur weiterfahren wolle, denn diese Annahme sei nicht schutzwürdig. Wer nach links in eine Straße mit mehreren Fahrstreifen abbiege, dürfe grundsätzlich nicht darauf vertrauen, ei entgegenkommender Rechtsabbieger würde nur die rechte Fahrspur nutzen. 

Auch käme es nicht darauf an, dass der Kläger zum Zeitpunkt der Kollision (nach den Feststellungen eines gerichtlich bestellten Sachverständigen) bereits eine gerade Fahrposition auf der linken Fahrspur eingenommen habe, während sich das Beklagtenfahrzeug noch in Schrägstellung befunden habe. Der Unfall habe sich nach sachverständiger Feststellung in Höhe des Fußgängerüberwegs, der den unmittelbaren Kreuzungsbereich aus Klägersicht nach links begrenzt habe, ereignet und das Klägerfahrzeug habe seine Kollisionsstellung erst kurz zuvor erreicht.  Der enge räumliche und zeitliche Zusammenhang zwischen dem Linksabbiegevorgang des Klägers und dem Unfall verdeutliche, dass eine Beeinträchtigung des bevorrechtigten Beklagten durch den Kläger gerade nicht auszuschließen gewesen sei; Unsicherheiten zur Einschätzung der Verkehrslage gingen zu seinen Lasten (LG Potsdam, Urteil vom 10.03.2008 - 7 S 120/07 -). 

Der Beklagte habe auch nicht gegen § 7 Abs. 5 StVO verstoßen. Dass er die rechte Fahrspur passieren musste, um auf die linke Fahrspur zu gelangen, stelle keinen Fahrstreifenwechsel im Sinne der Norm dar. Der Vorrang des Beklagten umfasse auch die Wahl zwischen den beiden Fahrspuren (LG Hamburg, Urteil vom 06.09.2021 - 306 S 85/19 -). Deshalb läge auch kein Verstoß gegen das Gebot, sich rechts einzuordnen (§ 9 Abs. 1 S. 2 StVO), oder das Rechtsfahrgebot (§ 2 Abs. 2 StVO)  vor. 

Allerdings läge bei dem Beklagten ein Sorgfaltsverstoß gem. § 1 Abs. 2 StVO vor. Für ihr sei ersichtlich gewesen, dass der Kläger seiner Wartepflicht nach § 9 Abs. 4 S. 1 StVO nicht genügen würde. Davon habe er spätestens auszugehen gehabt, als der Kläger, nachdem er bereits die für Linksabbieger vorgesehene Wartelinie ohne anzuhalten passiert habe, auch die gestrichelte Begrenzungslinie der linken Fahrspur im Bereich der Kreuzungsmitte überfahren habe. 

Das OLG musste daher eine Abwägung der gegenseitigen Verursachungsbeiträge  nach § 17 Abs. 1 StVG vornehmen. Die Nichtbeachtung der Wartepflicht des Linksabbiegers stelle regelmäßig einen Besonders schwerwiegenden Verkehrsverstoß dar. Dahinter würde aber die Betriebsgefahr des Beklagtenfahrzeugs hier nicht zurücktreten. Der Beklagte sei zwar bevorrechtigt gewesen. Er habe aber eine Gefahr dadurch gesetzt, dass er nicht weiter auf das aus der Gegenrichtung abbiegende Kraftfahrzeug geachtet habe, obwohl dies bei dem von ihm beabsichtigten Wechsel unmittelbar auf die linke Fahrspur in höherem Maße geboten gewesen wäre, als bei einem Wechsel auf die rechte Fahrspur. Allerdings wiege dieser verstoß weniger schwer als die Verletzung der Wartepflicht (Vorfahrtsverstoß) des Klägers, weshalb sich eine Haftungsverteilung im Verhältnis 70% zu 30% zu Lasten des Klägers ergäbe. 

Saarländisches Oberlandesgericht Saarbrücken, Urteil vom 20.10.2023 - 3 U 49/23 -


Aus den Gründen:

Tenor

I. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Landgerichts Saarbrücken vom 12.5.2023 – 1 O 226/21 – unter Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels teilweise abgeändert und insgesamt wie folgt neu gefasst:

1. Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an den Kläger 2.115,12 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 13.5.2021 zu zahlen.

2. Es wird festgestellt, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, dem Kläger den aus der Inanspruchnahme seiner Vollkaskoversicherung bei der ... AG zur Versicherungsnummer XXX infolge des Verkehrsunfallereignisses vom 22.4.2021 in der Straße ... ... in ... entstandenen und künftig entstehenden Rückstufungsschaden auf der Grundlage einer Haftungsquote von 30 % zu 70 % zu Lasten des Klägers zu ersetzen.

3. Die Beklagten werden weiterhin als Gesamtschuldner verurteilt, an den Kläger vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 367,23 Euro nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 7.7.2021 zu zahlen.

4. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

II. Die Kosten des Rechtsstreits tragen der Kläger zu 36 % und die Beklagten als Gesamtschuldner zu 64 %.

III. Dieses Urteil ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.

IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

I.

Die Parteien streiten um Schadensersatzansprüche aufgrund eines Verkehrsunfalls am 22.4.2021 in Saarbrücken.

Der Kläger befuhr mit seinem Pkw Ford Focus (amtl. Kennz. XXX) die Straße ... aus Richtung ... kommend. An der ampelgeregelten Kreuzung der Straßen ... und ... bog er nach links ab, um seine Fahrt auf der linken der beiden durch eine unterbrochene Linie getrennten Fahrspuren der ... fortzusetzen. Der Beklagte zu 1, der mit seinem bei der Beklagten zu 2 haftpflichtversicherten Pkw VW Polo (amtl. Kennz. XXX) die Straße ... in entgegengesetzter Richtung befuhr, bog seinerseits an der Kreuzung nach rechts ab und beabsichtigte ebenfalls auf der linken Fahrspur der ... weiterzufahren. Dabei kam es zur Kollision.

Der Kläger hat – nach Inanspruchnahme seiner Kaskoversicherung – erstinstanzlich zuletzt restlichen Schadensersatz von 3.285,71 Euro (Wiederbeschaffungsaufwand 5.250 Euro, Sachverständigenkosten 939,39 Euro, Kostenpauschale 25 Euro, Nutzungsausfall für 22 Tage 946 Euro, Überführungskosten 150 Euro abzgl. Versicherungsleistung 4.024,68 Euro) nebst Zinsen geltend gemacht. Daneben hat er die Feststellung der Verpflichtung der Beklagten zum Ersatz des ihm in der Vollkaskoversicherung entstandenen und noch entstehenden Höherstufungsschadens sowie die Erstattung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten in Höhe von 800,39 Euro nebst Zinsen erstrebt.

Der Kläger hat behauptet, sein Abbiegevorgang sei bereits beendet gewesen und sein Fahrzeug habe sich vollständig auf der linken Fahrspur der ... in Geradeausfahrt befunden, als der Beklagte zu 1 über die rechte Fahrspur der ... auf die linke Fahrspur gezogen sei.

Die Beklagten sind der Klage entgegengetreten. Sie haben behauptet, der Zusammenstoß habe sich noch vor dem Abschluss des Abbiegevorgangs des Beklagten zu 1 ereignet.

Das Landgericht hat das in einem Verfahren vor dem Amtsgericht Saarbrücken, in dem der hiesige Beklagte zu 1 seinerseits Schadensersatzansprüche aus dem Verkehrsunfall geltend gemacht hatte, eingeholte Sachverständigengutachten verwertet. Durch das angefochtene Urteil (Bl. 183 GA), auf dessen tatsächliche Feststellungen gemäß § 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO Bezug genommen wird, hat es die Klage abgewiesen.

Mit der Berufung, deren Zurückweisung die Beklagten beantragen, verfolgt der Kläger sein erstinstanzliches Klageziel weiter.

Wegen des Sach- und Streitstands im Übrigen wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf das Sitzungsprotokoll Bezug genommen.

Die Akte 36 C 293/21 (12) des Amtsgerichts Saarbrücken war beigezogen und Gegenstand der mündlichen Verhandlung im Berufungsverfahren.

II.

Die Berufung ist zulässig und teilweise begründet. Die Auffassung des Landgerichts, den Kläger treffe ein die Haftung der Beklagten ausschließendes Mitverschulden an dem streitgegenständlichen Unfall, hält einer Überprüfung im Ergebnis nicht stand.

1. Das Landgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass sowohl die Kläger- als auch die Beklagtenseite grundsätzlich gemäß §§ 7, 17, 18 StVG i.V.m. § 115 VVG für die Folgen des streitgegenständlichen Unfalls einzustehen haben, weil die Unfallschäden jeweils bei dem Betrieb eines Kraftfahrzeugs entstanden sind, der Unfall nicht auf höhere Gewalt zurückzuführen ist und für keinen der beteiligten Fahrer ein unabwendbares Ereignis im Sinne des § 17 Abs. 3 StVG darstellt.

2. Vergebens wendet sich die Berufung gegen die Annahme des Landgerichts, der Kläger habe gegen § 9 Abs. 4 Satz 1 StVO verstoßen. Nach dieser Vorschrift muss ein Linksabbieger entgegenkommende Fahrzeuge, die ihrerseits nach rechts abbiegen wollen, durchfahren lassen. Insoweit gelten im Wesentlichen die gleichen Rechtsgrundsätze wie für die Begegnung mit einem auf einer bevorrechtigten Straße fahrenden Fahrzeug (Burmann in Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke, Straßenverkehrsrecht, 27. Aufl., § 9 StVO Rn. 26; vgl. auch zu § 9 Abs. 3 Satz 1 StVO: BGH, Urteil vom 7.2.2012 – VI ZR 133/11, Rn. 8 juris). Das übersieht die Berufung, wenn sie unter Hinweis auf die zitierte Kommentarstelle den Standpunkt einnimmt, § 9 Abs. 4 Satz 1 StVO betreffe keinen „eigentlichen“ Vorfahrtfall.

a) Ausgehend von den tatsächlichen Feststellungen des Landgerichts, die im Berufungsverfahren nicht angegriffen werden, hat der Kläger die ihn als Linksabbieger gemäß § 9 Abs. 4 Satz 1 StVO treffende Wartepflicht nicht beachtet.

Um diese zu erfüllen, hätte der Kläger nach dem Anfahren zunächst an der für Linksabbieger eingezeichneten gestrichelten Linie im Bereich der Kreuzungsmitte den Abbiegevorgang des Beklagten zu 1 abwarten müssen. Unerheblich ist, ob der Kläger – wie er bei seiner Anhörung durch das Amtsgericht Saarbrücken angegeben hat – in der Anfahrsituation nach dem Wechsel der Ampel auf Grünlicht die Fahrlinie des entgegenkommenden Beklagtenfahrzeugs als engen Bogen wahrnahm und hieraus für sich schloss, dessen Fahrer beabsichtige eine Weiterfahrt auf der rechten Spur der .... Eine entsprechende Annahme des Klägers wäre jedenfalls nicht schutzwürdig. Wer – wie der Kläger – nach links in eine Straße mit mehreren Fahrstreifen abbiegt, darf grundsätzlich nicht darauf vertrauen, ein entgegenkommender Rechtsabbieger werde nur in den für ihn rechten Fahrstreifen einbiegen und könne deshalb durch ein Einbiegen in den linken Fahrstreifen nicht beeinträchtigt werden (BayObLG, Beschluss vom 25.4.1978 – 1 Ob OWi 55/78, Rn. 15 juris; OLG Karlsruhe, DAR 1997, 26; Freymann in Geigel, Haftpflichtprozess, 28. Aufl., Kap. 27 Rn. 290). Objektive Anhaltspunkte dafür, dass der Beklagte zu 1 durch sein Fahrverhalten zunächst den Anschein erweckte, er werde die linke Fahrspur der ... nicht in Anspruch nehmen, bevor er dies durch eine Korrektur seiner Fahrlinie doch tat, sind nicht vorhanden. Auch die Unfallsimulationsrechnung des Sachverständigen zeigt keine abrupten Änderungen der Fahrlinie des Beklagtenfahrzeugs.

Nicht entscheidend ist, dass das Klägerfahrzeug nach den Feststellungen des Sachverständigen zum Kollisionszeitpunkt bereits eine gerade Position auf der linken Fahrspur der ... eingenommen hatte, während das Beklagtenfahrzeug sich noch in einer Schrägstellung befand. Wie der Sachverständige unbeanstandet festgestellt hat, ereignete sich die Kollision in Höhe des Fußgängerüberwegs, der den unmittelbaren Kreuzungsbereich aus Klägersicht nach links begrenzt, und hatte das Klägerfahrzeug seine Ausrichtung nach einer längeren Schrägfahrt erst unmittelbar zuvor erreicht. Der enge räumliche und zeitliche Zusammenhang zwischen dem Linksabbiegevorgang des Klägers und dem Unfall verdeutlicht, dass eine Beeinträchtigung des bevorrechtigten Beklagten zu 1 durch den Kläger gerade nicht mit Sicherheit auszuschließen war. Etwaige Unsicherheiten bei der Einschätzung der Verkehrslage durch den Kläger gehen insoweit zu dessen Lasten (vgl. LG Potsdam, Urteil vom 10.3.2008 – 7 S 120/07, Rn. 9 juris).

b) Der Beklagte zu 1 hat entgegen der Auffassung der Berufung nicht gegen § 7 Abs. 5 StVO verstoßen. Dass er die rechte Fahrspur der ... passieren musste, um auf die linke Fahrspur zu gelangen, stellt keinen Fahrstreifenwechsel im Sinne dieser Vorschrift dar. Der Vorrang des Beklagten zu 1 gegenüber dem wartepflichtigen Kläger umfasste vielmehr auch die Wahl zwischen den beiden Fahrspuren der ... (vgl. LG Hamburg, Urteil vom 6.9.2021 – 306 S 85/19, Rn. 29 f. juris; König in Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 47. Aufl., § 7 StVO Rn. 16). Der Kläger hatte daher mit seinem Linksabbiegevorgang abzuwarten, bis der Beklagte zu 1 sich auf einer Fahrspur vollständig eingeordnet hatte, was zum Unfallzeitpunkt noch nicht der Fall war, wie aus der Kollisionsstellung hervorgeht. Aus denselben Erwägungen liegt auch kein Verstoß des Beklagten zu 1 gegen das für den Rechtsabbieger geltende Gebot, sich rechts einzuordnen (§ 9 Abs. 1 Satz 2 StVO), oder gegen das Rechtsfahrgebot (§ 2 Abs. 2 StVO) vor.

c) Mit Recht macht die Berufung indes einen Sorgfaltsverstoß des Beklagten zu 1 gemäß § 1 Abs. 2 StVO geltend. Für den Beklagten zu 1 war nämlich absehbar, dass der Kläger seiner Wartepflicht nach § 9 Abs. 4 Satz 1 StVO nicht genügen würde. Davon ist spätestens auszugehen, als der Kläger, nachdem er bereits die für Linksabbieger vorgesehene Wartelinie ohne anzuhalten passiert hatte, auch die gestrichelte Begrenzungslinie der linken Fahrspur der ... im Bereich der Kreuzungsmitte überfuhr (vgl. Bild 1 der Unfallsimulationsrechnung des Sachverständigen, Bl. 114 d. Beiakte). Der Beklagte zu 1 durfte in dieser Situation nicht darauf vertrauen, dass die von ihm anvisierte linke Fahrspur frei bleiben würde, sondern er musste mit einer weiteren Inanspruchnahme dieser Spur durch den Kläger und folglich mit einer Nichtbeachtung seines Vorrangs rechnen (zu einem vergleichbaren Fall OLG Koblenz, Beschluss vom 17.11.2021 – 12 U 1517/21, Rn. 5 juris).

Die Erkennbarkeit der Fahrbewegung des Klägerfahrzeugs für den Beklagten zu 1 steht aufgrund des Sachverständigengutachtens fest. Der Beklagte zu 1 selbst hat bei seiner Anhörung durch das Amtsgericht Saarbrücken eingeräumt, er habe gesehen, wie das Klägerfahrzeug losgefahren sei, wegen seines Vorrechts als Rechtsabbieger hierauf aber nicht näher geachtet. Dazu wäre er in der konkreten Situation indes gehalten gewesen und es wäre von ihm zu verlangen gewesen, dass er seinen Abbiegevorgang zumindest verlangsamt und Bremsbereitschaft einnimmt. In diesem Fall hätte die Kollision ohne weiteres vermieden werden können, was schon daran deutlich wird, dass das Beklagtenfahrzeug sich erst in Höhe des Fußgängerüberwegs vor Beginn des Kreuzungsbereichs befand, als das – nach den Feststellungen des Sachverständigen auch noch im Kollisionszeitpunkt schnellere – Klägerfahrzeug bereits die linke Fahrspur der ... erreicht hatte.

d) Im Rahmen der Abwägung der beiderseitigen Verursachungsbeiträge fällt zu Lasten des Klägers ins Gewicht, dass die Nichtbeachtung der Wartepflicht durch den Linksabbieger regelmäßig als besonders schwerwiegender Verkehrsverstoß anzusehen ist (vgl. zu § 9 Abs. 3 Satz 1 StVO: BGH, Urteil vom 7.2.2012 – VI ZR 133/11, Rn. 8 juris). Dahinter tritt die Betriebsgefahr des Beklagtenfahrzeugs gleichwohl nicht zurück. Dieses war zwar in der konkreten Situation bevorrechtigt. Der Beklagte zu 1 hat indes seinerseits eine Gefahr dadurch gesetzt, dass er nicht weiter auf das aus der Gegenrichtung abbiegende Klägerfahrzeug achtete, obwohl dies bei dem von ihm beabsichtigten Wechsel unmittelbar auf die linke Fahrspur der ... in höherem Maße geboten war als bei einer Fortsetzung der Fahrt auf der näher gelegenen rechten Fahrspur. Dieser Verstoß wiegt allerdings weniger schwer als der Vorfahrtsverstoß des Klägers, weshalb im Ergebnis eine Haftungsverteilung von 70 % zu 30 % zu Lasten des Klägers angemessen ist.

3. Bei der Schadensberechnung ist das nach Inanspruchnahme der Kaskoversicherung durch den Kläger aus § 86 Abs. 1 VVG resultierende Quotenvorrecht zu berücksichtigen und demzufolge zwischen quotenbevorrechtigten und nicht quotenbevorrechtigten Schadenspositionen zu unterscheiden.

a) Quotenbevorrechtigt sind der Fahrzeugschaden in Form des mit der Klage geltend gemachten – beklagtenseits nicht bestrittenen – Wiederbeschaffungsaufwands (5.250 Euro) sowie die Sachverständigenkosten (939,39 Euro), da es sich hierbei um mit dem Kaskoversicherungsschutz deckungsgleiche (kongruente) Schäden handelt (vgl. zu den Sachverständigenkosten BGH, Urteil vom 12.1.1982 – VI ZR 265/80, Rn. 9). Auf den Gesamtschaden im Kasko-Bereich von 6.189,40 Euro hat die Kaskoversicherung 4.024,68 Euro gezahlt. Den nach Abzug der Versicherungsleistung verbleibenden Schaden kann der Kläger im Rahmen des Quotenvorrechts von den Beklagten ersetzt verlangen, allerdings nicht in voller Höhe von 2.164,71 Euro, sondern lediglich entsprechend der Haftungsquote der Beklagten von 30 %, d.h. in Höhe von 1.856,82 Euro (vgl. zur Berechnung BGH, Urteil vom 12.1.1982, a.a.O., Rn. 16; Freymann/Rüssmann in jurisPK-Straßenverkehrsrecht, 2. Aufl. [Stand 8.8.2023], § 249 BGB Rn. 306 ff.).

b) Den verbleibenden, nicht deckungsgleichen (inkongruenten) Sachfolgeschaden haben die Beklagten (ebenfalls) nach der Haftungsquote zu ersetzen. Dazu zählt die Kostenpauschale von 7,50 Euro (30 % von 25 Euro). Daneben steht dem Kläger für die Dauer der Ersatzbeschaffung ein – dem Grunde nach und hinsichtlich des Zeitraums von 22 Tagen unbestrittener – Anspruch auf Ersatz des Nutzungsausfalls zu, den der Senat im Rahmen des durch § 287 ZPO eröffneten Ermessens anhand der Nutzungsausfalltabelle von Sanden/Danner/Küppersbusch ermittelt. Danach ist das Klägerfahrzeug zwar an sich in die Gruppe E einzustufen. Nach der Rechtsprechung ist indes bei älteren Fahrzeugen regelmäßig eine Herabstufung um eine Gruppe geboten (vgl. BGH, Urteil vom 23.11.2004 – VI ZR 357/03, Rn. 13 f.), wobei die Grenze im Allgemeinen bei fünf Jahren gezogen wird (OLG Hamm, Urteil vom 30.10.2012 – I-9 U 5/12, Rn. 24 juris; OLG Düsseldorf, Urteil vom 27.3.2012 – I-1 U 139/11, Rn. 72 juris; Palandt/Grüneberg, BGB, 82. Aufl., § 249 Rn. 44). Vorliegend war das am 22.4.2015 erstmals zugelassene Klägerfahrzeug am Unfalltag (20.4.2021) nahezu sechs Jahre alt und es sind – auch unter Berücksichtigung der Laufleistung von knapp 130.000 Kilometern – keine Umstände ersichtlich, die einer Herabstufung in die Gruppe D entgegenstehen. Die Nutzungsausfallentschädigung beträgt somit 250,80 Euro (22 Tage x 38 Euro = 836 Euro, davon 30 %). Die weiterhin geltend gemachten – beklagtenseits bestrittenen – Kosten in Höhe von 150 Euro für ein Überführungskennzeichen, zu deren Begründung der Kläger sich lediglich auf den offenbar das Ersatzfahrzeug betreffenden – im Übrigen nicht vorgelegten – Kaufvertrag berufen hat, sind nicht ersatzfähig, da ihr tatsächlicher Anfall nicht feststeht (vgl. Freymann/Rüssmann in jurisPK-Straßenverkehrsrecht, a.a.O., § 249 BGB Rn. 290 m.w.N.). Insgesamt belaufen sich die nicht deckungsgleichen Schäden somit auf 258,30 Euro (7,50 Euro + 250,80 Euro).

4. Der Kläger kann ferner nach § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB Ersatz der vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten verlangen, die aus dem Wert der berechtigten Forderung zu ermitteln sind (vgl. BGH, Urteil vom 5.12.2017 – VI ZR 24/17, Rn. 8 juris). Der Anspruch beträgt 367,23 Euro (1,3 Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 VV-RVG + Auslagenpauschale nach Nr. 7002 VV-RVG + Mehrwertsteuer nach Nr. 7008 VV-RVG).

5. Der Zinsanspruch folgt aus § 286 Abs. 1, Abs. 3 Nr. 2 i.V.m. § 288 Abs. 1, § 291 BGB.

6. Der Antrag auf Feststellung der Ersatzpflicht hinsichtlich des Höherstufungsschadens in der Fahrzeug-Vollkaskoversicherung ist zulässig (vgl. etwa BGH, Urteil vom 25.4.2006 – VI ZR 36/05, Rn. 7, juris) und auf der Grundlage der festgestellten Haftungsquote begründet. Die Höherstufung in der Vollkaskoversicherung ist nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs für den Geschädigten eine Folge seines unfallbedingten Fahrzeugschadens. Das gilt auch dann, wenn der Höherstufungsschaden auch infolge der Regulierung des vom Geschädigten selbst zu tragenden Schadensteils eintritt. Der Schädiger haftet daher selbst bei nur anteiliger Schadensverursachung für den Höherstufungsschaden, der dadurch eintritt, dass der Geschädigte seine Kaskoversicherung in Anspruch nimmt. Das folgt aus dem Grundsatz, dass eine Mitursächlichkeit einer Alleinursächlichkeit in vollem Umfang gleichsteht. Der Höherstufungsschaden ist dann entsprechend der Haftungsquote zu teilen (BGH, Urteil vom 26.9.2006 – VI ZR 247/05, Rn. 8 ff., juris).

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 Abs. 1, § 100 Abs. 4 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, §§ 711, 713 i.V.m. § 544 Abs.2 Nr. 1 ZPO. Die Revision war nicht zuzulassen, da die Sache keine grundsätzliche Bedeutung hat und keine Veranlassung gibt, eine Entscheidung des Revisionsgerichts zur Fortbildung des Rechts sowie zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung herbeizuführen (§ 543 Abs. 2 ZPO).

 

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