Die Antragstellerin (AS) hatte das ihr zustehende Erbe zunächst ausgeschlagen, diese Ausschlagung allerdings innerhalb der Monatsfrist des § 63 FamFG angefochten. Ihr gestellter Alleinerbschein zu ihren Gunsten beantragt, da sie als Erbin erster Ordnung gem. § 1924, 1930 einen Alleinerbschein beantragt. Allerdings gab das Nachlassgericht dem Antrag des Großneffen der Erblasserin auf Erteilung eines Erbscheins statt. Die dagegen von der AS eingelegte Beschwerde war erfolgreich.
Zwar habe die AS zunächst wirksam nach §§ 1942 ff BGB die Erbschaft ausgeschlagen, weshalb der Anfall der Erbschaft gem. § 1953 Abs. 1 BGB nicht als erfolgt gelte. Diese Ausschlagung sei allerdings fristgerecht von ihr angefochten worden, weshalb hier eine Ausnahme nach § 1957 Abs. 1 BGB eingreife. Erforderlich für die wirksame Ausschlagung könne ein kausaler Irrtum über eine verkehrswesentliche Eigenschaft des Nachlasses sein, §§ 1954, 119 Abs. 2 BGB. Ein solcher Irrtum könne angenommen werden bei falscher Vorstellung hinsichtlich der Zusammensetzung des Nachlasses, des Bestandes an Aktiva und Passiva. Das OLG lehnte allerdings entgegen einer in der Rechtsprechung vertretenen Ansicht ab (so z.B. BGH, Urteil vom 21.02.2052 - IV ZR 103/51 -; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 05.09.2008 - 3 Wx 123/08 -) die Überschuldung des Nachlasses als verkehrswesentliche Eigenschaft anzusehen, da der Wert anders als die wertbildenden Faktoren keine Eigenschaft einer Sache iSv. § 119 Abs. 2 BGB sei (BGH, Urteil vom 18.12.1954 - II ZR 296/53 -), sondern selbst Ergebnis der Bewertung der einzelnen Aktiv- und Passivposten des Nachlasses. Allerdings se die irrtümliche Vorstellung über eine Überschuldung im Rahmen der Kausalitätsprüfung zu berücksichtigen.
Bei dem Irrtum handele es sich um eine Abweichung der Vorstellung des Erklärenden über eine verkehrswesentliche Eigenschaft von den tatsächlichen Gegebenheiten. Es handele sich um eine innere Tatsache. Ein entsprechender Irrtum iSv. § 119 Abs. 2 BGB läge nicht vor, wenn die Ausschlagung unabhängig von Grund und Höhe der Erbschaft bewusst auf der Grundlage ungenauer zeitferner Informationen erfolge (KG, Beschluss vom 19.10.2023 – 6 W 31/23 -); in diesem Fall würde die Vorstellung nicht von den tatsächliche Umständen abweichen, vielmehr halte der Erklärende die Grundlagen der ihm vorliegenden Informationen das Vorliegen einer bestimmten verkehrswesentlichen Eigenschaft als wahrscheinlicher als deren Nichtvorliegen. Damit läge eine Vermutung vor, da die Vorstellung nicht aufgrund einer Bewertung bekannter Fakten vor, die zur Ausschlagung oder Annahme der Erbschaft führe. Spekulativ sei in diesem Fall die Entscheidung auf ungesicherter Basis erfolgt (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 19.12.2018 - I-3 Wx 140/19 -).
Dem stellte das OLG den Fall gegenüber, dass der Erklärende hinreichende Anstrengungen unternommen habe, um Erkenntnisse über Fakten zu erlangen, die ihm als gesicherte Entscheidungsgrundlage dienen könnten. Im Rahmen der Irrtumsfeststellung ginge es auch nicht um ein Vershulden des Erklärenden, da (vgl. § 122 Abs. 2 BGB) selbst grob fahrlässiges Verschulden eine Irrtumsanfechtung nicht ausschließen würde (so bereits RGZ 62, 205 und RGZ 88, 411). Zu prüfen sei bei der Frage, ob der Anfechtende naheliegende Erkenntnismöglichkeiten genutzt habe, alleine die Plausibilität des behaupteten Irrtums, da es sich bei der von der Realität abweichenden Fehlvorstellung um eine innere und damit nur anhand von Indizien aufklärbare Tatsache handele. Derjenige, der keine Anstrengungen unternehme, um sich zu informieren, der sich nicht für die Tatsachen interessiere, nähme häufig eine unsichere Grundlage für seine Entscheidung in Kauf und stütze diese damit bewusst auf ein Wahrscheinlichkeitsurteil. Damit sein eine zur Anfechtung berechtigende Fehlvorstellung über Zusammensetzung und Bestand des Nachlasses unwahrscheinlich und unplausibel. Demgegenüber könnten vom Erklärenden unternommene Erkundigungen zum Nachlass, die der Erklärende im Zeitpunkt der Erklärung gemacht habe, als Anzeichen für einen Irrtum dienen (so auch OLG Hamm, Beschluss vom 29.01.2009 - I-15 Wx 213/08 - zur Annahme einer Erbschaft).
Weiterhin müsse der Irrtum über die verkehrswesentliche Eigenschaft kausal für die Erklärung gewesen sein. Grundsätzlich könne dies angenommen werden, wenn die Ausschlagung in der Annahme der Überschuldung des Nachlasses erfolge. Das sei aber nicht zwingend, da auch ein Irrtum, der bei vorgestellter maginaler Solvenz eine tatsächlich vorhandene geringfügige Überschuldung zur Folge habe, nicht kausal sein, , wie auch der Irrtum über das Vorhandensein eines bedeutenden Nachlassgegenstandes bei unabhängig davon bestehender Solvenz des Nachlasses seinerseits kausal für die Erklärung sein könne. Es käme im Einzelfall auf die Beweggründe des Erklärenden an, weshalb auch insoweit in Zweifelsfällen eine Anhörung desselben unerlässlich sei. Genügend sei eine Mitursächlichkeit des Irrtums.
Dies zugrundeliegend ging das OLG davon aus, dass die Antragstellerin zum Zeitpunkt der Ausschlagung der Erbschaft irrtümlich falsche Vorstellungen hinsichtlich der Zusammensetzung des Nachlasses hatte. Dabei hebe sie hier insbesondere über das Vorhandensein der Guthaben auf Spar- und Girokonto geirrt, was jedenfalls mitursächlich für die Ausschlagung gewesen sei. Das OLG führte sodann im Einzelnen aus, weshalb die AAS ihrer Erkundigungspflicht nachgekommen sei und daher von einem Irrtum im vorgenannten Sinne ausgegangen werden könne. Es wies auch darauf hin, dass sie erst nach der Ausschlagung vom Nachlasspfleger von den Kontenguthaben erfuhr und dass ihr nicht angelastet werden könne, dass sie nicht selbst in der Wohnung der Erblasserin nach Finanzunterlagen gesucht habe, da es auf ein Verschulden nicht ankäme und vorliegend die zuständige Kriminalbeamtin ihr den Zustand der Wohnung geschildert und ihr im Hinblick darauf abgeraten habe, die Wohnung zu betreten.
Damit stellte das OLG fest, das nach den Gesamtumständen die AS bei Abgabe der Ausschlagungserklärung sich über die Zusammensetzung und damit eine verkehrswesentliche Eigenschaft des Nachlasses geirrt habe und nicht lediglich das Fehlen von Vermögenswerten als wahrscheinlich ansah.
OLG Frankfurt, Beschluss
vom 24.07.2024 - 21 W 146/23 -