Dienstag, 24. Juli 2018

Rechtliches Gehör: Nichteinholung eines angebotenen Sachverständigengutachtens


Die Klägerin machte gegen den Beklagten nach kierferchirugischer und zahnärztlicher Behandlung Schadensersatz einschl. Schmerzensgeld und im Rahmen eines Feststellungsantrages  einen möglichen Zukunftsschaden geltend. Land- und Oberlandesgericht wiesen die Klage ab. Auf die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin hob der BGH das Urteil des OLG auf und verwies den Rechtsstreit an das OLG zurück.

Die Klägerin hatte geltend u.a. gemacht, sie sie nicht genügend aufgeklärt worden- Mit den verwandten Implantaten sei sie nicht einverstanden gewesen und sie sei fehlerhaft behandelt worden, die Konstruktion sei zu schwer gewesen, weshalb sie sich immer wieder gelockert habe und herausgefallen sei.

Die Klägerin hatte dezidiert unter Beweisangebot auf Einholung eines Sachverständigengutachtens vorgetragen. Das OLG habe ausgeführt, die Ursache für das Herausfallen der Brücke könne nicht mehr festgestellt werden und der Umstand, dass nach einem Neuaufbau der Brücke diese nicht mehr herausfalle rechtfertige nicht die Annahme eines Behandlungsfehlers. Auch wenn das Modell der Brücke noch vorhanden sei, sei eine Überprüfung nicht mehr möglich. Es sei „gerichtsbekannt und durch den Senat als Fachsenat schon mehrfach durch Sachverständigengutachten festgestellt worden, dass bereits kurze Zeit nach Veränderung der Gebisssituation eine Überprüfung nicht mehr möglich sei“.  Es wäre Sache der Klägerin gewesen, vor Anfertigung einer neuen Brücke eine Beweissicherung des vorhandenen Zustandes vorzunehmen.

Das OLG habe Art und Umfang des von der Klägerin behaupteten Fehlers sowie die für ein Sachverständigengutachtens zur Verfügung stehenden Anknüpfungstatsachen allenfalls unzureichend zur Kenntnis genommen, jedenfalls nicht berücksichtigt. Damit läge eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör vor, da auf Umstände von zentraler Bedeutung nicht eingegangen worden sei. So sei nicht berücksichtigt worden, dass die Klägerin geltend gemacht habe, dass das gesamte Behandlungskonzept in seiner Grundlage fehlerhaft gewesen sei, insbesondere da die Implantate die verwendeten Aufbauten nicht hätten tragen können. Zudem sei nicht nur das Modell der Oberkieferprothese noch vorhanden, sondern auch Fotos von der vom Beklagten verwandten Zahnersatzkonstruktion.

Als schwerwiegend sah es der BGH an, dass das OLG keine eigene Sachkunde ausgewiesen (also dargelegt) habe und darüber hinaus auch die Klägerin nicht darauf hingewiesen habe, dass es das beantragte Sachverständigengutachten aufgrund eigener Sachkunde für ungeeignet halte.

Aus den Urteilsgründen ergäbe sich fehlerhaft auch nicht, weshalb das OLG die Ansicht vertritt, nachträglich ließe sich ein Sachverständigengutachtens zu den Streitfragen nicht mehr erstellen.

BGH, Beschluss vom 09.01.2018 - VI ZR 106/17 -


Aus den Gründen:

Tenor
1. Auf die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin wird das Urteil des 22. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 9. Februar 2017 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als die Berufung der Klägerin gegen die Abweisung der Klage wegen einer fehlerhaften Zahnersatzkonstruktion im Urteil des Landgerichts Darmstadt vom 11. August 2015 zurückgewiesen worden ist.
2. Die Sache wird im Umfang der Aufhebung zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
3. Im Übrigen wird die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin zurückgewiesen.
4. Der Gegenstandswert des Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrens wird auf 30.718,95 € festgesetzt.

Gründe

I.
Die Klägerin nimmt den Beklagten nach einer kieferchirurgischen und zahnärztlichen Behandlung auf Schadensersatz, Schmerzensgeld und Feststellung in Anspruch.
Der Beklagte brachte bei der Klägerin Implantate und eine Kieferbrücke ein. Später ließ sich die Klägerin bei einer anderen Zahnärztin eine neue Prothese einsetzen.
Die Klägerin wirft dem Beklagten vor, sie nicht ausreichend aufgeklärt zu haben. Mit den verwendeten Implantaten sei sie nicht einverstanden gewesen. Außerdem habe der Beklagte sie fehlerhaft behandelt. Die ihr eingesetzte Konstruktion habe wie eine Eisenbahnschiene ausgesehen und sei zu schwer gewesen, weshalb sie sich immer wieder gelockert habe und herausgefallen sei. Der Behandlungsfehler des Beklagten bestehe auch hinsichtlich der Wahl des Versorgungskonzepts und deren medizinisch fachgerechten Durchführung.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Das Oberlandesgericht hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Die Revision hat es nicht zugelassen. Dagegen wendet sich die Klägerin mit ihrer Nichtzulassungsbeschwerde.
II.
Die Nichtzulassungsbeschwerde hat Erfolg und führt gemäß § 544 Abs. 7 ZPO zur Aufhebung des angefochtenen Urteils, soweit das Oberlandesgericht die Berufung der Klägerin gegen die Abweisung der Klage wegen einer fehlerhaften Zahnersatzkonstruktion zurückgewiesen hat (1.). Im Übrigen ist die Nichtzulassungsbeschwerde unbegründet (2.).
1. Das Berufungsgericht ist unter entscheidungserheblichem Verstoß gegen den Anspruch der Klägerin auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) zu der Annahme gelangt, dass ein Fehler der Zahnersatzkonstruktion nicht nachgewiesen sei.
a) Die Klägerin hat erstinstanzlich vorgetragen, die ihr eingesetzte Zahnersatzkonstruktion habe wie eine Eisenbahnschiene ausgesehen und sei zu schwer gewesen, weshalb sie sich immer wieder gelockert habe und herausgefallen sei. Im Berufungsverfahren hat sie vorgetragen, der Behandlungsfehler des Beklagten bestehe auch hinsichtlich der Wahl des Versorgungskonzepts und deren medizinisch fachgerechten Durchführung. Unter anderem hat die Klägerin konkret ausgeführt:
"Aber auch hierauf hat und konnte der Beklagte das Behandlungskonzept eines festsitzenden Zahnersatzes zuletzt nicht lege artis und behandlungsfehlerfrei umsetzen und hierauf eine fest sitzende Prothese aufbringen. Denn wie sich in der Nachbehandlung der Zeugin Dr. [...] schließlich gezeigt hat, waren die verwendeten Aufbauten völlig ungeeignet, um den nach allem in Umsetzung des von der Klägerin von Anfang an begehrten Behandlungskonzepts zuletzt vom Beklagten dennoch gefertigten festsitzenden Zahnersatz zu tragen. Hierin liegt ein Behandlungsfehler.
[...]
Schließlich war auch die zuletzt doch als festsitzend auf die - sogar um zwei weitere Implantate ergänzten - SIC-Implantate eingebrachte Zahnersatzkonstruktion behandlungsfehlerhaft, weil sie, wie sich nämlich in der Folge gezeigt und durch die Aussage der Frau Dr. [...] auch bestätigt hat, durch die fehlerhafte Behandlung des Beklagten nicht durch die verwendeten Aufbauten getragen werden konnte. Ein festsitzender Zahnersatz war damit mithin nicht herzustellen.
Beweis: Einholung eines Sachverständigengutachtens
[...]
Jedenfalls war die der Klägerin als festsitzender Zahnersatz von ihm implementierte Konstruktion behandlungsfehlerhaft.
Beweis: Einholung eines Sachverständigengutachtens.
Die vom Beklagten verwendeten Aufbauten und die von ihm eingebrachte festsitzende Zahnersatzkonstruktion wurden von der Zeugin Frau Dr. [...] entfernt und befinden sich auch noch ihrem Gewahrsam.
Beweis: Bilder der verwendeten Aufbauten und der Zahnersatzkonstruktion als Anlagenkonvolut K 12 beigefügt
[...]
Der Beklagte hätte dieser Auffassung folgend, selbst daher kein festsitzendes Zahnersatzsystem hierauf aufbauen dürfen und die weitere Behandlung ablehnen müssen.
Beweis: Einholung eines Sachverständigengutachtens
Dies hatte er aber nicht. Er hat in insgesamt 52 Sitzungen der Klägerin ein völlig nutzloses und behandlungsfehlerhaftes Versorgungskonzept implementiert, das erst durch die fachgerechte und behandlungsfehlerfreie Behandlung durch die Zeugin Dr. [...] in ein schließlich festsitzendes Versorgungskonzept umgesetzt werden konnte.
Beweis: Einholung eines Sachverständigengutachtens"
b) Das Berufungsgericht hat in den Urteilsgründen ausgeführt, dass eine Kontrolluntersuchung des Beklagten ohne Befund erfolgt sei. Die Gründe, warum die Brücke mehrfach herausgefallen sei, könnten naturgemäß nicht mehr festgestellt werden. Allerdings sei erkennbar, dass die Klägerin die Brücke mehr als ein Jahr getragen habe, bis sie erneut Schwierigkeiten damit gehabt habe, als während ihres Urlaubs die Brücke erneut herausgefallen sei. Soweit die Klägerin der Auffassung sei, dass sich allein daraus ein ärztlicher Behandlungsfehler ergebe, weil sie mit dem Neuaufbau der Brücke durch die Zeugin sehr viel zufriedener sei und es damit keine Probleme gebe, könne dem nicht gefolgt werden. Nach den glaubhaften Angaben des [als] Zeugen [vernommenen Zahntechnikers] habe die Brücke gepasst und sei auch entsprechend befestigt worden. Es sei sicherlich ungewöhnlich, dass eine Brücke mehrfach herausfalle, die konkreten Umstände dafür könnten allerdings nicht mehr festgestellt werden. Auch wenn das Modell der vom Beklagen eingesetzten Oberkieferprothese bei der Klägerin noch vorhanden sei, sei eine Überprüfung, ob die alte Brücke funktionsfähig gewesen sei, nicht mehr möglich. Es sei gerichtsbekannt und durch den Senat als Fachsenat schon mehrfach durch Sachverständigengutachten festgestellt worden, dass bereits kurze Zeit nach Veränderung der Gebisssituation eine Überprüfung nicht mehr möglich sei, da sich sowohl der Kiefer als auch die Gebisssituation der neuen Prothetik anpassten. Es handele sich bei Zahnersatz um ein millimetergenaues individuell angefertigtes Konstrukt, bei dem bereits kleinste Veränderungen dazu führten, dass eine genaue Überprüfung eines früheren Zustands nicht mehr möglich sei. Es wäre deshalb Sache der Klägerin gewesen, vor Anfertigung der neuen Brücke eine Beweissicherung des vorhandenen Zustands vorzunehmen. Im Nachhinein sei eine solche Überprüfung nicht möglich.
c) Danach hat das Berufungsgericht den wesentlichen Kern des Vorbringens der Klägerin jedenfalls nicht in Erwägung gezogen (aa). Darüber hinaus hat der Verzicht auf die Einholung des von der Klägerin beantragten Sachverständigengutachtens im Prozessrecht keine Stütze (bb).
aa) Aus den Erwägungen des Berufungsgerichts ergibt sich, dass es Art und Umfang des von der Klägerin behaupteten Fehlers sowie die für ein Sachverständigengutachten zur Verfügung stehenden Anknüpfungstatsachen allenfalls unzureichend zur Kenntnis genommen und zumindest nicht berücksichtigt hat.
(1) Eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör kann festgestellt werden, wenn sich aus den besonderen Umständen des einzelnen Falles deutlich ergibt, dass das Gericht Vorbringen entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder bei seiner Entscheidung nicht in Erwägung gezogen hat. Davon ist unter anderem dann auszugehen, wenn das Gericht auf den wesentlichen Kern des Tatsachenvortrags eines Beteiligten zu einer Frage, die für das Verfahren von zentraler Bedeutung ist, nicht eingegangen ist, sofern er nach dem Rechtsstandpunkt des Gerichts nicht unerheblich oder aber offensichtlich unsubstantiiert gewesen ist (Senat, Beschluss vom 8. November 2016 - VI ZR 512/15, VersR 2017, 316 Rn. 6; BGH, Urteil vom 23. November 2017 - III ZR 411/16, juris Rn. 19 jeweils mwN).
(2) Zunächst begründet das Berufungsgericht seine Auffassung, dass die Funktionsfähigkeit der alten Brücke nicht mehr überprüft werden könne, ausschließlich mit der zwischenzeitlich veränderten Gebisssituation. Es berücksichtigt nicht den Vortrag der Klägerin, wonach - unabhängig von der Passgenauigkeit des Zahnersatzes (dem "Biss") - das gesamte Behandlungskonzept bereits in seiner Grundanlage fehlerhaft gewesen sein soll, insbesondere weil die Implantate die verwendeten Aufbauten nicht hätten tragen können.
Zudem ist nach dem Vortrag der Klägerin nicht nur das vom Berufungsgericht erwähnte Modell der vom Beklagten eingesetzten Oberkieferprothese vorhanden, sondern - durch Lichtbilder belegt - auch die vom Beklagten verwendete Zahnersatzkonstruktion.
bb) Jedenfalls hat das Berufungsgericht keine eigene besondere Sachkunde ausgewiesen und die Klägerin nicht darauf hingewiesen, dass es das beantragte Sachverständigengutachten aufgrund eigener Sachkunde für ungeeignet hält.
(1) Art. 103 Abs. 1 GG verpflichtet die Gerichte, erheblichen Beweisanträgen nachzugehen. Die Nichtberücksichtigung eines erheblichen Beweisangebots, die im Prozessrecht keine Stütze hat, verstößt gegen den Anspruch auf rechtliches Gehör (Senat, Beschlüsse vom 11. Oktober 2016 - VI ZR 547/14, juris Rn. 6; vom 27. Oktober 2015 - VI ZR 355/14, NJW 2016, 641 Rn. 6; BGH, Beschluss vom 27. September 2017 - XII ZR 54/16, NZM 2017, 812 Rn. 7 jeweils mwN).
Der Tatrichter darf, wenn es um die Beurteilung einer Fachwissen voraussetzenden Frage geht, auf die Einholung eines Sachverständigengutachtens nur verzichten, wenn er entsprechende eigene besondere Sachkunde auszuweisen vermag. Zudem muss der Tatrichter, wenn er bei seiner Entscheidung eigene Sachkunde in Anspruch nehmen will, den Parteien zuvor einen entsprechenden Hinweis erteilen (Senat, Beschlüsse vom 8. März 2016 - VI ZR 243/14, juris Rn. 12; vom 13. Januar 2015 - VI ZR 204/14, NJW 2015, 1311 Rn. 5 mwN). Dies gilt auch, wenn der Tatrichter auf ein Sachverständigengutachten verzichten will, weil er es auf Grundlage eigener Sachkunde für ungeeignet hält (vgl. Senat, Urteil vom 6. November 1984 - VI ZR 26/83, VersR 1985, 86 mwN).
(2) Aus den Erwägungen des Berufungsgerichts ergibt sich nicht, warum nicht auch nachträglich die Fehlerhaftigkeit der gesamten Zahnersatzkonstruktion feststellbar sein sollte. Die Ausführungen könnten nur belegen, dass sich die ausreichende Passgenauigkeit nicht mehr rekonstruieren lässt.
Außerdem ist nicht ersichtlich, dass das Berufungsgericht darauf hingewiesen hat oder sonst hat erkennen lassen, es wolle auf das beantragte Sachverständigengutachten verzichten, weil dieses ungeeignet sei und es selbst die für die Beurteilung dieser Frage erforderliche Sachkunde besitze. Vielmehr hat es im Zusammenhang mit einem Vergleichsvorschlag erläutert, dass eine umfangreiche Beweisaufnahme durch Zeugenvernehmung und durch Einholung von zwei Sachverständigengutachten erforderlich sei.
d) Die Gehörsverletzung ist erheblich. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass das Berufungsgericht bei der gebotenen Berücksichtigung des übergangenen Vorbringens zu einem anderen Ergebnis gelangt wäre.
2. Im Übrigen war die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision zurückzuweisen. Sie hat keine durchgreifenden Zulassungsgründe gegen die Erwägungen des Berufungsgerichts aufgezeigt, dass der Beklagte sie ausreichend aufgeklärt habe und sie mit der Art der Behandlung einverstanden gewesen sei (§ 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO). Von einer weiteren Begründung wird gemäß § 544 Abs. 4 Satz 2, 2. Halbsatz ZPO abgesehen.

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