Dienstag, 18. Februar 2025

Haftung des auf falscher Straßenseite und Gehweg fahrenden Radfahrers

Die Klägerin befuhr mit ihrem Fahrrad einen Gehweg auf der linken Seite der Sch-Straße. Dabei fuhr sie Richtung Stegeweg, der auf die Sch-Straße mündet; der Verkehr auf der Sch-Straße ist bevorrechtigt; im Stegeweg ist ein Stoppschild. Der Beklagte fuhr den Stegweg und kollidierte im Einmündungsbereich zur Sch-Straße mit der Klägerin, die sich verletzte und deren Fahrrad beschädigt wurde. Da der Beklagte (und sein Versicherer) nicht den Schaden regulierten, erhob die Klägern Klage, die abgewiesen wurde. Dabei ging das Landgericht nach Beweisaufnahme davon aus, dass die Klägerin den Verkehrsunfall durch ein grob verkehrswidriges Verhalten selbst und allein verschuldet habe.

Die Klägerin hätte den Gehweg als Erwachsene nicht befahren dürfen, § 2 Abs. 5 StVO, weshalb sie hier schon grob verkehrswidrig gehandelt habe. Zudem sei sie auf der Sch-Straße links statt rechts gefahren, was ebenfalls grob verkehrswidrig gewesen sei.

Verfehlt sei zudem die Annahme der Klägerin, sie sei gegenüber dem Kraftfahrer, der aus der Straße Stegeweg kam, vorfahrtsberechtigt gewesen. Zwar sei der Fahrzeugverkehr auf der Fahrbahn der Sch-Straße gegenüber dem Verkehr auf dem Stegeweg vorfahrtsberechtigt. Dieses Vorfahrtsrecht habe aber die Klägerin, die verbotswidrig und in falscher Richtung auf dem Gehweg der Sch-Straße fuhr, nicht für sich beanspruchen können. Durch die Nutzung des Gehweges habe für sie § 10 StVO (Einfahren und Anfahren) gegolten. Sie gelte hie als in die Fahrbahn Einfahrende und habe sich mithin so zu verhalten, dass eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen sei. Weiterhin habe sie als Nutzerin des Gehweges § 25 StVO (Fußgänger) halten und dürfe die Straße danach letztlich nur überqueren, wenn kein Verkehr käme, denn dieser habe gegenüber einem Fußgänger Vorrang. Nach eigene Angaben habe die Klägerin den Pkw am Stoppschild des Stegeweg stehen gesehen; sie habe nicht gewartet, bis das Beklagtenfahrzug abgefahren sei, sondern sei einfach auf den Stegeweg aufgefahren und fuhr dort ungebremst gegen den Pkw, der dabei gewesen sei, sich in die Sch-Straße, aufgrund schlechter Einsehbarkeit, hineinzutasten.  

Damit habe die Klägerin massiv gegen bestehende Verkehrsregeln verstoßen, weshalb die Betriebsgefahr des Pkw völlig zurücktreten würde. Der Beklagte habe darauf vertrauen dürfen, dass die Klägerin sich verkehrsgerecht verhalten würde und von dem Gehweg nur auf die Fahrbahn auffährt, wenn sie den Fahrzeugverkehr nicht behindert.

LG Frankfurt/Oder, Urteil vom 19.07.2024 - 12 O 23/23 -


Aus den Gründen:

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.

2.Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.

3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des jeweils beizutreibenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Die Klägerin begehrt Ersatz des aufgrund eines Verkehrsunfalls entstandenen materiellen und immateriellen Schadens.

Die Klägerin befuhr am 29.10.2021 mit einem Fahrrad den Gehweg auf der linken Seite der Schöneicher Straße. Sie fuhr auf den Stegeweg zu, der in die Schöneicher Straße mündet. Der Verkehr der Schöneicher Straße ist gegenüber dem des Stegewegs vorfahrtsberechtigt. Die Zufahrt zur Schöneicher Straße ist mittels Stoppschild geregelt. Die Beklagte zu 1 befuhr mit dem von ihr gehaltenen und bei der Beklagten zu 2 am 29.10.2021 haftpflichtversicherten BMW, amtliches Kennzeichen: … den Stegeweg in Fahrtrichtung Schöneicher Straße. Im Einmündungsbereich des Stegewegs zur Schöneicher Straße kam es gegen 19:00 Uhr zur Kollision mit der fahrradfahrenden Klägerin. Die Klägerin stürzte und erlitt eine Tibiakopffraktur links, die mittels Plattenosteosynthese behandelt wurde sowie die Prellung der linken Hand. Sie wurde vom Unfalltag bis zum 8.11.2021 stationär im Unfallkrankenhaus B… behandelt. Das von der Klägerin benutzte Fahrrad wurde beim Unfall beschädigt. Die Beklagte zu 2 lehnte auf die Aufforderung der Klägerin zur Schadensregulierung diese unter Verweis auf die alleinige Schuld der Klägerin am Unfall ab.

Die Klägerin meint:

Der Unfall sei für sie unvermeidbar gewesen. Sie lasse sich aufgrund des Umstandes, dass sie den Gehweg befahren habe, eine Mithaftung von 50 % anrechnen.

Sie sei aufgrund der unfallbedingten Verletzung bis einschließlich 27.4.2022 arbeitsunfähig erkrankt gewesen. Ihr Bein habe sie mindestens 18 Wochen nicht belasten dürfen und sei deshalb wochenlang vollständig auf fremde Hilfe angewiesen gewesen. Es rechtfertige sich mithin ein Schmerzensgeld von mindestens 7500,00 €, wovon die Beklagten ihr 50 %, mithin 3750,00 € erstatten müssten. Die Beklagten hätten ihr auch den durch den Unfall erlittenen materiellen Schaden zu ersetzen, der sich aus den Seite 4 der Klageschrift (Bl. 4 der Akte) aufgezählten einzelnen Positionen zusammensetze und insgesamt den Betrag von 3016,38 € ergebe. Abgestellt auf den von ihr angenommenen Verschuldensanteil der Beklagten von 50 % betrage ihr Ersatzanspruch bezüglich dieser Positionen 1508,42 €. Da die unfallbedingte Verletzung derzeit nicht vollständig ausgeheilt sei, würden künftig weitere Kosten, so z.B. für Psychotherapien anfallen. Auch sei eine weitere Operation zur Entfernung der zur Behebung der Fraktur eingesetzten Verschraubungen im linken Bein erforderlich. Hinzu komme, dass nach Mitteilung des sie behandelnden Arztes mit einer Arthrose im betroffenen Bereich zu rechnen sei. Alles dies rechtfertige die Feststellung der Haftung der Beklagten für künftige materielle und immaterielle Schäden.

Die Klägerin beantragt:

1. Die Beklagten gesamtschuldnerisch zu verurteilen, an sie ein Schmerzensgeld, welches in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, jedoch mindestens i.H.v. 3750,00 € nebst 5 Prozentpunkte über dem Basiszinssatz hieraus seit Rechtshängigkeit der Klage zu zahlen.

2. Die Beklagten gesamtschuldnerisch zu verurteilen, an sie weitere 1508,42 € nebst 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit der Klage zu zahlen.

3. Festzustellen, dass die Beklagten gesamtschuldnerisch verpflichtet sind, ihr sämtliche materiellen und immateriellen zukünftigen Schäden zu ersetzen, die aus dem Verkehrsunfallereignis vom 29.10.2021 resultieren, soweit sie nicht bereits auf Sozialversicherungsträger oder andere Dritte übergegangen sind.


Die Beklagten beantragen,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagten meinen:

Der Verkehrsunfall sei allein von der Klägerin verursacht und verschuldet, denn sie fuhr bei Dunkelheit mit dunkler Kleidung verkehrswidrig auf einem Gehweg entgegen der vorgeschriebenen Fahrtrichtung und habe damit klar gegen § 2 Abs. 5 StVO verstoßen. Zudem sei sie, statt sich aufgrund ihrer Fahrtrichtung auf dem Gehweg äußerst defensiv mit dem Fahrrad zu bewegen, ungebremst gegen die Seite des bereits querenden Beklagtenfahrzeuges gefahren. Die Klägerin habe darüber hinaus als Einfahrende von einem anderen Straßenteil auf die Fahrbahn ihre dadurch bedingte besondere und gesteigerte Sorgfaltspflicht gemäß § 10 StVO missachtet.

Darüber hinaus wird auf das gesamte schriftliche und dokumentierte mündliche Vorbringen der Parteien im Rechtsstreit verwiesen.

Das Gericht hat Beweis erhoben durch die uneidliche Vernehmung der Zeugen C… und P… A… A…. Hinsichtlich des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 31.5.2024, Bl. 92 bis 96 der Akte, Bezug genommen. Das Gericht hat darüber hinaus in der genannten mündlichen Verhandlung die Klägerin zum Unfallgeschehen angehört. Auch bezüglich des Anhörungsergebnisses wird auf das Verhandlungsprotokoll verwiesen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist unbegründet.

Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Erstattung des geltend gemachten materiellen und immateriellen Schadens aus dem Verkehrsunfall der Parteien vom 29.10.2021, Kreuzung Schöneicher Straße/ Stegeweg in S… gemäß §§ 7, 17 StVG, §§ 823, 254 BGB, § 115 VVG. Sie hat den Unfall durch grob verkehrswidriges Verhalten selbst und allein verschuldet.

Die Klägerin befuhr, was unstreitig ist, mit dem Fahrrad den Gehweg der Schöneicher Straße. Sie handelte damit grob verkehrswidrig, denn gemäß § 2 Abs. 5 StVO ist Erwachsenen nicht die Benutzung von Gehwegen mit Fahrrädern erlaubt. Diese ist nur Kindern bis zum vollendeten 10. Lebensjahr gestattet. Zudem fuhr die Klägerin mit dem Fahrrad auf der falschen Seite der Schöneicher Straße nämlich links statt rechts, was ebenfalls grob verkehrswidrig ist. Entgegen ihrer Annahme hatte die Klägerin auch nicht gegenüber dem Beklagtenfahrzeug, das aus dem Stegeweg kam, Vorfahrt. Der Fahrzeugverkehr auf der Fahrbahn der Schöneicher Straße ist zwar gegenüber dem Verkehr des Stegewegs vorfahrtsberechtigt. Keinesfalls kann aber deshalb ein Radfahrer, der verbotswidrig und in falscher Richtung auf den Gehweg der Straße fährt Vorfahrt für sich beanspruchen. Für die Klägerin galt aufgrund der Benutzung des Gehwegs vielmehr § 10 StVO. Sie gilt als in die Fahrbahn Einfahrende und hat sich demnach so zu verhalten, dass eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist. Im übrigen muss sie sich aufgrund der Benutzung des Gehweges an die Bestimmungen des § 25 StVO halten und kann mithin die Straße letztlich nur überqueren, wenn kein Verkehr kommt, denn der Fahrzeugverkehr hat gegenüber einem Fußgänger grundsätzlich Vorrang. Wie die Klägerin bei ihrer Anhörung durch das Gericht am 31.5.2024 angab, hat sie das Beklagtenfahrzeug am Stoppschild des Stegewegs stehen sehen, als sie mit dem Fahrrad auf den Stegeweg zufuhr. Sie wartete nicht, bis das Beklagtenfahrzeug abgefahren ist, sondern fuhr einfach in den Stegeweg ein, wohl mit der verkehrswidrigen Annahme, vorfahrtsberechtigt zu sein. Die Klägerin hat massiv gegen bestehende Verkehrsregeln verstoßen, sodass selbst die Betriebsgefahr des Beklagtenfahrzeuges zurücktritt. Auf den Streit der Parteien, ob die Klägerin das Licht am Fahrrad eingeschalten hatte oder nicht, denn es war dunkel, kommt es aufgrund der bereits unstreitig bestehenden Verkehrswidrigkeiten der Klägerin zur Entscheidung des Rechtsstreits nicht an.

Die Beklagte zu 1 konnte beweisen, dass sie sämtliche Sorgfaltspflichten als Führerin des Beklagtenfahrzeuges im Einmündungsbereich des Stegewegs zur Schöneicher Straße beachtet hat. Die auf den Beweisantrag der Beklagten vernommenen Zeugen C… und P…A… A… sagten zur Überzeugung des Gerichts glaubhaft aus, dass die Klägerin ungebremst mit dem Beklagtenfahrzeug kollidiert ist. Frau A… gab an, dass sich das Geschehen für sie so beurteilte, dass die Klägerin angenommen habe, sie könne fahren. Die Zeugin hatte das Beklagtenfahrzeug im Einmündungsbereich halten sehen. Das Fahrzeug tastete sich, aufgrund schlechter Einsehbarkeit der Schöneicher Straße in diese ein, als die Klägerin mit dem Fahrrad ungebremst gegen das Beklagtenfahrzeug fuhr. Beide Zeugen konnten das Geschehen sehen, denn sie befanden sich unmittelbar hinter dem Beklagtenfahrzeug in einem Pkw. Herr A… gab an, dass Beklagtenfahrzeug, als er mit dem von ihm geführten Pkw in den Einmündungsbereich der maßgeblichen Kreuzung einfuhr, anfahren gesehen zu haben. Deshalb zog er für das Gericht nachvollziehbar den Schluss, dass das Beklagtenfahrzeug zuvor gestanden hat. Die Beklagte zu 1 konnte darauf vertrauen, dass sich die Klägerin verkehrsgerecht verhält und von einem Gehweg auf die Fahrbahn nur einfährt, wenn sie den Fahrzeugverkehr nicht behindert. Das tat die Klägerin jedoch wie bereits mehrfach erwähnt nicht.

Für die Würdigung des Unfallgeschehens ist für das Gericht unerheblich, ob die Klägerin gegen die vordere rechte Seite des Beklagtenfahrzeuges fuhr oder sich mit dem Fahrrad rechts vor der Front des Fahrzeuges befunden hat und dort kollidierte. Denn die Klägerin ist in äußerst grober verkehrswidriger Weise in den Einmündungsbereich des Stegewegs ein- und ggf. direkt vor das Beklagtenfahrzeug unmittelbar in dem Augenblick gefahren, als die Beklagte zu 1 mit dem Fahrzeug anfuhr. Zur Aufklärung des Unfallgeschehens und damit der Entscheidung des Rechtsstreits musste daher dem Beweisangebot der Klägerin, dem Einholen eines Unfallrekonstruktionsgutachtens, nicht nachgegangen werden, denn die Klägerin hat, wie bereits ausgeführt, gegen bestehende Verkehrsregeln grob verkehrswidrig verstoßen, was unstreitig ist. Durch das unfallanalytische Gutachten kann gegebenenfalls nur die genaue Kollisionsstelle aufgeklärt werden, auf die es wie ausgeführt nicht ankommt. Der Beweisantrag der Klägerin auf das Einholen eines Unfallrekonstruktionsgutachtens wird folglich hiermit zurückgewiesen.

Da die Klägerin den Unfall allein verschuldet hat und die Beklagten mithin nicht haften, kommt es zur Entscheidung des Rechtsstreits nicht auf die Aufklärung des Streits der Parteien um den materiellen und immateriellen Unfallschaden an. Der von der Klägerin erhobene Feststellungsantrag ist ebenso unbegründet.

Die Klägerin hat mangels Hauptanspruchs auch keinen Anspruch auf die als Nebenforderung geltend gemachten Verzugszinsen.

Der Klägerin musste auch das den Beklagten in der letzten mündlichen Verhandlung nachgelassene Vorbringen, das mit Schriftsatz vom 27.6.2024 erfolgt ist, kein rechtliches Gehör gewährt werden. Das Vorbringen war für die Entscheidung unmaßgeblich.

Auf diesen Vortrag der Beklagten war die mündliche Verhandlung auch nicht gemäß § 156 ZPO wiederzueröffnen. Ein nach der Vorschrift maßgeblicher Wiedereröffnungsgrund war nicht gegeben.

Die Kostenentscheidung ergeht nach § 91 ZPO.

Die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 709 ZPO.


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