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Donnerstag, 8. Juni 2023

Anrechnung eines Großkundenrabatts bei Schadensregulierung nach Verkehrsunfall ?

Die klagende Leasinggesellschaft, die nur Neuwagen, keine Gebrauchtwagen anschaffte, machte restliche Schadensersatzansprüche aus einem Verkehrsunfall mit einem ihrer Fahrzeuge geltend. Das von ihr eingeholte Sachverständigengutachten wies für das beschädigte Fahrzeug einen Wiederbeschaffungswert von € 26.218,49 und einen Restwert von € 14.521,01 aus. Unter Abrechnung auf Basis eines Totalschadens begehrte sie € 11.697,48. Gezahlt wurden von der beklagten Haftpflichtversicherung darauf nur € 6.453,78 mit der Begründung, die Klägerin müsse sich einen Großkundenrabatt von 20% auf den Wiederbeschaffungswert anrechnen  lassen, da sie bei Neuwagenkauf diesen Rabatt erhalte. Die Klage auf Zahlung des Betrages von € 6.453,78 wurde abgewiesen. Auf die Berufung hin wurde der Klägerin der Betrag zugesprochen.

Das Oberlandesgericht (OLG) führte aus, dass der Geschädigte gem. § 240 Abs. 2 S. 1 BGB statt der Herstellung den dazu erforderlichen Geldbetrag verlangen könne. Bei einem wirtschaftlichen  Totalschaden wie hier könne der Geschädigte den Betrag fordern, der für die Beschaffung eines gleichwertigen Fahrzeuges (zum Zeitpunkt direkt vor dem Unfall) erforderlich sei, mithin den Wiederbeschaffungswert abzüglich Restwert (BGH, Urteil vom 06.03.2007 - VI ZR 120/06 -). Der Wiederbeschaffungswert richte sich nach den nach den Verhältnissen auf dem Gebrauchtwagenmarkt zu ermittelnden Preis für einen entsprechenden Gebrauchtwagen bei Kauf von einem seriösen Händler (BGH, Urteil vom 23.05.2017 - VI ZR 9/17 -).  

Für die konkrete wie auch die fiktive Schadensabrechnung würde das Wirtschaftlichkeitsgebot gelten (BGH, Urteil vom 29.10.2019 - VI ZR 45/19 -). Abzustellen sei auf einen verständigen, wirtschaftlich denkenden Menschen in der Lage des Geschädigten, ob der Herstellungsaufwand zur Behebung des Schadens zweckmäßig und notwendig bzw. angemessen erscheine. Bei mehreren Möglichkeiten sei der geschädigte gehalten jene zu wählen, die den geringeren Aufwand darstellt; nur dieser sei nach § 240 Abs. 2 S. 1 BGB zur Herstellung erforderlich. Der Geschädigte solle zwar vollen Ersatz verlangen können, nicht aber am Schadensfall verdienen (BGH, Urteil vom 18.10.2011 - VI ZR 17/11 -).

Eingeschränkt würde das Wirtschaftlichkeitsgebot im Rahmen des dem Geschädigten Zumutbaren und unter Berücksichtigung seiner individuellen Lage. Dabei sei auf die individuellen Erkenntnis- und Einflussmöglichkeiten sowie auf die möglicherweise gerade für ihn bestehenden Schwierigkeiten Rücksicht zu nehmen (BGH, Urteil vom 25.06.2019 - VI ZR 358/18 -). Dies könne sich zugunsten des Schädigers wie auch des Geschädigten auswirken. Verfüge der Geschädigte über eine besondere Expertise, erhöhte Einflussmöglichkeiten oder sonstige Vorteile oder Erleichterungen, so sei hierauf zugunsten des Geschädigten Rücksicht zu nehmen. Es könne mithin in der Situation des Geschädigten wirtschaftlich unvernünftig sein, eine ohne weiteres gegebene vorteilhafte Möglichkeit bei der Schadensabwicklung ungenutzt zu lassen, die im Rahmen des eigenen Gewerbes typischerweise ohne weiteres genutzt würde (BGH, Urteil vom 25.06.2019 - VI ZR 358/18 -).

Würde man den von der Klägerin erzielbaren Rabatt auf einen Neupreis anspruchsmindernd berücksichtigen, bliebe unberücksichtigt, dass sich die Naturalrestitution hier nicht auf die Anschaffung eines Neuwagens richte. Nur dann, wenn die Anschaffung eines Neufahrzeuges unter Berücksichtigung des Sonderrabatts wirtschaftlich günstiger wäre als die (wohl fiktive) Anschaffung eines Gebrauchtwagens, könnte die Klägerin darauf verwiesen werden, doch läge hier der Fall nicht vor.

Nach der subjektbezogenen Schadensbetrachtung könne ein Rabatt ansonsten nur berücksichtigt werden, wenn er auf den Erwerb von Gebrauchtwagen gewährt würde. Da die Klägerin nur Neuwagen, keine Gebrauchtwagen kaufe, sei ausgeschlossen, dass der Klägerin ein Großkundenrabatt für Gebrauchtwagen zugänglich sei. Die Rechtsprechung des BGH zur Berücksichtigung von Großkundenrabatten bei der Abrechnung fiktiver Reparaturkosten (BGH, Urteil vom 29.10.2019 - VI ZR 45/19 -) sei hier nicht einschlägig, da dies zur Voraussetzung  habe, dass diese Rabatt der Klägerin ohne weiteres zugänglich gewesen wäre.

Auch die Überlegung, dass die Klägerin das Fahrzeug bereits mit einem Rabatt erworben habe, das Unfallfahrzeug durch ein Neufahrzeug (mit Rabatt) ersetzen würde, rechtfertigt nach Auffassung des OLG nicht die Berücksichtigung des Rabatts. Abzustellen sei auf den Preis, den der Geschädigte für den Kauf eines gleichwertigen Fahrzeuges aufbringen müsse. Nicht käme es auf die Anschaffungskosten, den Abschreibungswert oder den Preis an, den der Geschädigte beim Verkauf des Unfallfahrzeugs in unbeschädigtem Zustand erzielt hätte (BGH, Urteil vom 23.05.2017 - VI ZR 9/17 -). Da der Geschädigte darin frei sei, ob er den Schadensbetrag dazu verwendet, einen (auch höherwertigen) Neuwagen zu kaufen (oder einen Gebrauchtwagen), stünde in seiner freien Disposition (BGH, Urteil vom 29.04.2003 - VZ ZR 393/02; BGH, Urteil vom 05.04.2022 - VI ZR 7/21 -).

OLG Stuttgart, Urteil vom 19.01.2023 - 2 U 303/21 -

Donnerstag, 26. November 2020

Wann besteht Anspruch auf Schadensersatz in Höhe des Kfz-Neupreises nach Verkehrsunfall ?

 

Am Unfalltag betrug der Kilometerstand des PKW des Klägers 571 Kilometer. Die Reparaturkosten beliefen sich nach Gutachten auf brutto € 5.287,43 bei einer Wertminderung von € 1.000,00. Der Kläger verlangte die Kosten für einen Neuwagen mit € 37.181,00 zuzüglich der Sachverständigenkosten für das Gutachten und eine Kostenpauschale mit € 30,00. Das Landgericht gab der Klage im Wesentlichen statt. Auf die Berufung der Beklagten änderte das OLG das Urteil ab und verurteilte die Beklagten zur Zahlung von € 6.180,54 (nämlich Reparaturkosten auf Basis des Gutachtens mit netto € 4.443,22, Sachverständigenkosten, Minderwert und Kostenpauschale, diese mit € 25,00). Die zugelassene Revision wurde vom BGH zurückgewiesen.

Der BGH bekräftigte, dass bei einem fabrikneuen Fahrzeug mit eine Laufleistung von nicht mehr als 1.000km bei einer erheblichen Beschädigung des Fahrzeugs (und ausdrücklich auch nur dann) der Eigentümer berechtigt sei, Ersatz für die Beschaffung eines Neufahrzeugs zu verlangen, wenn er ein gleichwertiges Fahrzeug erworben habe. Die Erwägung, ein repariertes Unfallfahrzeug bleibe wertmäßig hinter einem Neuwagen zurück, lasse den Anspruch auf den Ersatz des Minderwertes unberücksichtigt. Es gelte das Wirtschaftlichkeitspostulat und das Bereicherungsverbot und es sei nicht ersichtlich, welche Gründe bei einer Beschädigung eines Neuwagens für deren Aufgabe sprechen könnten.

Vorliegend habe der Kläger keinen Neuwagen erworben. Die durch Erstattung der Kosten eines angeschafften gleichwertigen Neuwagens erfolgte Anhebung der „Opfergrenze“ des Schädigers erfolge allein zum Schutz des besonderen Interesses des Geschädigten am Eigentum und der Nutzung eines Neufahrzeuges. Dies setze aber ein solches Interesse des Geschädigten voraus, welches durch den Kauf eines Neufahrzeugs nachzuweisen sei. Nur dann sei es gerechtfertigt, mehr als die Reparaturkosten und den merkantilen Minderwert zuzuerkennen.

BGH, Urteil vom 29.09.2020 - VI ZR 271/19 -