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Sonntag, 21. April 2024

Haftungsabwägung bei Überholvorgang trotz unklarer Verkehrslage

Der Versicherungsnehmer der Beklagten beabsichtigte mir seinem Pkw nach rechts in sein Grundstück abzubiegen, weshalb er seine Geschwindigkeit reduzierte, nach rechts blinkte und das Fahrzeug zunächst etwas nach links zur Fahrbahnmitte (die Fahrbahn hatte keine Mittelmarkierung) hin lenkte. Zu gleichen Zeit setzte der Kläger zum Überholen (links) an. Als beide Fahrzeuge etwa auf gleicher Höhe waren, machte der Versicherungsnehmer der Beklagten eine weitere Lenkbewegung nach links (sogen. Linksschwenk) und es kam zur seitlichen Kollision der Fahrzeuge. Das Landgericht nahm eine Haftungsquote der Beklagten zu 60% an und gab dieser, unter teilweisen Abzügen bei der Schadenshöhe, auf dieser Grundlage statt. Auf die Berufung der Beklagten änderte das OLG das Urteil ab, insoweit es eine Haftungsquotelung von 40% zu 60% zu Lasten des Klägers annahm. 

Der Versicherungsnehmer der Beklagten habe gegen § 9 Abs. 5 StVO (Ausschluss der Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer beim Abbiegen in ein Grundstück) und § 9 Abs. 1 S. 2 StVO (Pflicht zum Einordnen nach rechts) verstoßen. Es käme dabei nicht darauf an, ob das Beklagtenfahrzeug dabei die (gedachte) Mittellinie überfahren habe, ebenso wenig wie es darauf ankäme, ob der Versicherungsnehmer der Beklagten der doppelten Rückschaupflicht nach § 9 Abs. 1 S. 4 StVO genügte. 

Auf Klägerseite läge ein Verstoß gegen § 5 Abs. 4a StVO (Pflicht zur Ankündigung des Überholens durch Benutzung des Fahrtrichtungsanzeigers) sowie gegen § 1 Abs. 2 StVO (allgemeines Gefährdungsverbot) vor. Hinzu käme, dass der Kläger bei unklarer Verkehrslage überholt habe (Verstoß gegen § 5 Abs. 3 Nr. 1 StVO). In der konkreten Situation sei ei n Überholen unzulässig gewesen. Eine unklare Verkehrslage läge vor, wenn nach den Umständen mit einem ungefährdeten Überholen nicht gerechnet werden könne. Das sei z.B. dann der Fall, wenn das Verhalten des Vorausfahrenden unklar sei. Die Unklarheit könne auch auf einem unaufmerksamen, unsicheren, fehlerhaften oder verkehrswidrigen Verhalten eines anderen Verkehrsteilnehmers beruhen. Entscheidend seien die für den Überholenden erkennbaren äußeren Umstände (OLG Saarbrücken, Urteil vom 07.01.2003 - 3 U 258/02 -). 

Nach Angaben des Klägers war diesem das Beklagtenfahrzeug bereits ab der Ortseinfahrt durch seine langsame Fahrweise aufgefallen, ferner soll das Beklagtenfahrzeug ein nicht vorfahrtsberechtigtes Fahrzeug durchgelassen haben. Deshalb habe er, der Kläger, besondere Vorsicht walten lassen und einen größeren Abstand eingehalten, was belege, dass er die Notwendigkeit besonderer Vorsicht erkannt habe. Im weiteren Verlauf sei das Beklagtenfahrzeug bei gesetzten rechten Fahrtrichtungsanzeiger nach links gesteuert worden, was der Kläger wahrgenommen habe. In Ermangelung einer Mittelmarkierung sei für den Versicherungsnehmer der  Beklagten nicht eindeutig erkennbar gewesen, ob er sich noch innerhalb seiner Fahrspur befand, für den Kläger, ob ihm die gesamte Gegenfahrspur zur Verfügung stünde. 

Damit sei ein Überholen unzulässig gewesen. Der Kläger hätte hier aufgrund von ihm wahrgenommener Unsicherheiten in der Fahrweise des Beklagtenfahrzeugs, dem Verkehrsverstoß beim Einordnen zum Abbiegen sowie den örtlichen Gegebenheiten (relativ schmale Fahrbahn ohne Mittelmarkierung) nicht mit einem gefahrlosen Überholen rechnen dürfen. In Ansehung des fehlerhaften Einordnens nach links war für den Kläger auch nicht ersichtlich, wie sich der Versicherungsnehmer der Beklagten weiter verhalten würde, da die (sich verwirklichte) Gefahr bestanden habe, dass dieser noch weiter nach links ausholen würde. Es würde sich um ein unzulässiges, aber weit verbreitetes Phänomen handeln, vor dem Rechtsabbiegen in Einfahrten nach links auszuholen. Zudem sei auch bei einem Einordnen zur Mitte und Reduzierung der Geschwindigkeit en falsches Blinken nach rechts bei einem beabsichtigten Abbiegen nach links denkbar. 

Im Hinblick auf den Verstoß des Klägers gegen § 5 Abs. 3 Nr. 1 StVO falle es nicht beträchtlich ins Geweicht und könne deshalb offen bleiben, ob im Überholen bei relativ geringem Platz und Abstand zugleich ein weiterer Verstoß des Klägers gegen § 5 Abs. 4 StVO (ausreichender seitenabstand beim Überholen) vorläge. 

Bei der gebotenen Abwägung nach §§ 17 Abs. 1 und 2, 18 Abs. 3 StVG sei darauf abzustellen, inwieweit der Schaden vorwiegend von dem einen oder anderen Teil verursacht worden sei. Dabei seine eine Gewichtung der jeweiligen Verursachungsbeiträge bei Würdigung aller Umstände des Einzelfalls vorzunehmen (BGH, Urteil vom 28.02.2012 – VI ZR 10/11 -). Nur unstreitige oder zugestandene und bewiesene Umstände seien zu berücksichtigen, wobei jeder Halter dabei die Umstände beweisen müsse, die dem anderen zum Verschulden gereichen und sich auf den Unfall ausgewirkt haben. 

Hier würden danach die Verstöße der Beklagtenseite gegen § 9 Abs. 1 S. 2, Abs. 1 S. 4 und Abs. 5 StVO zulasten der Beklagten wirken. Zu Lasten des Klägers würden die Verstöße gegen §§ 1 Abs. 2, 5 Abs. 3 Nr. 1 und 5 Abs. 4a StVO wirken. Der Verursachungs- und Verschuldensbeitrag des Klägers im Rahmen seines unzulässigen und rücksichtslosen Überholmanövers überwiege dabei den Verursachungs- und Verschuldensbeitrag der Beklagtenseite. Zwar treffe die Beklagtenseite der verschärfte Haftungsmaßstab des § 9 Abs. 5 StVO (Ausschluss der Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer bei abbiegen in ein Grundstück), was in der Regel zu einer beträchtlichen Mithaftung oder auch alleinigen Haftung führe. Das unzulässige und gefährliche Überholen des Klägers unter Verstoß gegen § 5 Abs. 3 Nr. 2 StVO wirke aber noch schwerer, jedenfalls unter Berücksichtigung der begleitenden Umstände. Da davon auszugehen  sei, dass der Versicherungsnehmer rechtzeitig nach rechts blinkte und seine Geschwindigkeit reduzierte, treffe ihn lediglich die Haftung aus dem fehlerhaften Einordnen und dem weiteren Linksschwenk, was sich – so das OLG – als nachvollziehbar und häufig zu beobachtendes Manöver darstelle, um leichter in eine enge Grundstückseinfahrt hineinzufahren. Demgegenüber sei das Verhalten des Klägers über das unzulässige Überholmanöver hinaus gefährlich und rücksichtslos. Es sei aus einem zu geringen Abstand heraus ohne Ankündigung durch Blinken und unter starker Beschleunigung sowie mit einem geringen Seitenabstand erfolgt. Zudem sei es an der Stelle auch vollkommen unverständlich und unnötig gewesen, da das Beklagtenfahrzeug wenige Meter und Sekunden später abgebogen wäre und der Weg für den Kläger frei gewesen wäre. 

OLG Schleswig, Urteil vom 06.02.2024 - 7 U 94/23 -

Montag, 4. Dezember 2023

Links blinkender Traktor begründet eine unklare Verkehrslage

Im Bereich einer Hofeinfahrt in T. war es zu einer Kollision zwischen einem Motorroller des Klägers und dem Traktorgespann des Beklagten zu 2 gekommen. Kläger und Beklagter befuhren die Straße in Fahrtrichtung H., der Beklagte vorne. Als der Kläger das Traktorgespann überholte und der Beklagte nach links in die Hofeinfahrt abbog, kam es zur schadensursächlichen Kollision auf der Gegenfahrbahn, indem der Kläger mit einem Motorroller gegen das linke Vorderrad des Traktors stieß.

Das Landgericht nahm vom Grundsatz eine Haftungsquote von 50% aus §§ 7 Abs. 1m 17 Abs 1 und 218 Abs. 1 S. 1, Abs. 3 StVG, im Hinblick auf die Beklagte zu 1, den Pflichtversicherer, iVm. § 115 Abs. 1 Nr. 1 StVG, an. In seinem Hinweisbeschluss wiess das OLG den Beklagten Kläger, der gegen das Urteil Berufung eingelegt hatte, darauf hin, dass es die Zurückweisung der Berufung wegen offensichtlicher Unbegründetheit erwäge (§ 522 ZPO).

Zutreffend habe das Landgericht zunächst den gegen den Beklagten zu 2 als Linksabbieger sprechenden Anscheinsbeweis für einen Verstoß gegen die doppelte Rückschaupflicht aus § 9 Abs. 1 S. 4 StVO angewandt und sodann die zur Verfügung stehenden Erkenntnisquellen ausgeschöpft (Anhörung des Klägers, des Beklagten zu 2 sowie dessen Vernehmung als Partei nach § 448 ZPO und die Vernehmung eines Zeugen). Soweit sich die Angriffe des Klägers gegen die Annahme des Landgerichts richteten, bei dem Traktorgespann sei der linke Fahrtrichtungsanzeiger gesetzt gewesen, bezog sich dieser auf Lichtbilder, die den Fahrtrichtungsanzeiger nicht im aufleuchtenden Zustand zeigen. Das aber ließ das OLG nicht gelten, da nicht auszuschließen sei, dass just im Moment der Aufnahme die Lichter nicht aufleuchteten, da diese nur zeitweilig (also im Wiederholungstakt) aufleuchten würden, zudem die Aufnahmen kurz nach dem Unfall gefertigt worden seien und hinsichtlich ihrer Aussagekraft von daher nur eine eingeschränkte Aussagekraft hätten. Insgesamt, so das OLG, sei die Würdigung des Landgerichts der Aussage des Beklagten zu 2 als glaubhaft du glaubwürdig nicht zu beanstanden, wobei der Zeuge angegeben habe, den Unfall nicht gesehen zu haben. Ein unfallanalytisches Sachverständigengutachten sei nicht einzuholen, da dieser keine Feststellungen dazu treffen könne, ob der Fahrtrichtungsanzeiger eingeschaltet gewesen sei Anmerkung: Wird bei dem Unfall die Lichtzeichenanlage mit der Birne beschädigt, sollte dies begutachtet werden, da sich feststellen lässt, ob sie im Zeitpunkt der Schädigung eingeschaltet war).

Ausgehend von der Einschaltung des linken Fahrtrichtungsanzeigers habe das Landgericht zutreffend für den Kläger eine unklare Verkehrslage nach § 5 Abs. 3 Nr. 1 StVO angenommen. Blinke ein Traktor nach links, müsse stets damit gerechnet werden, dass dieser kurzfristig abbiegt, auch ohne sich ggf. nach links auf der Fahrtrichtungsbahn einzuordnen (was häufig auch infolge der Breite des Fahrzeugs nicht möglich sei). Damit hätte der Kläger auch damit rechnen müssen, dass der Traktorgespann nach links in eine schwer erkennbare Hof- oder Feldeinfahrt einbiegen will; der Kläger hatte behauptet, eine Hofeinfahrt nicht gesehen zu haben (Anmerkung: Zu beachten ist, dass ein Traktor auch direkt von der Straße auf ein Feld einbiegen kann und darf). Diese Verkehrslage habe dazu geführt, dass ein Überholen des Klägers unzulässig gewesen sei.

Die Bewertung der Verursachungs- und Verschuldensbeiträge nach § 17 Abs. 1 StVG durch das Landgericht mit der Quote von 50 : 50 sei ebenfalls nicht zu beanstanden. Zu berücksichtigen sei nach § 17 Abs. 1 StVG, inwieweit der Schaden vorwiegend von dem einen oder anderen Teil verursacht worden sei, mithin eine umfassende Würdigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere eine genaue Klärung des Unfallhergangs erforderlich sei (BGH, Urteil vom 28.02.2012 - VI ZR 10/11 -). Unter Berücksichtigung der von den Fahrzeugenausgehenden Betriebsgefahr dürften nur unstreitige oder zugestandene und bewiesene Umstände berücksichtigt werden; nur vermutete Tatbeiträge sowie die bloße Schadensverursachung aufgrund geschaffener Gefährdungslage hätten außer Betracht zu bleiben (BGH, Urteil vom 21.11.2006 - VI ZR 115/05 -). Alle berücksichtigten Tatbeiträge müssten sich zudem auf den Unfall ausgewirkt haben. Der Beweis obliege demjenigen, der sich auf einen n die Abwägung einzustellenden Gesichtspunkt berufe (BGH, Urteil vom 13.02.1996 - VI ZR 126/95 -).

Dem habe die Abwägung durch das Landgericht entsprochen. Zu berücksichtigen seien hier der Verstoß des Beklagten zu2 gegen § 9 Abs. 1 S. 1, Abs. 5 StVO (Pflichten beim Abbiegen, insbes. die Pflicht, andere Verkehrsteilnehmer nicht zu gefährden) auf der einen Seite, und auf der anderen Seite das Verschulden des Klägers durch Verstoß gegen § 5 Abs. 3 Nr. 1 StVO (Überholen bei unklarer Verkehrslage) sowie die unterschiedlichen Betriebsgefahren der Fahrzeuge. Da führe zu einer im Ergebnis gleich hohen Gewichtung.

Schleswig-Holsteinisches OLG, Hinweisbeschluss vom  26.07.2023 - 7 U 42/23 -

Donnerstag, 16. Juli 2020

Haftungsverteilung: Überholen einer stockenden Kolonne


Gegenstand der Klage war ein Verkehrsunfall anlässlich eines Überholvorgangs des Klägers. Dieser fuhr ebenso wie der Erstbeklagte in einer Fahrzeugkolonne, die sich hinter einem Traktor gebildet hatte. Der Kläger befand sich etwa 10 bis 12 Fahrzeuge hinter dem Traktor. Nachdem 3 bis 6 Fahrzeuge, die sich direkt hinter dem Traktor befanden, zunächst diesen überholten, scherte der Kläger mit eingeschalteten Warnblinklicht aus der Kolonne aus und wollte die vor ihm fahrenden Fahrzeuge nebst dem Traktor links überholen. Der Erstbeklagte, der sich zwischenzeitlich direkt hinter dem Traktor befand, scherte nun ebenfalls nach links zum Überholen des Traktors aus und kollidierte dabei mit dem klägerischen Fahrzeug. Das Landgericht ging von einer Haftungsquote von 30% zu Lastend es Klägers zu 70% zu Lasten der Beklagten aus. Die vom Kläger eingelegte Berufung wurde zurückgewiesen.

Das OLG wies darauf hin, dass bei der Bildung der Haftungsquote nach § 17 Abs. 2 StVG auf die Umstände des Einzelfalls abzustellen sei, mithin insbesondere darauf, inwieweit der Schaden vorwiegend von dem einen oder anderen Beteiligten verursacht worden sei. Neben der Betriebsgefahr der beteiligten Fahrzeuge dürften dabei nur unstreitige, zugestandene oder aber bewiesene Umstände berücksichtigt werden. Jeder beteiligte hätte dabei die Umstände zu beweisen, die dem anderen Beteiligten zum Verschulden reichen würden und aus denen er meint, für die Abwägung günstige Rechtsfolgen herleiten zu können.  

Dabei sei zu Lasten der Beklagten der Verstoß des Erstbeklagten gegen § 5 Abs. 4 S. 1 StVO (überholen darf nur, wenn eine Gefährdung nachfolgenden Verkehrs ausgeschlossen ist) zu berücksichtigen.

Allerdings sei bei dem Kläger eine gesteigerte Betriebsgefahr zu berücksichtigen. Er habe mit 67km/h eine Fahrzeugkolonne links überholt, die sich auf der Bundesstraße hinter einem Traktor aufgestaut habe. Er sei dann mit Warnblinklicht ausgeschert um zu überholen. Der weitere Verlauf der Bundesstraße nach der Unfallstelle sei wegen einer Kuppe nicht einsehbar gewesen, weshalb sich der Kläger bei möglichen Gegenverkehr in die Fahrzeugschlange hätte „reinquetschen“ müssen. Ferner hätte er, wie geschehen, damit rechnen müssen, dass eines der ersten Fahrzeuge hinter dem Traktor aus der Kolonne ausschert um ebenfalls zu überholen.

§ 5 Abs. 4 und 4a StVO verlange von dem Überholer auf die Fahrweise des Eingeholten zu achten und er dürfe diesen nicht gefährden. Er müsse nach der Örtlichkeit sicher sein, dass kein Vorausfahrender links abbiegen will. Wer eine stockende Kolonne überhole, ohne mit Gewissheit vorn eine Einscherlücke erkenne, zeige keine äußerste Sorgfalt nach § 5 Abs. 4 S. 1 StVO. Der Kläger habe sich nicht alleine auf das von ihm eingeschaltete Warnblinklicht verlassen dürfen; § 16 Abs. 2 StVO sehe entsprechende ausdrückliche Benutzungsvorschriften vor, damit keine übertriebene Benutzung erfolge, die hier das Warnblinklicht nicht vorgesehen hätten.

OLG Schleswig, Beschluss nach § 522 ZPO vom 30.01.2020 - 7 U 210/19 -

Dienstag, 30. Juli 2019

Haftungsabwägung nach § 17 Abs. 3 StVG bei Kollision zwischen vorfahrtsberechtigten Überholer und Querverkehr


Der Kläger wollte mit seinem PKW nebst Anhänger nach links auf eine bevorrechtigte Straße einbiegen. Ein Linienbus fuhr (vom Kläger aus gesehen von links kommend) bis zur Einmündung und hielt davor an, da ein anderer Bus hinter der Einmündung in der Bushaltebucht stand. Die Fahrerin des haltenden Busses gab dem Kläger durch Handzeichen zu verstehen, dass er gefahrlos einfahren könne. Der Kläger fuhr daraufhin los. Als  er ein Stück  über die Sichtlinie des Busses hinausragte um auf die Gegenfahrspur einbiegen zu können, kam es zur Kollision mit dem PKW des Beklagten, der den vor der Einmündung stehenden Bus überholte. Der Kläger forderte 40% seines Schadens am Fahrzeug vom Beklagten und verwies darauf, dass der Beklagte trotz unklarer Verkehrslage mit hoher Geschwindigkeit überholt habe und dabei eine durchgezogene Linie auf der Fahrbahn überfahren habe, die lediglich im Einmündungsbereich selbst unterbrochen war.

Das Amtsgericht wies die Klage ab. Auf die Berufung gab das Landgericht dieser teilweise statt, welches eine Haftungsverteilung von 75% zu Lasten des Klägers annahm.

Der Unfall sei nicht auf höhere Gewalt zurückzuführen (§ 7 StVG) und für beide Fahrzeugführer nicht unabwendbar (§ 17 Abs. 3 StVG). Zutreffend habe das Amtsgericht auch einen Verstoß des Klägers gegen die Vorfahrtsregelung angenommen, § 8 Abs. 2 S. 2 StVO. Käme es im Bereich einer vorfahrtgeregelten Einmündung zu einer Kollision zwischen dem Wartepflichtigen und dem vorfahrtsberechtigten Verkehr, spreche der Beweis des ersten Anscheins für eine schuldhafte Vorfahrtsverletzung des Wartepflichtigen. Dieser Anscheinsbeweis sei durch den Kläger nicht durch den Nachwies von Tatsachen erschüttert worden, die die ernsthafte Möglichkeit eines atypischen Geschehensablaufs  ergäben, wie es z.B. der Fall gewesen wäre, wenn sich der Beklagte bei Beginn des Abbiegevorgangs (Einfahrens auf die vorfahrtberechtigte Straße) noch weit entfernt außerhalb der Sichtweite befunden hätte. Der Kläger habe es vielmehr versäumt, sich nach Einfahren auf die Vorfahrtsstraße zu Beginn des eigentlichen Einbiegevorgangs nach Passieren der Front des haltenden Busses  noch einmal nach links bezüglich herrannahenden Verkehrs im erforderlichen Umfang zu vergewissern. Die Vermutung der Kausalität des Sorgfaltsverstoßes hätte der Kläger nur durch den Nachweis er deutlich überhöhten Geschwindigkeit des Beklagten widerlegen können, wenn dadurch die Möglichkeit bestanden hätte, dass noch bei Blickzuwendung von einem gefahrlosen Herausfahren ausgegangen werden könnte oder der Beklagte beim eigentlichen Abbiegebeginn nach Passieren der Front des Busses noch außerhalb der Sichtweite gewesen wäre. Da der Beklagte einen entsprechenden Beweisantrag durch Einholung eines Sachverständigengutachtens im Berufungsrechtszug nicht aufrecht erhielt, blieb er diesbezüglich beweisfällig.

Ein Verschulden des Beklagten  habe nicht vorgelegen. Das Überfahren der durchgezogenen Mittellinie zum Vorbeifahren an dem Bus (§ 41 StVO, Zeichen 295) stelle sich hier nicht als kausales Verschulden dar, da die durchgezogene Mittellinie dem Schutz des Gegenverkehrs, nicht aber dem Schutz des nachfolgenden, einbiegenden, kreuzenden oder querenden Verkehr diene. Es ließe sich aus dieser Mittellinie kein allgemeines Überholverbot ableiten; die durchgezogene Mittellinie schütze allenfalls dort, wo sie sich faktisch wegen der Enge der Fahrbahn wie ein Überholverbot auswirke, das Vertrauen des Vorausfahrenden, an dieser Stelle nicht überholt zu werden (BGH, Urteil vom 28.04.1987 - VI ZR 66/86 -). Ferner läge auch keine unklare Verkehrslage vor, die ein Überholverbot statuieren würde (§ 5 Abs. 3 Nr. 1 StVO). Dies sei nur dann gegeben, wenn der Überholende nach objektiven Umständen des Einzelfalls nicht mit einem gefahrlosen Überholen rechnen könne. Da hier der stehende Bus den rechten Fahrtrichtungsanzeiger gesetzt habe, hätte er nicht mit einem Anfahren des Busses rechnen müssen. Auch wenn der Beklagte die Einmündung nicht habe einsehen können, hätten sich keine Anzeichen dafür ergeben, dass er die Fahrt nicht gefahrlos hätte fortsetzen können. Die reine Möglichkeit, dass andere Verkehrsteilnehmer vor dem stehenden Bus die Fahrbahn queren würden, rechtfertige nicht die Annahme einer unklaren Verkehrslage.

Allerdings würde vorliegend, anders als vom Amtsgericht angenommen, die Betriebsgefahr des PKW des Beklagten nicht hinter das Verschulden des Klägers völlig zurücktreten. Zwar könne die Missachtung der Vorfahrtsregelung die Alleinhaftung des Warepflichtigen rechtfertigen. Allerdings habe sich hier die Betriebsgefahr des PKW des Beklagten verschuldensunabhängig durch den Überholvorgang des stehenden (wartenden) Busses erhöht, der die Sicht auf den davor liegenden Verkehrsraum teilweise versperrt habe, zumal die Linie im Einmündungsbereich unterbrochen gewesen sei. Dies rechtfertige eine Haftungsabwägung von 25% zu Lastend es Beklagten und 75% zu Lasten des Klägers.

LG Saarbrücken, Urteil vom 11.01.2019 - 13 S 142/18 -

Donnerstag, 13. April 2017

Zur Haftung nach § 7 StVG für Verkehrsunfall ohne Berührung

Der Kläger begehrt von den Beklagten nach einem Verkehrsunfall Schadensersatz  mit einer Quote von 75%. Er befuhr mit seinem Motorrad eine Bundesstraße und folgte dabei dem Motorrad dee Beklagten zu 1. Diese überholte den PKW des Zeugen B. unter Inanspruchnahme der Gegenfahrspur. Der Kläger seinerseits wollte zeitgleich den PKW und den Beklagten zu 1. (diesen weiter links auf der Gegenfahrspur) überholen und fuhr deshalb weiter außen auf der Gegenfahrspur. Dabei geriet er nach links in das Bankett, ohne dass es zu einer Fahrzeugberührung gekommen wäre, verlor die Kontrolle über sein Motorrad und stürzte.

Während das Landgericht durch Grundurteil dem Kläger eine Haftungsquote von 50% zusprach, wies das OLG die Klage auf die Berufung der Beklagten vollumfänglich ab. Auf die Revision des Klägers wurde das Berufungsurteil vom BGH aufgehoben und der Rechtsstreit an das OLG zurückverwiesen.

Zwar sei, so der BGH,  die Ansicht des OLG richtig, wonach alleine die Anwesenheit im örtlichen Unfallbereich noch keine Haftung nach § 7 StVG begründen würde, wenn nicht durch die Fahrweise oder sonstige Verkehrsbeeinflussung ein Beitrag zum Unfallgeschehen geleistet wurde. Allerdings sei es auch schon für die zu berücksichtigende Betriebsgefahr ausreichend, dass sich der Verkehrsunfall in einem örtlichen und zeitlichen Zusammenhang mit dem Betriebsvorgang ereignete, ohne dass es zunächst darauf ankäme, ob das Verhalten verkehrswidrig war oder nicht  oder ob es zu einer Berührung der Fahrzeuge kam. Der BGH verdeutlicht mithin, dass entscheidend der Betrieb und ein Kausalzusammenhang dieses Betriebes sei.

Abzustellen sei auf den Zeitpunkt der kritischen Verkehrslage. Diese könne hier für die Beklagtenseite nicht durch die Vornahme des Überholvorganges angenommen werden. Diese kritische Situation könne erstmals  zu dem Zeitpunkt angenommen werden, zu dem auch noch der Kläger zum gleichzeitigen Überholen sowohl des PKW als auch des Motorrades der Beklagten ansetzte. Allerdings sei dies nicht der Beklagten zuzurechnen, da es nicht die typische Gefahr eines Überholvorganges wäre, dass ein rückwärtiger Verkehrsteilnehmer versuchen würde, den Überholer gleichzeitig auch noch zu überholen. Damit würde hier eine Haftung nach § 7 StVG ausscheiden. Dies unterscheide sich von Vorgängen, bei dem der überholende Kradfahrer durch einen Sattelzug verunsichert würde und (ohne Berührung) zu Fall komme, oder eine Abwehrreaktion auf ein vermeintlich beabsichtigtes Überholen erfolge, in denen stets die Haftung nach § 7 StVG zu bejahen sei. Hier aber wäre, nach dem Vortrag der Beklagten, nur die Anwesenheit gegeben, die nicht ausreichen würde.

Allerdings habe das Landgericht entscheidungserheblichen Vortrag des Klägers übergangen. Landgericht und OLG seien davon ausgegangen, dass die Zeugenaussagen zu einer Ausweichbewegung des PKW, welches ein Ausweichen des Motorrads der Beklagten zur Folge gehabt hätte (weshalb dann der Kläger ohne Berührung in das Bankett bei einer von ihm ebenfalls vorgenommenen Ausweichbewegung fuhr) nicht ergiebig gewesen wären. Dies sei als tatrichterliche Würdigung nicht zu beanstanden. Allerdings hatte der Sachverständige, worauf der Kläger hingewiesen habe, ausgeführt, die Spurenlage ließe ein Ausweichmanöver des Klägers aus dem linken Randbereich der linken Fahrbahn (Gegenfahrbahn) weiter nach links mit Einleitung einer Notbremsung erkennen. Dieses hätte vom Landgericht hinterfragt werden müssen, da damit nicht ohne eventuelle Befragung des Sachverständigen und eventuelle Anhörung der Parteien davon ausgegangen werden konnte, dass das Fahrverhalten des Klägers nicht durch das Motorrad der Beklagten beeinflusst wurde, was eine Haftung der Beklagten nach § 7 StVG begründen würde.


BGH, Urteil vom 22.11.2016 – VI ZR 533/15 -

Mittwoch, 15. März 2017

Seitenabstand des überholenden Radfahrers zum überholten Radfahrer

Auch ein Radfahrer muss beim Überholen eines anderen Radfahrers einen ausreichenden Seitenabstand einhalten. § 5 Abs. 4 S. 2 StVO ist anwendbar. Darauf hat das OLG Karlsruhe verwiesen. Nach seinen Feststellungen fuhren die Parteien mit ihren Rädern in eine Richtung auf einem 2m breiten Sand-Schotter-Weg. Der Kläger Der Kläger soll dabei eine Fahrlinie etwas rechts von der Mitte des Weges eingehalten haben. Der Beklagte, der sich von hinten näherte, wollte den Kläger links überholen. Während des Überholvorgangs berührte der Beklagte den Kläger mit seiner rechten Schulter an dessen linken Schulter, worauf der Kläger stürzte und sich verletzte.

Das OLG führte aus, dass es keine festen Regeln für den Sicherheitsabstand zwischen zwei Radfahrern nach § 5 Abs. 4 S. 2 StVO gäbe, vielmehr auf die Umstände des Einzelfalls abzustellen sei. Zwar könne der überholender Radfahrer einen geringeren Seitenabstand als ein PKW, da die Gefahren geringer wären als bei einem mit erheblicher Geschwindigkeit fahrenden PKW; allerdings müsse er auch mit mehr oder minder unvermittelten Schwankungen des überholten Radfahrers rechnen, wobei auch zu berücksichtigen sei, dass der überholte Radfahrer nicht durch Motorengeräusche, wie bei einem PKW, vorgewarnt würde. Vorliegend sei zudem zu berücksichtigen, dass sich die Radfahrer auf einem unebenen Sand-Schotter-Weg befanden, nicht auf einer asphaltierten Fläche.

Es käme für den notwendigen Seitenabstand nicht auf den Abstand der Fahrlinien (hier: 89 cm für den Beklagten vom rechten Fahrbahnrand, für den Kläger 164 cm vom rechten Fahrbahnrand) an, da auch die Körperbreite zu berücksichtigen sei, die rechts und links über die Fahrlinie rage. Bei Annahme einer Ellenbogenbreite beider Radfahrer jeweils zu einer Seite über die Fahrbahnlinie ergäbe sich dann hier lediglich ein Anstand von ca. 10cm.

Nach Angaben des Beklagten sei der Kläger kurz vor dem Überholen noch etwas nach rechts gefahren, weshalb er sich nur noch 67cm vom Wegrand entfernt befunden habe. Bei einer anzunehmenden Körperbreite von 65cm ergäbe sich hier ein Abstand von 32cm. Damit sei aber hier ein gefahrloses Überholen nicht möglich gewesen. Dabei wären die möglichen Schwankungen aus der geringen Geschwindigkeit des Klägers (nach Angaben des Beklagten 10-13 km/h) und des Belags (Sand-Schotter) zu berücksichtigen. Auch die Veränderung der Fahrlinie durch den Beklagten hätte den Kläger zur zusätzlichen Vorsicht veranlassen müssen. Auch wenn der Beklagte nach seinen Angaben geklingelt haben sollte, hätte sich nicht ergeben, dass dies von dem Kläger wahrgenommen worden sei, wobei auch der Beklagte in Ansehung von lauten Motorengeräuschen eines in der Nähe befindlichen Rasenmähers nicht annehmen durfte, der Kläger hätte dies gehört. Der Kläger hätte eine Fahrlinie 30cm weiter links fahren können, da ihm der gesamte linke Teil des Weges zum Überholen zur Verfügung stand.  

Es könne deshalb auf sich beruhen, ob der Beklagte in Ansehung von leichten Schwankungen des Klägers ganz auf ein Überholen hätte verzichten müssen oder sich vorher positiv mit dem Kläger hätte verständigen müssen.

Auch ein Mitverschulden des Klägers ließe sich nicht feststellen. Bei einem Seitenabstand von etwa 80cm zum rechten Wegesrand läge in Ansehung der örtlichen Verhältnisse noch kein Verstoß gegen das Rechtsfahrgebot vor, § 2 Abs. 2 StVO. Der Kläger hätte diesen Seitenabstand einhalten dürfen, um übliche Schwankungen beim Fahren auszugleichen. Der Beklagte habe zudem nicht bewiesen, dass der Kläger ihn wahrgenommen habe.

Die Berufung wurde mit Beschluss vom 04.07.2016 zurückgewiesen.

OLG Karlsruhe, Hinweisbeschluss vom 30.05.2016 – 9 U 115/15 -

Sonntag, 12. Januar 2014

Abbiegen und Kollision mit überholenden Motorradfahrer - Haftungsabwägung

Hartmut910  / pixelio.de
Verkehrsunfälle beim Abbiegen gehören mit zu den häufigsten. Allgemein wird davon ausgegangen, dass dem
Abbiegenden nach den Grundsätzen des Anscheinsbeweises (prima facie Beweis) die (Allein-) Schuld trifft. Das OLG Hamm hat in seinem Urteil vom 09.07.2013 – 9 U 191/12 – dies im Hinblick auf einen eine kleine Kolonne überholenden Motorradfahrer anders gesehen und lediglich den Unabwendbarkeitsnachweis  für den abbiegenden Fahrzeugführer als nicht geführt angesehen und diesen deshalb zu 25% haften lassen (übliche Praxis bei Nichtführen des Unabwendbarkeitsnachweises). Dabei ist allerdings zu berücksichtigen, dass der abbiegende Kraftfahrzeugführer nach Angaben eines Zeugen 100 – 150m vor Einleitung des Abbiegevorgangs den linken Fahrtrichtungsanzeiger gesetzt hatte und weder festgestellt werden konnte, dass der abbiegende Kraftfahrer den überholenden Motorradfahrer hätte sehen müssen noch festgestellt werden konnte, dass er seiner Rückschaupflicht nicht ordnungsgemäß nachgekommen wäre.