Die Klägerin befuhr mit ihrem Fahrrad einen Gehweg auf der linken Seite der Sch-Straße. Dabei fuhr sie Richtung Stegeweg, der auf die Sch-Straße mündet; der Verkehr auf der Sch-Straße ist bevorrechtigt; im Stegeweg ist ein Stoppschild. Der Beklagte fuhr den Stegweg und kollidierte im Einmündungsbereich zur Sch-Straße mit der Klägerin, die sich verletzte und deren Fahrrad beschädigt wurde. Da der Beklagte (und sein Versicherer) nicht den Schaden regulierten, erhob die Klägern Klage, die abgewiesen wurde. Dabei ging das Landgericht nach Beweisaufnahme davon aus, dass die Klägerin den Verkehrsunfall durch ein grob verkehrswidriges Verhalten selbst und allein verschuldet habe.
Die Klägerin hätte den Gehweg als Erwachsene nicht befahren dürfen, § 2 Abs. 5 StVO, weshalb sie hier schon grob verkehrswidrig gehandelt habe. Zudem sei sie auf der Sch-Straße links statt rechts gefahren, was ebenfalls grob verkehrswidrig gewesen sei.
Verfehlt sei zudem die Annahme der Klägerin, sie sei gegenüber dem Kraftfahrer, der aus der Straße Stegeweg kam, vorfahrtsberechtigt gewesen. Zwar sei der Fahrzeugverkehr auf der Fahrbahn der Sch-Straße gegenüber dem Verkehr auf dem Stegeweg vorfahrtsberechtigt. Dieses Vorfahrtsrecht habe aber die Klägerin, die verbotswidrig und in falscher Richtung auf dem Gehweg der Sch-Straße fuhr, nicht für sich beanspruchen können. Durch die Nutzung des Gehweges habe für sie § 10 StVO (Einfahren und Anfahren) gegolten. Sie gelte hie als in die Fahrbahn Einfahrende und habe sich mithin so zu verhalten, dass eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen sei. Weiterhin habe sie als Nutzerin des Gehweges § 25 StVO (Fußgänger) halten und dürfe die Straße danach letztlich nur überqueren, wenn kein Verkehr käme, denn dieser habe gegenüber einem Fußgänger Vorrang. Nach eigene Angaben habe die Klägerin den Pkw am Stoppschild des Stegeweg stehen gesehen; sie habe nicht gewartet, bis das Beklagtenfahrzug abgefahren sei, sondern sei einfach auf den Stegeweg aufgefahren und fuhr dort ungebremst gegen den Pkw, der dabei gewesen sei, sich in die Sch-Straße, aufgrund schlechter Einsehbarkeit, hineinzutasten.
Damit habe die Klägerin massiv gegen bestehende Verkehrsregeln verstoßen, weshalb die Betriebsgefahr des Pkw völlig zurücktreten würde. Der Beklagte habe darauf vertrauen dürfen, dass die Klägerin sich verkehrsgerecht verhalten würde und von dem Gehweg nur auf die Fahrbahn auffährt, wenn sie den Fahrzeugverkehr nicht behindert.
LG Frankfurt/Oder, Urteil
vom 19.07.2024 - 12 O 23/23 -
Aus den Gründen:
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2.Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.
3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des jeweils beizutreibenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
Die Klägerin
begehrt Ersatz des aufgrund eines Verkehrsunfalls entstandenen materiellen und
immateriellen Schadens.
Die Klägerin
befuhr am 29.10.2021 mit einem Fahrrad den Gehweg auf der linken Seite der
Schöneicher Straße. Sie fuhr auf den Stegeweg zu, der in die Schöneicher Straße
mündet. Der Verkehr der Schöneicher Straße ist gegenüber dem des Stegewegs
vorfahrtsberechtigt. Die Zufahrt zur Schöneicher Straße ist mittels Stoppschild
geregelt. Die Beklagte zu 1 befuhr mit dem von ihr gehaltenen und bei der
Beklagten zu 2 am 29.10.2021 haftpflichtversicherten BMW, amtliches
Kennzeichen: … den Stegeweg in Fahrtrichtung Schöneicher Straße. Im
Einmündungsbereich des Stegewegs zur Schöneicher Straße kam es gegen 19:00 Uhr
zur Kollision mit der fahrradfahrenden Klägerin. Die Klägerin stürzte und
erlitt eine Tibiakopffraktur links, die mittels Plattenosteosynthese behandelt
wurde sowie die Prellung der linken Hand. Sie wurde vom Unfalltag bis zum
8.11.2021 stationär im Unfallkrankenhaus B… behandelt. Das von der Klägerin
benutzte Fahrrad wurde beim Unfall beschädigt. Die Beklagte zu 2 lehnte auf die
Aufforderung der Klägerin zur Schadensregulierung diese unter Verweis auf die
alleinige Schuld der Klägerin am Unfall ab.
Die Klägerin
meint:
Der Unfall sei
für sie unvermeidbar gewesen. Sie lasse sich aufgrund des Umstandes, dass sie
den Gehweg befahren habe, eine Mithaftung von 50 % anrechnen.
Sie sei
aufgrund der unfallbedingten Verletzung bis einschließlich 27.4.2022
arbeitsunfähig erkrankt gewesen. Ihr Bein habe sie mindestens 18 Wochen nicht
belasten dürfen und sei deshalb wochenlang vollständig auf fremde Hilfe
angewiesen gewesen. Es rechtfertige sich mithin ein Schmerzensgeld von
mindestens 7500,00 €, wovon die Beklagten ihr 50 %, mithin 3750,00 € erstatten
müssten. Die Beklagten hätten ihr auch den durch den Unfall erlittenen
materiellen Schaden zu ersetzen, der sich aus den Seite 4 der Klageschrift
(Bl. 4 der Akte) aufgezählten einzelnen Positionen zusammensetze und insgesamt
den Betrag von 3016,38 € ergebe. Abgestellt auf den von ihr angenommenen
Verschuldensanteil der Beklagten von 50 % betrage ihr Ersatzanspruch bezüglich
dieser Positionen 1508,42 €. Da die unfallbedingte Verletzung derzeit nicht
vollständig ausgeheilt sei, würden künftig weitere Kosten, so z.B. für
Psychotherapien anfallen. Auch sei eine weitere Operation zur Entfernung der
zur Behebung der Fraktur eingesetzten Verschraubungen im linken Bein
erforderlich. Hinzu komme, dass nach Mitteilung des sie behandelnden Arztes mit
einer Arthrose im betroffenen Bereich zu rechnen sei. Alles dies rechtfertige
die Feststellung der Haftung der Beklagten für künftige materielle und immaterielle
Schäden.
Die Klägerin beantragt:
1. Die Beklagten gesamtschuldnerisch zu
verurteilen, an sie ein Schmerzensgeld, welches in das Ermessen des Gerichts
gestellt wird, jedoch mindestens i.H.v. 3750,00 € nebst 5 Prozentpunkte über
dem Basiszinssatz hieraus seit Rechtshängigkeit der Klage zu zahlen.
2. Die Beklagten gesamtschuldnerisch zu verurteilen, an sie weitere 1508,42 € nebst 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit der Klage zu zahlen.
3. Festzustellen, dass die Beklagten gesamtschuldnerisch verpflichtet sind, ihr sämtliche materiellen und immateriellen zukünftigen Schäden zu ersetzen, die aus dem Verkehrsunfallereignis vom 29.10.2021 resultieren, soweit sie nicht bereits auf Sozialversicherungsträger oder andere Dritte übergegangen sind.
Die Beklagten beantragen,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagten
meinen:
Der
Verkehrsunfall sei allein von der Klägerin verursacht und verschuldet, denn sie
fuhr bei Dunkelheit mit dunkler Kleidung verkehrswidrig auf einem Gehweg
entgegen der vorgeschriebenen Fahrtrichtung und habe damit klar gegen § 2
Abs. 5 StVO verstoßen. Zudem sei sie, statt sich aufgrund ihrer
Fahrtrichtung auf dem Gehweg äußerst defensiv mit dem Fahrrad zu bewegen,
ungebremst gegen die Seite des bereits querenden Beklagtenfahrzeuges gefahren.
Die Klägerin habe darüber hinaus als Einfahrende von einem anderen Straßenteil
auf die Fahrbahn ihre dadurch bedingte besondere und gesteigerte
Sorgfaltspflicht gemäß § 10 StVO missachtet.
Darüber hinaus
wird auf das gesamte schriftliche und dokumentierte mündliche Vorbringen der
Parteien im Rechtsstreit verwiesen.
Das Gericht hat
Beweis erhoben durch die uneidliche Vernehmung der Zeugen C… und P… A… A….
Hinsichtlich des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Protokoll der
mündlichen Verhandlung vom 31.5.2024, Bl. 92 bis 96 der Akte, Bezug genommen.
Das Gericht hat darüber hinaus in der genannten mündlichen Verhandlung die
Klägerin zum Unfallgeschehen angehört. Auch bezüglich des Anhörungsergebnisses
wird auf das Verhandlungsprotokoll verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige
Klage ist unbegründet.
Die Klägerin
hat keinen Anspruch auf Erstattung des geltend gemachten materiellen und
immateriellen Schadens aus dem Verkehrsunfall der Parteien vom 29.10.2021,
Kreuzung Schöneicher Straße/ Stegeweg in S… gemäß §§ 7, 17 StVG,
§§ 823, 254 BGB, § 115 VVG. Sie hat den Unfall durch grob
verkehrswidriges Verhalten selbst und allein verschuldet.
Die Klägerin
befuhr, was unstreitig ist, mit dem Fahrrad den Gehweg der Schöneicher Straße.
Sie handelte damit grob verkehrswidrig, denn gemäß § 2 Abs. 5 StVO
ist Erwachsenen nicht die Benutzung von Gehwegen mit Fahrrädern erlaubt. Diese
ist nur Kindern bis zum vollendeten 10. Lebensjahr gestattet. Zudem fuhr die
Klägerin mit dem Fahrrad auf der falschen Seite der Schöneicher Straße nämlich
links statt rechts, was ebenfalls grob verkehrswidrig ist. Entgegen ihrer
Annahme hatte die Klägerin auch nicht gegenüber dem Beklagtenfahrzeug, das aus
dem Stegeweg kam, Vorfahrt. Der Fahrzeugverkehr auf der Fahrbahn der
Schöneicher Straße ist zwar gegenüber dem Verkehr des Stegewegs
vorfahrtsberechtigt. Keinesfalls kann aber deshalb ein Radfahrer, der
verbotswidrig und in falscher Richtung auf den Gehweg der Straße fährt Vorfahrt
für sich beanspruchen. Für die Klägerin galt aufgrund der Benutzung des Gehwegs
vielmehr § 10 StVO. Sie gilt als in die Fahrbahn Einfahrende und hat sich
demnach so zu verhalten, dass eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer
ausgeschlossen ist. Im übrigen muss sie sich aufgrund der Benutzung des
Gehweges an die Bestimmungen des § 25 StVO halten und kann mithin die
Straße letztlich nur überqueren, wenn kein Verkehr kommt, denn der Fahrzeugverkehr
hat gegenüber einem Fußgänger grundsätzlich Vorrang. Wie die Klägerin bei ihrer
Anhörung durch das Gericht am 31.5.2024 angab, hat sie das Beklagtenfahrzeug am
Stoppschild des Stegewegs stehen sehen, als sie mit dem Fahrrad auf den
Stegeweg zufuhr. Sie wartete nicht, bis das Beklagtenfahrzeug abgefahren ist,
sondern fuhr einfach in den Stegeweg ein, wohl mit der verkehrswidrigen
Annahme, vorfahrtsberechtigt zu sein. Die Klägerin hat massiv gegen bestehende
Verkehrsregeln verstoßen, sodass selbst die Betriebsgefahr des
Beklagtenfahrzeuges zurücktritt. Auf den Streit der Parteien, ob die Klägerin
das Licht am Fahrrad eingeschalten hatte oder nicht, denn es war dunkel, kommt
es aufgrund der bereits unstreitig bestehenden Verkehrswidrigkeiten der
Klägerin zur Entscheidung des Rechtsstreits nicht an.
Die Beklagte zu
1 konnte beweisen, dass sie sämtliche Sorgfaltspflichten als Führerin des
Beklagtenfahrzeuges im Einmündungsbereich des Stegewegs zur Schöneicher Straße
beachtet hat. Die auf den Beweisantrag der Beklagten vernommenen Zeugen C… und
P…A… A… sagten zur Überzeugung des Gerichts glaubhaft aus, dass die Klägerin
ungebremst mit dem Beklagtenfahrzeug kollidiert ist. Frau A… gab an, dass sich
das Geschehen für sie so beurteilte, dass die Klägerin angenommen habe, sie
könne fahren. Die Zeugin hatte das Beklagtenfahrzeug im Einmündungsbereich
halten sehen. Das Fahrzeug tastete sich, aufgrund schlechter Einsehbarkeit der
Schöneicher Straße in diese ein, als die Klägerin mit dem Fahrrad ungebremst
gegen das Beklagtenfahrzeug fuhr. Beide Zeugen konnten das Geschehen sehen,
denn sie befanden sich unmittelbar hinter dem Beklagtenfahrzeug in einem Pkw.
Herr A… gab an, dass Beklagtenfahrzeug, als er mit dem von ihm geführten Pkw in
den Einmündungsbereich der maßgeblichen Kreuzung einfuhr, anfahren gesehen zu haben.
Deshalb zog er für das Gericht nachvollziehbar den Schluss, dass das
Beklagtenfahrzeug zuvor gestanden hat. Die Beklagte zu 1 konnte darauf
vertrauen, dass sich die Klägerin verkehrsgerecht verhält und von einem Gehweg
auf die Fahrbahn nur einfährt, wenn sie den Fahrzeugverkehr nicht behindert.
Das tat die Klägerin jedoch wie bereits mehrfach erwähnt nicht.
Für die
Würdigung des Unfallgeschehens ist für das Gericht unerheblich, ob die Klägerin
gegen die vordere rechte Seite des Beklagtenfahrzeuges fuhr oder sich mit dem
Fahrrad rechts vor der Front des Fahrzeuges befunden hat und dort kollidierte.
Denn die Klägerin ist in äußerst grober verkehrswidriger Weise in den
Einmündungsbereich des Stegewegs ein- und ggf. direkt vor das Beklagtenfahrzeug
unmittelbar in dem Augenblick gefahren, als die Beklagte zu 1 mit dem Fahrzeug
anfuhr. Zur Aufklärung des Unfallgeschehens und damit der Entscheidung des
Rechtsstreits musste daher dem Beweisangebot der Klägerin, dem Einholen eines
Unfallrekonstruktionsgutachtens, nicht nachgegangen werden, denn die Klägerin
hat, wie bereits ausgeführt, gegen bestehende Verkehrsregeln grob
verkehrswidrig verstoßen, was unstreitig ist. Durch das unfallanalytische
Gutachten kann gegebenenfalls nur die genaue Kollisionsstelle aufgeklärt
werden, auf die es wie ausgeführt nicht ankommt. Der Beweisantrag der Klägerin
auf das Einholen eines Unfallrekonstruktionsgutachtens wird folglich hiermit
zurückgewiesen.
Da die Klägerin
den Unfall allein verschuldet hat und die Beklagten mithin nicht haften, kommt
es zur Entscheidung des Rechtsstreits nicht auf die Aufklärung des Streits der
Parteien um den materiellen und immateriellen Unfallschaden an. Der von der
Klägerin erhobene Feststellungsantrag ist ebenso unbegründet.
Die Klägerin
hat mangels Hauptanspruchs auch keinen Anspruch auf die als Nebenforderung
geltend gemachten Verzugszinsen.
Der Klägerin
musste auch das den Beklagten in der letzten mündlichen Verhandlung
nachgelassene Vorbringen, das mit Schriftsatz vom 27.6.2024 erfolgt ist, kein
rechtliches Gehör gewährt werden. Das Vorbringen war für die Entscheidung
unmaßgeblich.
Auf diesen
Vortrag der Beklagten war die mündliche Verhandlung auch nicht gemäß § 156
ZPO wiederzueröffnen. Ein nach der Vorschrift maßgeblicher
Wiedereröffnungsgrund war nicht gegeben.
Die
Kostenentscheidung ergeht nach § 91 ZPO.
Die vorläufige
Vollstreckbarkeit beruht auf § 709 ZPO.
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