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Dienstag, 9. Januar 2024

Beweis für den Zugang eines Einwurf-Einschreibens

Immer wieder stellt sich die Frage, wie ein Schreiben einem Dritten zugestellt werden kann, dass der Zugang bei Bestreiten des Erhalts nachgewiesen werden kann. Im vorliegend vom Rechtstreit vor dem LAG Nürnberg wurde eine ordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses durch den Arbeitgeber (Beklagter) ausgesprochen worden. Vertraglich war eine vierteljährliche Kündigungsfrist zum Quartalsende vereinbart gewesen. Mit einem Einwurf-Einschreiben vom 28.09.2021, welches nach dem Zustellungsnachweis der Deutschen Post AG am 30.09.2023 in den Briefkasten der Klägerin geworfen worden sein soll, kündigte der Beklagte zum 31.12.2023. Die Klägerin wandte sich mit der Klage gegen die Kündigung insoweit, als sie die Feststellung begehrte, dass durch die Kündigung das Arbeitsverhältnis erst zum 31.03.2022 aufgelöst worden sei. Das Arbeitsgericht wies die Klage unter Bezugnahme auf ein Urteil des LAG Schleswig-Holstein vom 18.01.2022 – 1 Sa 159/21 mit der Begründung ab, dass bei Übersendung eines Einwurf-Einschreibens und Vorlage des Einlieferungsbelegs sowie unter Reproduktion des ordnungsgemäß unterzeichneten Auslieferungsbelegs ein Nachweis des ersten Anscheins für den Zugang des Schriftstücks beim Empfänger spreche.  Zwar seien fehlerhafte Zustellungen naturgesetzlich nicht auszuschließen, aber nach der Erfahrung so unwahrscheinlich, dass ein Anscheinsbeweis gerechtfertigt sei. Da das Schreiben von einem Bediensteten der Deutschen Post AG eingeworfen worden sei, sei auch davon auszugehen, dass es zu einer Tageszeit eingeworfen wurde, zu der nach den gewöhnlichen Verhältnissen und den Gepflogenheiten des Verkehrs mit einer Entnahme am gleichen Tag aus dem Briefkasten zu rechnen sei.  Das LAG wies die Berufung der Klägerin gegen dieses Urteil zurück, ließ aber die Revision zu, die derzeit bei dem BAG zu 2 AZR 213/23 anhängig ist (Termin dort: 20.06.2024).

Das LAG folgte der Annahme des Arbeitsgerichts, dass durch die Vorlage der genannten Belge der Beweis des ersten Anscheins für den rechtzeitigen Zugang des Schreibens bei der Klägerin spreche (und verwies dabei u.a. auf die Urteil des BGH vom 27.09.2016 - II ZR 299/15 - und des LAG Mecklenburg-Vorpommern vom 12.03.2019 - 2 Sa 130/18 -. Der erste Anschein spreche auch dafür, dass die Zustellung zu den üblichen Postzustellzeiten erfolgte, da die Zustellung durch einen Mitarbeiter der Deutschen Post AG und nicht durch einen anderen Versanddienstleister oder -boten erfolgt sei; es könne davon ausgegangen werden,  dass der Mitarbeiter die Zustellungen im Rahmen seiner zugewiesenen Arbeitszeiten vornehme; nach der allgemeinen Verkehrsanschauung sei damit zu rechnen, dass bei Hausbriefkästen eine Leerung unmittelbar nach Abschluss der üblichen Postzustellzeiten erfolge (BAG, Urteil vom 22.03.2012 - 2 AZR 224/11 -). Damit würde der Klägerin obliegen, einen Sachverhalt aufzuzeigen, demzufolge das Kündigungsschreiben außerhalb der gewöhnlichen Postzustellzeiten in ihren Briefkasten gelangt sei. Anhaltspunkte für einen späteren Zugang lägen nicht vor, weshalb nach § 130 Abs. 1 S. 1 BGB der Zugang am 30.09.2021 anzunehmen sei und die vertraglich vereinbaret Kündigungsfrist mithin eingehalten worden sei.

Anmerkung: Vorliegend ging es nicht um die Frage, ob das Kündigungsschreiben überhaupt zugegangen ist, sondern ob das vom Mitarbeiter der Deutschen Post AG angegebene Datum stimmte bzw. der Einwurf tatsächlich in den Briefkasten der Klägerin erfolgte. Zweifelhaft halte ich die Annahme eines Beweises des ersten Anscheins. Der Unterzeichner erlebt häufig fehlerhafte Zustellungen, sowohl im privaten als auch im beruflichen Bereich. So finden sich immer wieder (mindestens einmal in zwei Wochen) Schreiben im Kanzleibriefkasten, die nicht nur an eine Dritten adressiert sind, der im gleichen Haus tätig ist, sondern auch gänzlich andere Anschriften benennen. Privat wird in meinen Briefkasten ständig, im rechnerischen Schnitt 1,5 mal die Woche, die Post einer anderen Mitbewohnerin geworfen, wie auch meine Post bei ihr eingeworfen wird, was dazu führt, dass wir insoweit jeweils mit einer Verzögerung von mindestens einen Tag die Post empfangen (bei Eingabe auf Google „Fehlzustellungen der Post“ kann man sehr viele Beschwerden, die sogar Ortsgemeinden zum Tätigwerden veranlassten, finden). Auch was die Richtigkeit von Angaben der Mitarbeiter der Deutschen Post AG anbelangt, kann nicht nur im Hinblick auf die Fehleinwürfe nicht gefolgt werden. So hatte ich den letzten Monaten zwei Zustellungen im Büro, bei denen vermerkt war, dass niemand angetroffen worden sei und deshalb der Einwurf in den Briefkasten erfolge – obwohl das Büro von Montag bis Freitag ab spätestens sieben Uhr bis nach 18.00 Uhr besetzt ist und diese Zustellungen zwischen Montag und Freitag erfolgten. Beschwerden bei der Post der der Bundesnetzagentur als zuständig Aufsichtsbehörde bewirken, wie ich feststellte, nichts. Gleichwohl rate ich dringend an, bei festgestellten Fehlzustellungen (Sie bekommen ihre Post vom Nachbarn, bei dem der Einwurf erfolgte, oder Sie erhalten die Post Dritter pp.) dies sowohl gegenüber der Post als auch der Bundesnetzagentur zu monieren. Kommt es häufig bei Ihnen zu Fehlzustellungen, können sie damit möglicherweise den Anscheinsbeweis, der hier vom LAG angenommen wird, entkräften, unabhängig davon, dass ich der Annahme bin, dass der Anscheinsbeweis im Hinblick auf die Zunahme der Fehlleitungen nicht mehr greifen kann.

LAG Nürnberg, Urteil vom 15.06.2023 - 5 Sa 1/23 -

Samstag, 30. April 2022

Selbständiges Beweisverfahren nach § 485 Abs. 2 ZPO und Schiedsgutachterabrede

Der Streit der Parteien ging in der Sache um behauptete Mängel an einer neuerrichteten Autobahnbrücke. Die Antragstellerin beantragte die Einleitung eines selbständigen Beweisverfahrens nach § 485 Abs. 2 ZPO zur Feststellung von Mängeln bestimmten Stahlbauteilen, dessen Zulässigkeit sich aus § 485 Abs. 1 Fall 2 ZPO wie auch aus € 485 Abs. 2 ZPO ergebe. Von der Antragsgegnerin wurde auf die vereinbarten VOB/B verwiesen, weshalb dem selbständigen Beweisverfahren die Schiedsgutachterabrede nach § 18 Abs. 4 VOB/B und Ziffer 2.3.6. ZTV-ING, Teil 1, Abschnitt 1 entgegenstünde. Das Landgericht wies den Antrag zurück. Auch die sofortige Beschwerde war nicht erfolgreich, weshalb die Antragstellerin die zugelassene Rechtsbeschwerde einlegte. Aber auch diese führte nicht zum Erfolg. Der BGH vertrat die Ansicht, dass die Schiedsgutachterabrede nach § 18 Abs. 4 VOB/B Vorrang habe und es von daher der Antragstellerin an einem rechtlichen Interesse an einem selbständigen Beweisverfahren ermangele.

Nach § 18 Abs. 4 S. 1 VOB/B könne jeder Vertragspartei bei Meinungsverschiedenheiten unter anderem über die Eigenschaft von Stoffen oder Bauteilen, für die allgemein gültige Prüfverfahren bestünden, die materialtechnische Untersuchung durch eine staatliche oder staatlich geprüfte Materialprüfungsstelle vornehmen lassen, deren Feststellungen nach § 18 Abs. 4 VOB/B verbindlich seien. Die Regelung in § 18 Abs. 4 VOB/B stelle eine Schiedsgutachterabrede dar, soweit der gegenständliche Anwendungsbereich reiche.

Im Einzelnen zeigte der BGH den unterschiedlichen Meinungsstand in Rechtsprechung und Literatur zum Verhältnis eines selbständigen Beweisverfahrens im Verhältnis zu einer Schiedsgutachterabrede der Parteien auf. Teilweise würde für ein selbständiges Beweisverfahren das rechtliche Interesse negiert, wenn die Parteien eine Schiedsgutachterabrede getroffen hätten. Nach anderer Ansicht bliebe die Durchführung eines selbständigen Beweisverfahrens trotz Schiedsgutachtervereinbarung zulässig. Eine vermittelnde Ansicht nehme eine Zulässigkeit des selbständigen Beweisverfahrens an, solange ein Schiedsgutachterverfahren noch nicht eingeleitet worden sei bzw. ein Schiedsgutachten noch nicht eingeholt worden sei.  Der BGH folgte der ersten Auffassung zur Unzulässigkeit wegen fehlenden rechtlichen Interesses.

Mit der Schiedsgutachterabrede würden die Parteien die Abrede treffen, dass die gegenständlich in der Vereinbarung (hier § 18 Abs. 4 ZPO) erfassten Tatsachenfragen grundsätzlich bindend durch den Schiedsgutachter festgestellt werden sollen, dessen Feststellungen dann nur noch bedingt nach Maßgabe von §§ 317 ff BGB gerichtlich überprüfbar seien (BGH, Urteil vom 11.03.2021 - VII ZR 196/18 -). Der Wille der Parteien sei mit der Schiedsgutachterabrede darauf gerichtet, dass bei einer Auseinandersetzung ein Schiedsgutachten eingeholt werden solle und über das Beweisthema gerade keine gerichtliche Beweiserhebung vorgenommen werden solle.

Es entspräche den Grundsätzen der Privatautonomie zu entscheiden, ob bei Auseinandersetzungen über tatsächliche Fragen ein Gericht selbständiges Beweisverfahren angestrengt werden soll/kann oder nicht. Ein entsprechender Vertrag, mit dem sich eine Partei zu einem bestimmten prozessualen Verpflichtet oder sich verpflichtet ein solches zu unterlassen, sei wirksam, wenn die Handlung oder Unterlassung möglich sei und weder gegen ein gesetzliches Verbot noch gegen die guten Sitten verstoße (BGH, Urteil vom 21.12.2005 - VIII ZR 108/04 -). Haben die Parteien eine Vereinbarung dahingehend getroffen, dass Feststellungen auf andere Weise als durch ein selbständiges Beweisverfahren getroffen werden sollen, fehle es daher an einem rechtlichen Interesse für eine vorherige oder parallele Durchführung des selbständigen Beweisverfahrens. Dies gelte auch für § 18 Abs. 4 VOB/B. Die sich daraus ergebende Sperrwirkung trage auch dem Umstand Rechnung, eine doppelte Begutachtung in derselben Angelegenheit zu vermeiden.

Auch der Umstand, dass im Rahmen des Schiedsgutachterabrede keine Streitverkündung nach §§ 72 ff ZPO möglich sei und von daher in einem Folgeprozess mit einem Dritten eventuell doch ein gerichtliches Gutachten einzuholen ist, ändert im Hinblick auf die Zulässigkeit der privatautonomen Vereinbarung der Parteien nichts.

Zudem läge auch kein Fall des § 485 Abs. 1 Fall 2 ZPO vor vor dem Hintergrund, dass sich die Stahlbauteile an einem Ort im Ausland befänden. Dies begründe ohne Hinzutreten weiterer Umstände nicht die Besorgnis eines Beweismittelverlusts (wobei für Gegenstände, die ins Ausland verbracht werden sollen, anders gelten könnte).

BGH, Beschluss vom 26.01.2022 - VII ZB 19/21 -

Freitag, 9. Juli 2021

Eilverfahren bei Urheberrechtsverletzung und Dringlichkeit

Ein Foto aus einer Foto-Plattform (Fotolia) wurde von der Antragsgegnerin auf einer Internetseite verwandt, ohne dass der Urheber des Fotos benannt wurde. Der Antragsteller verlangte im Rahmen eines Antrages auf Erlass einer einstweiligen Verfügung, der Antragsgegnerin zu untersagen, dass von ihm hergestellte Lichtbild ohne Urhebervermerk öffentlich zugänglich zu machen; vor der Antragstellung hatte die Antragsgegnerin (Anmerkung: Sie wurde wohl zuvor von dem Antraggegner qualifiziert abgemahnt) einen Urhebervermerk auf der Internetseite angebracht. Das Landgericht wies den Antrag zurück. Gegen die Zurückweisung legte der Antragsteller Beschwerde ein. Diese wurde vom OLG Köln zurückgewiesen.

Im Verfügungsverfahren ist zwischen dem Verfügungsanspruch und dem Verfügungsgrund zu unterscheiden. Der Verfügungsanspruch setzt die materielle Rechtsverletzung voraus. Diesen bejahte das OLG und wies darauf hin, dass der Verfügungsanspruch aus $$ 97 Abs. 1, 13, 15, 19a, 72 UrhG vorliegen dürfte, da die Antragsgegnerin den Eindruck erweckt habe, das Lichtbild stamme von ihr.

Allerdings würde es nach Annahme des OLG an dem Verfügungsgrund ermangeln. Ein solcher liegt nach §§ 935, 940 ZPO vor, wenn die objektiv begründete Besorgnis besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung des Rechts des Gläubigers vereitelt oder wesentlich erschwert werden kann. Die Dringlichkeit ist auch davon abhängig, wenn der Betroffene von der Rechtsverletzung Kenntnis erlangte und tätig wurde.

Vorliegend habe der Antragsteller zwar durch eidesstattliche Versicherung glaubhaft gemacht, dass er erst 16.07.2020 von der Rechtsverletzung erfahren habe. Der Antrag auf Erlass der einstweiligen Verfügung ging am 14.08.2020 bei Gericht ein. Daraus ergäbe sich, dass der Antragsteller sein Recht iSv. §§ 935, 940 ZPO nachdrücklich betreibe. Allerdings habe die Antragsgegnerin nachträglich am 30.07.2020 einen Urhebervermerk aufgenommen. Es läge damit (zum Zeitpunkt der Antragstellung) keine aktuelle Rechtsverletzung vor. Allerdings führe (wie z.B. der BGH in seinem Beschluss vom 03.04.2014 - I ZB 42/11 - feststellte) die Bloße Einstellung oder Beendigung eines Verstoßes nicht zum Wegfall der Wiederholungsgefahr. Eine bereits begangene Verletzungshandlung indiziere die Wiederholungsgefahr.

Nach Ansicht des OLG ergäbe sich bei Unterlassungsansprüchen die Dringlichkeit als Voraussetzung für des Verfügungsgrundes nicht schon aus Erstbegehungs- oder Wiederholungsgefahr, weshalb im Rahmen des Verfügungsgrundes die rein tatsächliche Beendigung der Verletzungslage der Verfügungsgrund entfallen könne und dem Betroffenen nur das Hauptsacheverfahren verbleibe. Dies gelte jedenfalls für das Urheberrecht. Die Dringlichkeitsvermutung des § 12 Abs. 1 UWG würde hier nicht greifen (nach dem die Voraussetzungen der §§ 935, 940 ZPO nicht dargelegt und glaubhaft gemacht werden müssen). Hier sei die Dringlichkeit auch dahingehend darzulegen und glaubhaft zu machen, dass der Weg ins Hauptsacheverfahren unzumutbar sei (OLG Nürnberg, Beschluss vom 12.10.2018 – 3 W 1982/18 -). Bei einer fortbestehenden Rechtsverletzung würde sich zwar die Dringlichkeit in der Regel aus der Lage des Falles selbst ergeben; vorliegend habe die Rechtsverletzung aber nicht mehr angedauert, weshalb der Antragsteller näher hätte vortragen müssen, weshalb die Sache für ihn noch dringlich gewesen sei. Die theoretische Wiederholungsgefahr genüge hier nicht. Die zeitliche Komponente, ob zeitnah eine Wiederholung drohe, sei für den Verfügungsgrund relevant. Füge die Antragsgegner nach der Abmahnung den Urhebervermerk ein, bestünde zwar auch weiterhin die Gefahr einer Wiederholung der Rechtsverletzung, was allerdings nicht ausreichend wäre für die Annahme, dass auch konkret in unmittelbarer zeitlicher Nähe dies erfolge und deshalb ein Hauptsacheverfahren nicht durchgeführt werden könne. Für eine Wiederholung in zeitlicher Nähe bestünde auch keine Vermutung.

Der Antragsteller sei auch nicht schutzlos der Willkür des Verletztes ausgesetzt. Sollte die Antragsgegnerin vor Abschluss eines Hauptsacheverfahrens den Urhebervermerk wieder löschen und damit die Rechtsverletzung wiederholen, wäre eine zeitnahe Wiederholung offensichtlich und der Verfügungsgrund (Anmerkung: Für eine neue einstweilige Verfügung) gegeben.

Anmerkung: Eine bisher in der Regel stets angenommene Dringlichkeitsvermutung im Hinblick auf die Wiederholungsgefahr kann nach dieser Entscheidung so nicht mehr bestehen bleiben. Da die Regelung des § 12 Abs. 1 UWG im Urheberrecht nicht greift, hat das OLG Köln zutreffend auf die Umstände des Falls abgestellt und diese verneint, wenn der Verletzter (auch wenn er keine strafbewehrte Unterlassungserklärung abgegeben hat) die Rechtswidrigkeit beseitigt.

OLG Köln, Beschluss vom 12.04.2021 - I-6 W 98/20 -

Donnerstag, 5. November 2020

(Verweigerte) Bauteilöffnung – Weisungsrecht nach § 404a ZPO, Ermessen und Beweislast

 

Die Klägerin machte Versicherungsleistungen gegen die beklagte Wohngebäudeversicherung nach einem Gebäudeschaden nach einem Hochwasserschaden geltend. Sie behauptete, durch Wassereintritt sei das Fundament zerstört worden. Die diesbezügliche Klage wurde nach Einholung eines Sachverständigengutachtens abgewiesen.  Ihre Berufung wurde ebenso wie die vom Berufungsgericht zugelassene Revision zurückgewiesen. Dabei verwies das Berufungsgericht darauf, dass sich bei einer Begehung des Hauses keine Anhaltspunkte für eine Beschädigung des Fundaments ergeben hätten und die Klägerin die von der Sachverständigen für erforderlich angesehene Bauteilöffnung abgelehnt habe.

Das Berufungsgericht hatte danach die Klägerin, nach Auffassung des BGH zu Recht, als beweisfällig angesehen. Es sei nicht zu beanstanden, dass das Berufungsgericht davon abgesehen habe, die Sachverständige zur Vornahme der Bauteilöffnung anzuweisen.

Der Klägerin oblag für die anspruchsbegründenden Tatsachen und damit die behauptete Zerstörung des versicherten Gebäudes die Beweislast. Dieser Beweis sei nicht geführt worden. Aus dem erstinstanzlich eingeholten Gutachten habe sich für die Behauptung keine Anhaltspunkte gezeigt. Diese vom, Landgericht festgestellte Tatsache sei zutreffend vom Berufungsgericht seiner Entscheidung zugrunde gelegt worden, da klägerseits keine begründeten Zweifel gegen die Richtigkeit und Vollständigkeit der Tatsachenfeststellungen durch das Langgericht geltend gemacht worden seien.

In diesem Zusammenhang sei das Landgericht ebenso wenig wie das Berufungsgericht  verpflichtet gewesen, im Rahmen eines nach § 404a Abs. 1  und Abs. 4 ZPO eingeräumten Ermessens dem Sachverständigen Weisungen zu erteilen, hier auf Vornahme der von der Klägerin nicht gewollten Bauteilöffnung zur weitergehenden Prüfung. § 404a stelle letztlich klar, dass der Gutachter Gehilfe des Gerichts ist und ihm vom Gericht vorgeschrieben werden könne, was rechtlich bedeutsam sei. Das Weisungsrecht umfasse inhaltliche Vorgaben, die der Sachverständige seiner Begutachtung zugrunde zu legen habe, wie auch zur Beantwortung der Beweisfragen erforderlichen Maßnahmen und Weisungen zu Art und Weise des bei der Untersuchung des Beweisgegenstandes gebotenen Vorgehens. Allerdings sei streitig, ob dazu auch die Weisung zu Bauteilöffnungen gehöre, was aber hier offen bleiben könne. Auch bei Bejahung sei dies aber nach den Umständen des Einzelfalls in das pflichtgemäße Ermessen des Gerichts gestellt. Die Ablehnung einer Weisung durch das Berufungsgericht sei vorliegend jedenfalls nicht ermessensfehlerhaft gewesen. Es habe erkannt, dass zwischen den Interessen der beweispflichtigen Partei und den mit der Durchführung des Gutachtenauftrages beauftragten Sachverständigen unter den Gesichtspunkten der Verhältnismäßigkeit und Zumutbarkeit bezogen auf den konkreten Sachverhalt abgewogen werden müsse. Dabei dürfe das Gericht das durch eine Bauteilöffnung des Hausfundaments verbundenen besonderen Gefahren und daraus resultierenden Haftungsrisiken des Sachverständigen ausschlaggebendes Gewicht beimessen. Rechtsfehlerfrei sei dabei auch vom Berufungsgericht berücksichtigt worden, dass die Klägerin dadurch nicht in Beweisnot gerät, da sie die Bauteilöffnung für die Untersuchung durch den Sachverständigen auch selbst hätte vornehmen können.

Schließlich begegne aber die Anwendung der Beweislastregel hier auch deshalb keinen Bedenken, da die Klägerin nicht zu einer Öffnung des Fundaments bereit war. Dass aber die Beweisfrage auf anderen Weg auch geklärt hätte werden können, sei nicht ersichtlich.

BGH, Urteil vom 23.09.2020 - IV ZR 88/19 -

Montag, 15. Mai 2017

Unzulässiges Rechtsmittel des Streithelfers nach Rücknahme des Rechtsmittels durch die unterstütze Partei

Streithilfe bedeutet, dass ein Dritter dem Rechtsreit anderer Beteiligter auf Seiten von einem von ihm beitritt, sei es, da er dies von sich aus vornimmt oder ihm von einer der Parteien des Rechtsstreits der Streit verkündet wird. So hat z.B. regelmäßig der (private) Haftpflichtversicherer in einem Rechtstreit seines Versicherungsnehmers ein eigenes Interesse am Ausgang des Verfahrens, da die Entscheidung Grundlage des Deckungsanspruchs des Versicherungsnehmers gegen den Versicherer ist. Ein Interesse an einer Streitverkündung durch eine Partei kann dann bestehen, wenn z.B. der Streitverkündete gesamtschuldnerisch mit der streitverkündenden Partei haften könnte und damit die Feststellung zum Haftungsgrund und zur Haftungshöhe auch mit Bindungswirkung zur Vermeidung divergierender Entscheidungen in einem Verfahren gegen den Gesamtschuldner diesem gegenüber festgestellt werden.

Vorliegend hatten sowohl die Streithelferin als auch die von ihr unterstützte Hauptpartei gegen eine vorangegangene Entscheidung Nichtzulassungsbeschwerde zum BGH eingelegt. Danach kam es zu einem umfassenden außergerichtlichen Vergleich zwischen den Parteien des Rechtstreits (der Streithelfer ist nicht Partei), in dessen Folge die Beklagte, auf deren Seite die Streithelferin beigetreten war, das Rechtsmittel zurücknahm.

Der BGH wies daraufhin die selbständige Nichtzulassungsbeschwerde der Streithelferin der Beklagten als unzulässig zurück und verwies zur Begründung auf § 67 Halbs. 2 ZPO. Nach § 67 ZPO ist es dem Nebenintervenienten/Streithelfer zwar unbenommen eigene Angriffs- und Verteidigungsmittel geltend zu machen und alle Prozesshandlungen (mithin auch die Einlegung einer Nichtzulassungsbeschwerde) vorzunehmen; eingeschränkt wird dies allerdings durch § 67 Halbs. 2 ZPO dadurch, dass dies nicht in Widerspruch zu Erklärungen und Handlungen der unterstützten Partei steht.

Durch die Rücknahme der Nichtzulassungsbeschwerde durch die Beklagte als unterstützte Partei stand damit ersichtlich in Ansehung des zwischen den Parteien des Rechtsstreits umfassend abgeschlossenen Vergleich die (nicht zurückgenommene) Nichtzulassungsbeschwerde der Streithelferin im Widerspruch zur Handlung der unterstützten Partei. Erkennbar wollte die unterstützte Partei keine Entscheidung mehr über ihr Rechtsmittel und den Prozess (auf Grund des außergerichtlichen Vergleichs) beenden.

Anmerkung zur rechtlichen Konsequenz des Verhaltens der unterstützten Partei:

Nicht auseinandersetzten musste sich der BGH hier mit den möglichen Konsequenzen der Verhaltensweise der unterstützten Partei. Da offenbar die Streithelferin an dem Vergleich der Parteien des Rechtsstreits nicht beteiligt wurde,  soll dies doch beleuchtet werden:

Vorliegend handelte es sich um eine einfache Nebenintervention (Streithilfe), d.h. der Nebenintervenient war nicht Streitgenosse der Hauptpartei. Die tragenden Gründe eines Urteils wirken für und gegen den Nebenintervenienten, § 68 ZPO. Kommt es nicht zu einem rechtskräftigen Urteil, da sich die Parteien vergleichen, greift die Bindungswirkung des § 68 ZPO bereits deshalb nicht, da es an bindenden Feststellungen des Gerichts durch ein (bestandkräftiges) Urteil ermangelt. Wird ein Vergleich zwischen den Parteien in 2. Instanz geschlossen, gilt dies auch, da mit dem Vergleich dem Urteil seine Bestandkraft genommen wurde. Etwas anderes gilt nur dann, wenn bereits vor Abschluss des Vergleichs ein bestandskräftiges Grundurteil ergangen ist, der Vergleich nur in der Folge geschlossen wurde (z.B. sich die Parteien zur Höhe verglichen); in diesem Fall entfalten die tragenden Gründe zum Grund des Anspruchs Bindungswirkung auch zwischen dem Nebenintervenienten und der unterstützten Partei.

Durch die Rücknahme der Nichtzulassungsbeschwerde seitens der unterstützten Partei und der dadurch bedingten Unzulässigkeit der eigenen Nichtzulassungsbeschwerde der Streithelferin kann nur bedingt eine Bindungswirkung er damit rechtskräftigen Entscheidung der Vorinstanz eintreten. Denn die Streithelferin ist nur dann mit Einwendungen zur mangelhaften Prozessführung  der Hauptpartei nach § 68 ZPO ausgeschlossen, als sie nicht durch Vortrag oder Anträge bzw. Prozesshandlungen Einfluss nehmen konnte. Hier war der Streithelferin eine weitere Einflussnahme auf das vorangegangene Urteil durch die durch Handlung der unterstützten Partei unzulässige Nichtzulassungsbeschwerde ausgeschlossen. Das führt dazu, dass in einem möglichen Folgeverfahren zwischen der unterstützten Partei und der Streithelferin die Streithelferin immer noch die Angriffe gegen die bestandskräftige Entscheidung vorbringen kann, die sie auch im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren hätte vorbringen können, weshalb im Falle deren Erheblichkeit dies zur gewollten Abänderung oder Zurückverweisung des Rechtsstreits zur anderweitigen Entscheidung geführt hätte und auch insoweit in dem jetzt neuen Verfahren zu berücksichtigen wäre. Vor diesem Hintergrund sollte die unterstützte Hauptpartei stets versuchen, bei einem gewollten Vergleich den Nebenintervenienten mit einzubeziehen; ist dieser nicht bereit, wäre von ihr das Risiko abzuschätzen, welches sich aus der Nichteinbeziehung durch die (eventuell teilweise) fehlende Bindungswirkung eines Urteils ergibt.


BGH, Beschluss vom 11.04.2017 - VI ZR 636/15 -

Donnerstag, 4. Mai 2017

Keine Kostenerstattung für Privatgutachten für „Sachkundigen“ in einem Prozess

Zur Unterstützung des eigenen Sachvortrages (z.B. in Bezug auf eine fachspezifische Marterie) oder zur Stellungnahme auf ein (für die Partei negatives), vom Gericht eingeholtes Sachverständigengutachten werden häufig von den Parteien Gutachten zur Stützung der eigenen Ansicht eingeholt. Holt eine Partei ein Privatgutachten ein, so kommt es auch vor, dass die andere Partei ebenfalls ein Gutachten einholt. Muss aber die im Rechtsstreit unterlegende Partei nach § 91 ZPO stets die so bei der anderen Partei entstandenen Gutachterkosten tragen ? Die Rechtsprechung dazu ist beinahe unübersichtlich. Nunmehr  hat der BGH zu einem Fall Stellung bezogen, in dem ein Bauunternehmer in Ansehung eines von der Beklagten vorgelegten Privatgutachten auch ein solches einholte. Diese dem klagenden. Bauunternehmen entstandenen Kosten wurden als nicht erstattungsfähig behandelt.

Die Beklagten hatten im Laufe des Verfahrens zwei von ihnen vorgerichtlich eingeholte Sachverständigengutachten zu Mängeln und fehlenden Ausführungsarbeiten vorgelegt. Das klagende Bauunternehmen beauftragte daraufhin selbst einen Sachverständigen, um dieses den Privatgutachten der Beklagten entgegenzuhalten. Der Rechtspfleger hatte die dem Bauunternehmen entstandenen Kosten bei der Kostenfestsetzung berücksichtigt. Die Beschwerde der Beklagten dagegen war erfolgreich. Das zugelassene Rechtsbeschwerdeverfahren des klagenden Bauunternehmens blieb erfolglos.

Der BGH folgt dem Beschwerdegericht in dessen Ansicht, dass grundsätzlich die Kosten von Privatgutachten nicht erstattungsfähig sind. Lediglich dann, wenn sie sachbezogen wären und die eigene Sachkunde der Partei nicht ausreiche, ihrer Darlegungslast zu genügen, einen gebotenen Beweisantrag zu stellen oder Angriffe des Gegners abzuwehren, könne eine Erstattungsfähigkeit im Einzelfall angenommen werden.

Vorliegend käme es nicht darauf an, ob das vom Bauunternehmen vorgelegte Gutachten als gewichtig anzusehen wären. Dies selbst dann nicht, wenn das Gutachten die Rechtsposition des klagenden Bauunternehmens im Rechtstreit positiv beeinflusst haben sollte, da die Frage der Erstattungsfähigkeit nicht damit verbunden sei, ob es den Rechtsstreit beeinflusst habe. Entscheidend sei, ob die Partei die Einholung eines Gutachtens zum Zeitpunkt der Einholung und der Kosten dafür als sachdienlich ansehen durfte und ob die Partei selbst in der Lage gewesen wäre, auch ohne Gutachten substantiiert Stellung zu nehmen. Die von der Rechtsbeschwerde aufgeworfene Frage, dass ein Gutachten bei Gericht als gewichtiger angesehen würde als Parteivortrag, sei zu verneinen; das Gericht sei verpflichtet, Sachvortrag (egal ob Parteivortrag oder durch Gutachten unterstützten Parteivortrag) zur Kenntnis zu nehmen und zu berücksichtigen.

Das klagende Bauunternehmen könne sich hier nicht auf eine „Waffengleichheit“ berufen, da das klagende Bauunternehmen aus eigener Sachkunde und ohne Hilfe eines Sachverständigen in der Lage sei, zu den streitigen Punkten Stellung zu nehmen und so die Privatgutachten der Beklagten hätte widerlegen können.


Anmerkung: Die Entscheidung des BGH wurde kritisiert, da Gerichte (was sicherlich zutreffend ist) regelmäßig mehr Gewicht auf ein vorgelegtes Sachverständigengutachten als auf Parteivortrag legt. Da aber nach Art. 103 GG auch die Gegenargumente zu hören und zu beachten sind, hat es eventuell selbst ein Gutachten einzuholen. Ob gegen eine darauf beruhende Bewertung, die negativ für die sachkundige Partei ausgeht, diese mit einem eigenen Gutachten ihre Berufung stützen kann, stand nicht zur Entscheidung. Dogmatisch richtig ist, dass grundsätzlich der Sachkundige, anders als der Laie, die Grundlagen kennt und selbst beurteilen kann.

BGH, Beschluss vom 01.02.2017 – VII ZB 18/14 -