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Mittwoch, 9. Oktober 2024

Haftungsquote bei Kollision mit geöffneter Fahrzeugtür

Das Beklagtenfahrzeug parkte in einer am rechten Fahrbahnrand belegenen Parkbucht. Bei der Vorbeifahrt kollidierte das Klägerfahrzeug mit der hinteren linken (geöffneten) Tür des Beklagtenfahrzeugs. Das Landgericht wies die auf Schadensersatz gerichtete Klage ab. Das Berufungsgericht nahm eine Haftungsverteilung vor.

Das Berufungsgericht schloss sich der vom Erstgericht vertretenen Auffassung an, dass sowohl die Kläger- wie auch die Beklagtenseite für die Folgen des Unfalls gem. §§ 7, 17, 18 StVG iVm. 115 VVG einzustehen hätte, da die Unfallschäden jeweils bei dem Betrieb eines Kraftfahrzeuges entstanden seien und für keinen der beteiligten Fahrer ein unabwendbares Ereignis iSv. § 17 Abs. 3 StVG darstelle.

Richtig habe auch das Erstgericht im Rahmen der danach nach § 17 Abs. 1 StVG vorzunehmenden Haftungsverteilung einen Verstoß der Beklagten zu 2. Gegen § 14 S. 1 StPO angenommen habe, sei dies ebenfalls zutreffend. Wer ein- oder aussteigt müsse sich gem. § 14 S. 1 StPO so verhalten, dass eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen sei. Die Norm würde dem fließenden Verkehr schützen und verlange vom Aussteigenden ein Höchstmaß an Sorgfalt. Diese Sorgfaltsanforderung ende beim Einsteigen erst mit dem Schließen der Tür und beim Aussteigen erst mit dem Schließen der Tür du dem Verlassen der Fahrbahn. Situationen beim Ein- oder Aussteigevorgang bei geöffneter Tür würden davon auch umfasst, so auch ein beugen in das Fahrzeug, um Gegenstände auszuladen (BGH, Urteil vom 06.10.2009 - VI ZR 316/08 -). Ein Aussteigen zur Fahrbahnseite müsste so schnell wie möglich wegen der damit verbundenen besonderen Gefahrensituation durchgeführt werden und die Tür dürfe dabei nicht länger offengelassen werden als unbedingt notwendig (OLG Celle, Urteil vom 04.12.2019 - 14 U 127/19 -).  

Käme es im unmittelbaren zeitlichen und örtlichen Zusammenhang mit dem Ein- oder Aussteigevorgang zu einer Kollision mit dem fließenden Verkehr, spreche der Beweis des ersten Anscheins für eine fahrlässige Sorgfaltspflichtverletzung des Ein- bzw. Aussteigenden (BGH aaO.).

Ein zu geringer Seitenabstand würde den Anscheinsbeweis nicht bereits erschüttern. Zwar habe der BGH aaO. offengelassen, ob in einem solchen Fall der Anscheinsbeweis erschüttert sei, wenn sich der Aus-/Einsteigende bei dem Vorgang vergewisserte, dass sich kein rückwärtiger Verkehr nähere und der Unfall einzig auf den geringen Seitenabstand zurückzuführen sei. Hier allerdings läge der Fall anders, da die Zweibeklagte kein herannahendes Fahrzeug gesehen haben will obwohl sie sich nach dem rückwärtigen Verkehr vergewissert habe, der Sachverständige allerdings feststellt habe, dass sie in diesem Fall das klägerische Fahrzeug zu sehen gewesen wäre. Zudem ließe sich der Einlassung der Zweitbeklagten nicht entnehmen, dass sie nicht nur bei Öffnen der Tür, sondern fortwährend auch danach über rückwärtigen Verkehr vergewisserte, um ggf. die Tür wieder zu schließen

Das Erstgericht hatte einen unfallursächlichen Verstoß auf Klägerseite gegen § 1 Abs. 2 StVO wegen eines unzureichenden Seitenabstandes beim Vorbeifahren angenommen, da die geöffnete Tür zu sehen gewesen sei.  Dies sah das Berufungsgericht als zweifelhaft an, da offen se, ob die Tür im Zeitraum der Vorbeifahrt weiter geöffnet wurde und ob der der Klägerseite zur Verfügung stehende Verkehrsraum überhaupt einen weiteren Seitenabstand zugelassen habe. Dies ließ das Berufungsgericht offen, da auch bei einem unzureichenden Seitenabstand im Rahmen der Haftungsabwägung der klägerische Haftungsanteil allenfalls – wie von der Berufung zugrunde gelegt – der klägerische Haftungsanteil 50% betrage. Ein höherer Haftungsanteil scheide aus, da nicht auszuschließen sei, dass die Tür unmittelbar vor der Kollision weiter geöffnet wurde und von daher nicht feststehen würde, dass der Fahrer des klägerischen Fahrzeugs die wesentliche Ursache für die Kollision gesetzt habe.

OLG Saarbrücken, Urteil vom 05.07.2024 - 3 U 16/24 -

Sonntag, 25. Februar 2024

Haftung für Kollision bei Abbiegen in mehrspurige Straße

Der Kläger wollte nach links in eine doppelspurige Straße einbiegen, der beklagte Fahrer (nachfolgend Beklagter), der aus der Gegenrichtung kam, nach rechts. Der Kläger wollte auf der linken der durch eine unterbrochene Linie getrennten Fahrspuren auffahren, allerdings der Beklagte auch, weshalb die Fahrzeuge kollidierten. Das Landgericht hatte die Klage abgewiesen.

Das OLG stimmte im Berufungsverfahren dem Landgericht zu, dass sowohl der Kläger als auch die Beklagtenseite grundsätzlich nach §§ 7, 17, 18 StVG für den Schadensfall einstandspflichtig seien, da der Unfall bei den Betrieb von Kraftfahrzeugen entstanden sei und weder auf höhere Gewalt zurückzuführen sie noch für einen der Beteiligten ein unabwendbares Ereignis iSv. § 17 Abs. 3 StVG darstelle. 

Der Kläger habe gegen § 9 Abs. 4 StVO verstoßen. Danach müsse ein Linksabbieger entgegenkommende Fahrzeuge, die ihrerseits nach rechts abbiegen wollten, durchfahren lassen. Es würden die gleichen Grundsätze gelten wie für die Begegnung mit einem auf einer bevorrechtigten Straße fahrenden Fahrzeug.  Damit habe der Kläger die ihm als Linksabbieger nach § 9 Abs. 4 StVO treffende Wartepflicht nicht beachtet. Er hätte zunächst den Abbiegevorgang des Beklagten abwarten müssen. Dabei käme es nicht darauf an, ob er von einer engen Bogenfahrt des Beklagtenfahrzeugs ausgegangen sei, welches auf der rechten Fahrspur weiterfahren wolle, denn diese Annahme sei nicht schutzwürdig. Wer nach links in eine Straße mit mehreren Fahrstreifen abbiege, dürfe grundsätzlich nicht darauf vertrauen, ei entgegenkommender Rechtsabbieger würde nur die rechte Fahrspur nutzen. 

Auch käme es nicht darauf an, dass der Kläger zum Zeitpunkt der Kollision (nach den Feststellungen eines gerichtlich bestellten Sachverständigen) bereits eine gerade Fahrposition auf der linken Fahrspur eingenommen habe, während sich das Beklagtenfahrzeug noch in Schrägstellung befunden habe. Der Unfall habe sich nach sachverständiger Feststellung in Höhe des Fußgängerüberwegs, der den unmittelbaren Kreuzungsbereich aus Klägersicht nach links begrenzt habe, ereignet und das Klägerfahrzeug habe seine Kollisionsstellung erst kurz zuvor erreicht.  Der enge räumliche und zeitliche Zusammenhang zwischen dem Linksabbiegevorgang des Klägers und dem Unfall verdeutliche, dass eine Beeinträchtigung des bevorrechtigten Beklagten durch den Kläger gerade nicht auszuschließen gewesen sei; Unsicherheiten zur Einschätzung der Verkehrslage gingen zu seinen Lasten (LG Potsdam, Urteil vom 10.03.2008 - 7 S 120/07 -). 

Der Beklagte habe auch nicht gegen § 7 Abs. 5 StVO verstoßen. Dass er die rechte Fahrspur passieren musste, um auf die linke Fahrspur zu gelangen, stelle keinen Fahrstreifenwechsel im Sinne der Norm dar. Der Vorrang des Beklagten umfasse auch die Wahl zwischen den beiden Fahrspuren (LG Hamburg, Urteil vom 06.09.2021 - 306 S 85/19 -). Deshalb läge auch kein Verstoß gegen das Gebot, sich rechts einzuordnen (§ 9 Abs. 1 S. 2 StVO), oder das Rechtsfahrgebot (§ 2 Abs. 2 StVO)  vor. 

Allerdings läge bei dem Beklagten ein Sorgfaltsverstoß gem. § 1 Abs. 2 StVO vor. Für ihr sei ersichtlich gewesen, dass der Kläger seiner Wartepflicht nach § 9 Abs. 4 S. 1 StVO nicht genügen würde. Davon habe er spätestens auszugehen gehabt, als der Kläger, nachdem er bereits die für Linksabbieger vorgesehene Wartelinie ohne anzuhalten passiert habe, auch die gestrichelte Begrenzungslinie der linken Fahrspur im Bereich der Kreuzungsmitte überfahren habe. 

Das OLG musste daher eine Abwägung der gegenseitigen Verursachungsbeiträge  nach § 17 Abs. 1 StVG vornehmen. Die Nichtbeachtung der Wartepflicht des Linksabbiegers stelle regelmäßig einen Besonders schwerwiegenden Verkehrsverstoß dar. Dahinter würde aber die Betriebsgefahr des Beklagtenfahrzeugs hier nicht zurücktreten. Der Beklagte sei zwar bevorrechtigt gewesen. Er habe aber eine Gefahr dadurch gesetzt, dass er nicht weiter auf das aus der Gegenrichtung abbiegende Kraftfahrzeug geachtet habe, obwohl dies bei dem von ihm beabsichtigten Wechsel unmittelbar auf die linke Fahrspur in höherem Maße geboten gewesen wäre, als bei einem Wechsel auf die rechte Fahrspur. Allerdings wiege dieser verstoß weniger schwer als die Verletzung der Wartepflicht (Vorfahrtsverstoß) des Klägers, weshalb sich eine Haftungsverteilung im Verhältnis 70% zu 30% zu Lasten des Klägers ergäbe. 

Saarländisches Oberlandesgericht Saarbrücken, Urteil vom 20.10.2023 - 3 U 49/23 -

Sonntag, 4. Februar 2024

Vorsicht beim Vorbeifahren an Müllfahrzeugen - Mithaftung

Das Fahrzeug der Klägerin fuhr an einem in der Gegenrichtung auf der aus ihrer Sicht linken Straßenseite stehenden Müllfahrzeug der Beklagten vorbei, welches dort mit laufenden Motor, laufender Trommel/Schüttung und eingeschalteten gelben Rundumleuchten sowie Warnblinkanlage stand. Dabei kollidierte sie mit Müllcontainer, der von einem Mitarbeiter der Beklagten quer über die Straße geschoben wurde. Das Landgericht gab der auf Schadensersatz gerichteten Klage im Verhältnis einer Haftungsquote von 50 : 50 statt. Auf die Berufung der Klägerin änderte das OLG das Urteil dahingehend insoweit ab, als es eine Schadenquote zugunsten der Klägerin von 25% zu Lasten der Klägerin, 75% zu Lastend er Beklagten annahm. Die von der Beklagten eingelegte (vom OLG zugelassene) Revision, mit der diese die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils begehrte, war insoweit erfolgreich, als das Urteil des OLG aufgehoben und der Rechtsstreit an dieses zurückverwiesen wurde.

Der BGH reklamierte, dass vom OLG in die Abwägung der Verschuldens- und Verursachungsbeiträge nach § 17 Abs. 2 StVG einen Verstoß der Fahrerin des klägerischen Fahrzeugs nach §§ 1, 3 Abs. 1 StVO nicht eingestellt hatte.

Grundsätzlich habe die Klägerin einen Anspruch aus § 7 StVG. Die Beschädigung sei „bei dem Betrieb eines Kraftfahrzeuges iSv. § 7 Abs. 1 StVG erfolgt. Bei Fahrzeugen mit Arbeitsfunktion sei dazu ein Zusammenhang mit der Bestimmung als eine der Fortbewegung und dem Transport dienenden Maschine erforderlich. Das Schadensgeschehen müsse durch das Fahrzeug (mit) geprägt werden. Es müsse sich um eine Auswirkung derjenigen Gefahren handeln, für die nach dem Sinn der Haftungsvorschrift schadlos gehalten werden soll.  Maßgeblich käme es darauf an, dass die Schadenursache in einem nahen örtlichen und zeitlichen Zusammenhang mit einem bestimmten Betriebsvorgang oder einer bestimmten Betriebseinrichtung des Kraftfahrzeuges stünde. Eine Haftung nach § 7 StVG entfalle bei Kraftfahrzeugen mit Arbeitsfunktion entfalle jedenfalls dann, wenn die Fortbewegungs- und Transportfunktion keine Rolle mehr spiele und sie nur als Arbeitsmaschine eingesetzt würde oder sich die Gefahr aus einem gegenüber der Betriebsgefahr eigenständigen Gefahrenkreis verwirklicht habe. So läge ein „Betrieb“ auch dann vor, wenn das Fahrzeug, ggf. mit einer speziellen Entladevorrichtung, entladen würde. In diesen Fällen würde der Halter auch für die Gefahr dann haften, die das Kraftfahrzeug in dem in Anspruch genommenen Verkehrsraum für andere Verkehrsteilnehmer darstelle, wobei nicht dies nicht nur für die Gefahr durch das entladende Fahrzeug gelte, sondern auch die Gefahr, die von der Entladevorrichtung und dem Ladegut ausgehe (BGH, Urteil vom 08.12.2015 - VI ZR 139/15 -). Vorliegend handele es sich bei dem Müllwagen zwar um ein Kraftfahrzeug mit Arbeitsfunktion, doch stünde der Unfall in einem haftungsrechtlich relevanten Zusammenhang mit der Bestimmung des Müllfahrzeuges als eine dem Transport dienende Maschine, wobei zur Erfüllung der Transportfunktion die Mülltonnen zum Fahrzeug zum Entleeren und wieder zurückgebracht werden müssten. Damit läge eine Zurechnung zu den Gefahren nach § 7 StVG vor.

Die Haftungsverteilung nach § 17 Abs. 2 StVG habe aufgrund aller festgestellten, d.h. zugestandenen oder nach § 286 ZPO erwiesenen Umstände zu erfolgen. In erster Linie sei dabei das Maß der Verursachung entscheidende, ein weiterer Faktor sei das beidseitige Verschulden.

Da das Entleeren und Zurückbringen der Müllcontainer zum Betrieb des Fahrzeugs gehöre, begründe ein unfallursächlicher Verstoß der Beklagten gegen die StVO eine Erhöhung der Betriebsgefahr des Müllfahrzeugs, was bei der Abwägung zugunsten der Klägerin zu berücksichtigen sei. Die Privilegierung von Fahrzeugen der Müllabfuhr nach § 35 Abs. 6 S. 1 StVO durch Einräumung von Sonderrechten befreie nicht von den übrigen Vorschriften der StVO. Hier sei der Beklagten ein Verstoß gegen § 1 Abs. 2 StVO borzuwerfen, da deren Mitarbeiter einen großen, schweren Müllcontainer quer über die Straße geschoben habe, ohne auf den Verkehr zu achten. Hätte er ihn nicht geschoben sondern gezogen, wäre das klägerische Fahrzeug für ihn erkennbar gewesen. In der gefahrenträchtigen Situation sei es geboten gewesen, den Container zu ziehen, statt ihn zu schieben. Weiterhin läge eine Erhöhung der Betriebsgefahr für das Müllfahrzeug durch dessen Größe und der dadurch bedingten Sichtbeeinträchtigung, die sich auf den Unfall ausgewirkt hätten, vor.

Während insoweit der BGH insoweit den Erwägungen für das Müllfahrzeug folgte, sah es die Erwägungen dazu nicht als zutreffend an, demzufolge der Fahrerin des klägerischen Fahrzeugs kein die Betriebsgefahr des Fahrzeugs erhöhender Verstoß gegen die StVO vorzuwerfen sei.

Bei der Vorbeifahrt an einem im Einsatz befindlichen Müllfahrzeug sei besondere Vorsicht und Rücksichtnahme geboten, um die Müllwerker nicht zu gefährden. Zwar gelte der Vertrauensgrundsatz, dass derjenige, der sich verkehrsgerecht verhalte, auch damit rechnen dürfe, dass andere Verkehrsteilnehmer den Verkehr nicht durch pflichtwidriges Verhalten gefährden, solange die sichtbare Verkehrslage keine andere Beurteilung zulasse. Zu den Ausnahmen vom Vertrauensgrundsatz würden nicht nur rechtzeitig wahrnehmbare Verkehrswidrigkeiten Dritter zählen, sondern auch solche die möglicherweise noch nicht erkennbar seien, mit denen aber ein gewissenhafter Fahrer pflichtgemäß rechnen müsse (BGH, Urteil vom 15.05.1973 - VI ZR 62/72 -).

Da das Hauptaugenmerk des Müllwerkers auf die Arbeit gerichtet sei, diese in möglichst kurzer Zeit auf kurzen Wegen zu verrichten, dürfe der an einem Müllfahrzeug Vorbeifahrende nicht auf ein verkehrsgerechtes Verhalten des Müllwerkers vertrauen. Mit einem unachtsamen Hervortreten und einer Bewegung einige Schritte seitlich neben das Müllfahrzeug müsse er rechnen. Lasse sich ein ausreichender Sicherheitsabstand zum Müllfahrzeug zur Vermeidung von Gefährdungen hinter dem Müllfahrzeug Hervortretender nicht einhalten, so sei die Geschwindigkeit gem. §§ 1, 3 Abs. 1 S. 2 StVO so weit zu drosseln, dass der Vorbeifahrende sein Fahrzeug notfalls sofort zum Stillstand bringen könne (so bereits für Linienbusse vor Schaffung von § 20 StVO BGH, Urteil vom 10.04.1968 - VI ZR 145/65 -).  Zwar bestünde nicht wie in § 20 StVO für öffentliche Verkehrsmittel und Schulbusse oder wie in § 3 Abs. 2a StVO für Kinder, Hilfsbedürftige und ältere Menschen eine besondere Regelung zu einer Vorbeifahrt an Müllfahrzeugen, doch ergäben sich hier die entsprechenden Anforderungen aus §§ 1, 3 Abs. 1 S. 2 StVO und den Einschränkungen zum Vertrauensgrundsatz.

Hier habe der seitliche Abstand zwischen dem klägerischen Fahrzeug und dem Müllfahrzeug allenfalls rund 50 cm bemessen, weshalb die festgestellte Geschwindigkeit des klägerischen Fahrzeugs zu hoch gewesen sei, um das Fahrzeug notfalls - insbesondere bei einem plötzlichen Hervortreten eines Müllwerkers, auch bei einem Abstand von unter 5 m zwischen Fahrzeug du Gefahrenpunkt - zum sofortigen Stillstand zu bringen.

Im Rahmen der neuen Entscheidung durch das OLG sei von diesem im Rahmen tatrichterlicher Würdigung eine neue Abwägung nicht nur unter Berücksichtigung des Verkehrsverstoßes der Beklagten, sondern auch der Klägerin vorzunehmen.

Anmerkung: Das Urteil des BGH wird künftig die Leitlinie bei Unfällen entsprechender Art bei Müllfahrzeugen sein. Es fragt sich allerdings, weshalb der Gesetzgeber in §§ 20 und 3 Abs. 2a StVO für bestimmte Fälle Vorschriften schuf, wenn doch – folgt man der Diktion des BGH – ohnehin über §§ 1, 3 Abs. 1 S. 2 in Verbindung mit der Einschränkung des Vertrauensgrundsatzes diese Einschränkung besteht; der BGH festigte damit seien Rechtsprechung zur Einschränkung des Vertrauensschutzes in seinem Urteil vom 04.04.2023 - VI ZR 11/21 - (Überqueren der Fahrbahn durch Fußgänger und Annahme, dieser werde an der Mittellinie stehen bleiben). Weitergehend wird man wohl kaum diese Entscheidung auf Müllfahrzeuge beschränken können, da eine ähnliche Situation z.B. im Rahmen von Umzugswagen bei dem Ein- bzw. Ausladen von Möbeln, bei Getränkelieferanten für das Ein- und Ausladen von Getränkekisten bestehen.

BGH, Urteil vom 12.12.2023 - VI ZR 77/23 -

Montag, 30. Oktober 2023

Haftung bei auffahren eines Radfahrers auf Pkw

Der Kläger nahm mit seinem Rennrad an einem Zeitfahren seines Radsportvereins teil. Die Strecke führte über öffentliche, nicht für den übrigen Verkehr gesperrte Straßen. An der S-Straße schloss der Kläger annähernd zum Zeugen B. auf. Zu dieser Zeit fuhr der Kläger mit seinem Pkw Opel Astra ebenfalls die S-Straße in gleicher Fahrtrichtung mit ca. 30 km/h. Im weiteren verlauf der Straße wurde die Höchstgeschwindigkeit auf 40 km/h beschränkt. Ob der Kläger nach links zu einer Sportanlage abbiegen wollte, war streitig. Der Zeuge B. setzte zum Überholen des Pkw an. Der Kläger befand sich noch einige Meter hinter dem Zeugen B., wollte aber auch überholen. Kurz vor Beendigung des Überholvorgangs kollidierte der Zeuge B. mit der linken vorderen Ecke des Pkw (aus unklaren Grund) und stürzte. Der Beklagte bremste stark ab. Auch der Kläger bremste, wich nach rechts aus, konnte aber eine Kollision mit dem rechten Heck des Pkw nicht mehr verhindern und stürzte ebenfalls, wobei er sich Verletzungen zuzog.

Die Klage wurde vom Landgericht abgewiesen. Auf seine Berufung erließ des Oberlandesgericht (OLG) einen Hinweisbeschluss, demzufolge es beabsichtige, die Berufung wegen offensichtlicher Aussichtslosigkeit zurückzuweisen.

Grundsätzlich würden der Beklagte als Fahrer und Halter gemäß §§ 7, 18 Abs. 1 StVG und der Haftpflichtversicherer nach § 115 Abs. 1 Nr. 1 VVG eines unfallbeteiligten Fahrzeugs gesamtschuldnerisch für einen Schadensersatzanspruch haften. Die Verletzungen des Klägers seien beim Betrieb eines Fahrzeugs verursacht worden. Es läge keine höhere Gewalt nach § 7 StVG vor. Allerdings würde vorliegend die Gefährdungshaftung des Pkw gegenüber dem Mitverschulden des Klägers nach §§ 9 StVG, 254 BGB zurücktreten. Die Haftungsabwägung würde sich an den zu § 17 Abs. 1 entwickelten Rechtsgrundsätzen orientieren. Dazu seien alle unstreitigen oder erwiesenen Faktoren einzubeziehen, die zur Entstehung des Schadens beigetragen und einem der Beteiligten zuzurechnen seien (BGH, Urteil vom 21.11.2006 – VI ZR 115/05 -). Diese Abwägung könne auch zum vollständigen Ausschluss einer Einstandsverpflichtung führen, wenn das Verschulden des Geschädigten derart überwiege, dass die vom Schädiger ausgehende Ursache völlig zurücktrete (OLG Saarbrücken, Urteil vom 13.02.2014 – 4 U 59/13 -). Davon sei hier auszugehen.

Das OLG ging davon aus, dass es sich für den Kläger um einen typischen Auffahrunfall handele, der dem Anschein nach dadurch verursacht worden sei, dass er zu dicht aufgefahren sei oder unaufmerksam war; in beiden Fällen hätte er grob gegen seien Verkehrspflichten verstoßen.  Gemäß § 4 Abs. 1 S. 1 StVO müsse der Abstand zu einem vorausfahrenden Fahrzeug idR. so groß sein, dass auch hinter dem (gefahrlos) gehalten werden kann, wenn dieses plötzlich abgebremst wird. Grundlos dürfe der Vorausfahrende nach § 4 Abs. 1 S. 2 StVO nicht stark abbremsen, doch sei hier das starke Abbremsen durch die vorausgegangene Kollision mit dem weiteren Radfahrer ein zwingender Grund gewesen. Weiterhin berücksichtigte das OLG, dass sich der Kläger auf einer sportlich ambitionierten Zeitfahrt befunden habe, was offenbar Einfluss auf seinen Fahrstil gehabt und die Unfallgefahr erhöht habe. Ohne Bemühen um schnelles Vorankommen habe im Bereich einer Geschwindigkeitsbegrenzung keine Veranlassung zum Überholen [Anm.: Nach dem Beschluss befand sich die Geschwindigkeitsbegrenzung erst im weiteren Verlauf der Straße, nicht an der Unfallstelle] und – wohl in Vorbereitung des Überholmanövers- Unterschreitens des gebotenen Sicherheitsabstandes bestanden.

Es sei nicht erwiesen, dass der Beklagte nach links abbiegen wollte. Insoweit habe der Beklagte seine vorherige Angabe zulässig glaubhaft korrigiert (was vom OLF näher dargelegt wurde). Letztlich käme es für die Beurteilung der Kollision als typischen Auffahrunfall auch nicht darauf an, ob der Beklagte nach links abbiegen wollte. Der Kläger sei nicht auf den Pkw aufgefahren, da dieser plötzlich und unangekündigt nach links habe abbiegen wollen, sondern da der Pkw infolge der Kollision stark abgebremst worden sei. Plötzliche Ereignisse wie ein Unfall oder drohende Gefahren seien typischerweise Anlass für ein abruptes Abbremsen des Vorausfahrenden, weshalb gerade die Abstandsregeln gelten würden. Halte sich ein Verkehrsteilnehmer nicht an diese und kann er deshalb nicht mehr rechtzeitig reagieren, sei er als alleiniger Unfallverursacher des Auffahrunfalls anzusehen.

Ebenso unerheblich sei der Umstand, dass der Kläger nach seiner Sicht den eigenen Überholvorgang bereits eingeleitet habe. Auch dies würde nicht die Unterschreitung des Sicherheitsabstandes rechtfertigen, solange sich das überholende Fahrzeug noch hinter dem zu überholenden Fahrzeug auf dem rechten Fahrstreifenbefände. Nach den eigenen Angaben des Klägers sei er noch nicht auf die linke Fahrspur ausgeschert gewesen, sondern nur Richtung Mittellinie gefahren. Auch dass er „instinktiv“ nach dem Abbremsen nach rechts ausgewichen sei, spreche gegen ein bereits eingeleitetes Überholmanöver.

Die Berufung wurde nach dem Hinweisbeschluss zurückgenommen.

OLG Schleswig, Urteil vom 27.04.2023 - 7 U 214/22 -

Freitag, 31. März 2023

Rückwärtsfahrt aus Garagenausfahrt und Mithaftung des Vorbeifahrenden

Die Klägerin, deren Geschäftsführer aus einer Garagenausfahrt rückwärts auf die verkehrsberuhigte Straße auffuhr und dort mit dem vorbeifahrenden Beklagtenfahrzeug kollidierte, machte Schadensersatzansprüche gegen die Beklagten geltend. Nach Behauptung der Klägerin sei das Beklagtenfahrzeug mit überhöhter Geschwindigkeit in ihr Fahrzeug hineingefahren, nach Vortrag der Beklagten habe das Beklagtenfahrzeug zunächst gestanden, es sei (da eine Personen im anderen Fahrzeug gesehen wurde, die beabsichtigte aus der Grundstück rückwärts herauszufahren) gehupt worden und langsam wieder angefahren worden; das klägerische Fahrzeug sei dann in das Beklagtenfahrzeug hineingefahren.

Das Amtsgericht (AG) wies die Klage ab. Auf der Berufung wurde ihr zu einem geringen Teil stattgegeben. Richtig sei das Amtsgericht davon ausgegangen, dass beide Parteien grundsätzlich nach §§ 7, 17, 18 StVG für den Unfall einzustehen hätten, da beide Fahrzeuge im Betrieb waren und der Unfall auch nicht auf höhere Gewalt zurückzuführen sei, ferner der Unfall auch für beide Parteien kein unabwendbares Ereignis iSv. § 17 Abs. 3 StVG darstelle.

Zu Lasten der Klägerin sei zudem ein Sorgfaltsverstoß beim Rückwärtsfahren einzustellen. Das Berufungsreicht ließ offen, ob dies unmittelbar aus § 9 Abs. 5 StVO (beim Rückwärtsfahren ist eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer auszuschließen)  abgeleitet werden könne, da es sich um eine verkehrsberuhigten Bereich handele (§ 42 StVO, Zeichen 325.1/325.2), oder in einem solchen ähnlich wie auf einem Parkplatz entsprechendes aus dem Rücksichtnahmegebot des § 1 Abs. 2 StVO abzuleiten wäre. Auch im Anwendungsbereich des § 1 Abs. 2 StVO greife ein Anscheinsbeweis für ein Verschulden des Rückwärtsfahrenden (BGH, Urteil vom 11..10.2016 - VI ZR 66/16 -). Ferner sei zu Lasten der Klägerin ein Verstoß gegen die Sorgfaltspflicht aus § 10 StVO (der aus  einem Grundstück Herausfahrende hat sich so zu verhalten hat, dass er andere Verkehrsteilnehmer nicht gefährdet) zu berücksichtigen.

Ein Überschreiten der zulässigen Geschwindigkeit in einem verkehrsberuhigten Bereich durch das Beklagtenfahrzeug sie nicht festzustellen. Nicht berücksichtigt habe das AG allerdings, dass  der Fahrer des Beklagtenfahrzeugs die Gefahr erkannt habe: Das mit einer Person besetzte Fahrzeug und dass dieses über kurz oder lang rückwärts ausfahren würde. Deshalb sei auch gehupt worden. Allerdings hätte in dieser Situation das Klägerfahrzeug weiter beobachtet werden müssen, um bei dessen Zurücksetzen sofort anhalten zu können. Die Beobachtung wurde beim Losfahren unterlassen, weshalb es auch vorkollisionär nicht zum Stillstand des Beklagtenfahrzeugs gekommen sei.

Damit sei ein Zurücktretend er Betriebsgefahr des Beklagtenfahrzeugs hinter dem Verschulden der Klägerseite ausgeschlossen. Dahinstehen könne, ob - wie auf Parkplätzen- im verkehrsberuhigten Bereich die Betriebsgefahr regelmäßig nicht zurücktrete, da Sorgfaltspflichten stärker einander angenähert seien,, indem Kraftfahrer jederzeit auf bevorrechtigten Fußgängerverkehr Rücksicht zu nehmen hätten, was nur bei Einhaltung der Schrittgeschwindigkeit und ständiger Bremsbereitschaft möglich sei. Der festgestellte leichte Sorgfaltsverstoß führe zu einer unfallursächlichen Erhöhung der allgemeinen Betriebsgefahr und rechtfertige eine Mithaftung von 20% (§ 17 Abs. 1 StVG).

LG Saarbrücken, Urteil vom 20.01.2023 - 13 S 60/22 -

Dienstag, 31. Januar 2023

Zusammenstoß mit Motorrad im Begegnungsverkehr als unabwendbares Ereignis ?

Die Betriebsgefahr (§ 7 StVG) eines Fahrzeuges ist stets (mit-) bestimmender Faktor bei der Frage, ob und inwieweit eine eigene Haftung bei einem Verkehrsunfall besteht. Denn grundsätzlich ist jeder Halter verpflichtet, die Unabwendbarkeit eines Verkehrsunfalls für ihn gem. § 17 Abs. 3 StVG darzulegen und zu beweisen. Wie das OLG Hamm in seinem hier besprochenen Beschluss zutreffend ausführte, verlangt Unabwendbarkeit vom dem Fahrer, dass dieser „jede nach den Umständen des Falles gebotene Sorgfalt beobachtet haben“ muss (§ 17 Abs. 3 S. 2 StVG). Der Begriff „unabwendbares Ereignis“  meine nicht eine absolute Unvermeidbarkeit eines Unfalls, sondern dass das schadensstiftende Ereignis auch bei der äußersten möglichen Sorgfalt und Einhaltung der geltenden Verkehrsvorschriften nicht abgewendet werden könne. Dazu würde ein sachgemäßes, geistesgegenwärtiges Handeln erheblich über den Maßstab der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt iSv. § 276 BGB hinaus gehören.

Ob diese Voraussetzungen vorlagen, war vom OLG anlässlich einer Kollision eines Pkw (Beklagte) mit einem Motorrad (Klägerin) zu klären. In einer langgezogenen Rechtskurve befuhr der verstorbene Ehemann der Klägerin die Gegenfahrspur und kollidierte so mit dem Pkw der Beklagten. Aus technischer Sicht, so der im erstinstanzlichen Verfahren beauftragte Sachverständige, hätte sich der Verkehrsunfall nur dadurch vermeiden lassen, dass der Fahrer des Pkw nach links in den Gegenverkehr lenkt. Nachdem das Landgericht die Klage abgewiesen hatte, legte die Klägerin gegen das Urteil Berufung mit dem Ziel ein, eine Quote von 30% im Rahmen der vom Pkw ausgehenden Betriebsgefahr nach § 17 Abs. 3 StVG zu erhalten.

Das OLG wies nach § 522 ZPO darauf hin, dass es gedenke, die Berufung der Klägerin als offensichtlich unbegründet zurückzuweisen. Unter Zugrundelegung der oben dargelegten Grundsätze zur Unabwendbarkeit iSv. § 17 Abs. 3 BGB verwies es darauf, der sogenannte Idealfahrer dürfe nicht auf einem Vorrecht beharren, wenn er erkenne, dass dieses von anderen Verkehrsteilnehmern aufgrund örtlicher Gegebenheiten möglicherweise nicht erkannt würde, wie er auch erhebliche fremde Fehler und alle möglichen Gefahrenmomente berücksichtigen müsse. Diese von ihm verlangte besondere Sorgfalt müsse sich nicht nur in der konkreten Gefahrensituation, sondern bereits im Vorfeld manifestieren. Er müsse also die Erkenntnisse berücksichtigen, die nach allgemeiner Erfahrung geeignet seien, Gefahrensituationen nach Möglichkeit zu vermeiden. Wenn also ein Idealfahrer gar nicht in die Situation geraten würde oder hatte der Unfall dann nicht zu vergleichbar schweren Folgen geführt, könne von einem unabwendbaren Ereignis nicht ausgegangen werden.

Ausgehend davon habe sich der Fahrer des Pkw ideal verhalten und den Unfall nicht abwenden können.

Er sei mit einer unter der zulässigen Höchstgeschwindigkeit auf der Landstraße gefahren. Als er den Motorradfahrer kurz vor der Kollision bei direkter Sicht auf seiner Spur habe wahrnehmen können, habe er (so der Sachverständige) instinktiv eine Vollbremsung eingeleitet und sei dann noch mit einer Kollisionsgeschwindigkeit von 25 - 30 km/h mit ihm am äußerst rechten Fahrbahnrand zusammengestoßen. Da von einem Idealfahrer verlangt würde, sich an die geltenden Verkehrsvorschriften zu halten, war er schon nach § 2 Abs. 2 StVO nicht verpflichtet gewesen in den Gegenverkehr zur Vermeidung der Kollision zu lenken, wodurch er eine Gefahr für sich und andere Verkehrsteilnehmer geschaffen hätte. Zudem hätte sich auch nur nachträglich ergeben, dass dadurch die Kollision vermieden worden wäre, da für den Fahrer des Pkw nicht erkennbar gewesen sei, ob der Motorradfahrer mit einem Ausweichen nach links oder rechts reagieren würde. Naheliegend wäre gewesen, dass der Motorradfahrer zurück in seine Fahrspur fahre und nicht, wie geschehen, noch weiter auf die Gegenfahrspur.

Auch aus dem Umstand, dass dem Pkw eine Motorradkolonne entgegenkam habe ihn nicht zu einer Reaktion im eigenen Fahrverhalten veranlassen müssen. Er sei nicht deshalb verpflichtet gewesen, seine Geschwindigkeit (noch weiter) herabzusetzen oder gar anzuhalten um die Motorradfahrer passieren zu lassen. Grundsätzlich dürfe sich ein regelgerecht verhaltender Verkehrsteilnehmer darauf vertrauen, dass andere Verkehrsteilnehmer sich ebenfalls an die Verkehrsregeln halten (BGH, Urteil vom 20.09.2011 - VI ZR 282/10 -). Damit habe sich der verkehrsgerecht verhaltene Pkw-Fahrer darauf verlassen dürfen, dass sich die Motorradfahrer ebenso verhalten. Gegen diese Annahme für ein verkehrsgerechtes Verhalten der Motorradfahrer hätten für den Pkw-Fahrer vor dem Unfall (der Sicht auf den sich auf seiner Fahrspur befindlichen Motorradfahrer) nicht bestanden.

Die Berufung wurde nach dem Hinweisbeschluss zurückgenommen.

OLG Hamm, Hinweisbeschluss vom 03.08.2022 - 7 U 63/22 -

Freitag, 25. November 2022

Gilt „Rechts vor Links“ auch bei Fahrt entgegen der Einbahnstraße ?

Die Fahrerin des Pkw des Klägers bog nach links in eine Straße ab. Zu dieser Zeit befuhr der Zweibeklagte die Straße, in die die das klägerische Fahrzeug einbog um letztlich in gleicher Fahrtrichtung weiterzufahren, wie der klägerische Pkw nach seinem Einbiegen. Bis zu der Einmündung der Straße, aus der der klägerische Pkw auf die vom Beklagtenfahrzeug genutzte Straße einfuhr, war die vom Beklagtenfahrzeug genutzte Straße eine Einbahnstraße, die das Beklagtenahrzeug entgegen der erlaubten Fahrtrichtung befuhr; erst ab der Einmündung war ein Befahren in beiden Fahrtrichtungen zulässig. Im Kreuzungsbereich kollidierten die Fahrzeuge.

Der Kläger klagte auf Erstattung des ihm entstandenen Schadens zu 100%. Das Amtsgericht gab der Klage in Höhe von 50% statt. Die dagegen vom Kläger eingelegte Berufung wurde vom Landgericht zurückgewiesen. Für keine der Parteien sei der Verkehrsunfall unabwendbar iSv. § 17 Abs. 2 StVG gewesen; beiden Parteien (Fahrern) sei ein Verschuldensvorwurf zu machen.

Das schuldhafte Verhalten der Beklagtenseite sei der Verstoß des Beklagten zu 2. als Fahrer des Fahrzeugs gegen Zeichen 220 zu § 41 Abs. 2 Nr. 2 StVO, wobei dahinstehen könne und müsse (diesbezüglich sei kein Vortrag erfolgt), ob der Beklagte zu 2. Auch gegen Zeichen 267 StVO (Verbot der Einfahrt in die Straße) verstoßen habe. Jedenfalls sei der Beklaget zu 2. bei der ursprünglichen Einfahrt in die Straße an dem Zeichen 220 voreigekommen, welches allen Verkehrsteilnehmern auf der Fahrbahn die Fahrtrichtung vorschreibe. Auch wenn er dies bei der ursprünglichen Einfahrt in die Straße übersehen oder vergessen habe, begrüne dies einen Fahrlässigkeitsvorwurf. Der Verstoß sei auch mitursächlich gewesen, da es ohne diesen Verstoß nicht zu dem Verkehrsunfall gekommen wäre. Zudem habe der Beklagte zu 2., informatorisch angehört, angegeben, auf aus seiner Sicht von links kommenden Verkehr nicht geachtet zu haben, was einen Verstoß gegen § 1 Abs. 2 StVO darstelle, da er damit habe rechnen müssen, dass ein Kraftfahrer die Einbahnstraße in die Gegenrichtung befahre.

Ein unfallursächliches Verschulden auf Klägerseite läge darin begründet, dass die Fahrerin nach dem Bewies des ersten Anscheins gegen das Gebot des § 8 Abs. 1 S. 1 StVO verstoßen habe. Das Beklagtenfahrzeug sei aus Sicht des klägerischen Fahrzeugs von rechtsgekommen. Dem Vorfahrtsrecht des Beklagtenfahrzeugs würde nicht entgegen stehen, dass dieses die in diesem Bereich als Einbahnstraße ausgeschilderte Straße in verbotener Fahrtrichtung befahren wurde. Zwar habe der BGH ein Vorfahrtsrecht ein Vorfahrtsrecht ausgeschlossen, wenn es schon an einem Recht zum Fahren ermangele (BGH, Urteil vom 06.10.1981 - VI ZR 296/79 -). Dem könne aber „inzwischen für die vorliegende Fallgestaltung nicht gefolgt werden“, da dies inkonsequent wäre. Auch derjenige, der unter Verstoß gegen das Rechtsfahrgebot links fahre behalte nach der Rechtsprechung des BGH sein Vorfahrtsrecht (BGH, Urteil vom 19.09.1974 - III ZR 73/72 -). Auch würde das Vorfahrtsrecht nicht tangiert, wenn der Vorfahrtsberechtigte eine für ihn (nicht allgemein) gesperrte Straße nutze (zu denken wäre hier an Anliegerstraßen o.ä.).  Seit 1977 könnten zudem Einbahnstraße für den Radverkehr in beide Fahrtrichtungen geöffnet werden; mithin habe ein Radfahrer (wobei es sich nicht notwendig um Zweiräder handeln müsse) der die Einbahnstraße berechtigt entgegen der Einbahnstraße entgegen der Fahrtrichtung befahre in diesem Fall die Vorfahrt gegenüber von links kommenden Fahrzeugen. Angesehen davon dürfe der nach § 8 Abs. 1 S. 1 StVO Wartepflichtige nicht darauf vertrauen, dass aus der verbotenen Richtung überhaupt kein Fahrzeug käme; er müsse schon aus Rücksicht auf etwaige Anlieger oder Vorrechtsfahrzeuge (§ 35 Abs. 1 StVO: Polizei, Feuerwehr pp.) die Fahrbahn in beiden Fahrtrichtungen beobachten.

Die Revision wurde nicht zugelassen, da keine grundsätzliche Bedeutung bestünde. Auch würde die Zulassung nicht aus Gründen der Fortbildung des Rechts geboten sein, da es für die rechtliche Beurteilung typischer oder verallgemeinerungsfähiger Lebenssachverhalte an einer richtungsweisenden Orientierungshilfe ermangele. Die Entscheidung des BGH vom 06.10.1981 - VI ZR 296/79 -  veranlasse die Zulassung nicht, da sie noch nicht die Möglichkeit berücksichtige, das zwischenzeitlich Fahrradfahrern die Möglichkeit gegeben werden könne, die Einbahnstraße in beiden Fahrtrichtungen zu nutzen.

Kommentar

Der Entscheidung des Landgerichts kann insgesamt nicht gefolgt werden.

1. Das Beklagtenfahrzeug fuhr unzulässig entgegen der Einbahnstraße und es kam deshalb (wohl da die Fahrerin des klägerischen Fahrzeugs nicht nach rechts bei Einfahrt auf diese Straße, die aber der Einfahrt in beide Fahrtrichtungen freigegeben war) zum Verkehrsunfall. Wenn das Beklagtenfahrzeug die Einbahnstraße nur ein Stück befahren hätte um dann dort zu wenden, wäre nachvollziehbar, wenn hier ein Verstoß gegen Zeichen 220 angenommen wird. Wurde die Straße in voller Länge befahren und nur zur Durchfahrt genutzt, muss sich der Fahrer nicht merken, ob eine solche Straße Einbahnstraße ist, um dies bei der Rückfahrt noch zu erinnern und zu beachten. Es käme also in diesem Fall darauf an, dass das Zeichen 267 an der Einfahrt zu Straße stand.

2. Für die Fahrerin des Klägerfahrzeugs war erkennbar, dass die Straße, auf die sie auffuhr, nach rechts eine Einbahnstraße war, die nicht in der Fahrtrichtung zu ihr hätte befahren werden dürfen. Es wird auch nicht ausgeführt (und war wohl auch nicht der Fall), dass diese Einbahnstraße für Fahrradfahrer in beiden Fahrtrichtungen freigegeben war, was auch durch entsprechend Beschilderung „Radfahrer frei“ (Zeichen 1022-10). Ist dieses nicht vorhanden, konnte sich die Fahrerin des klägerischen Pkw darauf verlassen, dass auch Radfahrer nicht die Straße entgegen der Fahrtrichtung befahren. Ebensowenig verfängt nicht der Verweis auf Sonderrechtsfahrzeuge. Nutzen diese entgegen der allgemeinen Verkehrsregelungen Straßen (z.B. Überqueren von Kreuzungen mit roter Ampelschaltung), so haben sie ihre Absicht deutlich kundzutun (z.B. Einschalten der Sirene); insoweit wird daran erinnert, dass bei Herannahen eines nur mit Blaulicht versehenen Polizei- oder Krankenwagens die Kreuzung nicht durch Hineinfahren in dieselbe trotz Rotlichts der Ampelanlage genutzt werden darf, sondern erst, wenn auch die Sirene am Einsatzfahrzeug eingeschaltet wird.

3. Die Revision hätte hier zwingend wegen Abweichung von dem Urteil des BGH vom 06.10.1981 - VI ZR 296/79 - zugelassen werden müssen. Gemäß § 546 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 ZPO ist die Revision zuzulassen, wenn das Urteil von einer Entscheidung des BGH abweicht und auf dieser Abweichung (wie hier) beruht (BVerfG, Beschluss vom 19.12.2000 - i BvR 1684/99 -). Die Überlegungen des Landgerichts, weshalb gleichwohl die Revision nicht zugelassen wurde, tragen nicht. Zum Einen ergibt sich aus weiteren Entscheidungen des BGH nicht, dass er an seiner bisherigen Rechtsprechung nicht festhält. Zum Anderen stützt sich das Landgericht für die Nichtzulassung auf das möglicherweise Radfahrern eingeräumte (hier nicht einmal feststellbare) Recht, die Einbahnstraße in beiden Fahrtrichtungen zu befahren. Da nicht festgestellt wurde, dass ein derartiges Recht für Fahrradfahrer bestand, liegt eine Abweichung vor, die zwingend die Revisionszulassung nach sich zog. Denn es muss auch in diesem Fall von einer verbotenen Nutzung der Einbahnstraße durch Radfahrer ausgegangen werden, wenn sie diese entgegen der vorgeschriebenen Fahrtrichtung befahren (was auch bußgeldbewährt ist). Zudem: Wenn, wie das Landgericht angibt, die Regelung zu Fahrradfahrern in 1977 geschaffen wurde, lag diese zum Zeitpunkt der Entscheidung des BGH bereits vor. Auch die in dem Urteilsgründen benannten weiteren Erwägungen des Landgerichts tragen dessen Entscheidung nicht. Zwar hat der BGH entschieden, dass sich das Vorfahrtsrecht auf einer Straße auf die gesamte Straßenbreite und nicht lediglich auf die rechte Fahrspur bezieht, weshalb ein einbiegen auf eine Vorfahrtsstraße und eine Kollision mit dem sich auf der Vorfahrtsstraße entgegen dem Rechtsfahrgebot links fahrenden Fahrzeug als Vorfahrtsverletzung darstellt. Eine solche Konstellation lag hier aber nicht vor, da das Beklagtenfahrzeug eine Einbahnstraße schlicht verbotswidrig entgegen der vorgeschriebenen Fahrtrichtung befuhr.

Bei dieser Situation eine hälftige Haftungsteilung anzunehmen, ist nicht nachvollziehbar, da damit die Grundsätze der Straßenverkehrsordnung verkehrt werden. Der grob regelwidrig Fahrende Verkehrsteilnehmer, der die Einbahnstraße verboten befährt, kommt in den von der Verkehrsordnung nicht vorgesehenen Genuss eines „rechts vor links“-Vorteils, obwohl doch gerade deshalb in Bereichen von Einbahnstraßen keine Vorfahrtszeichen bzw. Vorfahrtbeachtungszeichen aufgestellt werden, da es an den Beschilderungen fehlt, wenn nur in eine bestimmte Richtung eingebogen werden kann, aus der anderen Richtung keine Gefahr droht oder drohen kann.

LG Wuppertal, Urteil vom 30.06.2022 - 9 S 48/22 -

Freitag, 19. März 2021

Waschstraße: Unfall durch Abbremsen auf dem Transportband und Mitverschulden

Der Kläger nutzte eine Waschstraße. Das Fahrzeug des Beklagten zu 2. vor ihm fuhr nach Abschluss des Waschvorgangs an der Ausfahrt, obwohl die Lichtzeichenanlage bereits auf grün gesprungen war, nicht an. Erst bei einem zweiten Startversuch gelang es dem Beklagten zu 2. wegzufahren. Da der PKW des Klägers zwischenzeitlich vom Schleppband weiter in Richtung Beklagtenfahrzeug gezogen wurde und er aus Sorge um eine Kollision abbremste, rutschte sein Fahrzeug vom Transportband und kollidierte mit Teilen der Waschstraße.

Das Landgericht wies die Klage ab. Die Berufung des Klägers war teilweise erfolgreich.

Das Fahrzeug des Beklagten sei zum Unfallzeitpunkt iSv. § 7 StVG „im Betrieb“ gewesen. Zwar würde eine Beförderung des Fahrzeugs auf einem Förderband der Waschstraße bei ausgeschalteten Motor von der Rechtsprechung einem Betrieb entgegenstehen können, doch sei hier zu berücksichtigen, dass der Waschvorgang bereits vollständig abgeschlossen gewesen wäre und das Fahrzeug zur Weiterfahrt zu starten gewesen wäre. Damit ging die Gefahr nicht mehr von der Waschstraße aus, sondern vom Fahrzeug und seinem Fahrer.

Der Schaden am klägerischen Fahrzeug sei auch durch den Betrieb des Fahrzeugs des Beklagten mitverursacht worden. Das verzögerte Anfahren des Beklagten zu 2. sei für die Reaktion des Klägers die Ursache gewesen. Es bestand ein örtlicher und zeitlicher Zusammenhang. Der Ursachenbeitrag bestand nicht nur in der bloßen Anwesenheit des Beklagtenfahrzeuges, sondern in der sich für den Kläger (verständlich) als kritisch darstellenden Situation. Der Umstand, dass es zwischen den Fahrzeugen nicht zur Kollision kam, ließe einen Zurechnungszusammenhang nicht entfallen. Auch hier ist maßgeblich die verzögerte Abfahrt des Beklagten zu 2. Ein eigener Ursachenzusammenhang sei durch den Kläger selbst dann nicht gebildet werden, wenn seine Reaktion als voreilig oder übertrieben bewertet würde.

Der Beklagte zu 2. hafte als Fahrer nach § 18 Abs. 1 StVG verschuldensunabhängig. Er sei gehalten gewesen, nach Abschluss des Waschvorgangs und bei Umschalten der Ampel auf „grün“ unmittelbar wegzufahren; dies ergäbe sich bereits aus den Regeln des Betreibers der Waschstraße als auch der Gefährlichkeit des Stehenbleibens. Dass die Verzögerung auf ein vom Beklagten zu 2. Nicht zu vertretendes Versagen der Betriebseinrichtung zurückzuführen wäre, sie nicht geltend gemacht worden.

Allerdings habe der Kläger den Unfall im erheblichen Umfang mitzuverantworten. Zwar scheide für ihn eine Mitverantwortlichkeit nach §§ 17, 18 StVG aus, da sich sein Fahrzeug noch im Waschvorgang und damit nicht „im Betrieb“ nach § 7 StVG befunden habe. Es greife aber ein Mitverschulden gem. §§ 9 StVG, 254 BGB. Er habe diejenige Sorgfalt außer Acht gelassen, die ein ordentlicher und verständiger Mensch zur Vermeidung eines Schadens anzuwenden pflege. Es hätte ihm klar sein müssen, dass er in der Situation nicht hätte bremsen dürfen. Des sei allgemein bekannt, dass ein regelwidriges Abbremsen des in der Waschstraße automatisch transportierten Fahrzeuges dazu führen kann, dass die Vorwärtsbewegung verzögert (evtl. auch gestoppt) wird, wodurch es zu Beschädigungen des Fahrzeugs durch die sich weiterbewegende Reinigungsanlage oder auch Kollision mit nachfolgenden Fahrzeugen kommen könne und hier auch zur Schädigung des PKW geführt habe; zudem würden auch die Warnhinweise des Waschstraßenbetreibers ein Abbremsen untersagen.

Der Mietverursachungsanteil des Klägers an dem Schaden betrage daher 70%.

OLG Zweibrücken, Urteil vom 27.01.2021 - 1 U 63/19 -

Donnerstag, 16. Juli 2020

Haftungsverteilung: Überholen einer stockenden Kolonne


Gegenstand der Klage war ein Verkehrsunfall anlässlich eines Überholvorgangs des Klägers. Dieser fuhr ebenso wie der Erstbeklagte in einer Fahrzeugkolonne, die sich hinter einem Traktor gebildet hatte. Der Kläger befand sich etwa 10 bis 12 Fahrzeuge hinter dem Traktor. Nachdem 3 bis 6 Fahrzeuge, die sich direkt hinter dem Traktor befanden, zunächst diesen überholten, scherte der Kläger mit eingeschalteten Warnblinklicht aus der Kolonne aus und wollte die vor ihm fahrenden Fahrzeuge nebst dem Traktor links überholen. Der Erstbeklagte, der sich zwischenzeitlich direkt hinter dem Traktor befand, scherte nun ebenfalls nach links zum Überholen des Traktors aus und kollidierte dabei mit dem klägerischen Fahrzeug. Das Landgericht ging von einer Haftungsquote von 30% zu Lastend es Klägers zu 70% zu Lasten der Beklagten aus. Die vom Kläger eingelegte Berufung wurde zurückgewiesen.

Das OLG wies darauf hin, dass bei der Bildung der Haftungsquote nach § 17 Abs. 2 StVG auf die Umstände des Einzelfalls abzustellen sei, mithin insbesondere darauf, inwieweit der Schaden vorwiegend von dem einen oder anderen Beteiligten verursacht worden sei. Neben der Betriebsgefahr der beteiligten Fahrzeuge dürften dabei nur unstreitige, zugestandene oder aber bewiesene Umstände berücksichtigt werden. Jeder beteiligte hätte dabei die Umstände zu beweisen, die dem anderen Beteiligten zum Verschulden reichen würden und aus denen er meint, für die Abwägung günstige Rechtsfolgen herleiten zu können.  

Dabei sei zu Lasten der Beklagten der Verstoß des Erstbeklagten gegen § 5 Abs. 4 S. 1 StVO (überholen darf nur, wenn eine Gefährdung nachfolgenden Verkehrs ausgeschlossen ist) zu berücksichtigen.

Allerdings sei bei dem Kläger eine gesteigerte Betriebsgefahr zu berücksichtigen. Er habe mit 67km/h eine Fahrzeugkolonne links überholt, die sich auf der Bundesstraße hinter einem Traktor aufgestaut habe. Er sei dann mit Warnblinklicht ausgeschert um zu überholen. Der weitere Verlauf der Bundesstraße nach der Unfallstelle sei wegen einer Kuppe nicht einsehbar gewesen, weshalb sich der Kläger bei möglichen Gegenverkehr in die Fahrzeugschlange hätte „reinquetschen“ müssen. Ferner hätte er, wie geschehen, damit rechnen müssen, dass eines der ersten Fahrzeuge hinter dem Traktor aus der Kolonne ausschert um ebenfalls zu überholen.

§ 5 Abs. 4 und 4a StVO verlange von dem Überholer auf die Fahrweise des Eingeholten zu achten und er dürfe diesen nicht gefährden. Er müsse nach der Örtlichkeit sicher sein, dass kein Vorausfahrender links abbiegen will. Wer eine stockende Kolonne überhole, ohne mit Gewissheit vorn eine Einscherlücke erkenne, zeige keine äußerste Sorgfalt nach § 5 Abs. 4 S. 1 StVO. Der Kläger habe sich nicht alleine auf das von ihm eingeschaltete Warnblinklicht verlassen dürfen; § 16 Abs. 2 StVO sehe entsprechende ausdrückliche Benutzungsvorschriften vor, damit keine übertriebene Benutzung erfolge, die hier das Warnblinklicht nicht vorgesehen hätten.

OLG Schleswig, Beschluss nach § 522 ZPO vom 30.01.2020 - 7 U 210/19 -

Montag, 15. Juni 2020

Haftung bei Unfall im Begegnungsverkehr in Kurve zwischen PKW und Traktorgespann


Der Verkehrsunfall ereignete sich auf einer schmalen Straße in einem Kurvenbereich. Die Kollision ereignete sich etwas über der (gedachten) Mittelinie auf der Fahrbahnseite der Klägerin. Das Landgericht wies die Klage ab. Im Rahmen der Berufung erfolgte ein Hinweisbeschluss durch das OLG Köln, dass dieses beabsichtige, die Berufung zurückzuweisen.

Nach Auffassung des OLG sei eine Verpflichtung der Beklagten (Fahrer, Halter und Versicherer des Traktors mit Anhänger) zur Zahlung von Schadensersatz nach § 17 Abs. 3 StVG nicht gegeben. Es handele sich für die Beklagten um ein unabwendbares Ereignis. Unter unabwendbaren Ereignis sei nicht eine absolute Unvermeidbarkeit zu verstehen, sondern gemeint sei ein Schadensereignis, welches auch bei der äußersten Sorgfalt nicht abgewendet werden könne. Dazu sei ein sachgemäßes, geistesgegenwärtiges Handeln erheblich über den Maßstab der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt iSv. § 276 BGB erforderlich. Der Schädiger sei nach dem Zweck des § 17 Abs. 3 StVG von Schäden freizustellen, die sich auch bei vorsichtigen Vorgehen nicht vermeiden ließen, ohne dass eine absolute Unvermeidbarkeit gefordert würde. Denn es müsse auch bei dem geforderten „Idealfahrer“ als Maßstab menschliches Vermögen den Erfordernissen des Straßenverkehrs angepasst sein.

Damit sei aber auf der Grundlage des vom Landgericht eingeholten Sachverständigengutachtens der Unfall für den Fahrer des Traktors unabwendbar. Seine Reaktion und sein verhalten hätten demjenigen eines Idealfahrers entsprochen.

Nach der sachverständigen Feststellung habe sich das klägerische Fahrzeug vor dem Unfallereignis mit seiner linken Seite im Bereich der gedachten Fahrbahnmitte befunden. Auch wenn die Klägerin die Fahrbahnmitte nicht überfahren haben sollte, würde die Bremsreaktion des Fahrers des Traktors den Anforderungen an einen Idealfahrer gerecht werden, da sich nach den übereinstimmenden Angaben der Parteien die Fahrzeuge im Kurvenbereich plötzlich gegenüber befunden hätten  und ein Ausweichen des Traktors nach rechts wegen eines Felsvorsprungs nicht möglich gewesen sei. Dies gilt auch, obwohl durch ABS und Anhängerbremse der Traktor durch das Abbremsen in Richtung Fahrbahnmitte geriet und so die Kollision verursacht worden sei.

Zwar wäre nach den sachverständigen Feststellungen der Verkehrsunfall ohne das Abbremsen des Traktors verhindert worden. Es könne auf sich beruhen, ob dem Fahrer eine falsche Reaktion im ersten Schreck zuzubilligen sei (so BGH, Urteil vom 23.09.1986 - VI ZR 136/85 -), da hier auch der Idealfahrer in der konkreten Gefahrensituation nicht hätte erkennen können, dass ohne sein Abbremsen eine Kollision vermeidbar wäre. Dies würde sich auch daraus ergeben, dass eine Vermeidung nicht nur von der eigenen Reaktion des Traktorführers abhing, sondern auch von der unbekannten Reaktion der Klägerin. In Ansehung auch von zu erwartenden erheblichen Schäden (einschl. Personenschäden) im Falle einer ungebremsten Kollision war damit dem Traktorfahrer auch bei dem größtmöglichen Sorgfaltsmaßstab nicht anzulasten, dass er das von ihm geführte Gespann bei Auftauchen des klägerischen PKW im Bereich der Fahrzeugmitte abbremste.  

Unbehelflich sei der Hinweis der Klägerin auf eine Überbreite des Traktorgespanns, da nach den Feststellungen des Sachverständigen und vorliegenden Fotos der Traktor mit Anhänger sowie der PKW der Klägerin im Kurvenbereich gefahrlos hätten aneinander vorbeifahren können.

Dabei sei ferner zu berücksichtigen, dass das Gespann äußerst rechts geführt wurde und mit einer Geschwindigkeit, mit der die Kurve auch gefahrlos zu passieren war. Die Ausgangsgeschwindigkeit hätte nach dem Sachverständigen in einer Größenordnung von 25km/h gelegen, die Kollisionsgeschwindigkeit im Bereich zwischen 10 und 15 km/h. Eine weitere Geschwindigkeitsreduzierung (unter 25km/h) sei auch für den Idealfahrer hier nicht notwendig gewesen, zumal eine noch langsamere Geschwindigkeit die Gefahren für einen den Traktor nachfolgenden Verkehr sich gerade in dem unübersichtlichen Kurvenbereich erhöht hätten. Der Traktorfahrer, der äußerst vorsichtig und am rechten Fahrbahnrand unter Wahrung der gebotenen Kurven- und Höchstgeschwindigkeit fuhr, hätte mangels erkennbarer vertrauenserschütternder Gründe nicht noch zusätzlich darauf achten müssen, dass ihm in der Kurve plötzlich ein PKW in Fahrbahnmitte entgegen kommt.

Allerdings habe die Klägerin gegen das Rechtsfahrgebot verstoßen, da der Sachverständige festgestellt habe, dass sich die Klägerin jedenfalls mit der linken Seite des PKW im Bereich der Fahrbahnmitte befand. Dass ein Überschreiten der Fahrbahnmitte nicht habe festgestellt werden können, sei für die rechtliche Bewertung des Fehlverhaltens der Klägerin als Verstoß gegen § 2 Abs. 2 StVO unbeachtlich.  

Anmerkung: Da die Berufung nicht zurückgenommen wurde, wies das OLG in der Folge die Berufung mit Beschluss vom 03.06.2020 nach § 522 ZPO zurück.

OLG Köln, Hinweisbeschluss vom 20.04.2020 - I-12 U 190/19 -

Mittwoch, 10. Juni 2020

Haftungsverteilung bei Verkehrsunfall: Wendemanöver gegenüber überhöhter Geschwindigkeit


Der Verkehrsunfall ereignete sich im Zusammenhang mit dem Ausparken der Klägerin und einem dabei von ihr eingeleiteten Wendevorgang. Der Beklagte zu 2. Fuhr mit überhöhter Geschwindigkeit (feststellbar jedoch nur mit 8 km/h Überhöhung). Da die Unfallschäden bei dem Betrieb eines Kraftfahrzeuges entstanden seien, der Unfall nicht auf höhere Gewalt zurückzuführen sei (§ 7 StVG), im Übrigen für keinen der Unfallbeteiligten sich der Unfall als unabwendbar darstelle (§ 17 Abs. 3 StVG), würde - so das OLG – im Verhältnis der Unfallbeteiligten (Versicherer) die Verpflichtung zum Umfang des Schadensersatzes von den Umständen, insbesondere davon abhängen, inwieweit der Schaden von dem einen oder anderen Teil verursacht worden sei.

Die für die Abwägung maßgeblichen Umstände müssten nachweislich Umstände für die Umstände des Schadens (Schadenshergangs) und zur Kausalität feststehen. Der Beweis obliege jenem, der sich darauf berufe.

Die Klägerin habe gegen § 9 Abs. 5 StVO wie auch gegen § 10 S. 1 StVO verstoßen. Sowohl beim Anfahren (§ 10 S. 1 StVO) also auch beim Wenden (§ 9 Abs. 5 StVO) würden dem Fahrzeugführer gesteigerte Sorgfaltspflichten treffen. Nach § 9 Abs. 5 StVO sei eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer auszuschließen, nach § 10 S. 2 StVO sei die „äußerste“ bzw. „größtmögliche“ Sorgfalt zu beachten. Der Anscheinsbeweis, den die Klägerin nicht widerlegt habe, spräche gegen eine Verletzung dieser Pflichten. Auch wenn der Beklagte zu 2. Mit jedenfalls 58 km/h gefahren sei, wäre der Anscheinsbeweis für die Ursächlichkeit nicht widerlegt, da die Klägerin als Wendende mit „verkehrsüblichen Geschwindigkeitsüberschreitungen“ rechnen müsse. Der Anscheinsbeweis würde in diesen Fällen nur in Frage gestellt, wenn sich der Unfall auch bei der zumutbaren Sorgfalt ereignet hätte; dies könnte dann angenommen werden, wenn entweder das sich nähernde Fahrzeug noch nicht sichtbar war oder aber aufgrund der Entfernung nicht mit einer Behinderung zu rechnen gewesen wäre (z.B. bei einer Überschreitung der zulässigen Geschwindigkeit um 50%). Diese Umstände könnten hier nicht angenommen werden.

Nach der Beweissituation hätte die Klägerin nur eine Geschwindigkeitsüberschreitung des Beklagten zu 2. Um 8 km/h nachweisen können. Insoweit läge aber ein Verstoß des Beklagten zu 2. gegen § 3 StVO vor. Berücksichtigungsfähig sei dies aber nur dann, wenn dieser Umstand sich auf das Unfallgeschehen oder die Schwere der Unfallfolgen ausgewirkt hätte. Es stünde nach dem eingeholten Sachverständigengutachten fest, dass sich der Unfall auch bei Einhaltung der gebotenen zulässigen Geschwindigkeit von 50 km/h ereignet hätte, dass aber die geringere Geschwindigkeit hinsichtlich der Verletzungsfolgen deutlich geringere Auswirkungen gehabt hätte.

Bei der Haftung nach §§ 17, 7 StVO sei zu berücksichtigen, dass beide Fahrzeugführer gegen Regelungen der StVO verstoßen hätten. In Ansehung der Gefahrträchtigkeit eines Wendemanövers müsse bei einem Verstoß gegen § 9 Abs. 5 StVO stets die Alleinhaftung des Wendenden in Betracht gezogen werden, zumal dann, wenn sich der Unfall wie hier im Zusammenhang mit einem Anfahren ereigne. In derartigen Fällen würde regelmäßig die Betriebsgefahr  eines mit dem wenden Fahrzeug zusammenstoßenden Fahrzeuges zurücktreten. Damit rechtfertige hier die Überschreitung der Geschwindigkeit durch den Beklagten zu 2. nur eine Haftungsquote für diesen von 25%.

OLG Dresden, Urteil vom 25.02.2020 - 4 U 1914/19 -