Der Verkehrsunfall ereignete sich
auf einer schmalen Straße in einem Kurvenbereich. Die Kollision ereignete sich
etwas über der (gedachten) Mittelinie auf der Fahrbahnseite der Klägerin. Das
Landgericht wies die Klage ab. Im Rahmen der Berufung erfolgte ein
Hinweisbeschluss durch das OLG Köln, dass dieses beabsichtige, die Berufung
zurückzuweisen.
Nach Auffassung des OLG sei eine
Verpflichtung der Beklagten (Fahrer, Halter und Versicherer des Traktors mit
Anhänger) zur Zahlung von Schadensersatz nach § 17 Abs. 3 StVG nicht gegeben.
Es handele sich für die Beklagten um ein unabwendbares Ereignis. Unter
unabwendbaren Ereignis sei nicht eine absolute Unvermeidbarkeit zu verstehen,
sondern gemeint sei ein Schadensereignis, welches auch bei der äußersten Sorgfalt
nicht abgewendet werden könne. Dazu sei ein sachgemäßes, geistesgegenwärtiges
Handeln erheblich über den Maßstab der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt iSv.
§ 276 BGB erforderlich. Der Schädiger sei nach dem Zweck des § 17 Abs. 3 StVG
von Schäden freizustellen, die sich auch bei vorsichtigen Vorgehen nicht
vermeiden ließen, ohne dass eine absolute Unvermeidbarkeit gefordert würde. Denn
es müsse auch bei dem geforderten „Idealfahrer“ als Maßstab menschliches
Vermögen den Erfordernissen des Straßenverkehrs angepasst sein.
Damit sei aber auf der Grundlage
des vom Landgericht eingeholten Sachverständigengutachtens der Unfall für den
Fahrer des Traktors unabwendbar. Seine Reaktion und sein verhalten hätten demjenigen
eines Idealfahrers entsprochen.
Nach der sachverständigen Feststellung
habe sich das klägerische Fahrzeug vor dem Unfallereignis mit seiner linken
Seite im Bereich der gedachten Fahrbahnmitte befunden. Auch wenn die Klägerin
die Fahrbahnmitte nicht überfahren haben sollte, würde die Bremsreaktion des
Fahrers des Traktors den Anforderungen an einen Idealfahrer gerecht werden, da
sich nach den übereinstimmenden Angaben der Parteien die Fahrzeuge im Kurvenbereich
plötzlich gegenüber befunden hätten und
ein Ausweichen des Traktors nach rechts wegen eines Felsvorsprungs nicht
möglich gewesen sei. Dies gilt auch, obwohl durch ABS und Anhängerbremse der Traktor
durch das Abbremsen in Richtung Fahrbahnmitte geriet und so die Kollision
verursacht worden sei.
Zwar wäre nach den
sachverständigen Feststellungen der Verkehrsunfall ohne das Abbremsen des
Traktors verhindert worden. Es könne auf sich beruhen, ob dem Fahrer eine falsche
Reaktion im ersten Schreck zuzubilligen sei (so BGH, Urteil vom 23.09.1986 - VI
ZR 136/85 -), da hier auch der Idealfahrer in der konkreten Gefahrensituation
nicht hätte erkennen können, dass ohne sein Abbremsen eine Kollision vermeidbar
wäre. Dies würde sich auch daraus ergeben, dass eine Vermeidung nicht nur von
der eigenen Reaktion des Traktorführers abhing, sondern auch von der unbekannten
Reaktion der Klägerin. In Ansehung auch von zu erwartenden erheblichen Schäden
(einschl. Personenschäden) im Falle einer ungebremsten Kollision war damit dem
Traktorfahrer auch bei dem größtmöglichen Sorgfaltsmaßstab nicht anzulasten, dass
er das von ihm geführte Gespann bei Auftauchen des klägerischen PKW im Bereich
der Fahrzeugmitte abbremste.
Unbehelflich sei der Hinweis der
Klägerin auf eine Überbreite des Traktorgespanns, da nach den Feststellungen des
Sachverständigen und vorliegenden Fotos der Traktor mit Anhänger sowie der PKW
der Klägerin im Kurvenbereich gefahrlos hätten aneinander vorbeifahren können.
Dabei sei ferner zu
berücksichtigen, dass das Gespann äußerst rechts geführt wurde und mit einer Geschwindigkeit,
mit der die Kurve auch gefahrlos zu passieren war. Die Ausgangsgeschwindigkeit
hätte nach dem Sachverständigen in einer Größenordnung von 25km/h gelegen, die
Kollisionsgeschwindigkeit im Bereich zwischen 10 und 15 km/h. Eine weitere
Geschwindigkeitsreduzierung (unter 25km/h) sei auch für den Idealfahrer hier
nicht notwendig gewesen, zumal eine noch langsamere Geschwindigkeit die
Gefahren für einen den Traktor nachfolgenden Verkehr sich gerade in dem unübersichtlichen
Kurvenbereich erhöht hätten. Der Traktorfahrer, der äußerst vorsichtig und am
rechten Fahrbahnrand unter Wahrung der gebotenen Kurven- und Höchstgeschwindigkeit
fuhr, hätte mangels erkennbarer vertrauenserschütternder Gründe nicht noch zusätzlich
darauf achten müssen, dass ihm in der Kurve plötzlich ein PKW in Fahrbahnmitte
entgegen kommt.
Allerdings habe die Klägerin
gegen das Rechtsfahrgebot verstoßen, da der Sachverständige festgestellt habe,
dass sich die Klägerin jedenfalls mit der linken Seite des PKW im Bereich der Fahrbahnmitte
befand. Dass ein Überschreiten der Fahrbahnmitte nicht habe festgestellt werden
können, sei für die rechtliche Bewertung des Fehlverhaltens der Klägerin als
Verstoß gegen § 2 Abs. 2 StVO unbeachtlich.
Anmerkung: Da die Berufung nicht
zurückgenommen wurde, wies das OLG in der Folge die Berufung mit Beschluss vom 03.06.2020 nach
§ 522 ZPO zurück.
OLG Köln, Hinweisbeschluss vom 20.04.2020 - I-12 U 190/19 -
Aus den Gründen:
Tenor
1. Der Senat beabsichtigt, die Berufung der Klägerin durch
einstimmigen Beschluss nach § 522 Abs.
2 S. 1 ZPO
zurückzuweisen.
2. Die Klägerin erhält Gelegenheit zur Stellungnahme
binnen 6 Wochen ab Zustellung dieses Beschlusses.
Gründe
I.
Die zulässige Berufung der
Klägerin hat nach der einstimmigen Überzeugung des Senats aus den zutreffenden
Gründen der angefochtenen Entscheidung , die durch das Berufungsvorbringen
nicht entkräftet werden, offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg. Es ist nicht ersichtlich, dass die angefochtene
Entscheidung auf einer Rechtsverletzung beruht (§ 546 ZPO) oder die nach § 529
ZPO zugrunde zu legenden Tatsachen eine andere Entscheidung rechtfertigen (§
513 Abs. 1 ZPO).
Das Landgericht hat die Klag-e zu Recht mit der Begründung abgewiesen , dass nach dem Ergebnis der
durchgeführten Beweisaufnahme mit dem Beweismaß des § 286 ZPO feststeht , dass der Unfall durch ein für
den Beklagten zu 1) unabwendbares Ereignis im Sinne des § 17 Abs. 3 StVG verursacht wurde. Der Senat nimmt Bezug auf die
zutreffenden Ausführungen in der angefochtenen Entscheidung. Das Berufungsvorbringen
rechtfertigt keine andere Bewertung.
1.
Nach § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO ist der Senat
grundsätzlich an die Tatsachenfeststellungen des ersten Rechtszuges gebunden . Diese Bindung entfällt, wenn konkrete Anhaltspunkte
Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit entscheidungserheblicher
Feststellungen begründen und deshalb eine erneute Feststellung gebieten (§ 529
Abs. 1 Nr. 1 ZPO). Konkrete Anhaltspunkte in diesem Sinne sind alle
objektivierbaren rechtlichen oder tatsächlichen Einwände gegen die
erstinstanzlichen Feststellungen.
Zweifel liegen dann vor, wenn aus der für das Berufungsgericht gebotenen Sicht eine gewisse - nicht notwendig
überwiegende - Wahrscheinlichkeit dafür besteht, dass im Fall der Beweiserhebung
die erstinstanzliche Feststellung keinen Bestand haben wird, sich also deren Unrichtigkeit
herausstellt (vgl. zum Ganzen BGH,
Beschluss vom 04. September 2019 - VII ZR
69/17 - , Rn. 11, juris; BGH, Beschluss vom 21. März 2018 - VII ZR 170/17 -, Rh . 15 m.w.N., juris).
In Anwendung dieses Prüfungsmaßstabs sind die unter Würdigang der erstinstanzlich erhobenen
Beweise festgestellten Tatsachen in dem angefochten en Urteil nicht zu beanstanden. Die von der Klägerin mit der
Berufung erhobenen Einwendungen gegen die vom Landgericht gezogenen
Rückschlüsse aus dem Gutachten Dr.
… greifen nicht durch. Wie nachfolgend noch im
Einzelnen aufzuzeigen ist, hat das Landgericht das mündliche Gutachten des Sachverständigen Dr. Möhler vom 11.10.2019 zutreffend gewürdigt.
Entgegen den Ausführungen der Klägerin auf Seite 3 der
Berufungsbegründung (BI.
162) hat nicht der Sachverständige
festzustellen, was der Sachverständige Dr. …. seiner Begutachtung im
Übrigen auch nicht getan, ob der Unfall für den Beklagten zu 1) unabwendbar war
oder die Klägerin das
Rechtsfahrgebot verletzt hat.
Diese rechtliche Bewertung hat allein das Gericht auf der Grundlage der
nach dem Ergebni-s der Beweisaufnahme festgestellten Tatsachen zum Unfallhergang vorzunehmen . Dem ist das Landgericht
rechtsfehlerfrei nachgekommen .
2.
Unter Würdigung des Ergebnisses
der Beweisaufnahme , insbesondere den Feststellungen
des Sachverständigen …,
und aller Umstände ist der Senat
ebenso wie das Landgericht mit dem Beweismaß
des § 286
ZPO überzeugt, dass das Unfallereignis für den Beklagten zu
1) unabwendbar war und deshalb eine Haftung gegenüber der Klägerin gemäߧ 17 Abs. 3 StVG ausgeschlossen ist.
a)
Nach § 17 Abs. 3 StVG ist eine Verpflichtung zum Schadensersatz
ausgeschlossen, wenn der Unfall durch ein unabwendbares Ereignis verursacht
wird, das weder auf einem Fehler in der Beschaffenheit des Fahrzeugs noch auf
einem Versagen seiner Vorrichtungen beruht. Nach der Rechtsprechung des
Bundesgerichtshofs meint der Begriff „unabwendbares Ereignis" nicht absolute
Unvermeidbarkeit des Unfalls, sondern ein schadenstiftendes Ereignis, das auch
bei der äußersten möglichen Sorgfalt nicht abgewendet werden kann (vgl. zu § 7
Abs. 2 StVG a.F.: BGH , Urteil vom 18.
Januar 2005 - VI ZR 115/04 -, Rn.
15 -·
16, juris; BGH , Urteil vom 17. März 1992 - VI ZR 62/91 - , BGHZ 117, 337-345, Rn. 9; BGH, Urteil vom 28. Mai 1985 - VI ZR 258/83 - , Rn. 7, juris). Hierzu gehört ein sachgemäßes, geistesgegenwärtiges Handeln
erheblich über den Maßstab der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt im Sinne von
§ 276 BGB hinaus. Der Schädigei- ist nach dem Zweck des§ 7 Abs. 2 StVG a.F. bzw. des§ 17 Abs. 3 StVG von Schäden freizustellen ,
die sich auch bei vorsichtigem Vorgehen
nicht vermeiden lassen (vgl. zu.§ 7 Abs. 2 StVG a.F.: BGH, Urteil vom 18. Januar 2005 - VI ZR 115/04 - , Rn. 15 - juris;
BGHZ 105, 65,
69; zu § 17 Abs.
3 StVG: Schalten in:
Freymann/Wellner, jurisPK-Straßenverkehrsrecht , 1. Aufl., § 17 StVG (Stand: 28.03.2018) ,
Rn. 11).
Eine absolute Unvermeidbarkeit wird allerdings nicht
gefordert (BGH, Urteil vom 18. Januar 2005 - VI ZR 115/04 - , Rn. 15 - 16 m.w.N., juris) . Auch der an den sogenannten „Idealfahrer" anzulegende
Maßstab muss .menschlichem Vermögen und den Erfordernissen des Straßenverkehrs noch angepasst sein. So gilt auch für ihn
in der Regel der Vertrauensgrundsatz, nach dem sich der Kraftfahrer in gewissem
Umfang darauf verlassen darf, dass andere Verkehrsteilnehmer sich sachgerecht verhalten , solange keine besonderen Umstände
vorliegen , die geeignet sind, dieses Vertrauen zu erschüttern. Derartige besonderen
Umstände muss der „Idealfahrer"
aber sorgfältiger und kritischer als der Durchschnittsfahrer beobachten und
seine Fahrweise darauf einstellen (BGH, Urteil vom 28. Mai 1985 - VI ZR 258/83 - , Rn. 7, juris; OLG Karlsruhe,
Urteil vom 10. September 2018 - 1 U 155/17
- , Rn. 28, juris) . Dabei darf sich die Prüfung nicht auf die Frage
beschränken,
ob
der Fahrer in der konkreten Gefahrensituation wie ein „Idealfahrer" reagiert
hat, vielmehr ist sie auf die
weitere Frage zu erstrecken, ob ein „Idealfahrer" übe,rhaupt in eine solche
Gefahrenlage geraten wäre; der sich aus einer abwendbaren Gefahrenlage entwickelnde
Unfall wird nicht dadurch unabwendbar, dass sich der Fahrer in der Gefahr nunmehr (zu spät)
,,ideal" verhält. Damit verlangt der Haftungsausschluss, dass der „Idealfahrer" in seiner Fahrweise
auch die Erkenntnisse berücksichtigt, die nach allgemeiner Erfahrung geeignet sind, Gefahrensituationen nach
Möglichkeit zu vermeiden (zu § 7 Abs. 2 a.F.: BGH, Urteil vom 13. Dezember 2005 - VI ZR 68/04
- , Rn. 21, juris; BGH, Urteil vom 17. März 1992-VI ZR 62/91 - , BGHZ 117, .337-345 ,
Rn.
11, juris;. zu § 17 Abs. 3 StVG: Schalten
in: Freymann/Wellner, jurisPK Straßenverkehrsrecht , 1.
Aufl., § 17 StVG (Stand: 28.03.2018),
Rn. 15).
Diese
vom Bundesgerichtshof zu§ 7 Abs. 2 StVG a.F. entwickelten Grundsätze sind auf § 17 Abs. 3 StVG weiter anzuwenden (vgl.
ohne Begründung OLG Karlsruhe, Urteil vom 10. September 2018 - 1 U 155/17 - , Rn. 28, juris). Im Verhältnis zwischen
motorisierten Verkehrsteilnehmern ergibt sich durch die Neuregelung in § 17
Abs. 3 StVG insofern nichts Neues (Schalten in: Freymann/Wellner, jurisPK Straßenverkehrsrecht , 1. Aufl., § 17 StVG (Stand: 28.03.2018), Rn. 13). Insbesondere wurde der Begriff
des unabwendbaren Ereignisses übernommen.
b) Gemessen an diesen Grundsätzen hat das Landgericht aufgrund der überzeugenden Feststellungen des Sachverständigen Dr.
… zu Recht · festgestellt , dass das Unfallereignis für den
Beklagten zu 1) auch bei Anwendung der äußersten Sorgfalt unabwendbar war. Sowohl die Reaktion des Beklagten zu 1) unmittelbar vor
der Kollision als auch sein
Verhalten vor der
Gefahrensituation wird dem anzulegenden Maßstab an
einen sog. Idealfahrer unter Berücksichtigung von menschlichem Vermögen und den
Erfordernissen des Straßenverkehrs
gerecht.
aa) Das starke Abbremsen des
Traktorzugs stellte eine sachgemäße Reaktion dar, die in der konkreten
Situation höchsten Sorgfaltsanforderungen gerecht wird, auch wenn hierdurch der Traktor
trotz ABS und Anhängerbremse in Richtung Fahrbahnmitte getragen und damit die
Kollision verursacht wurde. Nach den überzeugenden Feststellungen des Sachverständigen
befand sich das von der Klägerin geführte Fahrzeug vor dem Unfallereignis mit
seiner linken Seite im Bereich der gedachten Fahrbahnmitte. Der Sachverständige konnte dies
anhand der von ihm ausgewerteten
Fotos eindeutig feststellen . Konkrete
Einwendungen gegen die .diesbezüglichen Feststellungen des
Sachverständigen …., dessen Fachkunde gerichtsbekannt ist und
von der Klägerin nicht angezweifelt wird, werden mit der Berufung nicht erhoben. Selbst wenn die Klägerin nach
der Einfahrt in die Kurve die gedachte Fahrbahnmitte nicht überschritten haben
sollte, wovon das Landgericht in seiner
Begründung ausgegangen ist, wird die Bremsreaktion des
Traktorfahrers den an einen sog. Idealfahrer z·u stellenden Sorgfaltsanforderungen gerecht. Nach den insofern übereinstimmenden Angaben . der Klägerin , des Beklagten zu 1) urid der Zeugin … in der mündlichen
Verhandlung vor dem
Landgericht am 22.02.2019 standen sich die Fahrzeuge der Parteien
plötzlich in der Kurve gegenüber und ein Ausweichen nach rechts war für den
Traktorzug aufgrund eines Felsvorsprungs nicht möglich. Um die im Fall eines .ungebremsten Zusammenstoßes
drohenden schwerwiegenden Folgen für Leib 1,md Leben vor allem der Insassen des Pkw abzuwenden , hätte auch ein überaus
sorgfältiger und geistesgegenwärtiger „Idealfahrer"
in der konkreten Gefahrensituation den Traktorzug stark abbremst.
Der Annahme einer idealen Reaktion steht nicht entgegen,
dass der Unfall nach den Feststellungen des
Sachverständigen
ohne ein
Abbremsen des Traktorzuges tatsächlich zu vermeiden gewesen wäre. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob einem Kraftfahrer
im Rahmen der Entlastung nach § 17 Abs 3 StVG eine falsche Reaktion im ersten Schrecken zuzubilligen ist (so
BGH, Urteil vom 23. September 1986 - VI ZR 136/85
- , juris zu§ 7 Abs 2 StVG a.F.). Denn auch ein „Idealfahrer" hätte nach menschlichem Vermögen in der konkreten
Gefahrensituation nicht sicher erkennen können , dass
ohne sein Abbremsen eine Kollision tatsächlich verhindert worden wäre. Dies folgt schon daraus, dass
die Vermeidung einer Kollision nicht allein von
der eigenen Reaktion
des Traktorführers,
sondern wesentlich auch von dem Verhalten des
entgegenkommenden Fahrzeugführers abhing . Dieses
war in der Kürze der Reaktionszeit für den Traktorfahrer nicht sicher
vorherzusehen. Angesichts der zu erwartenden erheblichen Schäden - auch
Personenschäden - im Fall einer ungebremsten Kollision der Fahrzeuge ist unter
Abwägung · aller Umstände dem Beklagten zu 1) deshalb selbst unter
Anlegung eines größtmöglichen
Sorgfaltsmaßstabs nicht vorzuwerfen , dass er den Traktorzugaufgrund des
plötzlichen Auftauchens des klägerischen Fahrzeugs im Bereich der Fahrzeugmitte
stark abbremste . Ohne Bedeutung
für die rechtliche Bewertung des
Reaktionsverhaltens des Beklagten zu 1) als „ideal" ist, dass die Klägerin ihr Fahrzeug
ebenfalls abbremste. Dies folgt schon daraus, dass durch das Abbremsen der Klägerin die Nähe
ihres Fahrzeugs zur Fahrbahnmitte und damit
die Gefahrensituation für den Traktorführer nicht beseitigt wurden.
bb) Nach dem Ergebnis der erstinstanzlichen Beweisaufnahme
steht zudem fest, dass auch ein „Idealfahrer" des Traktorzuges in die konkrete
Gefahrenlage geraten wäre, die dadurch verursacht wurde, dass die Klägerin die Kurve im
Bereich der Fahrbahnmitte befuhr. Der Beklagte zu 1) durfte mit dem streitgegenständlichen
Traktorzug die Landstraße mit den dort vorhandenen Kurven befahren.
Unbehelflich sind in diesem Zusammenhang die Ausführungen der Klägerin zu einer
„ü berbreite" des Traktorzugs . Nach den Ausführungen des
Sachverständigen und den auf den Fotos erkennbaren Örtlichkeiten besteht kein
Zweifel,
dass
der Traktorzug und der Personenkraftwagen der Klägerin nach ihren
Fahrzeugbreiten die Kurve gefahrlos in entgegengesetzten Fahrrichtungen
nebeneinander hätten passieren können.
Die konkrete Gefahrensituation in der Kurve durch das
entgegenkommende Fahrzeug der Klägerin im Bereich der Fahrzeugmitte war für den
Beklagten zu 1) auch bei der von ihm angewandten äußerst vorsichtigen Fahrweise· nicht vermeidbar. Der Sachverständige hat
unter sorgfältiger Auswertung
der von ihm
anhand der Fotos ermittelten
Spuren sicher festgeste llt, dass der Traktorzug unmittelbar vor der Kollision am
äußerst rechten Fahrbahnrand geführt wurde. Außerdem hat der Sachverständige eindeutig die
Frage bejaht,
dass
der Beklagte zu 1) den Traktorzug mit einer Geschwindigkeit in die Kurve geführt hat, mit der er die Kurve gefahrlos
hätte befahren können. Der Sachverständige hat ausgeführt (Seite 3 des
Sitzungsprotokolls vom 11.10.2019, BI. 118), dass die
Kurvengrenzgeschwindigke it für den Traktorzug deutlich über
der von ihm errechneten Geschwindigkeit
gelegen habe. Die Ausgangsgeschwindigkeit des
Traktorzuges hat der Sachverständige nachvollziehbar in einer Größenordnung von
25 km/h berrechnet. Er bewertete insofern fachkundig den Spurzeichnungsbeginn
des Traktorzugs und die von ihm festgestellte Kollisionsgeschwindigkeit des
Traktors zwischen 10 km/h und 15 km/h. Entgegen der Rüge der Klägerin
ist unschädlich, dass der Sachverständige die Geschwindigkeit des
Traktorzuges nicht exakt, sondern nur in einer „Größenordnung von 25 km/h" bestimmen konnte. Denn auch bei einer „Größenordnung von 25 km/h" lag die tatsächliche
Geschwindigkeit deutlich unter der zulässigen Höchstgeschwindigkeit.
Außerdem besteht nach der gebotenen Gesamtwürdigung der Feststellungen des
Sachverständigen kein Zweifel, dass der Traktorzug die Kurve mit der tatsächlich gefahrenen
Geschwind igkeit ohne das Entgegenkommen
des klägerischen Fahrzeugs im Bereich der Fahrzeugmitte sicher hätte
durchfahren können, da der Sachverständige von einer
„deutlichen" Unterschreitung der
Kurvengrenzgeschwindigkeit ausgeht.
cc) Eine weitere Reduzierung der Geschwindigkeit des
Traktorzugs vor der Einfahrt in die Kurve war auch für einen „Idealfahrer" nicht geboten.
(1) Eine Geschwindigkeit von rund 25 km/h auf einer Landstraße
ist im Vergleich zur dort zugelassenen
Höchstgeschwindigkeit ohnehin als
niedrig einzuschätzen . Ein ·noch langsameres Befahren der Landstraße mit dem Traktorzug
kann insofern die Gefahren für den dem Traktorzug nachfolgenden Verkehr, gerade in dem
unübersichtlichen Kurvenbereich, erhöhen. Auch diesen
Umstand wird ein „Idealfahrer" bei der
Bemessung der angemessenen Geschwindigkeit berücksichtigen.
(2) Auch der “Idealfahrer " eines Traktorzugs muss seine äußerst
vorsichtige Fahrweise am rechten Fahrbahnrand unter Wahrung der gebotenen
Kurven- und Höchstgeschwindigkeit nicht noch zusätzlich darauf ausrichten , dass ihm in der Kurve plötzlich
ein Personenkraftwagen in der Nähe der Fahrbahnmitte entgegenkommt. Vielmehr darf er grundsätzlich darauf
vertrauen , dass ein entgegenkommende Fahrzeugführer - wie er selbst - im
Kurvenbereich das Rechtsfahrgebot beachtet. Besondere Umstände, die geeignet wären, dieses Vertrauen zu erschüttern, liegen nach dem Ergebnis der
Beweisaufnahme nicht vor. Entgegen den mit der Berufung erhobenen Einwendungen hat
das Landgericht zu Recht auf der Grundlage der Feststellungen des
Sachverständigen Dr. Möhler einen Verstoß der Klägerin gegen das
Rechtsfahrgebot festgestellt.
(a)
Gemäß § 2 Abs. 2 StVO ist möglichst weit rechts
zu fahren, nicht nur bei Gegenverkehr , beim Überholtwerden, an Kuppen , in Kurven oder bei
Unübersichtlichkeit. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist das
Rechtsfahrgebot des § 2 Abs. 2 StVO, wie schon der Wortlaut (,,möglichst weit rechts") erkennen lässt, nicht starr (BGH,
Urteil vom 09. Juli 1996 - VI ZR 299/95 -, Rn . 7 - 8, juris; BGH, Urteil vom 20.
Februar 1990 - VI ZR 124/89 -, juris m.w.N.). Was „möglichst weit rechts " ist, hängt von der Örtlichkeit, der Fahrbahnart und -
beschaffenheit, der Fahrgeschwindigkeit, den Sichtverhältnissen , dem Gegenverkehr und anderen Umständen ab. Dabei hat der Kraftfahrer einen gewissen Beurteilungs freiraum , solange er sich so weit rechts hält, wie es im konkreten Fall im
Straßenverkehr „vernünftig" ist (vgl. BGH, Urteil vom 20. Februar 1990 - VI ZR 124/89 -, juris m.w.N.). Dieser Beurteilungsfreiraum entfällt indes dann, wenn - wie etwa an Kuppen oder
in Kurven - die Strecke unübersichtlich ist. In diesen Fällen muss der
Fahrer die äußerste rechte Fahrbahnseite einhalten, weil die Gefahr besteht, dass die Un.übersichtlichkeit
der Strecke ein rechtzeitiges Ausweichen nach rechts vor einem plötzlich
auftauchenden Hindernis nicht mehr zulässt (vgl. zum Ganzen BGH, Urteil vom 09.
Juli 1996 - VI ZR 299/95 - , Rn. 7 - 8, juris; Thüringer Oberlandesgericht , Urteil vom 24. April 2018 - 5 U 103/17 - , Rn. 15, juris) .
(b)
Gemessen daran hat die Klägerin gegen das Rechtsfahrgebot
verstoßen unabhängig davon, ob ihr Fahrzeug die gedachte Fahrbahnmitte überschritten
hat. Denn der Sachverständige hat auf der Grundlage der von ihm ausgewerteten
Spurenlage eindeutig festgestellt (Seite 2 des Sitzungsprotokolls vom 11.10.2019 , BI. 117 R), dass sich der Pkw der Klägerin vor dem Unfallereignis mit seiner linken Seite im Bereich der gedachten
Fahrbahnmitte bewegt hat. Ein Vermeidungspotenzial hätte für die Klägerin darin
bestanden, ihr Fahrzeug
am äußerst rechten Fahrbahnrand zu führen.
Danach steht
zur Überzeugung des
Senats fest, dass die Klägerin
ihr Fahrzeug im Kurvenbereich nicht an der äußerst rechten Fahrbahnseite
geführt hat, wie dies in Anwendung der · vorzitierten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur Einhaltung des
Rechtsfahrgebotes erforderlich gewesen
wäre. Dass eine Überschreitung der gedachten Fahrbahnmitte von dem Sachverständigen
nicht festgestellt werden konnte,
ist für die rechtliche Bewertung des Fahrverhaltens der Klägerin als Verstoß gegen § 2 Abs. 2 StVO ohne Relevanz .
3.
Steht nach alledem zur
Überzeugung des Senats mit der erforderlichen Sicherheit gemäß § 286 ZPO fest, dass der streitgegenständliche Unfall für die Beklagten
durch ein unabwendbares Ereignis im Sinne des § 17 Abs. 3 StVG verursacht wurde, kommt es auf eine Abwägung der
Verursachungsbeiträge gemäß § 17 Abs. 2 StVG und dabei auf das Ausmaß des
Fehlverhaltens der Klägerin und auf die Betriebsgefahr des
streitgegenständlichen Traktorzugs nicht an.
II.
Die weiteren Voraussetzungen des § 522 Abs. 2 ZPO liegen
vor.
Die
Bedeutung der Sache geht nicht über den Einzelfall mit seinen besonderen
Ausprägungen hinaus. Auch erfordern die Fortbildung des Rechts oder die
Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des
Berufungsgerichts aufgrund mündlicher Verhandlung nicht. Eine mündliche
Verhandlung vor dem Senat" ist auch im Übrigen nicht geboten.
III.
Die
Klägerin erhält Gelegenheit, binnen 6 Wochen ab Zustellung dieses Beschlusses
zu den Hinweisen des Senats Stellung zu nehmen.
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