Nach der Überzeugung des Senats, die er in seinem Hinweisbeschluss nach § 522 ZPO näher darlegte, war die vom Kläger gegen das landgerichtliche Urteil eingelegte Berufung in der Sache unbegründet. Er habe mit seinem Pkw einen in seiner Fahrtrichtung fahrenden Lkw beschleunigend von 88 auf 96 km/h überholt und sei dabei mit einem entgegenkommenden Pkw, der die hier zulässige Höchstgeschwindigkeit von 100 km/h (§ 3 Abs. 3 Nr. 2 lit. c) StVO um 12 km/h überschritten habe, kollidiert. Dieser Unfall sei für die beklagte entgegenkommende Fahrerin (Beklagte zu 2) unabwendbar gewesen, § 17 Abs. 3 StVG, unabhängig von der Geschwindigkeitsüberschreitung um 12 km/h. Aber auch im Übrigen hätte der Kläger einen kausalen schuldhaften Verursachungsbeitrag der Beklagten zu 2 nicht bewiesen und träte hier die Betriebsgefahr von deren Pkw vollständig hinter dem schuldhaften Verkehrsverstoß des Klägers und der von seinem Fahrzeug ausgehenden Betriebsgefahr zurück.
So damit, ob eine Geschwindigkeitsüberschreitung nicht alleine deshalb der Fahrerin des entgegenkommenden Fahrzeugs zugerechnet werden könne, da das Fahrzeug bei Einhaltung der vorgeschriebenen Geschwindigkeit erst später an die Unfallstelle gelangt wäre. Das verneinte er mit Hinweis darauf, dass erforderlich sei, dass sich in dem Unfall eine auf das zu schnelle Fahren zurückzuführende Gefahrenlage aktualisiere. Damit sei der erforderliche rechtliche Ursachenzusammenhang zwischen Geschwindigkeitsüberschreitung und Unfall zu bejahen, wenn bei Einhaltung der zulässigen Geschwindigkeit zum Zeitpunkt des Eintritts der kritischen Verkehrssituation der Unfall zwar nicht räumlich, aber zeitlich vermeidbar gewesen wäre. Das wäre der Fall, gelänge dem Fahrer bei einer verkehrsordnungsgemäßen Fahrweise zwar nicht das Anhalten des Fahrzeugs vor der späteren Unfallstelle, aber hätte er zumindest den Wagen so stark abbremsen können, dass dem Verletzten Zeit zum rechtzeitigen Verlassen des Gefahrenbereichs verblieben wäre. Das aber würde auch gelten, wenn es dabei nur zu einer deutlichen Abmilderung des Unfallverlaufs und der erlittenen Verletzungen käme (BGH, Urteil vom 06.09.2017 – 7 U 18/27 -).
Hierzu setzte sich der Senat mit der kritischen Verkehrslage auseinander. Diese beginne mit dem Zeitpunkt, wenn die erkennbare Situation konkreten Anhalt dafür biete, dass eine Gefahrensituation unmittelbar bevorstünde. Für einen vorfahrtsberechtigten Fahrzeugführer würde dies in Bezug auf seinen Vorrang nicht bei abstrakten Gefahren bestehen, sondern erst bei erkennbaren Umständen für eine bevorstehende Vorfahrtverletzung, wofür es neben der Fahrweise des Wartepflichtigen auf alle Umstände ankäme, die sich auf seine Fahrweise auswirken könnten, also auch die Fahrweise des Wartepflichtigen selbst. Gäbe der Vorfahrtsberechtigte dem Wartepflichtigen durch einen Verkehrsverstoß Veranlassung die Wartepflicht (insbesondere wegen Fehleinschätzung des Verkehrslage) zu verletzen, so könne die kritische Verkehrslage bereits vor der eigentlichen Vorfahrtverletzung eintreten (BGH, Urteil vom 22.11.2016 – VI ZR 533/15 -).
Daraus würde sich hier erschließen, dass die Unfall für die Beklagte zu 2 weder räumlich noch zeitlich vermeidbar war noch sich die Personen- und Sachschäden erheblich anders dargestellt hätten.
Die kritische Verkehrssituation habe sich für die Beklagte erst dargestellt, als die Beklagte zu 2das überholende Klägerfahrzeug erstmals gesehen habe. Außer durch ein hochrisikoreiches und nicht zumutbares Ausweichen in den Straßengraben sei der Unfall weder räumlich noch zeitlich vermeidbar gewesen. Nach dem Gutachten wer die Beklagte zu 2 zwar bei Einhaltung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit noch vor dem vorliegenden konkreten Unfallort zum Stehen gekommen, der Zusammenstoß hätte sich allerdings an einer „unerheblich anderen Stelle“, rund 8 m weiter nördlich in Fahrtrichtung des Klägers / gegen die Fahrtrichtung der Beklagten zu 2 mit einer zeitlichen Verzögerung von nur 0,3 Sekunden ereignet. Der Unfall wäre damit weder zeitlich und örtlich zu vermeiden gewesen und zudem wäre der Kläger auch in diesem Fall mit dem überholten Lkw kollidiert, die Personen- und Sachschäden hätten sich auch nur unwesentlich anders dargestellt.
Die Berufung wurde nach dem Hinweisbeschluss zurückgenommen.
OLG
Hamm, Hinweisbeschluss vom 05.08.2024 - I-7 U 57/24 -
Tenor
Der Senat beabsichtigt, die Berufung des Klägers auf seine Kosten gemäß § 522 Abs. 2 Satz 1 ZPO zurückzuweisen.
Es wird dem Kläger Gelegenheit gegeben, binnen drei Wochen nach Zugang dieses Beschlusses Stellung zu nehmen.
Gründe
I.
Der Senat ist
einstimmig davon überzeugt, dass die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf
Erfolg hat. Zutreffend hat das Landgericht die Klage abgewiesen.
Die
Einwendungen des Klägers, bezüglich derer zur Vermeidung von Wiederholungen auf
die Berufungsbegründungsschrift (Bl. 37 ff. der zweitinstanzlichen
elektronischen Gerichtsakte, im Folgenden: eGA II-37 ff.) verwiesen wird,
greifen nicht durch.
Ansprüche des
Klägers aus § 7 Abs. 1, § 18 Abs. 1 StVG, § 823
Abs. 1 BGB in Verbindung mit § 115 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1
VVG scheiden aus.
Der Senat ist
gemäß § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO an die Feststellungen des
Landgerichts gebunden. Auch der Senat ist nach § 286 ZPO davon überzeugt,
dass nicht die Beklagte zu 2, sondern der Kläger unter Verstoß gegen § 5
Abs. 2 Satz 1 StVO überholt und den Unfall allein verursacht hat, der
für die Beklagte zu 2 unabwendbar war.
1. Nach
§ 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO hat das Berufungsgericht seiner
Verhandlung und Entscheidung die vom Gericht des ersten Rechtszuges
festgestellten Tatsachen zugrunde zu legen, soweit nicht konkrete Anhaltspunkte
Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der entscheidungserheblichen
Feststellungen begründen und deshalb eine erneute Feststellung gebieten.
Konkrete Anhaltspunkte, die die in dieser Bestimmung angeordnete Bindung des
Berufungsgerichts an die erstinstanzlichen Feststellungen entfallen lassen, können
sich insbesondere aus Verfahrensfehlern ergeben, die dem erstinstanzlichen
Gericht bei der Feststellung des Sachverhalts unterlaufen sind. Ein solcher
Verfahrensfehler liegt namentlich vor, wenn die Beweiswürdigung in dem
erstinstanzlichen Urteil den Anforderungen nicht genügt, die von der
Rechtsprechung zu § 286 Abs. 1 ZPO entwickelt worden sind. Dies ist
der Fall, wenn die Beweiswürdigung unvollständig oder in sich widersprüchlich
ist, oder wenn sie gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze verstößt. Zweifel an
der Richtigkeit und Vollständigkeit der erstinstanzlichen Feststellungen können
sich ferner aus der Möglichkeit unterschiedlicher Wertung ergeben, insbesondere
daraus, dass das Berufungsgericht das Ergebnis einer erstinstanzlichen
Beweisaufnahme anders würdigt als das Gericht der Vorinstanz. Dann aber hat es
in eine erneute Beweisaufnahme einzutreten (BGH Urt. v. 23.6.2020 - VI ZR
435/19, VersR 2021, 1497 Rn. 18 m. w. N.; vgl. auch BGH Urt. v. 16.11.2021 - VI
ZR 100/20, r+s 2022, 48 Rn. 15 f.; Senat Beschl. v. 7.1.2021 - 7 U 53/20,
BeckRS 2021, 2530 = juris Rn. 21).
Die nach
§ 286 ZPO erforderliche Überzeugung des Gerichts erfordert keine absolute
oder unumstößliche Gewissheit und keine "an Sicherheit grenzende
Wahrscheinlichkeit", sondern nur einen für das praktische Leben
brauchbaren Grad von Gewissheit, der Zweifeln Schweigen gebietet (BGH Beschl.
v. 18.1.2012 - IV ZR 116/11, VersR 2012, 849 Rn. 9; siehe auch BGH Urt. v.
12.12.2023 - VI ZR 76/23, r+s 2024, 170 Rn. 15).
2. Gemessen
daran steht für den Senat völlig außer Zweifel, dass der Kläger den Lkw
überholte, obwohl er zum Zeitpunkt des Entschlusses zum Überholen keine
ausreichende Sichtmöglichkeit hatte, jedenfalls aber die Beklagte zu 2 nicht
wahrnahm (Sachverständigengutachtens vom 31.05.2023 Seite 22, eGA I-171,
und Anlage B71 (eGA I-384) und deshalb den Überholvorgang pflichtwidrig
entgegen § 5 Abs. 2 Satz 1 StVO, wonach er zum Ausschluss jeder
Behinderung des Gegenverkehrs verpflichtet war, nicht zurückstellte. Zudem hat
der Kläger zum Reaktionszeitpunkt (offenbar in der trügerischen Hoffnung, den
Überholvorgang noch abschließen zu können) weiter beschleunigt statt zu bremsen
(Sachverständigengutachtens vom 31.05.2023 Seite 22, eGA I-171). Damit hat
er den Unfall sowie seine Folgen verursacht; der Unfall war für ihn nicht
unabwendbar im Sinne des § 17 Abs. 3 StVG.
Dass der Kläger
den Lkw überholte und nicht etwa die Beklagte zu 2, ergibt sich zunächst schon
allein aus der eindeutigen Spurenlage (dazu unter a). Diese wird durch eine
Betrachtung der gefahrenen Geschwindigkeit zusätzlich bestätigt (dazu unter b).
Die Aussage der Zeugen steht dem nicht entgegen (dazu unter c und d). Konkrete
Angaben des Klägers liegen nicht vor (dazu unter e). Vielmehr stützen die
Angaben der Beklagten zu 2 diese Feststellung (dazu unter f).
a) Zunächst
steht aufgrund der Spurenlage auf der Fahrbahn, an den beteiligten Fahrzeugen
sowie am Lkw völlig außer Zweifel, dass der klägerische Pkw den Lkw überholte,
mit der linken vorderen Front zunächst mit der linken vorderen Front des
Beklagtenfahrzeugs kollidierte, sich gegen den Uhrzeigersinn drehte und mit dem
hinteren rechten Seitenteil mit dem Lkw kollidierte, bevor er entgegen der
Fahrtrichtung im Graben zum Stehen kam.
Die
Kollisionsstellung der Fahrzeuge zueinander ist - entgegen dem
Berufungsvorbringen - vom Gerichtssachverständigen anhand der Überdeckung
der frontalen Schadensbilder überzeugend festgestellt
(Sachverständigengutachten vom 31.05.2023 Seite 10 Abs. 6 f., eGA
I-159, und Anlage A38, eGA I-284, sowie Ergänzungsgutachten vom 10.10.2023
Seite 3 Abs. 1, eGA I-465). Diese Feststellung entspricht dem
Ergebnis des vorgerichtlichen Gutachtens (E.-Gutachten vom 27.09.2022 Seite 9,
eGA I-66) und der jahrelangen Erfahrung des Senats als Fachsenat.
Die
Beschädigung des klägerischen Fahrzeugs an der rechten hinteren Seite spricht
- neben den Ergebnissen der erfolgten Testreihen
(Sachverständigengutachten vom 31.05.2023 Seite 12 f., eGA I-161 f., und
Anlage A43-A53, eGA I-300-330, sowie Ergänzungsgutachten vom 10.10.2023
Seite 4 Abs. 1, eGA I-466) - entgegen dem Berufungsvorbringen
eindeutig für eine Rotation des klägerischen Fahrzeugs gegen den Uhrzeigersinn
(Sachverständigengutachten vom 31.05.2023 Seite 14 Abs. 3 ff., eGA
I-163, Anlage A57, eGA I-342, und Anlage A21, eGA I-234, und Anlage A58-A62,
eGA I-345-357, sowie Ergänzungsgutachten vom 10.10.2023 Seite 3
Abs. 4, eGA I-465). Diese Feststellung entspricht dem Ergebnis des
vorgerichtlichen Gutachtens (E.-Gutachten vom 27.09.2022 Seite 4, eGA
I-61) und der jahrelangen Erfahrung des Senats als Fachsenat. Wäre das Fahrzeug
des Klägers entsprechend dem Berufungsvorbringen einfach nur - was auch
energetisch nicht passt (Sachverständigengutachten vom 31.05.2023 Seite 11
f., eGA I-160 f.) - rückwärts geschoben worden, gäbe es diese
Spurzeichnung nicht.
Dem entsprechen
auch die eindeutigen Abriebspuren auf der Straße. Nach der Kollision wurde das
klägerische Fahrzeug zunächst nach rechts versetzt, was die hakenförmige
Reifenabriebspur zeichnete, bevor es sich drehte und der linke Vorderreifen
eine gradlinige Auslaufspur bis zur Endstellung zeichnete
(Sachverständigengutachten vom 31.05.2023 Seite 11 Abs. 2, eGA I-160,
und Anlage A39 [im Gutachten als Anlage A39 bezeichnet, in der Dokumentation
als Anlage A37 ausgewiesen], eGA I-287, sowie Ergänzungsgutachten vom
10.10.2023 Seite 3 Abs. 3, eGA I-465). Diese Feststellung entspricht
dem Ergebnis des vorgerichtlichen Gutachtens (E.-Gutachten vom 27.09.2022
Seite 2 f., eGA I-59 f.) und der jahrelangen Erfahrung des Senats als
Fachsenat.
Dazu passt
schließlich, dass auch das Beklagtenfahrzeug entsprechende Spuren auf der
Fahrbahn zeichnete (Sachverständigengutachten vom 31.05.2023 Seite 12
Abs. 2, eGA I-161, und Seite 14 Abs. 1, eGA I-163, und Anlage
A42, eGA I-297).
b) Dieses
Ergebnis wird bei Betrachtung der gefahrenen Geschwindigkeiten bestätigt.
Entgegen dem
Berufungsvorbringen ist die Geschwindigkeitsauswertung anhand der Airbagdaten
nicht ungenügend; vielmehr hätte - von den zutreffenden fachlichen
Kenntnissen des Gerichtssachverständigen und seines Büros konnte sich der Senat
bereits in einer Vielzahl von Fällen überzeugen - in diesen Fragen
ausweislich den Ausführungen des Sachverständigen eine anderweitige Berechnung
der gefahrenen Geschwindigkeiten keine genaueren Ergebnisse hervorgebracht
(Sachverständigengutachten vom 31.05.2023 Seite 17 letzter Abs. eGA
I-166, sowie Ergänzungsgutachten vom 10.10.2023 Seite 5 Abs. 1, eGA
I-467).
Das klägerische
Fahrzeug wurde - wie dies bei einem Überholvorgang eines Lkw üblich
ist - zunächst (über den Reaktionszeitpunkt hinaus bis zur Einleitung des
Bremsvorgangs) von 88 km/h auf 96 km/h beschleunigt
(Sachverständigengutachten vom 31.05.2023 Seite 16 letzter Abs., eGA
I-165, und Anlage A67, eGA I-372), während das Beklagtenfahrzeug bis zum
Reaktionszeitpunkt konstant mit 112 km/h fuhr (Sachverständigengutachten
vom 31.05.2023 Seite 15 Abs. 8 f., eGA I-164, und Anlage A65-A66, eGA
I-366-369).
Aufgrund dieser
hinreichend eindeutig festgestellten Ausgangsgeschwindigkeiten sowie der
ebenfalls festgestellten Kollisionsgeschwindigkeiten erklärt sich unweigerlich,
dass das Beklagtenfahrzeug nicht nur gegen den Uhrzeigersinn gedreht, sondern
vor allem entsprechend dem Spurenbild auf der Fahrbahn leicht gegen die
Fahrtrichtung seitlich in den Graben zurückgestoßen wurde
(Sachverständigengutachten vom 31.05.2023 Seite 16 Abs. 3, eGA
I-165), während das klägerische Fahrzeug nicht nur gegen den Uhrzeigersinn
gedreht wurde, sondern sich entsprechend dem Spurenbild auf der Fahrbahn in
Fahrtrichtung seitlich in den Graben hinein fortbewegte
(Sachverständigengutachten vom 31.05.2023 Seite 17 Abs. 1, eGA
I-166). Diese Feststellung entspricht dem Ergebnis des vorgerichtlichen
Gutachtens (E.-Gutachten vom 27.09.2022 Seite 5 ff., eGA I-62 ff.) und der
jahrelangen Erfahrung des Senats als Fachsenat.
c) Die
Aussage des Zeugen I. (Protokoll vom 04.04.2024 Seite 3 ff., eGA I-521
ff.) war entsprechend den Ausführungen des Landgerichts auch nach Vorhalt der
Angaben im Ermittlungsverfahren unergiebig und steht den Feststellungen des
Landgerichts nicht entgegen.
d) Die
Aussage des Zeugen R. (Protokoll vom 04.04.2024 Seite 5 ff., eGA I-523
ff.) steht entsprechend den Ausführungen des Landgerichts den Feststellungen
trotz ihrer Konstanz seit der ersten polizeilichen Befragung ebenfalls nicht
entgegen. Es ist aussagepsychologisch hinreichend geklärt und dem Senat
aufgrund seiner langjährigen Erfahrung (insbesondere auch mit Unfallgeschehen)
hinreichend bekannt, dass es in Überforderungssituationen wie der vorliegenden
selbst im Falle hinreichender Wahrnehmungsmöglichkeit von Tatsachen aufgrund
verschiedenster Ursachen zu einer fehlerhaften Wahrnehmung oder selbst bei
richtiger Wahrnehmung zur Speicherung falscher Tatsachen kommen kann. So muss
der Fall hier angesichts der völlig eindeutigen technischen Betrachtung liegen.
Darüber hinaus bestehen an den Angaben des Zeugen auch sonst Zweifel, wenn er
ausführt, dass er dem vermeintlich schwarzen Auto in einem Abstand von nur zwei
bis drei Metern gefolgt ist (Protokoll vom 04.04.2024 Seite 6 Abs. 2,
eGA I-524) sowie sich nach dessen Ausscheren wiederum nur zwei bis drei Meter
hinter dem Lkw befunden haben will (Protokoll vom 04.04.2024 Seite 6
Abs. 8, eGA I-524) und gleichwohl - ohne in den Unfall verwickelt zu
sein - langsam habe anhalten können (Protokoll vom 04.04.2024 Seite 5
letzter Abs., eGA I-523).
e) Entsprechendes
gilt für den Kläger selbst, der sich ausweislich seiner mittelbaren
Ersteinlassung (vgl. allgemeiner Bericht vom 20.10.2022 Seite 1 f., Bl.
194 f. der Beiakte StA Münster 71 Js 4828/22 = Bl. 284 f. der elektronischen
Beiakte) an nichts erinnern konnte, was den Unfallhergang anging, sich aber
gleichwohl ganz sicher war, dass er Richtung F. fuhr, also nicht überholt zu
haben. Anders als die Klägerin, die sich plausibel dahin eingelassen hat, sie
sei unmittelbar vor dem Unfall noch zu Hause in T. gewesen und habe sich auf
dem Weg zum (..)arzt nach O., also in entgegengesetzter Fahrtrichtung zum
überholten Lkw, befunden (Schriftsatz vom 15.05.2022 Seite 1 ff., Bl. 101
ff. der Beiakte StA Münster 71 Js 4828/22 = Bl. 187 ff. der elektronischen
Beiakte), hat der Kläger keinerlei Indizien vorgetragen, die seine Behauptung
belegen, geschweige denn beweisen (vgl. dazu BGH Urt. v. 12.12.2023 - VI
ZR 76/23, r+s 2024, 170 Rn. 16 m. w. N.). Gleichwohl dürfte vorliegend im
Hinblick auf die Einlassung des Zeugen R. und die anfänglichen Feststellungen
der Polizei nicht von einer Behauptung des Klägers "ins Blaue hinein"
oder gar von einem bewusst wahrheitswidrigen Vortrag des Klägers auszugehen
sein, solange deutlich wird, dass er seinen Vortrag allein darauf stützt (vgl.
hierzu OLG Hamm Urt. v. 2.9.2016 - 9 U 14/16, NJW-RR 2017, 281 = juris Rn. 34).
f) Von
der Richtigkeit der Angaben der Beklagten zu 2 zum Ursprung und Ziel ihrer
Fahrt hat sich das Landgericht hingegen aufgrund der nach § 141 ZPO
durchgeführten persönlichen Anhörung (Protokoll vom 04.04.2024 Seite 1 f.,
eGA I-519 f.) überzeugt gezeigt und dies treffend in die Überzeugungsbildung
nach § 286 ZPO einfließen lassen (vgl. dazu nur BGH Beschl. v. 25.10.2022
- VI ZR 382/21, BeckRS 2022, 35153 Rn. 13, 15; BGH Urt. v. 26.2.2009 - I ZR
155/07, BeckRS 2009, 9695 Rn. 8; Senat Urt. v. 21.6.2024 - 7 U 154/23, GRUR-RS
2024, 16856 = juris Rn. 38 f.).
3. Der
Unfall war für die Beklagte zu 2 auch trotz ihrer Überschreitung der zulässigen
Höchstgeschwindigkeit von 100 km/h (§ 3 Abs. 3 Nr. 2 lit. c
Satz 1 StVO) um allenfalls feststellbare 12 km/h unabwendbar
(§ 17 Abs. 3 Satz 1 StVG); jedenfalls hätte der Kläger einen
kausalen (schuldhaften) Verursachungsbeitrag der Beklagte zu 2, der in eine
Abwägung nach § 17 Abs. 2 StVG einzustellen sein könnte, nicht
bewiesen und träte die Betriebsgefahr des Beklagtenfahrzeugs vollständig hinter
dem schuldhaften Verkehrsverstoß des Klägers und der Betriebsgefahr des
Klägerfahrzeugs zurück.
a) Ein
späterer Unfall kann einer Geschwindigkeitsüberschreitung nicht allein schon
deshalb zugerechnet werden, weil das Fahrzeug bei Einhaltung der
vorgeschriebenen Geschwindigkeit erst später an die Unfallstelle gelangt wäre,
vielmehr muss sich in dem Unfall gerade die auf das zu schnelle Fahren
zurückzuführende erhöhte Gefahrenlage aktualisieren. Der rechtliche
Ursachenzusammenhang zwischen Geschwindigkeitsüberschreitung und Unfall ist zu
bejahen, wenn bei Einhaltung der zulässigen Geschwindigkeit zum Zeitpunkt des
Eintritts der kritischen Verkehrssituation der Unfall vermeidbar gewesen wäre.
Vermeidbarkeit ist auch bei geringfügigen Geschwindigkeitsüberschreitungen dann
anzunehmen, wenn der Unfall bei Einhaltung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit
zwar nicht räumlich, wohl aber zeitlich vermeidbar gewesen wäre. Dies ist der
Fall, wenn es dem Fahrer bei einer verkehrsordnungsgemäßen Fahrweise zwar nicht
gelungen wäre, das Fahrzeug noch vor der späteren Unfallstelle zum Stehen zu
bringen, wenn er den PKW aber so stark hätte abbremsen können, dass dem
Verletzten Zeit geblieben wäre, den Gefahrenbereich noch rechtzeitig zu
verlassen. Entsprechendes gilt auch dann, wenn es dabei zumindest zu einer
deutlichen Abmilderung des Unfallverlaufes und der erlittenen Verletzungen
gekommen wäre (BGH Urt. v. 26.4.2005 - VI ZR 228/03, r+s 2005, 477 = juris Rn.
22 m. w. N.; siehe dazu zuletzt auch Senat Urt. v. 6.9.2019 - 7 U 18/17, BeckRS
2019, 51958 = juris Rn. 42).
Die kritische
Verkehrslage beginnt für einen Verkehrsteilnehmer dann, wenn die ihm erkennbare
Verkehrssituation konkreten Anhalt dafür bietet, dass eine Gefahrensituation
unmittelbar entstehen kann. Für einen vorfahrtsberechtigten Verkehrsteilnehmer
ist dies in Bezug auf seinen Vorrang zwar nicht bereits der Fall, wenn nur die
abstrakte, stets gegebene Gefahr eines Fehlverhaltens anderer besteht, vielmehr
müssen erkennbare Umstände eine bevorstehende Verletzung seines Vorrechts
nahelegen. Von Bedeutung sind hierbei neben der Fahrweise des Wartepflichtigen
alle Umstände, die sich auf dessen Fahrweise auswirken können, also auch die
Fahrweise des Bevorrechtigten selbst. Gibt er dem Wartepflichtigen durch einen
Verkehrsverstoß Anlass, die Wartepflicht - namentlich infolge einer
Fehleinschätzung der Verkehrslage - zu verletzen, so kann die kritische
Verkehrslage bereits vor der eigentlichen Vorfahrtsverletzung eintreten (BGH
Urt. v. 25.3.2003 - VI ZR 161/02, r+s 2003, 256 = juris Rn. 12 m. w. N.; siehe
dazu zuletzt auch BGH Urt. v. 22.11.2016 - VI ZR 533/15, r+s 2017, 95 Rn. 17 m.
w. N.; Senat Urt. v. 9.5.2023 - 7 U 17/23, r+s 2023, 1020 = juris Rn. 26).
b) Gemessen
daran war der Unfall für die Beklagte zu 2 zum Zeitpunkt des Eintritts der
kritischen Verkehrssituation weder räumlich noch zeitlich vermeidbar noch
hätten sich die Personen- und Sachschäden erheblich anders dargestellt.
aa) Die
kritische Verkehrssituation trat hier erst ein, als die Beklagte zu 2 den
Kläger erstmals als überholendes Fahrzeug wahrnehmen konnte.
bb) Zu
diesen Zeitpunkt war der Zusammenstoß für die Beklagte zu 2 aber ohne ein
hochrisikoreiches und nicht zumutbares Ausweichen in den Straßengraben weder
räumlich noch zeitlich vermeidbar.
Zwar wäre die
Beklagte zu 2 bei Einhaltung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit ausweislich
des Sachverständigengutachtens vom 31.05.2023 (Seite 20, eGA I-169) und
seiner Anlage B1 (eGA II-46) vor dem stattgehabten Unfallort zum Stehen
gekommen, der Zusammenstoß hätte jedoch an unerheblich anderer Stelle - nämlich
nur rund acht Meter weiter nördlich in Fahrtrichtung des Klägers / gegen die
Fahrtrichtung der Beklagten zu 2 mit einer zeitlichen Verzögerung von
unerheblichen 0,3 Sekunden stattgefunden. Er war damit also weder räumlich noch
zeitlich vermeidbar; auch wäre der Kläger weiterhin mit dem überholten Lkw
kollidiert.
cc) Die
Personen- und Sachschäden hätten sich nicht erheblich anders dargestellt. Dabei
ist aufgrund des Sachverständigengutachtens vom 31.05.2023 (Seite 20, eGA
I-169) und seiner Anlage B1 (eGA II-46) von einer nur geringfügigen
Verringerung der Kollisionsgeschwindigkeit des Klägers von 92 km/h auf
82 km/h sowie der Beklagten zu 2 von 60 km/h auf 33 km/h und der
addierten Kollisionsgeschwindigkeit von 152 km/h (laut Gutachten rund
150 km/h - im Hinblick auf Berufungsrüge errechnet aus der Summe von
92 km/h und 60 km/h) auf 115 km/h (im Hinblick auf Berufungsrüge
errechnet aus der Summe von 82 km/h und 33 km/h) auszugehen. Aufgrund
dieser Werte ist auch der Senat entsprechend den Ausführungen des
Sachverständigen (Sachverständigengutachten vom 31.05.2023 Seite 21, eGA
I-170) nach § 286 ZPO davon überzeugt, dass es bei fiktivem Verlauf des
Unfallgeschehens gleichfalls zu starken Verformungen und Verletzungen beider
Fahrzeuge und Parteien gekommen wäre, und damit an die entsprechenden
Feststellungen des Landgerichts nach § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO
gebunden.
II.
Die Sache hat
keine grundsätzliche Bedeutung. Ferner erfordern weder die Fortbildung des
Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung
des Senats. Die maßgebenden Fragen sind solche des Einzelfalles.
Von der
Durchführung einer mündlichen Verhandlung verspricht sich der Senat angesichts
dessen, dass es keiner weiteren Beweisaufnahme bedarf, keine neuen
Erkenntnisse. Auch ansonsten erscheint eine mündliche Verhandlung nach
einstimmigem Votum des Senats nicht geboten.
Der Senat
beabsichtigt deshalb, die Berufung gemäß § 522 Abs. 2 Satz 1 ZPO
durch einstimmigen Beschluss zurückzuweisen.
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