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Samstag, 6. April 2024

Befangenheit des Richters bei Nichterlass eines Versäumnisurteils im Vorverfahren

Die Klägerin machte vor dem LG München I Schadensersatzansprüche im Zusammenhang mit einem Bauvertrag geltend. In der Klageschrift vom 30.03.2023 beantragte sie den Erlass eines Versäumnisurteils im schriftlichen Verfahren bei Säumnis der Beklagten. Mit Verfügung vom 29.04.2023 ordnete die abgelehnte Richterin dir Durchführung des schriftlichen Vorverfahrens an, in der zur Verteidigungsanzeige eine Frist von zwei Wochen (Notfrist) gesetzt war. Die Beklagten zu 1. und 2. Zeigten ihre Verteidigungsabsicht mit Schriftsatz vom 22.05.2023 an; die Beklagte zu 3. reagierte innerhalb der Notfrist nicht. Mit Verfügung vom 25.06.2023 bestimmte die abgelehnte Richterin Termin zur mündlichen Verhandlung auf den 30.08.2023 und führte u.a. in der Verfügung aus: „Die Beklagte zu 3) hat ihre Verteidigung bislang nicht angezeigt. Auf § 331 ZPO wird vorsorglich hingewiesen.“. Diese Verfügung wurde der Beklagten zu 3. Am 03.07.2023 zugestellt. Mit Schriftsatz vom 02.07.2023 zeigte auch die Beklagte zu 3. Ihre Verteidigungsbereitschaft an. Die Klägerin lehnte die Richterin mit Schriftsatz vom 10.07.2023 wegen Befangenheit ab, da die Richterin ohne erkennbaren Grund die für die Klägerin günstige prozessuale Situation, die den Erlass eines Versäumnisurteils gegen die Beklagte zu 3. gerechtfertigt hätte, durch ihre Verfügung vom 25.06.2023 vernichtet habe. In ihrer dienstlichen Stellungnahme gab die abgelehnte Richterin u.a. an, sie habe aus prozessökonomischen Pflichten und richterlicher Fürsorgepflicht gehandelt. Das LG München I wies den Befangenheitsantrag zurück. Gegen diesen Beschluss legte die Klägerin sofortige Beschwerde ein. Nachdem dieser durch das LG München I nicht abgeholfen wurde, war das OLG zur Entscheidung berufen, welches dem Befangenheitsantrag stattgab. 

Eine Besorgnis der Befangenheit des Richters läge vor, wenn Umstände vorlägen, die berechtigte Zweifel an der Unparteilichkeit oder Unabhängigkeit aufkommen ließen. Ein Misstrauen gegen eine unparteiliche Amtsausübung des Richters könne sich nur aus objektiven Gründen ergeben, die vom Standpunkt des Ablehnenden aus bei vernünftiger Betrachtung die Befürchtung wecken könnten, der Richter stehe der Sache nicht mehr unvoreingenommen und damit nicht unparteiisch gegenüber. Entscheidend sei, ob aus der Sicht des Ablehnenden genügend objektive Gründe vorlägen, die nach Meinung einer ruhig und vernünftig denkenden Partei Anlasse geben würden, an der Unvoreingenommenheit des Richters zu zweifeln. 

Grobe Verfahrensverstöße könnte die Besorgnis rechtfertigen, wenn das prozessuale Vorgehen des Richters einer hinreichenden gesetzlichen Grundlage entbehre und sich so sehr von dem normalerweise geübten Verfahren unterscheide, dass sich für die dadurch betroffene Partei der Eindruck einer sachwidrigen, auf Voreingenommenheit beruhenden Benachteiligung aufdränge. 

Die formellen Voraussetzungen für den Erlass eines Versäumnisurteils hätten vorgelegen, nachdem die Klägerin bereits in der Klage den Erlass eines Versäumnisurteils für den Fall der Säumnis beantragt hatte und die Beklagte zu 3. nicht gem. § 276 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 ZPOI ihre Verteidigungsabsicht rechtzeitig angezeigt habe., § 331 Abs. 3 ZPO. Vorausgesetzt, die Klage gegen die Beklagte zu 3. wäre schlüssig gewesen, wäre die abgelehnte Richterin zum Erlass eines Versäumnisurteils verpflichtet gewesen. § 331 Abs. 3 ZPO eröffne den Richter kein Ermessen, weshalb von der abgelehnten Richterin benannte prozessökonomische Gründen nicht durchgreifen würden. 

Die abgelehnte Richterin hatte in ihrer Stellungnahme auch darauf verwiesen, dass für den Erlass eines Versäumnisurteils eine vollumfänglich schlüssige Klage erforderlich sei. Dies, so das OLG, sei zutreffend. Allerdings habe die abgelehnte Richterin gegenüber der Klägerin keine Bedenken hinsichtlich der Schlüssigkeit der Klage mitgeteilt. Deshalb habe es sich aus der Sicht der Klägerin bei vernünftiger Betrachtungsweise als willkürlich dargestellt, dass das beantragte Versäumnisurteil nicht nur nicht erlassen wurde, sondern der Beklagten zu 3. Durch den erneuten Hinweis noch einmal Gelegenheit gegeben wurde, ihre Verteidigungsabsicht trotz der abgelaufenen Notfrist noch zu erklären und so der Klägerin der Möglichkeit beraubte, einen Vollstreckungstitel zu erlangen. Auch bei einer vernünftigen und besonnenen Partei könnte deshalb berechtigterweise der Eindruck einer unsachlichen Einstellung ihr gegenüber bzw. einer Bevorzugung der Beklagten zu 3. entstehen. 

Eine von der abgelehnten Richterin geltend gemachte Fürsorgepflicht, die sie zum Hinweis auf das Fehlen der Verteidigungsanzeige und die Folgen des § 331 ZPO veranlasst haben will, gäbe es nicht. Ob sich letztlich der Hinweis in der Verfügung vom 25.06.2023 ausgewirkt habe, käme es für das Notwendige Entstehen der Besorgnis der Befangenheit nicht an. 

Ergänzend setzte sich das OLG mit Ausführungen der abgelehnten Richterin in ihrer dienstlichen Stellungnahme auseinander, in der sie auch Ausführungen zur Zulässigkeit des Ablehnungsgesuchs, welches sie als unzulässig ansah, gemacht hatte. Diese Ausführungen seien für sich nicht geeignet, eine Befangenheit der Richterin anzunehmen. Allerdings sei dies auch in die Gesamtbetrachtung einzustellen und vorliegend geeignet, bei der Klägerin den durch die Verfügung vom 25.06.2023 erweckten Eindruck zu verstärken, dass die abgelehnte Richterin ihr gegenüber eine ablehnende Haltung entwickelt habe. 

OLG München, Beschluss vom 24.11.2023 - 28 W 1292/23 Bau -

Sonntag, 28. Januar 2024

Keine Kostenerstattung des Berufungsgegners bei Berufungsrücknahme ?

Der Kläger hatte gegen ein klageabweisende Urteil des Arbeitsgerichts Berufung eingelegt. Vom Landesarbeitsgericht (LAG) wurde die Berufungsbegründungsschrift dem Beklagten zugeleitet und gleichzeitig am 10.10.2022 wurden beide Parteien darauf hingewiesen, dass wegen Nichtwahrung der Frist Bedenken an der Zulässigkeit der Berufung bestünden und beabsichtigt sei, die Berufung ohne mündliche Verhandlugn als unzulässig zu verwerfen. Danach meldeten sich die Prozessbevollmächtigten der Beklagten zu den Akten (Schriftsatz vom 14.10.2022), mit dem diese die Verwerfung der Berufung wegen Nichteinhaltens der Berufungsbegründungsfrist beantragten. Vom Kläger wurde – ohne dass ein Wiedereinsetzungsantrag gestellt wurde – an der Berufung zunächst festgehalten (Schriftsatz vom 12.10.2022), allerdings dann nach einem weiteren Hinweis des Gerichts am 03.11.2022 zurückgenommen. Mit Beschluss vom 24.11.2022 wurden dem Kläger die Kosten des Berufungsverfahrens auferlegt.

Die Beklagte beantragte (unter Geltendmachung einer 1,1-fachen Verfahrensgebühr gem. Nr. 3201 VV RVG) die Kostenfestsetzung gegen den Kläger. Das Arbeitsgericht wies den Antrag zurück. Dagegen erhob die Beklagte sofortige Beschwerde, der das Arbeitsgericht nicht abhalf und diese dem LAG vorlegte. Die sofortige Beschwerde wurde vom LAG zurückgewiesen, allerdings die vom Kläger eingelegte Rechtsbeschwerde zugelassen, der das BAG im Sinne der Beklagten abhalf.

Das Arbeitsgericht habe nicht verkannt, dass die Prozessbevollmächtigten der Beklagten eine anwaltliche Tätigkeit entfaltet hätten, die die geltend gemachte Verfahrensgebühr ausgelöst habe. Die Verfahrensgebührt nach Nr. 3200 VV RVG würde die gesamte Tätigkeit des Rechtsanwalts vom Auftrag bis zur Erledigung der Angelegenheit abgelten, wozu auch Neben- und Abwicklungstätigkeiten zählen würden. Dazu gehöre auch der Empfang von Rechtsmittelschriften, § 19 Abs. 1 S. 2 Nr. 9 RVG, ebenso wenn er Informationen entgegennehme würde oder mit seinem Mandanten bespreche, wie er auf das von der Gegenseite eingelegte Rechtsmittel reagieren soll.  Hier sei die Tätigkeit, die noch zur 1. Instanz zählt, über diese beschriebene Neben- und Abwicklungstätigkeit hinausgegangen, indem mit Schriftsatz vom 14.10.2022 die Vertretung gegenüber dem LAG angezeigt und ein Antrag gestellt worden sei.

Nach § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO habe die unterlegene Partei, in den Fällen der §§ 97 Abs. 1, 516 Abs. 3 der Berufungskläger, die dem Gegner zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung entstandenen Kosten zu erstatten. § 91 Abs. 2 S. 1 Halbs. 1 ZPO bildet dazu eine Ausnahme, als in diesen Fällen von der grundsätzlich gebotenen Prüfung der Notwendigkeit entstandener Kosten zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung abgesehen würde. § 91 ZPO gelte auch für Rechtsmittelverfahren nach dem Arbeitsgerichtsgesetz, da die §§ 64 Abs. 7, 72 Abs. 6 ArbGG nicht auf § 12a ArbGG Bezug nehmen würde.

Allerdings unterliege die Rechtsausübung in Zivilverfahren (und  so auch in Arbeitsgerichtsverfahren) und die Durchsetzung des Anspruchs aus § 91 Abs. 2 S. 1 Halbs. 1 ZPO dem aus Treu und Glauben (§ 242 BGB) abgeleiteten Missbrauchsverbot. Dieses gebiete den Prozessparteien, die Kosten ihrer Prozessführung, die sie im Fall ihres Obsiegens von der Gegenseite erstattet haben will, so niedrig zu halten, wie sich dies mit der Wahrung ihrer berechtigten Belange vereinbaren lasse. Ein Verstoß dagegen könne dazu führen, dass angemeldete (Mehr-) Kosten im Kostenfestsetzungsverfahren abgesetzt werden, wobei gesetzlich vorgesehene Wahlmöglichkeiten unberührt blieben(BAG, Beschluss vom 18.11.2015 - 10 AZB 43/15 -). Auch wenn es für die zweckentsprechend verursachten Kosten nicht darauf ankäme, dass bei einem Verfahren kein Anwaltszwang bestünde, könnt allerdings jeder Beteiligte sich eines Rechtsanwalts bedienen, ohne deshalb Kostennachteile befürchten zu müssen. Maßgeblich käme es nur darauf an, ob eine verständige Prozesspartei in der gleichen Situation ebenfalls einen Rechtsanwalt beauftragt hätte, was für einen Rechtsmittelgegner regelmäßig anzunehmen sei (BAG aaO.). Das hindere allerdings nicht zu überprüfen, ob die einzelne Maßnahme des Prozessbevollmächtigten zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder -verteidigung notwendig war. Der Prüfungsmaßstab richte sich danach, ob eine verständige und wirtschaftlich vernünftig denkende Partei im damaligen Zeitpunkt (ex-ante-Sicht) die kostenauslösende Maßnahme als sachdienlich ansehen durfte. Entscheidend ist, ob ein objektiver Betrachter die Sachdienlichkeit bejahen würde.

Wenn die Maßnahme offensichtlich nutzlos sei, könne die Hinzuziehung eines Rechtsanwalts nicht mehr als sachdienlich angesehen werden. Dies sei z.B. der Fall, wenn mit der Zustellung der Rechtsmittelschrift zeitgleich das Rechtsmittelgericht mitteilt, aus formalen Gründen eine Verwerfung des Rechtsmittels ohne mündliche Verhandlung zu beabsichtigen (BAG aaO.). Gleiches gelte, wenn das Rechtsmittelgericht dem Rechtsmittelführer darauf hinweise, dass die Begründungsfrist für das Rechtsmittel nicht eingehalten worden sei und dieser darauf nicht reagiere (BAG, Beschluss vom 15.03.2022 - 9 AZB 26/21 -).

Soweit die anwaltliche Tätigkeit der Prozessbevollmächtigten der Beklagten alleine die hier in Rede stehende Verfahrensgebühr nach Nr. 3201 VV RVG auslöste, sei im damaligen Zeitpunkt aus der ma0gebenden Sicht einer verständigen und wirtschaftlich vernünftig denkenden Partei zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung notwendig gewesen. Durch die Erwiderung des Klägers vom 12.10.2022 auf den Hinweis des LAG vom 10.10.2022 sei für die Beklagte eine als risikobehaftet angesehene Situation eingetreten, die geeignet gewesen sei, die Tätigkeit ihres Prozessbevollmächtigten als erforderlich erscheinen zu lassen. Sie habe damit rechnen dürfen, dass der Kläger das Berufungsverfahren trotz des Hinweises des Gerichts durchführen würde. In dieser Situation sei der Beklagten nicht zuzumuten gewesen, den weiteren Fortgang des Berufungsverfahrens abzuwarten. Der Kläger habe die Ursache für das Verhalten der Beklagten gesetzt. Es habe dem Kläger oblegen, durch seien Prozessbevollmächtigten von einer (eventuell) beabsichtigten Berufungsrücknahme frühzeitig zu informieren und dadurch für Klarheit zu sorgen (BGH, Beschluss vom 10.04.2018 - VI ZB 70/16 -).

BAG, Beschluss vom 15.12.2023 – 9 AZB 13/23 -

Samstag, 9. Januar 2021

WEG: Berufung beim unzuständigen Gericht wegen fehlerhafter Rechtsmittelbelehrung

Die Parteien waren Mitglieder einer Wohnungseigentümergemeinschaft und stritten um die Nutzung einer Terrasse und die Pflicht zur Erstellung der Jahresabrechnung. In der Rechtsmittelbelehrung zum Urteil gab das Amtsgericht als zuständiges Berufungsgericht das LG Göttingen an, wohin der Beklagte seine Berufung gegen das Urteil auch richtete. Das LG Göttingen wies den Beklagten darauf hin, dass gem. § 72 Abs. 2 GVG zuständiges Berufungsgericht das LG Braunschweig sei. Hierauf beantragte der Beklagte die Verweisung des Rechtsstreits an das LG Braunschweig. Dem kam das LG Göttingen nicht nach und verwarf die Berufung als unzulässig. Die dagegen vom Beklagten erhobene Rechtsbeschwerde wurde vom BGH zurückgewiesen.

Da tatsächlich nach der Zuständigkeitsbestimmung für Rechtsmittel in Wohnungseigentumssachen aufgrund der Zuordnung hier zum LG Braunschweig das LG Göttingen unzuständig war, hatte es die bei ihm eingelegte Berufung zutreffend als unzulässig verworfen. Der Umstand, dass die Einlegung auf die fehlerhafte Rechtsmittelbelehrung durch das Amtsgericht zurückzuführen war, ändert daran nichts. Denn auf diesen Umstand der fehlerhaften Belehrung hatte das LG Göttingen den Beklagten zutreffend vor der Zurückweisung der Berufung hingewiesen und ihm mitgeteilt, dass das LG Braunschwieg zuständig sei.

Fristwahrend könne eine Berufung bei Vorliegen von Streitigkeiten iSv. § 43 Nr. 1 – 6, 6 WEG (wie hier) nur bei dem von der Regelung des § 72 Abs. 2 GVG vorgegeben Berufungsgericht eingelegt werden. Eine bei einem falschen Gericht eingelegte Berufung , die nicht rechtzeitig in die Verfügungsgewalt des richtigen Berufungsgerichts gelange, könne nicht in entsprechender Anwendung des § 281 ZPO an das zuständige Gericht verwiesen werden mit der Folge, dass die Berufung von dem unzuständigen Gericht zu verwerfen sei. .

Eine Verweisung wäre nur in Ausnahmefällen möglich. Ein solcher würde angenommen, wenn die Frage, ob eine Streitigkeit iSv. § 43 Nr. 1 – 4, 6 WEG vorliege, für bestimmte fallgruppen noch nicht höchstrichterlich geklärt sei und man aus guten Gründen unterschiedlicher Auffassung sein könne. In einem solchen Fall könne einer Partei nicht zugemutet werden, zur Vermeidung eines unzulässigen Rechtsmittels vorsichtshalber sowohl bei dem allgemein zuständigen Berufungsgericht als auch dem Gericht des § 72 Abs. 2 GVG  das Rechtsmittel einzulegen. Diese Ausnahm habe hier aber nicht vorgelegen, da die Zuordnung als Streitigkeit iSv. § 43 Nr. 1 – 4, 6 WEG eindeutig und geklärt sei.

Auch die fehlerhafte Rechtsmittelbelehrung durch das Amtsgericht führe nicht dazu, dass das Rechtsmittel fristwahrend bei dem funktional unzuständigen Gericht eingelegt werden könne. Zwar führe die fehlerhafte Rechtsmittelbelehrung auch bei einem Rechtsanwalt zu einem unverschuldeten Rechtsirrtum, der allerdings nur zur möglichen Wiedereinsetzung wegen schuldlos Fristversäumung führe, wenn er die Berufung bei dem nicht nach § 72 Abs. 2 GVG zuständigen Gericht einlege. Damit würde die Berufungsfrist durch die Einlegung der Berufung bei dem unzuständigen Gericht nicht gewahrt. Dem unverschuldeten Rechtsirrtum würde dadurch Rechnung getragen, dass die Berufung verbunden mit einem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand  (§ 233 ZPO) behoben werden könne. Die Frist dafür beginne gem. § 234 Abs. 2 ZPO mit dem Zeitpunkt zu laufen, zu dem das aufgrund fehlerhafter Rechtsmittebelehrung angerufene Gericht den Berufungsführer auf seine Unzuständigkeit verweise.

BGH, Beschluss vom 22.10.2020 - V ZB 45/20 -

Mittwoch, 24. Juni 2020

Rechtliches Gehör: Wann muss Vortrag nach Schluss der mündlichen Verhandlung vom Gericht zwingend berücksichtigt werden ?


Das rechtliche Gehör und dessen Verletzung beschäftigt immer wieder die Instanzgerichte bis hin zum BGH. Da es sich bei der Gewährung rechtlichen Gehörs um einen verfassungsrechtlichen Anspruch der Partei vor Gericht handelt (Art. 103 GG), weshalb an sich die Gerichte dem eine erhebliche Bedeutung beimessen sollten.

Während das Landgericht der Klage auch weiteren materiellen und immateriellen Schadensersatz gegen eine Apothekerin nach fehlerhafter Herstellung eines Medikaments un Hinblick auf weiteren Huashaltsführungsschaden des Klägers statt gab und das Begehren auf weiteres Schmerzensgeld abwies, hat das Berufungsgericht (OLG Stuttgart) auf die Berufung des Klägers  diesem ein weiteres Schmerzensgeld zugesprochen und auf die Anschlußberufung der Beklagten hin den Anspruch auf den weiteren Haushaltsführungsschaden abgewiesen. Der vom Kläger erhobenen Nichtzulassungsbeschwerde half der BGH im Hinblick auf den Haushaltsführungsschaden durch Aufhebung des Berufungsurteils und Zurückverweisung ab.

Die Abänderung der landgerichtlichen Entscheidung durch Abweisung des Begehrens auf den Haushaltsführungsschaden habe das OLG damit begründet, dass der Kläger auf einen Hinweis des Senats des OLG (im Verhandlungstermin, auf dem das Urteil ergibt) nicht vorgetragen habe, welche Zeiten der Tätigkeit seiner Lebensgefährtin er für seine Pflege und Betreuung und in Abgrenzung dazu, welche Zeiten er für die Haushaltsführung geltend mache. Erst nach der mündlichen Verhandlung sei Vortrag dazu erfolgt, was verspätet sei, wobei der Kläger es auch unterlassen habe, nach dem Hinweis im Termin einen Schriftsatznachlass gem. § 239 Abs. 5 ZPO zum ergänzenden Vortrag zu dem Hinweis zu stellen. Von daher sei auch nach dem verspäteten Vortrag die mündliche Verhandlung nicht wiederzueröffnen.

Diese Nichtberücksichtigung verstößt nach Auffassung des BGH vorliegend gegen die Gewährung rechtlichen Gehörs. Art. 103 Abs. 1 GG. Das rechtliche Gehör würde verletzt, wenn Vortrag unberücksichtigt bleibe, ohne dass dies im Prozessrecht eine Stütze finde. Dieser Fall sei vorliegend gegeben.

Eine in erster Instanz siegreiche Partei dürfe darauf vertrauen,  vom Berufungsgericht einen Hinweis zu erhalten, wenn dieses in einem entscheidungserheblichen Punkt der Beurteilung der Vorinstanz nicht folgen will. Grundsätzlich habe der Hinweis so rechtzeitig zu erfolgen, dass die betroffene Partei noch vor dem Termin zur mündlichen Verhandlung darauf reagieren könne, § 139 Abs. 4 ZPO.  Würde  - wie hier – der Hinweis erst in der mündlichen Verhandlung erfolgen, so müsse der Partei genügend Gelegenheit gegeben werden, darauf zu reagieren. Sei offensichtlich, dass die Partei in der mündlichen Verhandlung nicht reagieren könne, so müsse das Gericht entweder in das schriftliche Verfahren überleiten oder (auch ohne entsprechenden Antrag auf Schriftsatznachlass) vertagen, um Gelegenheit zur Stellungnahme zu gewähren.  

Gegen diese Pflichten habe das OLG verstoßen. Der Hinweis sei erst in der Berufungsverhandlung erteilt worden. Diese sei geschlossen worden, obwohl dem Kläger wegen des mit dem Hinweis verbundenen Rechercheaufwandes eine sofortige Erklärung nicht möglich gewesen sei. Wegen dieses Verfahrensfehlers sei das OLG verpflichtet gewesen, sich mit dem Vortrag des Klägers in dem nicht nachgelassenen Schriftsatz auseinanderzusetzen, was nicht stattfand.

Etwas anderes ergäbe sich auch nicht aus dem Umstand, dass der Kläger es verabsäumte, Schriftsatznachlass zu beantragen (s.o.; BGH, Beschlüsse vom 04.07.2013 - V ZR 151/12 - und vom 18.99.2006 - II ZR 10/05 -).

Ebenfalls sei der Umstand nicht durchgreifend, dass der Hinweis durch das OLG bereits erstinstanzlich (als auch im Berufungsverfahren) den Einwand erhoben habe, daß die Tätigkeit der Lebensgefährtin nicht zeitgleich der Haushaltsführung und der Pflege des Klägers gedient habem könne. Diese Hinweise des Gegners müssen den Kläger nicht notwendig zu der Annahme veranlassen, dem würde das Berufungsgericht folgen und damit eine andere Rechtsansicht als das Landgericht vertreten, weshalb vorsorglich der eigene Vortrag zu ergänzen sei (BGH, Beschluss vom 21.01.2016 - V ZR 183/15 -).

Der Gehörsverstoß sei auch erheblich. Der Kläger habe nach Schluss der mündlichen Verhandlung zu dem Hinweis weitergehend vorgetragen und es könne nicht ausgeschlossen werden, dass das OLG über den Anspruch betreffend Ersatz des Haushaltsführungsschadens bei Berücksichtigung desselben anders als geschehen entschieden hätte. 

BGH, Beschluss vom 21.01.2020 - VI ZR 346/18 -

Freitag, 20. Juli 2018

Rechtliches Gehör: Gerichtlicher Hinweis und Schriftsatzfrist oder Vertagung


Es ist (leider) nicht die Ausnahme sondern die Regel, dass Gerichte (Richter) unabhängig davon, ob es sich um einen Termin als frühen ersten Termin oder nach einem schriftlichen Vorverfahren, nach einem Richterwechsel oder im berufungsverfahren handelt, nicht vor dem jeweiligen Termin die Parteien auf nach ihrer Ansicht wesentliche Gesichtspunkte hinweisen, die offenbar übersehen wurden (Fall des § 139 ZPO), sondern erst im Termin. So auch hier:

Der Beklagte, selbst Rechtsanwalt, zahlte restlichen Werklohn in Höhe von € 37.424,58 nicht, wobei der Umfang de Auftrages zwischen den Parteien streitig war und eine Abnahme der Werkleistung durch den Beklagten nicht erfolgt war. Der Beklagte berief sich wegen seiner Ansicht nach mangelhafter Leistungen auf ein Zurückbehaltungsrecht. In der mündlichen Verhandlung wies das Landgericht den Beklagten darauf hin, dass sein Vortrag zu Mängeln und Gegenrechten bisher unzureichend und unsubstantiiert sei. Der beklagte beantragte nach diesem Hinweis keinen Schriftsatznachlass zum möglichen weiteren Vortrag auf den Hinweis. Das Landgericht gab mit einem am Schluss der mündlichen  verkündeten Urteil der Klage statt. Die dagegen vom Beklagten eingelegte Berufung wird das OLG mit Beschluss (nach entsprechenden Hinweis) gem. § 522 Abs. 2 ZPO zurück. Die Nichtzulassungsbeschwerde des Beklagten zum BGH war im Wesentlichen erfolgreich und führte zur Aufhebung des Beschlusses des OLG und Zurückverweisung des Rechtsstreits an das OLG.

Der Beklagte hatte sowohl noch im erstinstanzlichen Verfahren (allerdings nach Urteilsverkündung und vor dessen Zustellung) als auch im Berufungsverfahren in Ansehung des Hinweises des Landgerichts in der mündlichen Verhandlung ergänzend  vorgetragen. Das OLG wies diesen Vortrag nach § 531 Abs. 2 S. 1 ZPO zurück. Diese Zurückweisung, so der BGH, beruhe auf einer  unrichtigen Anwendung der Norm. Das Gebot der Gewährung rechtlichen Gehörs gebiete dem Berufungsgericht, Vortrag zuzulassen, wenn eine unzulängliche Verfahrensleitung oder Verletzung der richterlichen Hinweispflicht (§ 139 ZPO) das Ausbleiben von Vorbringen oder Beweisanträgen erstinstanzlich (mit) verhindert habe. Wird erstinstanzlich wesentlicher Vortrag einer Partei als unsubstantiiert zurückgewiesen oder  die Partei als beweisfällig angesehen, ohne dass ein erforderlicher Hinweis erfolgt sei, käme die Anwendung des § 531 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 ZPO in diesem Fall einer Verhinderung des Vortrages zu entscheidungserheblichen Punkten gleich  und damit einem Verstoß gegen das rechtliche Gehör nach Art. 103 GG.

Vorliegend sei das Landgericht seiner Hinweispflicht nach § 139 ZPO nicht ausreichend nachgekommen. Die Hinweise hätten grundsätzlich so rechtzeitig zu erfolgen, dass die Partei Gelegenheit habe, ihre Prozessführung darauf einzustellen, § 139 Abs. 4 ZPO. Bei einem Hinweis erst in der mündlichen Verhandlung und damit entgegen § 139 Abs. 4 ZPO  müsse der Partei genügend Zeit zur Reaktion gegeben werden. Kann sich die Partei ersichtlich im Termin nicht äußern, müsse das Gericht (geht es nichts ins schriftliche Verfahren über) auch ohne Antrag auf Schriftsatznachlass (der in § 139 Abs. 5 ZPO vorgesehen ist) die mündliche Verhandlung vertagen. Ein Unterlassen stellt sich als Verstoß gegen den Anspruch auf rechtliches Gehör nach Art. 103 GG dar.  

Vorliegend beruhe die Entscheidung des OLG auch auf diesem Verfahrensfehler, da nicht auszuschließen ist, dass das OLG bei Beachtung des zunächst nach mündlicher Verhandlung und wiederholt im Berufungsverfahren erfolgte  Vortrages als Reaktion auf die Hinweise vom Landgericht in der Sache anders entschieden hätte.

BGH, Beschluss vom 11.04.2018 - VII ZR 177/17 -