Es kommt leider häufig vor, dass der zuständige Richter in einer
Instanz (teilweise mehrfach) wechselt. Dies kommt nicht nur vor, wenn es sich
um Richter auf Probe handelt, die im Laufe des Verfahrens versetzt werden,
sondern auch im übrigen. Die Krux dabei ist das von den Gerichten zu beachtende
rechtliche Gehör, wie die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG)
vom 03.07.2019 verdeutlicht.
Ausgangspunkt war ein Urteil des
Amtsgerichts, in dem der Beschwerdeführer beim BVerfG Kläger war. Dort wurde
vor der Richterin Dr. H. (da das BVerfG von der Richterin und nicht von der
Richterin am Amts- oder Landgericht bzw. OLG spricht darf angenommen werden,
dass es sich um eine Richterin auf Probe handelte) a, 19.07.2016 mündlich über
die Klage verhandelt. Nach der mündlichen Verhandlung kam es offenbar zu einem
Richterwechsel, da ein Beschluss zur Einholung eines ärztlichen Sachverständigengutachtens
vom Richter am Landgericht (einen offenbar vom Landgericht an das Amtsgericht
abgeordneten Richter) am 30.08.2016 verkündet wurde. Nach Vorlage des
Gutachtens wurde mit Anhörung des Sachverständigen erneut am 26.01.2017
verhandelt, nunmehr vor der Richtern Dr. Gr. (offenbar wieder eine Richterin
auf Probe). Diese gab mit Beschluss vom 01.12.2017 bekannt, dass sie gedenke im
schriftlichen Verfahren nach § 495a ZPO ohne weitere mündliche Verhandlung ein
Urteil erlassen und bis zum 28.12.2017 eingehende Schriftsätze berücksichtigen
zu wollen. Mit Schriftsatz vom 28.12.2017 rügte der Beschwerdeführer die nach
seiner Ansicht fehlende Kompetenz des ehedem beauftragten medizinischen
Sachverständigen auf dem hier fraglichen Gebiet und wiederholte einen Antrag
aus seinem Schriftsatz vom 30.11.2017, die mündliche Verhandlung
wiederaufzunehmen und fortzusetzen. Durch Änderung des
Geschäftsverteilungsplans des Amtsgerichts vom 28.03.2018 schied die Richterin
Dr. Gr. aus und der Beschwerdeführer beantragte unter Hinweis auf § 156 ZPO mit
Schriftsätzen vom 17.05. und 21.08.2018 die Wiedereröffnung der mündlichen
Verhandlung und Anberaumung eines Termins zur mündlichen Verhandlung. Ohne
erneute mündliche Verhandlung erließ nunmehr das Amtsgericht durch die
Richterin Ga. Das vom Beschwerdeführer angegriffene Urteil und wies „auf Grund
des Sachstands vom 28.12.2017“ die Klage ab. Gegen dieses Urteil erhob der
Beschwerdeführer beim Amtsgericht die Anhörungsrüge gem. § 321a ZPO, da
streitwertmäßig eine Berufung unzulässig war. Er rügte die fehlende
Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung gem. § 156 ZPO und machte geltend, dass
nach dem Richterwechsel jedenfalls erneut das Verfahren nach § 495a ZPO hätte
angeordnet werden müssen. Die Rüge wurde vom Amtsgericht zurückgewiesen.
Hinweis: § 495a ZPO stellt es den
Gerichten frei, im Falle eines Streitwertes von bis zu € 600,00 nicht mündlich
zu verhandeln. Bei einem Antrag einer Partei auf mündliche Verhandlung ist aber
auch hier mündlich zu verhandeln, § 495a S. 2 ZPO.
Diese Zurückweisung war, so das
BVerfG, fehlerhaft; das Urteil habe den Kläger in seinem rechtlichen Gehör
verletzt. Mit der Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde über das Urteil durch
das BVerfG würde der Beschluss des
Amtsgerichts zur Anhörungsrüge gegenstandslos.
Zwar folge aus Art.103 Abs. 1 GG
nicht unmittelbar ein Anspruch auf eine mündliche Verhandlung, da es Sache des
Gesetzgebers sei zu entscheiden, auf welche Weise rechtliches Gehör gewährt
würde. Habe eine mündliche Verhandlung aber nach dem Gesetz stattzufinden, wie
des in den Fällen des § 495a S. 2 ZPO auf Antrag einer Partei der Fall sei,
begründe dies einen Anspruch auf Durchführung derselben bei einem
entsprechenden Antrag. Nach § 128 Abs. 1 ZPO habe die mündliche Verhandlung „vor
dem erkennenden Gericht“ zu erfolgen. § 309 ZPO bestimme, dass das Urteil von
den Richtern zu fällen sei, welche der dem Urteil zugrunde liegenden
Verhandlung beigewohnt hätten, wobei § 156 Abs. 2 Nr. 3 ZPO ergänzend bestimme,
dass – wenn zwischen mündlicher Verhandlung und der Beratung und Abstimmung ein
Richter ausscheide, auch ohne Antrag die mündliche Verhandlung wiederzueröffnen
ist. Die mündliche Verhandlung müsse daher nicht nur vor dem „erkennenden
Gericht“, sondern vor dem Richter (bzw. Richtern) stattfinden, der/die das
Urteil fällt/fällen.
Dagegen sei vorliegend verstoßen
worden. Die Richterin Ga. hätte (wie auch vom Beschwerdeführer beantragt) vor
Erlass des Urteils noch einmal mündlich verhandeln müssen. Ihr ohne mündliche
Verhandlung ergangenes Urteil verletzte daher das rechtliche Gehör des
Beschwerdeführers.
Erfolgreich ist die Rüge der
Verletzung rechtlichen Gehörs aber nur dann, wenn das Urteil auf dem
Gehörsverstoß beruht. Dies bejahte das BVerfG vorliegend. Bei einer zwingend gebotenen
mündlichen Verhandlung, wie sie hier vom Beschwerdeführer gefordert wurde,
könne in der Regel nicht ausgeschlossen werden, dass bei ihrer Durchführung
eine andere Entscheidung ergangen wäre: Die mündliche Verhandlung habe den gesamten Prozessstoff in prozess- und
materiellrechtlicher Hinsicht zum Gegenstand und je nach Prozesslage, Verhalten
der Gegenseite und Hinweisen des Gerichts könne dies zu weiterem Sachvortrag,
Beweisanträgen und Prozesserklärungen führen, ohne dass dies im Einzelnen
sicher vorhersehbar wäre. Es könne daher vorliegend dahinstehen, ob Art. 103
Abs. 1 GG, der sicherstellen soll, dass die Entscheidung frei von
Verfahrensfehlern ergeht, noch im Hinblick auf die Auswahl des Sachverständigen
verletzt sei (dazu BGH, Beschluss vom 31.05.2016 - VI ZR 305/15 -).
BVerfG, Beschluss vom 03.07.2019 -
1 BvR 2811/18 -