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Sonntag, 14. März 2021

Wegeunfall als Arbeitsunfall abgelehnt bei Gehen nach Unfall um 100m entgegen Fahrtrichtung

Der Kläger verunfallte mit seinem Fahrrad auf der Fahrt zu seiner Arbeit. Als er verkehrsbedingt auf dem Radweg anhielt, bog unversehens ein seitlich links von ihm stehender PKW nach rechts in eine Straße ein und streifte dabei das Vorderrad des Fahrrads. Der Kläger kam nicht zu Fall und wurde nicht verletzt. Der PKW hielt verkehrsbedingt an einer ca. 100m entfernten Kreuzung, weshalb sich der Kläger entschloss ihm nachzufahren um zur Sicherung etwaiger Schadensersatzansprüche ein Foto von dem Kennzeichen zu machen. Er lief die etwa 100m zurück. Der Fahrer und die Beifahrerin stiegen aus dem PPKW aus und der Fahrer schlug den Kläger, nach einer verbalen Auseinandersetzung, mit der Faust in das Gesicht. Der Kläger war daraufhin mehrere Wochen arbeitsunfähig. Die beklagte Sozialversicherung negierte einen Arbeitsunfall. 

Das Sozialgericht gab der gegen den ablehnenden Bescheid erhobenen Klage statt. Auf die Berufung der Beklagten wurde die Klag abgewiesen.

Das Landessozialgericht (LSG) bejahte zwar 8wie auch die Beklagte), dass der Kläger zum Zeitpunkt, als der PKW das Fahrrad touchierte, als Beschäftigter nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII unfallversichert war, da er sich auf dem direkten Weg zu seiner Arbeitsstätte befand. Zu diesem Zeitpunkt habe er aber keinen Gesundheitsschaden erlitten. Der Versicherungsschutz nach § 8 SGB VII (Arbeitsunfall) in Form des Wegeunfalls nach § 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII würde sich lediglich auf den unmittelbaren Weg zwischen dem Ort der versicherten Tätigkeit (Arbeitsstelle) und die Wohnung beziehen. Hier aber habe der Kläger diesen verlassen, indem er die Straße ca. 100m zurückgelaufen sei (und damit entgegen der Fahrtrichtung zur Arbeitsstelle lief).

Das LSG stellte auf die Handlungstendenz ab. Diese sei maßgeblich für die Beurteilung, ob eine konkrete Verrichtung der grundsätzlich versicherten Fortbewegung (zur Arbeitsstelle bzw. zur Wohnung) diene, wobei das Handeln subjektiv (zumindest auch) auf Erfüllung dieses Tatbestandes ausgerichtet sein müsse. Die subjektive Handlungstendenz müsse sich in objektiven Umständen widerspiegeln. Diese Voraussetzungen seien bei dem Zurücklaufen nicht gegeben.

Soweit der Kläger vorgetragen habe, er sei nur ca. 25m zurückgelaufen und habe sich damit noch in einem räumlich zusammenhängenden Unfallbereich befunden, folgte dem das LSG nicht, da der PKW an einer Kreuzung ca. 100m entfernt angehalten habe und die Auseinandersetzung im unmittelbaren Bereich des PKW stattgefunden habe. Es läge damit kein Unfallversicherungsschutz eine Versicherten vor, der bei üblichen Regulierungsgesprächen nach einem Verkehrsunfall einen (eventuell weiteren) Schaden erleide, da sich für ihn eine Gefahr realisierte, der er im Wesentliche infolge des Zurücklegens des versicherten Weges ausgesetzt gewesen sei.

Zudem sei die Handlungstendenz des Klägers ersichtlich von dem Willen geprägt gewesen, das Nummernschild des PKW zu fotografieren. Ob auch die Absicht bestand, den Fahrer des PKW zur Rede zu stellen, könne auf sich beruhen, da auch dies lediglich von dem persönlichen Motiv der Anspruchssicherung geprägt gewesen wäre, es also dem Kläger jedenfalls nicht darum gegangen sei, seinen Arbeitsweg zügig fortzusetzen, da dies einem Nachstellen bis zum PKW nicht bedurft hätte.

Ein Versicherungsschutz sei nicht bereits deshalb gegeben, wenn ein Versicherter bei üblichen Regulierungsgesprächen einen (weiteren) Unfall erleide, da er einer Gefahr erlegen sei, der er wesentlich infolge des Zurücklegens des versicherten Weges ausgesetzt sei. Der Schutzzweck der Norm schütze vor Risiken eines Unfalls bei der Ausübung einer dem Beschäftigungsunternehmen dienenden Verrichtung, wozu Auseinandersetzungen aus Anlass einer Verkehrsgefährdung nicht gehören würden.

Würde der Arbeitsweg aus Gründen wie hier unterbrochen, entfalle der innere Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit. Nur bei einer geringfügigen Unterbrechung des Arbeitsweges würde der Versicherungsschutz fortbestehen, die dann vorliege, wenn der zeitliche und räumliche Zusammenhang mit dem Arbeitsweg noch bestünde. Das setze voraus, dass keine erhebliche Zäsur in der Richtung auf das Ziel vorläge, da sie ohne nennenswerte zeitliche Verzögerung „im Vorbeigehen“ oder „ganz nebenher“ erledigt werden könne. Das läge bei dem Absteigen vom Fahrrad und entfernen in entgegengesetzter Richtung von 100m nicht vor.

Auch eine Verkehrssicherungspflicht nach § 34 StVO käme hier nicht zugunsten des Klägers zum Tragen. § 34 StVO belehre die Verkehrsteilnehmer über ihre Pflichten nach einem Verkehrsunfall und schütze das private Interesse der Unfallbeteiligten und Geschädigten an einer möglichst umfassenden Aufklärung des Unfallgeschehens sowie die Anspruchssicherung. Dies ei dem privaten Bereich zuzurechnen, womit nicht mehr die Fortsetzung des Zurücklegens des Arbeitsweges verbunden sei.

Auch ein Anspruch gegen die beigeladene nach § 1 Abs. 1 Nr. 13c SGB VII käme nicht in Betracht. Hier würden Personen dem gesetzlichen Unfallversicherungsschutz unterfallen, die sich bei der Verfolgung oder Festnahme einer einer Straftat verdächtigen Person persönlich einsetzen. Der Einsatz müsste von der Handlungstendenz getragen sein, für das Gemeinwohl und die Rechtsordnung tätig zu werden. Das war nicht der Fall, da der Kläger nur seine persönlichen Ansprüche auf Schadensersatz habe sichern wollen.

Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Urteil vom 08.10.2020 - L 3 U 134/19 -

Samstag, 14. November 2020

Absturzsicherung des freiliegenden Treppenlaufs auf Baustelle und Haftung nach § 110 Abs. 1 S. 1 SGB VII

 

Die Klägerin als gesetzliche Unfallversicherung machte gegen die Beklagte Aufwendungen im Zusammenhang mit einem Arbeitsunfall des Zeugen G gem. § 110 Abs. 1 SGB VII geltend. Der Zeuge war bei dem Beklagten, der Inhaber eines Malerbetriebs war, beschäftigt und erlitt den Arbeitsunfall, als er in einem Treppenhaus, in dem Treppengeländer nicht vorhanden waren und auch eine Absturzsicherung fehlte, seitlich von der vom Podest ausgesehen dritten Stufe von unten auf das Podest stürzte und dabei verletzte.

Das Landgericht wies die Klage ab; das Oberlandesgericht hatte die Berufung der Klägerin zurückgewiesen, da nach seiner Auffassung die Voraussetzungen des § 110 Abs. 1 SGB VI nicht gegeben seien. Es ließe sich nicht feststellen, dass der Unfall durch eine Verletzung einer Unfallverhütungsvorschrift (hier: § 12 Abs. 1 Nr. 2 BGV C 22 „Bauarbeiten“, wonach Absturzsicherungen bei mehr als 1m Arbeitshöhe an freiliegenden Treppenläufen und Absätzen vorhanden sein müssten) verursacht wurde, da sich der Unfall, als der Geschädigte auf der dritten Treppenstufe gewesen sei, in einer Höhe von ca. 50cm ereignet habe. Auch eine ganzheitliche Betrachtung würde dies nicht ändern, da dann zwar die Treppe mit einer Absturzsicherung hätte versehen werden müssen, aber, da diese 1m über dem Treppenpodest hätte aufhören können, den Unfall auch nicht notwendig hätte vermeiden können.

Der BGH wies die Revision zurück.

Dabei wies der BGH darauf hin, dass die Haftung für haftungsprivilegierte Schädiger (wie Arbeitgeber) auf Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit beschränkt sei. Grobe Fahrlässigkeit setze einen objektiv schweren und subjektiv nicht entschuldbaren Verstoß gegen die Anforderungen der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt voraus. Es müsste dasjenige unbeachtet geblieben sein, was im gegebenen Fall jedem einleuchten müsste. Die objektiv grobe Pflichtverletzung verlange weiterhin auch subjektiv eine unentschuldbare Pflichtverletzung, die das Maß des § 276 Abs 2 BGB überschreite. Es sei von daher nicht möglich, diese grobe Fahrlässigkeit mit Verweis alleine auf Unfallverhütungsvorschriften zu begründen, da auch bei einem Verstoß noch eine Wertung des Verhaltens des Schädigers geboten sei. Dabei käme es darauf an, ob sich die Unfallverhütungsvorschrift mit dem Schutz vor tödlichen gefahren befasse und elementare Sicherungspflichten zum Inhalt habe. Auch sei entscheidend, ob der Schädiger nur unzureichende oder gar keine Sicherungsmaßnahmen ergriffen habe.

Richtig sei die Auffassung des Berufungsgerichts, dass die Beklagte den Treppensturz nicht durch einen Verstoß gegen die maßgebliche Unfallverhütungsvorschrift zur Absturzsicherung verursacht habe. Zwar läge ein objektiver Verstoß insoweit vor, als die Treppe völlig ungesichert gewesen sei und die Beklagte das Treppengeländer im Zuge der Bauarbeiten demontierte.  Doch wäre dies nicht kausal geworden, da die konkrete Unfallstelle noch nicht von dem Gebot der Absturzsicherung umfasst gewesen sei.

Nach den Regelungen des § 12 Abs. 1 Nr. 1 UVV bestimme sich die Notwendigkeit einer Absturzsicherung in Abhängigkeit von der an der jeweiligen Absturzkante zu messenden  Absturzhöhe. Wie damit das Berufungsgericht richtig erkannte, bestand hier bei der tatsächlichen Absturzhöhe  keine Absturzsicherung. Entgegen der Annahme der Revision sei auch nicht eine Absturzsicherung im gesamten Treppenbereich notwendig, wenn eine solche an sich vorhanden sein müsste. Das mag nach Auffassung des BGH sinnvoll sein, damit nicht der Nutzer irgendwann „ins Leere greift“. Doch ergäbe sich diese Pflicht nicht aus der UVV.

Selbst würde man allerdings die vollständige Absicherung der Treppe als notwendig ansehen, läge im Falle der Unterlassung wie hier keine grobe Fahrlässigkeit vor. Denn in diesem Fall könne für den unteren Bereich (der für sich alleine nicht sicherungspflichtig wäre) nicht allgemein angenommen werden, dass die Sicherung dem Schutz der Arbeiter vor tödlichen Gefahren diene und elementare Sicherungspflichten zum Inhalt habe. Bei einen Sturz von der dritten Stufe sei nicht mit tödlichen Gefahren zu rechnen.

BGH, Urteil vom 21.07.2020 - VI ZR 369/19 -