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Freitag, 21. Juni 2019

Beweismaß: Haftungsbegründende und haftungsausfüllende Kausalität nach §§ 286 und 287 ZPO bei Körperschäden aus demselben Schadensereignis


Der Kläger begehrte aus Anlass eines Verkehrsunfalls materiellen und immateriellen von den Beklagten. Vom Kläger wurde geltend gemacht, dass er bei dem Verkehrsunfall sich sowohl eine HWS-Distorsion wie auch eine Verletzung des linken Knies sowie eine Außenmeniskusläsion und eine Kreuzbandläsion zugezogen habe.

Das Berufungsgericht (OLG Frankfurt) hatte nach Einholung eines Sachverständigengutachtens einen Primärschaden in Form der HWS-Distorsion angenommen, die übrigen Verletzungsfolgen aber nicht. Dabei stützte sich das OLG darauf, dass es sich nach der Beweisaufnahme keine Überzeugung iSv. § 286 ZPO habe bilden können, dass die weiteren Verletzungen kausal auf dem Unfall beruhen. Der Kläger vertrat im Revisionsverfahren die Ansicht, es hätte hier das erleichterte Beweismaß des § 287 ZPO zugrunde gelegt werden müssen. Dem folgte der BGH nicht.

Es sei, so der BGH, bei der Kausalitätsprüfung zwischen haftungsbegründender und haftungsausfüllender Kausalität zu unterscheiden. Die haftungsbegründende Kausalität beträfe den Ursachenzusammenhang zwischen Verletzungshandlung und Rechtsgutsverletzung (also dem ersten Verletzungserfolg, sogen. Primärverletzung). Hier gelte das strenge Beweismaß des § 286 ZPO, welches die volle Überzeugung des Gerichts erfordere. Die haftungsausfüllende Kausalität beträfe den ursächlichen Zusammenhang zwischen der primären Rechtsgutsverletzung und hieraus resultierenden weiteren Verletzungen des Geschädigten (sogen. Sekundärverletzungen). Nur für diese Sekundärverletzungen greife das erleichterte Beweismaß des § 287 ZPO, wonach zur Überzeugungsbildung eine hinreichende bzw. überwiegende Wahrscheinlichkeit genüge (an der [missverständlichen] Formulierung im Beschluss vom 14.10.2008 - VI ZR 7/08 - würde ausdrücklich nicht mehr festgehalten).  

So sei auch in den Entscheidungen vom 11.01.1972 - VI ZR 46/71 - und vom 30.01.1973 - VI ZR 14/72 - entschieden worden. In dem Senatsurteil vom 11.01.1972 sei es um ein mit Gesundheitsschäden geborenes Kind gegangen, welches die Primärverletzung einer Schädigung der Leibesfrucht durch den Unfall der Mutter nach § 286 ZPO nachgewiesen habe, weshalb es bei der Frage, ob die Hirnschädigung Folgeschaden der Verletzung der Leibesfrucht war,  nach § 287 ZPO zu prüfen gewesen sei. Im Fall des Urteils vom 30.01.1973, bei dem der durch einen von ihm verursachten Verkehrsunfall schwer verletzt auf der Fahrbahn liegende Geschädigte von einem Bus überrollt wurde und zusätzlich schwer verletzt wurde, hätten sich die zusätzlichen Auswirkungen der durch das Überrollen entstandenen Verletzungen, zumindest im Hinblick auf eine Mitursächlichkeit für den Tod des Geschädigten, nach § 287 ZPO beurteilt.

Der (hilfsweise) Angriff des Klägers gegen die Entscheidung des OLG, mit denen eine verfahrensfehlerhafte Anwendung des § 287 ZPO für die Knieverletzung geltend gemacht wurde, sei nicht begründet. Das OLG habe sich nach der entscheidenden und nicht gegen Denksätze und Erfahrungssätze verstoßenden Begründung des Urteils auf der Grundlage des Gutachtens keine Überzeugung dahingehend bilden können, dass die im Röntgenbefund und MRT-Befund festgestellte krankhafte Veränderung des (vorarthroskopierten) Kniegelenks, bei dem nach Angaben des Sachverständigen bereits erhebliche degenerative Vorschäden vorgelegen haben, auf eine unfallbedingte Verletzung zurückzuführen sei.

Die Anschlussrevision der Beklagten hatte Erfolg und führte insoweit zur Aufhebung und Zurückverweisung des Verfahrens an das OLG. Das OLG ging von einer leichtgradigen HWS-Distorsion als Primärverletzung aus. Zwar sei die Beweiswürdigung grundsätzlich Sache des Tatrichters, doch sei im Revisionsverfahren zu prüfe, ob dieser sich mit dem Prozessstoff und den Beweisergebnissen umfassend und widerspruchsfrei auseinandergesetzt habe. Dies nahm der BGH vorliegend nicht an. Die Überzeugungsbildung des Berufungsgerichts fände weder im Gutachten des gerichtlich bestellten Sachverständigen noch in sonstigen Feststellungen eine Grundlage. Der Sachverständige habe lediglich ausgeführt, ein HWS-Beschleunigungstrauma sei „möglich“, soweit überhaupt in einem noch einzuholenden unfallanalytischen Gutachten eine Relevanz des Unfallereignisses angenommen würde. Damit aber hätte hier das OLG zur Überzeugungsbildung iSv. § 286 ZPO nicht auf die Einholung eines unfallanalytischen Gutachtens verzichten dürfen, da diese für die abschließende medizinische Begutachtung erforderliche war.  Das Ergebnis, ob die HWS-Distorsion kausal auf dem Unfall beruhe, wäre damit offen geblieben. Auch die Feststellung, es habe sich um einen „vergleichsweise heftigen Seitenaufprall“ gehandelt, habe das technische Gutachten nicht entbehrlich gemacht. Das Gericht dürfe auf die Einholung eines Sachverständigengutachtens nur verzichten, wenn es eigene Sachkunde besitze, worüber die Parteien zuvor in Kenntnis zu setzen seien. Auch habe sich das OLG nicht allein auf die Befunde und Diagnosen der erstbehandelnden Ärzte stützen dürfen, da diese als Indizien lediglich einen eingeschränkten Beweiswert hätten und grundsätzlich nicht eine beantragte Einholung eines fachmedizinischen Sachverständigengutachtens durch das Gericht ersetzen könnten. Der behandelnde Arzt handele nicht als Gutachter, sondern als Therapeut, für den die Notwendigkeit einer Therapie im Mittelpunkt stünde, während die Benennung der Diagnose als solche für ihn zunächst von untergeordneter Bedeutung sei. Insoweit habe auch der gerichtliche bestellte medizinische Sachverständige zu den Befunden und Diagnosen ausgeführt, dass diese zwar prinzipiell für eine leichtgradige HWS-Beschleunigungsverletzung sprächen, dafür aber nicht charakteristisch seien. Auch die Verordnung von Schmerzmitteln sei kein Beleg, da nicht festgestellt worden sei, ob diese wegen einer HWS-Distorsion oder wegen Schmerzen im Knie verabreicht worden wären.

BGH, Urteil vom 29.01.2019 - VI ZR 113/17 -

Freitag, 23. März 2018

Beweiswert des Schuldeingeständnisses gegenüber der Polizei nach einem Verkehrsunfall


Das Landgericht ging in seiner von der Klägerin angegriffenen Entscheidung davon aus, dass sich der die Schadensersatzansprüche der Klägerin begründende Verkehrsunfall im Zusammenhang mit einem Fahrspurwechsel  des klägerischen Fahrzeugs von rechts nach links ereignet habe, weshalb es die Klage abwies. Zuvor hatte, nach Beiziehung der Ordnungswidrigkeitsakte,  es den Fahrer des klägerischen Fahrzeugs als Zeugen vernommen und den Beklagten zu 1. als Fahrer des weiteren beteiligten Fahrzeugs nach § 141 ZPO angehört. Der Fahrspurwechsel spräche für einen Sorgfaltsverstoß des Zeugen. Die Angabe des Zeugen, dieser habe wegen einer roten Ampel zum Zeitpunkt der Kollision bereits 10 Sekunden  gestanden, als der Beklagte zu 1. Aufgefahren sei, sei nicht nachvollziehbar. Nach seiner Angabe habe er ein bis zwei Fahrzeuglängen vor der Ampel gestanden. Der Unfall habe sich aber in Höhe Hausnummer 18 ereignet, welches wesentlich weiter von der Ampel entfernt läge. Auch habe das klägerische Fahrzeug nach einem Lichtbild mit dem Hinterrad noch teilweise auf der anderen Fahrspur gestanden (Lichtbild); dazu habe der Zeuge erklärt, dass er nach dem Unfall  in diese Position, um die eine Fahrspur freizumachen, gefahren sei.

Die Klägerin rügte im Berufungsverfahren eine fehlerhafte Beweiswürdigung durch das Landgericht. In der Unfallaufnahme der Polizei sei notiert worden, dass der Beklagte zu 1. dieser gegenüber seinen Verkehrsverstoß eingeräumt habe. Angaben zu Angaben des Fahrers des klägerischen Fahrzeuges, dass er bereits gestanden habe als es zur Kollision durch Auffahren des vom Beklagten zu 1. Kam, sind nicht aufgenommen.

Das OLG geht davon aus, dass es sich bei der Notiz der Polizei um eine öffentliche Urkunde handeln würde, die den vollen Beweis der darin bezeugten Tatsachen liefern würde (§ 418 Abs. 1 ZPO). Damit sei die dort benannte Erklärung des Beklagten als bewiesen anzunehmen (OVG Lüneburg, Beschluss vom 11.03.2004 - 11 LA 380/03 -; VG Mainz, Urteil vom 20.01.2016 - 3 K 509/15MZ -). Dass hier die Polizei eine Schuldzuweisung vorgenommen habe, ließe aber das durch ein Ankreuzen festgehaltene Zugeständnis nicht zu. Es zwinge auch nicht zu der Annahme, dass die weiteren Angaben des Fahrers des klägerischen Fahrzeuges, dass er bereits den Fahrspurwechsel zum Zeitpunkt der Kollision beendet habe und bereits 10 Sekunden gestanden habe, zutreffend seien. Ein zugegebener Verkehrsverstoß stelle sich lediglich als ein Schuldindiz dar, welches im Rahmen der Gesamtwürdigung nach § 286 Abs. 1 S. 1 ZPO unter Berücksichtigung der weiteren Umstände zu bewerten sei. Aus dem Schuldeingeständnis lasse sich ein bestimmter Ablauf des Unfallgeschehens nicht ableiten. Zu berücksichtigen seien hier auch die Unfallspuren, die gegen den von der Klägerin behaupteten und von der Polizei aufgenommenen Auffahrunfall sprechen würden, weshalb hier nicht ein Beweis des ersten Anscheins gegen den Beklagten angenommen werden könne dahingehend, er sei zu schnell oder unaufmerksam oder mit zu geringen Anstand gefahren.  Ein Auffahrunfall setze eine Teilüberdeckung der Schäden an Heck und Front der beteiligten Fahrzeuge voraus (BGH, Urteil vom 30.11.2010 - VI ZR 15/10 -; BGH, Urteil vom 16.01.2007 - VI ZR 248/05 -). Daran würde es nach den Lichtbildern fehlen. Für die Richtigkeit der Angaben über den Geschehensablauf durch den Beklagten zu 1. Spräche, dass die Angaben des Fahrers des klägerischen Fahrzeugs, warum und wie lange er gehalten haben will, mit en örtlichen Verhältnissen nicht übereinstimmen würden, wie vom Landgericht festgehalten. Auch sei, wie vom Landgericht festgehalten, seine Angabe des abgeschlossenen Fahrspurwechsels nicht mit dem Lichtbild über das Verbleiben eines Hinterrades auf der rechten Fahrspur und seine dazu abgegebene Begründung nicht zutreffend.

Die Überlegungen der Klägerin, mit denen sie die vermeintlichen Widersprüche der Angaben des Beklagten zu 1.gegenüber der Polizei und im Rahmen seiner Anhörung nach § 141 ZPO aufzeigt und damit seine gerichtlichen Angaben in Zweifel ziehen wolle, würden ebenso auch für den Zeugen gelten, allerdings mit dem Unterschied, dass sich die Angaben des Zeugen mit den weiteren Beweisumständen, wie den Lichtbildern und den Örtlichkeiten, nicht in Einklang bringen ließen.

Die Berufung der Klägerin wurde daher ohne weitere Beweisaufnahme mit Beschluss gem. § 522 ZPO am 22.01.2018 zurückgewiesen.

Anmerkung: Dieser Rechtsstreit belegt einmal mehr, dass bei einem Verkehrsunfall voreilige Schuldeingeständnisse tunlichst unterlassen werden sollten. Vorliegend konnte die Beklagtenseite letztlich trotz des Schuldeingeständnisses nur deshalb obsiegen, da neben fehlerhaften Angaben des gegnerischen Zeugen zu den Örtlichkeiten auch die Lichtbilder gegen seine Einlassung sprachen. Auch insoweit verdeutlicht sich, dass nach einem Verkehrsunfall tunlichst Bilder von der Unfallposition und den Schäden gemacht werden sollten.

KG, Hinweisbeschluss vom  30.11.2017 - 22 U 34/17 -

Freitag, 16. Februar 2018

Zur Überzeugungsbildung des Tatrichters nach § 286 ZPO alleine durch Anhörung der beweisbelasteten Partei

Die Beklagten hatten unter Fälschung der Unterschrift der Klägerin zwei Sparbücher derselben mit € 58.735,54 aufgelöst und das Geld in ein von ihnen zuvor angemieteten Schließfach eingelegt. Knapp ein Jahr später erstattete die Klägerin Strafanzeige gegen die Beklagten wegen Diebstahls der Sparbücher und Urkundenfälschung; es stellte sich heraus, dass die Klägerin die Auflösungs- und Auszahlungsanträge selbst unterzeichnet hatte.

Die Beklagten hatten unter Fälschung der Unterschrift der Klägerin zwei Sparbücher derselben mit € 58.735,54 aufgelöst und das Geld in ein von ihnen zuvor angemieteten Schließfach eingelegt. Knapp ein Jahr später erstattete die Klägerin Strafanzeige gegen die Beklagten wegen Diebstahls der Sparbücher und Urkundenfälschung; es stellte sich heraus, dass die Klägerin die Auflösungs- und Auszahlungsanträge selbst unterzeichnet hatte.

Die Klage auf Zahlung von  € 58.735,54 gegen die Beklagte wies das Landgericht zurück. Dabei stützte es sich auf die Behauptung der Beklagten, den Betrag zurückgezahlt zu haben. Gegenüber dieser Behauptung sei die Klägerin beweisfällig geblieben. Die Beklagten hätten in der mündlichen Verhandlung detailreich und frei von Widersprüchen die von der Klägerin bestrittene Rückgabe des Geldes geschildert; vor diesem Hintergrund sei es Sache der Klägerin gewesen, diese Darstellung zu widerlegen.  Auf die von der Klägerin eingelegte Berufung änderte das OLG dieses teilweise dahingehend ab, als es das Urteil insoweit änderte, als der Beklagte zu 1. Antragsgemäß verurteilt wurde. Die von diesem eingelegte Nichtzulassungsbeschwerde führte zur Aufhebung des Urteils durch den BGH und Zurückverweisung an das OLG.

Das Berufungsgericht habe den Beklagten zu 1. Korrekt als Verwahrer angesehen und damit als verpflichtet, das Rückforderungsrecht der Klägerin gem. § 695 S. 1 BGB erfüllt zu haben. Rechtsfehlerhaft und entgegen Art. 103 Abs. 1 GG habe das Berufungsgericht nicht die informatorischen Angaben des Beklagten, die dieser vor dem Landgericht tätigte, berücksichtigt. Zwar sei die Parteianhörung nach § 141 ZPO kein Beweismittel, weshalb auf dieser Grundlage auch ein Beweisantrag der Gegenpartei nicht abgelehnt werden könne. Allerdings sei es dem Tatrichter nach § 286 ZPO erlaubt, alleine aufgrund des Vortrages einer Partei und ohne Beweiserhebung festzustellen, was für wahr und was für unwahr zu erachten sei.  Er kann den Angaben auch glauben, wenn die Partei ihre Angaben ansonsten (mangels einer erforderlichen Anfangswahrscheinlichkeit auch nicht im Rahmen der Parteivernehmung) beweisen könne, und ihr auch im Einzelfall sogar den Vorzug vor den Bekundungen eines Zeugen oder des als Partei vernommenen Prozessgegners geben. Eine von der Würdigung des erstinstanzlichen Gerichts abweichende Würdigung sei dem Berufungsgericht ohne Wiederholung der Vernehmung verwehrt. Das habe das Berufungsgericht verkannt, welches den Inhalt der (verwerteten) erstinstanzlichen Parteianhörung des Beklagten zu 1. Schlicht für unbeachtlich erklärte. Im Rahmen des § 286 ZPO hätte das Berufungsgericht sich ebenfalls mit den Angaben des Beklagten auseinandersetzen und ggf. eine informatorische Anhörung nach § 141 ZPO durchführen müssen, um sich im Rahmen der Beweislastverteilung eine eigene Überzeugung nach § 286 ZPO zu bilden. Der Umstand, dass eine Anhörung der Klägerin wegen Verhandlungsunfähigkeit nicht (mehr) erfolgen kann,. Steht der Anhörung des Beklagten im Hinblick auf den Gesichtspunkt der Waffengleichheit nicht entgegen, da dieses gebot eine Anhörung nicht für den Fall untersagt, dass aus tatsächlichen Gründen nur eine Partei angehört werden könne.

Die Zurückverweisung erfolgte, damit da Berufungsgericht die Anhörung nachholen kann.


BGH, Beschluss vom 27.09.2017 - XII ZR 48/17 -