Die Antragstellerin (AS) hatte das ihr zustehende Erbe zunächst ausgeschlagen, diese Ausschlagung allerdings innerhalb der Monatsfrist des § 63 FamFG angefochten. Ihr gestellter Alleinerbschein zu ihren Gunsten beantragt, da sie als Erbin erster Ordnung gem. § 1924, 1930 einen Alleinerbschein beantragt. Allerdings gab das Nachlassgericht dem Antrag des Großneffen der Erblasserin auf Erteilung eines Erbscheins statt. Die dagegen von der AS eingelegte Beschwerde war erfolgreich.
Zwar habe die AS zunächst wirksam nach §§ 1942 ff BGB die Erbschaft ausgeschlagen, weshalb der Anfall der Erbschaft gem. § 1953 Abs. 1 BGB nicht als erfolgt gelte. Diese Ausschlagung sei allerdings fristgerecht von ihr angefochten worden, weshalb hier eine Ausnahme nach § 1957 Abs. 1 BGB eingreife. Erforderlich für die wirksame Ausschlagung könne ein kausaler Irrtum über eine verkehrswesentliche Eigenschaft des Nachlasses sein, §§ 1954, 119 Abs. 2 BGB. Ein solcher Irrtum könne angenommen werden bei falscher Vorstellung hinsichtlich der Zusammensetzung des Nachlasses, des Bestandes an Aktiva und Passiva. Das OLG lehnte allerdings entgegen einer in der Rechtsprechung vertretenen Ansicht ab (so z.B. BGH, Urteil vom 21.02.2052 - IV ZR 103/51 -; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 05.09.2008 - 3 Wx 123/08 -) die Überschuldung des Nachlasses als verkehrswesentliche Eigenschaft anzusehen, da der Wert anders als die wertbildenden Faktoren keine Eigenschaft einer Sache iSv. § 119 Abs. 2 BGB sei (BGH, Urteil vom 18.12.1954 - II ZR 296/53 -), sondern selbst Ergebnis der Bewertung der einzelnen Aktiv- und Passivposten des Nachlasses. Allerdings se die irrtümliche Vorstellung über eine Überschuldung im Rahmen der Kausalitätsprüfung zu berücksichtigen.
Bei dem Irrtum handele es sich um eine Abweichung der Vorstellung des Erklärenden über eine verkehrswesentliche Eigenschaft von den tatsächlichen Gegebenheiten. Es handele sich um eine innere Tatsache. Ein entsprechender Irrtum iSv. § 119 Abs. 2 BGB läge nicht vor, wenn die Ausschlagung unabhängig von Grund und Höhe der Erbschaft bewusst auf der Grundlage ungenauer zeitferner Informationen erfolge (KG, Beschluss vom 19.10.2023 – 6 W 31/23 -); in diesem Fall würde die Vorstellung nicht von den tatsächliche Umständen abweichen, vielmehr halte der Erklärende die Grundlagen der ihm vorliegenden Informationen das Vorliegen einer bestimmten verkehrswesentlichen Eigenschaft als wahrscheinlicher als deren Nichtvorliegen. Damit läge eine Vermutung vor, da die Vorstellung nicht aufgrund einer Bewertung bekannter Fakten vor, die zur Ausschlagung oder Annahme der Erbschaft führe. Spekulativ sei in diesem Fall die Entscheidung auf ungesicherter Basis erfolgt (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 19.12.2018 - I-3 Wx 140/19 -).
Dem stellte das OLG den Fall gegenüber, dass der Erklärende hinreichende Anstrengungen unternommen habe, um Erkenntnisse über Fakten zu erlangen, die ihm als gesicherte Entscheidungsgrundlage dienen könnten. Im Rahmen der Irrtumsfeststellung ginge es auch nicht um ein Vershulden des Erklärenden, da (vgl. § 122 Abs. 2 BGB) selbst grob fahrlässiges Verschulden eine Irrtumsanfechtung nicht ausschließen würde (so bereits RGZ 62, 205 und RGZ 88, 411). Zu prüfen sei bei der Frage, ob der Anfechtende naheliegende Erkenntnismöglichkeiten genutzt habe, alleine die Plausibilität des behaupteten Irrtums, da es sich bei der von der Realität abweichenden Fehlvorstellung um eine innere und damit nur anhand von Indizien aufklärbare Tatsache handele. Derjenige, der keine Anstrengungen unternehme, um sich zu informieren, der sich nicht für die Tatsachen interessiere, nähme häufig eine unsichere Grundlage für seine Entscheidung in Kauf und stütze diese damit bewusst auf ein Wahrscheinlichkeitsurteil. Damit sein eine zur Anfechtung berechtigende Fehlvorstellung über Zusammensetzung und Bestand des Nachlasses unwahrscheinlich und unplausibel. Demgegenüber könnten vom Erklärenden unternommene Erkundigungen zum Nachlass, die der Erklärende im Zeitpunkt der Erklärung gemacht habe, als Anzeichen für einen Irrtum dienen (so auch OLG Hamm, Beschluss vom 29.01.2009 - I-15 Wx 213/08 - zur Annahme einer Erbschaft).
Weiterhin müsse der Irrtum über die verkehrswesentliche Eigenschaft kausal für die Erklärung gewesen sein. Grundsätzlich könne dies angenommen werden, wenn die Ausschlagung in der Annahme der Überschuldung des Nachlasses erfolge. Das sei aber nicht zwingend, da auch ein Irrtum, der bei vorgestellter maginaler Solvenz eine tatsächlich vorhandene geringfügige Überschuldung zur Folge habe, nicht kausal sein, , wie auch der Irrtum über das Vorhandensein eines bedeutenden Nachlassgegenstandes bei unabhängig davon bestehender Solvenz des Nachlasses seinerseits kausal für die Erklärung sein könne. Es käme im Einzelfall auf die Beweggründe des Erklärenden an, weshalb auch insoweit in Zweifelsfällen eine Anhörung desselben unerlässlich sei. Genügend sei eine Mitursächlichkeit des Irrtums.
Dies zugrundeliegend ging das OLG davon aus, dass die Antragstellerin zum Zeitpunkt der Ausschlagung der Erbschaft irrtümlich falsche Vorstellungen hinsichtlich der Zusammensetzung des Nachlasses hatte. Dabei hebe sie hier insbesondere über das Vorhandensein der Guthaben auf Spar- und Girokonto geirrt, was jedenfalls mitursächlich für die Ausschlagung gewesen sei. Das OLG führte sodann im Einzelnen aus, weshalb die AAS ihrer Erkundigungspflicht nachgekommen sei und daher von einem Irrtum im vorgenannten Sinne ausgegangen werden könne. Es wies auch darauf hin, dass sie erst nach der Ausschlagung vom Nachlasspfleger von den Kontenguthaben erfuhr und dass ihr nicht angelastet werden könne, dass sie nicht selbst in der Wohnung der Erblasserin nach Finanzunterlagen gesucht habe, da es auf ein Verschulden nicht ankäme und vorliegend die zuständige Kriminalbeamtin ihr den Zustand der Wohnung geschildert und ihr im Hinblick darauf abgeraten habe, die Wohnung zu betreten.
Damit stellte das OLG fest, das nach den Gesamtumständen die AS bei Abgabe der Ausschlagungserklärung sich über die Zusammensetzung und damit eine verkehrswesentliche Eigenschaft des Nachlasses geirrt habe und nicht lediglich das Fehlen von Vermögenswerten als wahrscheinlich ansah.
OLG Frankfurt, Beschluss
vom 24.07.2024 - 21 W 146/23 -
Aus den Gründen:
Tenor
Auf die Beschwerde der Beteiligten zu 1)
wird der Beschluss des Amtsgerichts Stadt1 - Nachlassgericht - vom 09.08.2023
abgeändert:
Die für die Erteilung des von der
Beteiligten zu 1) am 21.03.2022 beantragten Erbscheins erforderlichen Tatsachen
werden für festgestellt erachtet. Das Amtsgericht wird angewiesen, einen
entsprechenden Erbschein zu erteilen.
Der Erbscheinsantrag des Beteiligten zu 2) wird zurückgewiesen.
Von der Erhebung von Gerichtskosten im Beschwerdeverfahren wird abgesehen. Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.
Gründe
I.
Die am
XX.XX.2021 verstorbene Erblasserin war geschieden. Die Beteiligte zu 1) ist
ihre Tochter. Der Beteiligte zu 2) ist ein Großneffe der Erblasserin. Eine
letztwillige Verfügung hinterließ die Erblasserin nicht.
Mit notariell
beurkundeter Erklärung vom 07.07.2021 (Bl. 5 d.A.) schlug die Beteiligte zu 1)
die Erbschaft nach ihrer Mutter aus allen Berufungsgründen aus. Mit gerichtlich
protokollierter Erklärung vom 17.08.2021 (Bl. 57 d.A.) schlug Herr Vorname1 A,
Bruder der Erblasserin, die Erbschaft aus. Dessen Töchter B und Vorname2 A
erklärten die Ausschlagung der Erbschaft am 24.09.2021 und 29.09.2023 (Bl. 64
und 66 d.A.).
Mit Beschluss
vom 23.11.2021 (Bl. 73 d.A.) ordnete das Nachlassgericht gemäß § 1960 BGB
für die unbekannten Erben Nachlasspflegschaft an und bestellte Herrn D zum
Nachlasspfleger.
Mit notariell
beglaubigter Urkunde vom 21.03.2022 (Bl. 84 d.A.) hat die Beteiligte zu 1) die
Ausschlagung der Erbschaft angefochten. Zur Begründung hat sie ausgeführt, dass
sie bei der Ausschlagung davon ausgegangen sei, dass im Nachlass kein
Aktivvermögen sei. Aufgrund der Alkoholkrankheit der Erblasserin sei sie nicht
bei dieser aufgewachsen und habe zu ihr seit etwa ihrem elften Lebensjahr
keinen Kontakt mehr. Am 17.06.2021 sei sie vom Tod der Erblasserin und den
Todesumständen informiert worden. Die zuständige Kriminalbeamtin habe ihr
berichtet, dass die Wohnung der Erblasserin in einem chaotischen und
unaufgeräumten Zustand gewesen sei und habe ihr auf Nachfrage mitgeteilt, dass
sich die Wohnung nicht in der besten Wohngegend befinde. Nach Internetrecherchen
habe die Beteiligte zu 1) festgestellt, dass die Adresse hinter dem Bahnhof
liege. Aufgrund der schlimmen Kindheitserfahrungen sei sie davon ausgegangen,
dass ihre Mutter abgerutscht sei und im sozialen Brennpunkt gelebt haben müsse.
Daraufhin habe sie die Erbschaft ausgeschlagen. Erst durch das Schreiben des
Nachlasspflegers vom 07.02.2022, das bei ihr am 25.02.2022 eingegangen sei,
habe sie davon Kenntnis erhalten, dass es neben Mietschulden und
Bestattungskosten ein Girokonto und Sparbuch mit Guthaben in Höhe von insgesamt
72.077,87 Euro gebe. Weil ihr insbesondere das Girokonto und das Sparbuch nicht
bekannt gewesen seien, habe sie sich über die Zusammensetzung des Nachlasses im
Irrtum befunden. Aufgrund der Alkoholerkrankung der Mutter, des chaotischen und
unaufgeräumten Zustands ihrer Wohnung und des von ihr als problematisch
eingestuften Wohnviertels habe sie sich nicht vorstellen können, dass ihre
Mutter überhaupt über Geldvermögen verfüge.
Mit notarieller
Urkunde vom 21.03.2022 (Bl. 87 d.A.) hat die Beteiligte zu 1) einen
Alleinerbschein aufgrund gesetzlicher Erbfolge beantragt und sich hierfür auf
die Anfechtung ihrer Erbschaftsausschlagung gestützt.
Diesem
Erbscheinsantrag ist der Beteiligte zu 2) entgegengetreten (Bl. 102 d.A.). Er
ist der Auffassung gewesen, dass die Anfechtung der Erbausschlagung unwirksam
sei, weil die Beteiligte zu 1) die Erbschaft bewusst ausgeschlagen habe und
daher kein Irrtum vorliege. Auch habe die Beteiligte zu 1) niemand bedrängt
oder getäuscht. Außerdem sei deutlich geworden, dass die Beteiligte zu 1)
nichts habe von der Erblasserin wissen wollen und keine Bindung zu dieser habe,
so dass die Anfechtung auch aus moralischen Gründen bedeutungslos sei. Der
Aufwand der Beteiligten zu 1) sei minimal gewesen. Stattdessen habe sie andere
die Räumung der Wohnung und Beerdigung erledigen lassen.
Mit notarieller
Urkunde vom 03.07.2023 (Bl. 184 d.A.) hat der Beteiligte zu 2) einen
Alleinerbschein zu seinen Gunsten aufgrund gesetzlicher Erbfolge beantragt.
Hierfür hat er sich auf die Ausschlagungserklärung der Beteiligten zu 1)
gestützt, die er für wirksam hält. Für die Begründung im Einzelnen wird auf Bl.
184 f. d. A. verwiesen.
Mit dem
angefochtenen Beschluss vom 09.08.2023 (Bl. 187 d. A.) hat das Nachlassgericht
die für die Erteilung des von dem Beteiligten zu 2) zu dessen Gunsten
beantragten Alleinerbscheins erforderlichen Tatsachen für festgestellt erachtet
und den Erbscheinsantrag der Beteiligten zu 1) zurückgewiesen. Zur Begründung
hat es im Kern ausgeführt, dass der Beteiligte zu 2) wegen der wirksamen
Erbausschlagung der Beteiligten zu 1) gesetzlicher Erbe geworden sei. Die
Anfechtung der Erbausschlagung sei unwirksam, weil sich die Beteiligte zu 1)
nicht über eine verkehrswesentliche Eigenschaft im Irrtum befunden habe. Zum
Zeitpunkt der Erbausschlagung habe die Beteiligte zu 1) keinen konkreten
Fehlvorstellungen über die Zusammensetzung des Nachlasses unterlegen. Weder Aktiva
noch Passiva seien der Beteiligten zu 1) bekannt gewesen. Auch habe sie keine
tatsächlichen Informationen zu den finanziellen Verhältnissen der Erblasserin
gehabt. Für die Begründung im Einzelnen wird auf Bl. 188 f. d. A. verwiesen.
Gegen diesen
ihr am 21.08.2023 zugestellten (Bl. 205 d.A.) Beschluss hat die Beteiligte zu
1) mit einem am 21.09.2023 (Bl. 201 d.A.) bei Gericht eingegangenen Schriftsatz
Beschwerde eingelegt. Zur Begründung führt sie an, dass sie die Ausschlagung
erklärt habe, nachdem ihr von Seiten der Polizei ausdrücklich abgeraten worden
sei, die Wohnung zu betreten. Außerdem sei ihr mitgeteilt worden, dass die
Wohnung offensichtlich keine werthaltigen Gegenstände enthalte, sondern
ungeachtet des verwahrlosten Zustandes sehr einfach bis primitiv ausgestattet
gewesen sei. Nach Kontaktaufnahme bei der Polizei in Stadt1 habe ihr die dort
zuständige Kriminalbeamtin mitgeteilt, dass die Erblasserin etwa eine Woche tot
in ihrer Wohnung gelegen habe. Soziale Kontakte habe es offenbar nicht gegeben,
weil man die Erblasserin sonst früher gefunden hätte. Mit der Kriminalbeamtin
habe sie im Folgenden mehrfach telefoniert. Diese habe ihr geschildert, dass
die Wohnung in einem chaotischen und unübersichtlichen Zustand gewesen sei. Die
Kriminalbeamtin habe ihr die Bilder der Wohnung beschrieben und ihr geraten,
sich gut zu überlegen, ob sie die Wohnung betreten wolle. Nach den Telefonaten
mit der Kriminalbeamtin, nach Recherchen über die Lage der Wohnung und vor dem
Hintergrund der Erfahrungen der Kindheit, die von der Alkoholkrankheit und den
ständigen Geldnöten der Erblasserin geprägt gewesen sei, habe sie die
Ausschlagung der Erbschaft erklärt.
Mit Beschluss
vom 16.10.2023 (Bl. 207 d.A.) hat das Nachlassgericht der Beschwerde nicht
abgeholfen und die Sache dem Oberlandesgericht zur Entscheidung vorgelegt.
Die Beteiligte
zu 1) wurde in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat persönlich angehört. Es
wird insoweit auf das Protokoll der Sitzung vom 12.04.2024 (Bl. 237 d.A.)
verwiesen.
II.
1. Die
Beschwerde ist zulässig und insbesondere fristgerecht gemäß § 63 FamFG
innerhalb eines Monats nach Zustellung des angefochtenen Beschlusses beim
Nachlassgericht eingegangen. Als Antragstellerin ist die Beteiligte zu 1) zudem
beschwerdeberechtigt (Sternal/Jokisch, FamFG, 21. Auflage 2023, § 59 Rn.
81).
2. Auch
in der Sache hat das Rechtsmittel Erfolg. Denn die Antragstellerin ist als
Erbin erster Ordnung gemäß §§ 1924, 1930 alleinige gesetzliche Erbin der
Erblasserin. Eine entgegenstehende testamentarische Verfügung liegt nicht vor.
a) Zwar
hat die Antragstellerin das Erbe zunächst nach §§ 1942 ff. BGB wirksam
ausgeschlagen mit der Folge, dass der Anfall der Erbschaft gemäß § 1953
Abs. 1 BGB als nicht erfolgt galt. Zur Vermeidung von Wiederholung wird
insoweit auf die zutreffenden Ausführungen des Nachlassgerichts im
angefochtenen Beschluss verwiesen.
b)
Sodann hat die Beteiligte zu 1) ihre Ausschlagungserklärung jedoch fristgemäß
und auch im Übrigen wirksam angefochten, so dass ihre Anfechtung gemäß
§ 1957 Abs.1 BGB als Annahme gilt.
aa) Die
Ausschlagung der Erbschaft kann wegen Irrtums über eine verkehrswesentliche
Eigenschaft des Nachlasses gemäß §§ 1954, 119 Abs. 2 BGB angefochten
werden. Erforderlich ist ein kausaler Irrtum über eine verkehrswesentliche
Eigenschaft des Nachlasses.
aaa) Ein
Irrtum über eine verkehrswesentliche Eigenschaft ist anzunehmen, wenn der
Annehmende falsche Vorstellungen hinsichtlich der Zusammensetzung des
Nachlasses, hinsichtlich des Bestandes an Aktiva oder Passiva hat (BayObLG, v.
05.07.2002 - 1Z BR 45/01 -, NJW 2003, 216 zitiert nach juris Rn. 56 m.w.N.).
Soweit die Rechtsprechung teilweise die Überschuldung des Nachlasses als
verkehrswesentliche Eigenschaft ansieht (vgl. z.B. BGH NJW 1952, 778; BayObLG
v. 05.07.2002 - 1Z BR 45/01, NJW 2003, 216; OLG Düsseldorf v. 05.09.2008 - 3 Wx
123/08, ZEV 2009, 137, BeckRS 2016, 19189; OLG Brandenburg v. 23.07.2019 - 3 W
55/19, BeckRS 2019, 16864 Rn. 9; KG, Beschl. v. 19.10.2023 - 6 W 31/23, ErbR
2024, 140; BeckOGK/Heinemann, BGB, 1.5.2024, § 1954 Rn. 63; offenlassend
BGH NJW 1989, 2885), folgt der Senat dem nicht. Denn der Wert ist anders als
die wertbildenden Faktoren keine Eigenschaft einer Sache im Sinne von
§ 119 Abs. 2 BGB (vgl. BGHZ 16, 54, 57; Grüneberg/Ellenberger, BGB,
83. Aufl., § 119 Rn. 27). Die Überschuldung des Nachlasses ist ihrerseits
Ergebnis der Bewertung der einzelnen Aktiv- und Passivpositionen des
Nachlasses. Sie ist damit ebenfalls eine Aussage über den Wert und daher keine
Eigenschaft des Nachlasses. Die irrtümliche Vorstellung über eine Überschuldung
ist vielmehr im Rahmen der Kausalitätsprüfung zu berücksichtigen.
bbb) Bei
einem Irrtum weicht die Vorstellung des Erklärenden über eine
verkehrswesentliche Eigenschaft von der Realität ab. Es handelt sich mithin um
eine innere Tatsache. Kein die Anfechtung nach § 119 Abs. 2 BGB
begründender Irrtum liegt vor, wenn die Ausschlagung unabhängig von Grund und
Höhe der Erbschaft bewusst auf der Grundlage ungenauer zeitferner Informationen
erfolgte (KG v. 19.10.2023 - 6 W 31/23, ErbR 2024, 140 m.w.N.). Denn hierbei
weicht die Vorstellung des Erklärenden nicht von der Realität ab, sondern der
Erklärende hält auf der Grundlage der ihm zur Verfügung stehenden Informationen
nur das Vorliegen einer bestimmten verkehrswesentlichen Eigenschaft für
wahrscheinlicher als deren Nichtvorliegen. Nicht zur Anfechtung berechtigt ist
daher, wer ohne und unter bewusstem Verzicht auf eine nähere Kenntnis der
Zusammensetzung des Nachlasses einer Fehlvorstellung über dessen vermutliche
Größe unterliegt, er also nicht aufgrund einer Bewertung ihm bekannter Fakten
zu dem Ergebnis gelangt ist, die Erbschaft anzunehmen oder auszuschlagen,
sondern seine Entscheidung auf spekulativer - also bewusst ungesicherter -
Grundlage getroffen hat (OLG Düsseldorf v. 19.12.2018 - I-3 Wx 140/18; ders.
vom 17.10.2016, I-3 Wx 155/15; OLG Brandenburg v. 23.07.2019 - 3 W 55/19,
BeckRS 2019, 16864 Rn. 9).
Hiervon zu
unterscheiden ist die Frage, ob der Erklärende hinreichende Anstrengungen
unternommen hat, um Erkenntnisse über Fakten zu erlangen, die ihm als
gesicherte Entscheidungsgrundlage dienen könnten. Dabei geht es im Rahmen der
Irrtumsfeststellung nicht um ein mögliches Verschulden des Erklärenden, denn -
wie sich aus § 122 Abs. 2 BGB ergibt - schließt ein selbst grob
fahrlässig verschuldeter Irrtum die Anfechtung nicht aus (vgl. RG 62, 205, 88,
411; Grüneberg/Ellenberger, BGB, 83. Aufl., § 119 Rn. 1 sowie § 122
Rn. 5).
Vielmehr geht
es bei der Frage, ob der Anfechtende naheliegende Erkenntnismöglichkeiten
genutzt hat, allein um die Plausibilität des behaupteten Irrtums. Denn bei der
von der Realität abweichenden Fehlvorstellung handelt es sich um eine innere
und damit nur anhand von Indizien aufklärbare innere Tatsache. Derjenige, der
keinerlei Anstrengungen unternimmt, um sich über die Zusammensetzung und den
Bestand des Nachlasses zu informieren, der sich nicht für die Tatsachen
interessiert, nimmt häufig eine unsichere Grundlage für seine Entscheidung in
Kauf, stützt seine Entscheidung mithin bewusst auf ein
Wahrscheinlichkeitsurteil. Bei einem Verzicht auf naheliegende
Erkundigungsmöglichkeiten ist eine zur Anfechtung berechtigende Fehlvorstellung
über die Zusammensetzung und den Bestand des Nachlasses unwahrscheinlich und
unplausibel. Die vom Erklärenden unternommenen Erkundigungen zum Nachlass
können daher als äußeres Anzeichen für einen Irrtum dienen. Abzustellen ist
aber letztlich auf die Vorstellungen über die Zusammensetzung und den Bestand
des Nachlasses, die sich der Erklärende im Zeitpunkt der Annahmeerklärung
gemacht hat (OLG Hamm v. 29.01.2009 - I-15 Wx 213/08, 15 Wx 213/08 -, juris Rn.
15). Da es sich hierbei um eine innere Tatsache handelt, ist in der Regel eine
Anhörung des Annehmenden veranlasst.
ccc)
Schließlich muss der Irrtum über die verkehrswesentliche Eigenschaft kausal für
die Erklärung sein. Dies wird regelmäßig der Fall sein, wenn der Irrtum über
den Bestand zu der irrigen Annahme geführt hat, der Nachlass sei überschuldet.
Zwingend ist jedoch auch dies nicht. So kann ein Irrtum, der bei vorgestellter
marginaler Solvenz eine tatsächlich vorhandene geringfügige Überschuldung zur
Folge hat, nicht kausal sein, wie auch der Irrtum über das Vorhandensein eines
bedeutenden Nachlassgegenstandes bei unabhängig davon bestehender Solvenz des
Nachlasses seinerseits kausal für die Erklärung sein mag. Jeweils kommt es auf
die tatsächlichen Beweggründe des Erklärenden an, wobei auch insoweit in
Zweifelsfällen eine Anhörung unerlässlich sein dürfte. Dabei genügt eine
Mitursächlichkeit des Irrtums.
bb) Nach
diesen Grundsätzen hat die Beteiligte zu 1) zur Überzeugung des Senats
dargetan, dass sie zum Zeitpunkt der Ausschlagungserklärung irrtümlich falschen
Vorstellungen hinsichtlich der Zusammensetzung des Nachlasses unterlag.
Insbesondere irrte sie sich über das Vorhandensein der Guthaben auf Spar- und
Girokonto. Dieser Irrtum war jedenfalls mitursächlich für ihre Erklärung, das
Erbe auszuschlagen.
Dabei hat sich
die Beteiligte zu 1) für die Annahme, dass der Nachlass aus keinerlei
werthaltigen Vermögensgegenständen bestehe, nicht nur auf ihre zeitfernen
Erinnerungen und Erfahrungen aus der Vergangenheit verlassen. Vielmehr hatte
sich die Beteiligte zu 1) in mehreren Telefonaten mit der nach dem Tod der
Erblasserin zuständigen Kriminalbeamtin besprochen und sich von dieser die
Todes-, Lebens- und Wohnumstände der Erblasserin schildern lassen. Des Weiteren
hatte sie im Internet über die Wohnlage der Erblasserin recherchiert und sich
diese ergänzend von der Polizei erklären lassen. Im Rahmen ihrer Anhörung vor
dem Senat hat die Beteiligte zu 1) anschaulich berichtet, welche Anstrengungen
sie unternommen hat, um sich über die Lebensumstände und Vermögensverhältnisse
der Erblasserin zu informieren. Dass die Beteiligte zu 1) aufgrund der
hierdurch gewonnenen Informationen und vor dem Hintergrund der aus der
Vergangenheit bekannten jahrelangen Geldnot der Erblasserin zu der Überzeugung
gelangte, dass die Erblasserin über keinerlei Vermögen verfügte und der
Nachlass daher überschuldet sei, ist objektiv nachvollziehbar und wurde von der
Beteiligten glaubhaft geschildert. Zu dieser Überzeugung gelangte die
Beteiligte zu 1) nicht aufgrund spekulativer und bewusst unsicherer Grundlage,
sondern aufgrund der von ihr zusammengetragenen Tatsachen. Dabei kann der
Beteiligten zu 1) nicht entgegengehalten werden, dass sie nicht aus Stadt2
anreiste, um in der Wohnung der Erblasserin nach Finanzunterlagen zu suchen,
denn auf ein Verschulden kommt es nicht an. Gleichzeitig ist der ihre
Behauptung, einem Irrtum unterlegen zu sein, aber gleichwohl glaubhaft. Denn
zuständige Kriminalbeamtin hatte ihr den Zustand der Wohnung geschildert und
entsprechend davon abgeraten, die Wohnung zu betreten. Von den Kontoguthaben
erfuhr die Beteiligte zu 1) erst später durch den Nachlasspfleger.
Bei
Berücksichtigung der Gesamtumstände ist der Senat davon überzeugt, dass die
Beteiligte zu 1) bei Abgabe ihrer Ausschlagungserklärung über die
Zusammensetzung und damit eine verkehrswesentliche Eigenschaft des Nachlasses
irrte und nicht lediglich das Fehlen von Vermögenswerten der Erblasserin für
wahrscheinlich hielt.
Soweit der
Beteiligte zu 2) der Auffassung ist, dass die Anfechtung aus moralischen
Gründen bedeutungslos sei, und anführt, dass die Beteiligte zu 1) keine Bindung
zu der Erblasserin gehabt habe, keinen Kontakt zu dieser haben wollte und sich
nicht um diese oder den Nachlass gekümmert habe, liegt der Vortrag neben der
Sache.
Zudem bestehen
aus Sicht des Senats keine Zweifel, dass dieser Irrtum ursächlich für die
Ausschlagung der Erbschaft war und dass die Beteiligte zu 1) die Erbschaft
nicht ausgeschlagen hätte, wenn sie von der konkreten Zusammensetzung der
Erbschaft gewusst hätte. Insoweit spricht - wie dargelegt - für die
Ursächlichkeit bereits die fehlerhafte Annahme der Überschuldung des Nachlasses
(vgl. auch BayObLG v. 24.06.1983 - BReg. 1 Z 124/82, BayObLGZ 1983, 153). So
hat die Beteiligte zu 1) in der mündlichen Verhandlung glaubhaft dargelegt,
entscheidend für die Ausschlagung sei gewesen, dass sie davon ausging, bei
einer Erbschaftsannahme mit Schulden ihrer Mutter konfrontiert zu sein, für die
sie nicht verantwortlich gewesen sei und die sie selbst nicht hätte begleichen
können. Dass die Beteiligte zu 1) ihren glaubhaften Angaben zufolge darüber
hinaus auch Angst vor den Bildern hatte, die sie in der Wohnung erwarten
würden, und insoweit sich bei Annahme der Erbschaft mit dem Zustand der Wohnung
hätte befassen müssen, steht der Annahme der Kausalität des Irrtums für die
Ausschlagungserklärung nicht entgegen. Denn eine Mitursächlichkeit ist
ausreichend. Dafür, dass selbst bei Kenntnis des Nachlasswertes in Höhe von ca.
70.000 € die Beteiligte zu 1) gleichwohl aus Angst vor der Konfrontation mit
der eigenen Vergangenheit die Erbschaft ausgeschlagen hätte, besteht kein
Anlass, auch wenn nachvollziehbar ist, dass die mit der Ausschlagung verbundene
Vermeidung der seelischen Belastung die Entscheidung für Beteiligten zu 1), die
Erbschaft auszuschlagen, sicherlich einfacher gemacht hat.
3. Im
Hinblick auf das erstinstanzliche Verfahren war eine Kostenentscheidung nicht
veranlasst. Es bleibt insoweit bei der Antragstellerhaftung der Beteiligten
gemäß § 22 GNotKG.
Soweit es die
Gerichtskosten des Beschwerdeverfahrens anbelangt, entspricht es im Hinblick
auf den Erfolg des Rechtsmittels der Billigkeit, von einer Kostenerhebung
abzusehen, § 81 FamFG. Eine Erstattung der außergerichtlichen Kosten ist
weder in erster noch in zweiter Instanz geboten.
Die
Voraussetzungen für die Zulassung der Rechtsbeschwerde nach § 70
Abs. 2 FamFG liegen nicht vor. Der Umstand, dass der Senat die
Überschuldung des Senats nicht als verkehrswesentliche Eigenschaft ansieht,
sondern im Rahmen der Kausalität des Irrtums für die Ausschlagungserklärung
berücksichtigt, stellt keinen Zulassungsgrund dar, da insoweit lediglich eine
Divergenz zu anderen Gerichten bei der Beurteilung einer Vorfrage besteht, auf
die es vorliegend im Ergebnis nicht ankommt. Denn auch bei Einordnung der
Überschuldung als verkehrswesentliche Eigenschaft wird ein zur Anfechtung
berechtigender Irrtum nur dann angenommen, wenn dieser auf falschen
Vorstellungen über die Zusammensetzung und den Bestand des Nachlasses beruht.
Eine
Festsetzung des Beschwerdewertes ist nicht veranlasst.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen