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Dienstag, 27. August 2024

Mitwirkung des Richters bei Versäumnisurteil (1. Instanz) und Befangenheit (2. Instanz)

Immer wieder wechseln Richter vom Landgericht zum (zuständigen) Oberlandesgericht oder werden vom Landgericht zum Oberlandesgericht oder umgekehrt abgeordnet. Das kann im Einzelfall dazu führen, dass sie z.B. beim Oberlandesgericht mit einem Verfahren konfrontiert werden, bei dem sie auch bereits erstinstanzlich mitgewirkt haben. So auch in dem vom OLG zu beurteilenden Fall, in dem ein Vorsitzender Richter am OLG erstinstanzlich (im Rahmen eines dort zunächst ergangenen) Versäumnisurteils mitgewirkt hatte, welches durch das nach Einspruch ergangene Urteil weitestgehend aufrechterhalten wurde und nunmehr dem Senat die Entscheidung über die Berufung oblag, dem der Vorsitzende Richter angehörte. Und natürlich erfolgte wurde zum Einen ein Ausschluss seiner Person nach § 41 Nr. 6 ZPO eingewandt, zum Anderen ein Befangenheitsantrag gestellt.  gegen ihn ein Befangenheitsantrag. Beides wurde zurückgewiesen.

1. Ausschluss gem. § 46 Nr. 6 ZPO

Der zur Entscheidung berufene Senat verwies auf den Wortlaut von § 46 Nr. 6 ZPO, demzufolge ein Richter, der in einer früheren Instanz oder in einem vorangegangenen schiedsgerichtlichen Verfahren mitgewirkt habe, unter den weiteren Voraussetzungen von § 41 Nr. 6 ZPO vom Richteramt in derselben Angelegenheit ausgeschlossen sei. Dies diene der Gewährleistung eines unparteiisch entscheidenden Instanzenzuges. Dieser Ausschluss greife bei Erlass (so der Wortlaut von Nr. 6) jeder Entscheidung, die nach der Anfechtung mit einem ordentlichen Rechtsmittel (§§ 511 ff, 542 ff, 567 ff ZPO) einer Entscheidung durch das Rechtsmittelgericht unterliege. Nicht abgestellt würde für den Ausschluss auf eine Mitwirkung bei der Verkündung der Entscheidung, da diese nach dem Erlass erfolgt (vgl. § 309 ZPO). Umfasst seien damit die Mitwirkung bei dem Erlass von Endurteilen 1. Und 2. Instant und von Zwischenurteilen gem. § 303 ZPO. Auf die Mitwirkung an diesen Urteilen vorausgehenden Entscheidungen käme es nicht an (BGH, Beschluss vom 18.12.2014 – IX ZB 65/13 -).

Daher führe die Mitwirkung an einem die Instanz nicht abschließenden Versäumnisurteil nicht zu einem Ausschluss nach § 41 Nr 6 ZPO (entgegen BAG, Beschluss vom 07.02.1968 - 5 AR 43/68 -).

Anmerkung: Das BAG hatte u.a. darauf abgestellt, dass zu berücksichtigen sei, dass ggf. die Entscheidung über die Berufung nur davon abhängen könne, ob die Klage schlüssig sei. Wenn der Richter des Berufungsverfahrens aber bereits erstinstanzlich im Rahmen eines Versäumnisurteils notwendig eine Schlüssigkeitsprüfung hatte vornehmen müssen, könne dies bereits zur Voreingenommenheit im Berufungsverfahren führen, weshalb § 41 Nr., 6 ZPO bei einer Mitwirkung an einem Versäumnisurteil in der Vorinstanz entsprechend anzuwenden sei. Das OLG hat sich hier – leider – mit diesem stichhaltigen Argument nicht auseinandergesetzt.

2. Befangenheit gem. § 42 Abs. 2 ZPO

Eine (für einen erfolgreichen Befangenheitsantrag ausreichende) Besorgnis der Befangenheit liegt vor, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist. Misstrauen gegen die Unparteilichkeit des Richters zu rechtfertigen. Bai, so das OLG zutreffend, müsse es sich um einen objektiven Grund haben, der vom Standpunkt des Ablehnenden aus bei vernünftiger Betrachtung die Befürchtung erwecken könne, der Richter stehe der Sache nicht unvoreingenommen und damit nicht unparteiisch gegenüber.

§ 42 Abs. 2 ZPO müsse mit Blick darauf, dass niemand seinem gesetzlichen Richter entzogen werden dürfe (Art. 101 Abs. 1 SD. 1 GG), ausgelegt werden. Gleichwohl dürften die Anforderungen an die Vernunft und Einsichtsfähigkeit der ablehnenden Partei nicht überspannt werden. Gleichwohl sieht das OLG die richterliche Neutralität durch die frühere Befassung im Zusammenhang mit einem Versäumnisurteil nicht als in Frage gestellt an. Alleine eine Befassung in einem früheren Verfahren auch über den gleichen Sachverhalt, welches für die Partei einen ungünstigen Ausgang gehabt habe, genüge nicht als Ablehnungsgrund, wenn nicht eine atypische Situation vorläge.

Diese atypische Situation wurde vorliegend vom OLG verneint. Dabei verwies es darauf, dass es in der Praxis zahlreiche Konstellationen gäbe, in denen ein Richter eigene Entscheidungen oder Maßnahmen im weiteren Verfahren zu überprüfen und ggf. zu ändern habe, z.B. die Schlüssigkeitsprüfung nach einem Einspruch gegen ein Versäumnisurteil, Prüfung von Verfügungsanspruch und -grund nach einem Widerspruch gegen eine Beschlussverfügung (im Arrest- oder einstweiligen Verfügungsverfahren) und eine Entscheidung in der Hauptsache nach Bewilligung der Prozesskostenhilfe. Ein Richter, der hier jeweils seine Meinung zum Ausdruck gebracht habe, verliere dadurch nicht seine Unparteilichkeit oder Unabhängigkeit. Das Gesetz ginge in all diesen Fällen davon aus, dass er seine Meinung unter Berücksichtigung der Argumente der Parteien unter Berücksichtigung der Argumente der Parteien und etwaiger neuer Erkenntnisse unvoreingenommen überdenke und ggf. bereit sei, von seiner bisherigen Auffassung abzuweichen. Dementsprechend würde eine Befangenheit selbst dann verneint, wenn ein Richter nach Aufhebung seines früheren Urteils durch da höhere Gericht wieder mit der Sache befasst würde (OLG Karlsruhe, Beschluss vom 10.08.1983 - 7 W 85/83 -). Gleiches gelte bei einer Restitutionsklage. Läge mithin kein Fall des § 41 Nr. 6 ZPO vor, sei die Vorbefassung als solcher kein Grund für eine Besorgnis der Befangenheit.

Anmerkung: Wollte man vorliegend mit dem BAG aaO. einen Fall des § 41 Nr. 6 ZPO annehmen, wäre damit auch der Befangenheitsantrag begründet. Zudem finden sich in der Praxis häufig Richter, die von einer einmal vorgefassten Ansicht nicht abkommen, weshalb es auch zu Rechtsmitteln kommt. Wenn diese Richter dann im Rechtsmittelzug wieder tätig werden (können, da sie nicht an dem Erlass der Entscheidung selbst beteiligt waren), ist nicht ausgeschlossen, dass die Rechtsmittelinstanz davon geprägt wird.

OLG Frankfurt, Beschluss vom 08.05.2024 - 6 U 212/23 -

Sonntag, 9. Juni 2024

Befangenheit des Richters bei früherer Anstellung in Kanzlei eines Prozessbevollmächtigten ?

Die Einzelrichterin hatte nach Übernahme des Dezernats in einem Verfahren im Zusammenhang mit Schadensersatz aus einem Verkehrsunfall am 10.11.2023 eine dienstliche Erklärung abgegeben, nach er sie im Zeitraum von …2022 bis …2023 als angestellte Rechtsanwältin in der Kanzlei des einen beteiligten Prozessbevollmächtigten  in dessen Abteilung Krankenversicherungsrecht und Arzthaftung tätig gewesen sei, mit allgemeinen Verkehrsunfallsachen (wie hier anhängig( nicht zu tun gehabt habe und auch die Beklagtenpartei nie vertreten habe. Die Klägerin lehnte daraufhin am 17.11.2023 die Richterin wegen Besorgnis der Befangenheit ab. Durch Beschluss vom 04.12.2023 wurde das Ablehnungsgesuch zurückgewiesen. Die dagegen eingelegte (sofortige) Beschwerde der Klägerin war erfolgreich.

Unter Verweis auf § 42 Abs. 1, 2 ZPO und u.a. den Beschluss des BVerfG vom 05.04.1990 - 2 BvR 413/88 - führte das OLG als Beschwerdegericht aus, dass ein Grund für die Annahme der Befangenheit eines Richters vorläge, wenn dieser Grund geeignet sei, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit eines Richters zu rechtfertigen; erforderlich (aber auch ausreichend) sei dafür das Vorliegen eines Sachverhalts, der vom Standpunkt des Ablehnenden aus bei vernünftiger Betrachtung und Würdigung aller Umstände berechtigten Anlass zu Zweifeln an der Unvoreingenommenheit des Richters gebe. Nicht ausreichend seien vorläufige Meinungsäußerungen und Einschätzungen des Richters im Rahmen der materiellen Prozessleitung, ebenso wenig bloße Verfahrensverstöße oder fehlerhafte Entscheidungen, soweit die Grenze zur Willkür nicht überschritten sei. Diese Grundsätze würden hier die Richterablehnung rechtfertigen.

Zwar würde nicht jede geschäftliche oder berufliche Beziehung eines Richters zu einem Prozessbeteiligten einen Befangenheitsgrund darstellen. Allerdings würde der Umstand, dass ein früheres Arbeitsverhältnis erst kurze Zeit und weniger als sechs Monate vor der Befassung mit dem Rechtsstreit beendet worden sei, einen Umstand darstellen, der aus der Sicht einer ruhig und vernünftig abwägenden Partei geeignet sei, Zweifel an der Unparteilichkeit und Unvoreingenommenheit der Richterin zu wecken, auch wenn eine Unvoreingenommenheit durch ein konkretes Verhalten im Verfahren unmittelbar keinen Anlass zu einer solchen Besorgnis gegeben habe (OLG München, Urteil vom 26.03.2014 - 15 U 4783/12 -).  Es erscheine aus Sich einer Partei auch bei vernünftiger Betrachtung nicht völlig fernliegend, dass die Richterin persönliche und emotionale Beziehungen zu dort (auch in verantwortlicher Stellung) tätigen Personen aufgebaut und sich Sichtweisen und Wertungen der Kanzlei zu eigen gemacht habe (OLG München aaO.), die bei der Kürze von weniger als 6 Monaten zwischen Beendigung der Tätigkeit in der Kanzlei und Befassung in diesem Rechtstreit noch nachwirken könnten. Dies gelte unabhängig davon, ob es zu Überschneidungen des Mandatsverhältnisses mit der anwaltlichen Vortätigkeit der Richterin gäbe, wie auch unabhängig von einer persönlichen  Befassung mit dem Mandat oder der Materie im Rahmen der anwaltlichen Vortätigkeit (OLG München aaO.). Es bedürfe daher hier nicht der Prüfung, ob eine die Besorgnis der Befangenheit begründende Vorbefassung der abgelehnten Richterin vorgelegen habe, worauf es allerdings, wie das Beschwerdegericht richtig anmerkt, bei zunehmender Zeitdauer zwischen der Beendigung der anwaltlichen Tätigkeit und späterer Befassung im Richteramt ankäme.

Anmerkung: Der Entscheidung ist zuzustimmen. Ob ein abgelehnter Richter tatsächlich befangen ist, muss nicht festgestellt werden, Es reicht der sogenannte „böse Schein“. Arbeitete der erkennende Richter noch kurz vor seiner Befassung mit dem Rechtsfall  für. eine eine Partei des Verfahrens vertretene Anwaltskanzlei, ist dieser „böse Schein“ anzunehmen. Ob allerdings eine Zeitdauer zwischen Beendigung der anwaltlichen Tätigkeit und richterliche Übernahme des Rechtsfalls von 6 Monaten ausreichend ist, diesen „bösen Schein“ auszuräumen, dürfet wohl kaum pauschal betrachtet werden können und auf die Umstände des Einzelfalls, so Dauer der Zugehörigkeit zur Kanzlei, dem weiter bestehenden Kontakt, der Materie des Rechtsstreits und der ehemaligen Tätigkeit des Richters in der Kanzlei, ankommen.  Richtig ist zudem, dass unabhängig von einer zeitlichen Abfolge dann auch eine Befangenheit iSv. § 42 ZPO anzunehmen ist, wenn eine Vorbefassung des Richters im Rahmen seiner anwaltlichen Tätigkeit vorlag.

Brandenburgisches Oberlandesgericht, Beschluss vom 22.01.2024 - 1 W 32/23 -

Sonntag, 18. Oktober 2020

Ablehnung aller Handelsrichter eines Gerichts wegen Besorgnis der Befangenheit

Es kommt sicher nicht häufig vor, dass alle Richter eines Gerichts abgelehnt wurden. Hier betraf es die Handelsrichter eines Landgerichts. Dieses hatte eine Kammer für Handelssachen (KfH), bei der die Klägerin Klage auf Zahlung von € 238.128,70 einreichte. Der Vorsitzende Richter der Kammer zeigte an, dass der Geschäftsführer der Klägerin Handelsrichter beim Landgericht sei. Die Beklagte lehnte den Vorsitzenden (erfolgreich) wegen Besorgnis der Befangenheit ab. Mit einem weiteren  Antrag lehnte die Beklagte die (nicht namentlich benannten) der Kammer wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt. Der Stellevertretende Vorsitzende der Kammer wies darauf hin, dass das Landgericht beschlussunfähig sei, da sämtliche Handelsrichter der einzigen Kammer für Handelssachen abgelehnt worden seien und eine Entscheidung über den Befangenheitsantrag unter Beteiligung von Handelsrichtern erfolgen müsse (also vorliegend nicht eine andere Kammer für Handelssachen geschäftsplanmäßig die Entscheidung treffen kann). Im Hinblick darauf regte die Beklagte an, dass gegebenenfalls (also bei erfolgreicher Ablehnung) auch über das zuständige Gericht nach § 36 Abs. 1 Nr. 1 ZPO entschieden werde.

Das OLG entscheid, dass es nach § 45 Abs. 3 ZPO zuständig sei. Zwar sei über einen Befangenheitsantrag durch das Gericht zu entscheiden, dem der abgelehnte Richter angehöre. Wenn allerdings wie hier bei Ablehnung aller Handelsrichter nur der Vorsitzende (vorliegend gem. Geschäftsverteilungsplan der Stellvertretende Vorsitzend er der Kammer) ohne Handelsrichter entscheiden müsse und nicht, wie erforderlich, durch den ganzen Spruchkörper entschieden werden kann, sei das nächsthöhere Gericht (hier das OLG) zur Entscheidung berufen. Ebenfalls sei in diesem Fall das OLG nach § 36 Abs. 2 ZPO zur Entscheidung berufen, die Gerichtsstandsbestimmung nach § 36 Abs. 1 Nr. 1 ZPO vorzunehmen.

Das Ablehnungsgesuch sah das OLG als begründet an. Dem stünde nicht entgegen, dass die abgelehnten Richter nicht namentlich benannt worden seien. Nach § 44 Abs. 1 ZPO reiche deren zweifelsfreie Bestimmbarkeit aus, was dann der Fall sei, wenn wie hier  sämtliche Richter eines Spruchkörpers bei identischem Ablehnungsgrund abgelehnt würden (BVerwG, Beschluss vom 29.01.2014 – 7 C 13/13 -).

In der Sache hielt das OLG den Befangenheitsantrag gegen alle Handelsrichter der Kammer nach § 42 Abs. 1 und 2 ZPO für begründet. Es sei eine fehlende Unparteilichkeit der Handelsrichter aus Sicht des Ablehnenden bei vernünftiger Betrachtung und Würdigung aller Umstände berechtigter Zweifel an der Unvoreingenommenheit des abgelehnten Richters bestünde. Da es sich bei dem Geschäftsführer der Klägerin um einen der Kammer zugehörigen Handelsrichter handele, führe dies dazu, dass eine persönliche Beziehung bestünde, die bei einer besonnenen und vernünftigen Prozesspartei zu berechtigten Zweifel an der Unvoreingenommenheit auch der übrigen Handelsrichter führen könne. Die enge Zusammenarbeit von Richtern in einem Kollegialgericht führe regelmäßig zu einer persönlichen Beziehung zwischen ihnen, die die Unbefangenheit in Frage stelle, wenn einer von ihnen selbst Partei des Rechtstreites sei. Der abweichenden Auffassung des OLG Schleswig (Beschluss vom 01.12.1987 - 1 W 63/87 -) sei nicht zu folgen, da die richterliche Zusammenarbeit in einem gemeinsamen Spruchkörper eine offene und vertrauensvolle Zusammenarbeit erfordere  und auch über den jeweils aktuellen Rechtsstreit, der gemeinsam bearbeitet würde, hinaus zwangsläufig zu persönlichen Kontakten und Eindrücken führe, die sich auf die Einstellung zum prozessführenden Handelsrichter auswirken könnten.

Da damit alle Handelsrichter der einzigen KfH bei dem Landgericht an der weiteren Bearbeitung des Rechtsstreits gehindert seien, sei nach § 36 Abs. 1 Nr. 1 ZPO das für die Fortsetzung des Verfahrens zuständige Gericht zu bestimmen. Das OLG bestimmte das LG Potsdam, da es örtlich am nächsten zu dem bisherigen Gericht liegt.

Brandenburgisches OLG, Beschluss vom 26.03.2020 - 1 AR 57/19 -

Montag, 5. August 2019

Befangenheit: Private anwaltliche Vertretung des Richters durch einen der Prozessbevollmächtigten


Der Fall tritt nicht häufig, aber immer wieder ein. Auch ein Richter benötigt (insbesondere bei Verfahren vor dem Land- und Oberlandesgericht) anwaltlichen Beistand. Was aber passiert in einem solchen Fall, wenn dieser Richter nun in einem Verfahren zu entscheiden (oder mitzuentscheiden) hat, in dem „sein“ Anwalt eine der Verfahrensparteien vertritt ?

Vorliegend hat der Richter diese Umstände der Kammer des Landgerichts und den Prozessbeteiligten mitgeteilt, und zwar „gemäß § 48 ZPO“. Nach § 48 ZPO muss das Gericht,  auch wenn kein Befangenheitsantrag gestellt wurde, über eine eventuelle Befangenheit eines Richters entscheiden, wenn dieser eine Mitteilung über Umstände macht, die möglicherweise seine Befangenheit begründen können. Die Kammer hat die Mitteilung als Selbstablehnung nach § 48 ZPO gewertet und diese mit Beschluss vom 19.07.2018 zurückgewiesen. Dagegen legte die Klägerin sodann sofortige Beschwerde ein, der die Kammer nicht abhalf. Das OLG gab der Beschwerde statt und erklärte die Selbstablehnung des Richters als begründet.

Ohne dass das OLG darauf einging (oder eingehen musste) ist hier anzumerken, dass eine Selbstablehnung eines Richters nicht automatisch zum Ausschluss des Richters wegen Befangenheit führt. Es findet hier wie bei einem Befangenheitsantrag einer Partei die übliche Prüfung statt, ob, gem. § 42 Abs. 2 ZPO ein Grund vorliegt, Mistrauen gegen die Unparteilichkeit des Richters zu rechtfertigen, unabhängig davon, ob sich der Richter subjektiv selbst für befangen hält. Hintergrund ist, dass ein Richter nicht mit der Begründung einer nicht vorliegenden Befangenheit ein Verfahren „abgeben“ kann, was dann gegen das Erfordernis des gesetzlichen Richters spräche.

Deshalb war vorliegend vom OLG zu prüfen, ob die Vertretung des Richters durch einen der anwaltlichen Prozessbevollmächtigten bei vernünftiger Würdigung aller Umstände Anlass besteht, an der Unvoreingenommenheit des Richters zu zweifeln. Das OLG verwies darauf, dass derartige Zweifel in der Rechtsprechung z.B. dann angenommen würden, wenn der Ehegatte des Richters in einer Kanzlei als Rechtsanwalt tätig ist, die eine Partei vor diesem Richter vertritt (BGH, Beschluss vom 15.03.2012 - V ZB 102/11 -). Es würden Umstände genügen, die geeignet seien, der Partei Anlass zu begründeten Zweifeln zu geben, da es hier darum ginge, den „bösen Schein einer möglicherweise fehlenden Unvoreingenommenheit und Objektivität zu vermeiden“ (BGH aaO. mit Verweis auf BVerfGE 186, 122, 126).  Das OLG führt aus, dass zwar davon auszugehen sei, dass Richter über die notwendige innere Unabhängigkeit und Distanz verfügen würden, gleichwohl unvoreingenommen und  objektiv zu entscheiden, doch könne dem Prozessgegner nicht ein Vertrauen darauf zugemutet werden und erst bei einer (festgestellten) unzulässigen Einflussnahme den Richter abzulehnen (BGH aaO.).  Nichts anders könne nach Auffassung des OLG dann gelten, wenn sich der Richter - wie hier - privat von einem der Verfahrensbevollmächtigten vertreten lassen würde, da durch die Beauftragung dieses Anwalts durch den Richter ein notwendiges Vertrauen zu diesem und seinen Fähigkeiten bekundet würde (zumal, wenn es sich wie hier um ein spezielles Fachgebiet [Bausachen, §§ 72a Abs. 1 Nr. 2, 119a Abs. 1 Nr. 2 ZPO] in beiden Verfahren handele). Vom Standpunkt einer ruhig und vernünftig denkenden Partei ließe sich damit nicht ausschließen, dass der Richter „seinem“ Anwalt nicht unvoreingenommen und unbefangen gegenübertreten würde (wobei vorliegend noch hinzukommen würde, dass dieser Anwalt vom Richter erst im Berufungsrechtszug mandatiert worden sei, was auf besonderes Vertrauen auf seine Fähigkeit rückschließen ließe).

OLG Köln, Beschluss vom 12.12.2018 - 17 W 134/18 -

Montag, 17. Juni 2019

Befangenheit des Richters: Drohkulisse zum Zwecke des Erreichens einer Klagerücknahme


Das Landgericht Bonn (LG) hatte nach zutreffender Ansicht des OLG Köln aus zwei Gründen zu Unrecht einen gegen einen Vorsitzenden einer Kammer des LG gestellten Befangenheitsantrag abgewiesen.

Der Antrag wurde vom LG als unzulässig zurückgewiesen, da der Kläger nach Stellen des Befangenheitsantrages weiter verhandelt habe. Das OLG schließt sich hier der Auffassung des BGH (Beschluss vom 26.04.2016 - VIII ZB 47/15 -) an, wonach ein Verlust des Ablehnungsrechts nicht deswegen eintrete, da die ablehnenden Partei nach dem Antrag weiter verhandeln würde. Letztlich würde sogar § 47 Abs. 2 ZPO dafür sprechen, dass die Partei sogar bei Fortsetzung der Verhandlung nach verhandeln müsse, unabhängig davon, dass § 43 ZPO auch nur von einem Verlust des Ablehnungsrechts für den Fall spricht, dass ohne Ablehnung weiter verhandelt würde.

Hintergrund für den Befangenheitsantrag war, wovon hier das OLG ausging: Der abgelehnte Vorsitzende Richter hatte unmittelbar auf den Kläger zwecks einer Klagerücknahme eingewirkt, ihn dazu drängen wollen und sich dabei auch abwertend über die Kanzlei des Prozessbevollmächtigten des Klägers geäußert.

Die Annahme der Befangenheit eines Richters erfordert das Vorliegen eines Grundes, der geeignet ist, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit zu rechtfertigen, ohne dass positiv festgestellt werden muss, ob der Richter tatsächlich befangen ist BGH aaO.). Entscheidend ist alleine, dass die ablehnende Partei bei vernünftiger Würdigung aller Umstände Anlass hat an der Unvoreingenommenheit zu zweifeln. Dies war nach Auffassung des PLG hier der Fall.

Grundsätzlich könne der Richter eine Partei auf die Unbegründetheit ihrer Klage hinweisen, ebenso auf die Möglichkeit der Klagerücknahme. Dies folgert das OLG aus § 139 ZPO, wonach der Sach- und Streitstand mit den Parteien zu erörtern sei und in diesem Zusammenhang Belehrungen, Meinungsäußerungen und Hinweise zulässig seien. Allerdings habe dies sachgerecht und hinreichend distanziert zu erfolgen, damit nicht die Befürchtung erweckt würde, der Richter stünde der Sache nicht unvoreingenommen und unparteiisch gegenüber. Vorliegend sei durch den Vorsitzenden Richter dieses Maß überschritten worden.

Hier habe der Richter u.a. seinen Unmut darüber zum Ausdruck gebracht, dass der Klägervertreter häufiger rechtsschutzversicherte Mandate habe und unbegründete Klagen erhebe. Damit habe der Richter aus Sicht eines objektiven Dritten bereits den Anschein erweckt, das Gericht würde Klagen des Prozessbevollmächtigten des Klägers, gar wenn sie rechtsschutzgedeckt seien, negativ gegenüberstehen, was für die Annahme der Befangenheit ausreiche. Unterstütz wurde dies durch die weitere Thematisierung der Rechtsschutzversicherung durch den Richter, der zwar eine Rechtsschutzversicherung je nach Veranlassung (also bei der Frage der Kostentragung bei Vergleichsgesprächen oder im Hinblick auf Risiken bei einer kostenintensiven Beweisaufnahme) ansprechen dürfe; allerdings sei es für das gerichtlich Verfahren völlig irrelevant, ob bei Erhebung einer unbegründeten Klage, nicht vollständiger Sachverhaltsdarstellung oder unterlassener Klagerücknahme trotz gerichtlichen Hinweises eine Rechtsschutzversicherung Konsequenzen zieht, weshalb der (hier wiederholte) Hinweis des abgelehnten Richters auf mögliche Probleme des Klägers mit seiner Rechtsschutzversicherung bei Weiterführung des Prozesses einen unzulässigen Druck auf den Kläger ausüben würde.

OLG Köln, Beschluss vom 06.03.2019 - 20 W 1/19 -