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Freitag, 19. August 2022

Beweiswirkung der schriftlichen Einlassung am Unfallort

Im Zusammenhang mit einem Verkehrsunfall musste sich das OLG mit dem widersprüchlichen Vortrag der Parteien auseinandersetzen. In diesem Fall lag ein am Unfalltag gefertigter und von dem beklagten Fahrer, dessen Mitfahrerin und einem Zeugen des Unfalls (dem Fahrer des gegnerischen Lkw) gefertigter Unfallbericht vor, in dem ausgeführt wurde, dass an dem klägerischen Lkw der linke Fahrtrichtungsanzeiger gesetzt war, als der beklagte Fahrer diesen überholte.  Das OLG wies darauf hin, dass im Rahmen der Beweiswürdigung dies Unfallprotokoll zu berücksichtigen sei.

Die schriftliche Einlassung würde sich nicht rechtsgeschäftliches Anerkenntnis darstellen. Rücke der Anerkennende später von seiner schriftlichen Erklärung ab, käme dann der schriftlichen Erklärung keine besondere Bedeutung zu, wenn auch das übrige Beweisergebnis gegen seine Schuld spreche. Sei dies aber nicht der Fall, müsste er plausibel erklären, weshalb er sich zu dem objektiv falschen Anerkenntnis habe bewegen lassen. Je konkreter die schriftliche Erklärung sei, umso schwerer würde es ihm fallen. Ferner sei im Rahmen der Beweiswürdigung zu berücksichtigen, ob das Anerkenntnis zu einer Beeinträchtigung der Beweismöglichkeiten des Gegners geführt habe, da dieser evtl. wegen der schriftlichen Erklärung auf die Hinzuziehung der Polizei verzichtet habe. 

Der BGH hatte bereits in seinem Urteil vom 10.01.1984 - VI ZR 64/82 -, auf welches sich das OLG bezog, ausgeführt, dass die Alleinschulderklärung grundsätzlich mangels rechtsgeschäftlichen Charakters kein deklaratorisches Schuldanerkenntnis sei. Anderes könne nur angenommen werden, wenn der erklärte Wille der Beteiligten die mit einem deklaratorischen Schuldanerkenntnis verbundenen Rechtsfolgen tragen. Das setze voraus, dass die gewollte Rechtsfolge der Interessenslage der Beteiligten, dem mit der Erklärung erkennbar verfolgten Zweck und der allgemeinen Verkehrsauffassung über die Bedeutung eines solchen Anerkenntnisses entspricht. Eine generelle Vermutung für einen bestätigenden Schuldanerkenntnisvertrag gäbe es nicht und die Vermutung für einen solchen Vertrag fordere, dass die Beteiligten und den konkreten Umständen einen besonderen Anlass für diesen Anschluss hatten, wie z.B. Streit oder (subjektive) Ungewissheit über das Bestehen der Schuld. Dabei sei auch zu berücksichtigen, dass der Versicherungsnehmer im Verhältnis zu seinem Versicherer nach den zugrundeliegenden AKB grundsätzlich nicht berechtigt sei, einen Anspruch ganz oder zum Teil anzuerkennen. Im Hinblick darauf seien besondere Anforderungen notwendig, die eine solche Wertung zuließen, z.B. dass der Erklärung ein Gespräch über Haftpflichtansprüche vorausging. Das Absehen von einer polizeilichen Unfallaufnahme sei nicht ausreichend. Aber auch wenn danach das Schuldanerkenntnis nicht als deklaratorisches Schuldanerkenntnis mit den entsprechenden Rechtsfolgen gewertet werden könne, käme dem Schuldanerkenntnis Bedeutung im Schadensersatzprozess zu, was Äquivalent dafür sei, dass der Erklärungsempfänger von Aufklärungsmöglichkeiten absehe. Folge sei, dass der Erklärungsempfänger zunächst nicht den ansonsten gegebenen Beweisanforderungen unterläge; diese träfe ihn erst dann, wenn dem Erklärenden der Nachweis der Unrichtigkeit des Anerkenntnisses gelingt. 

Dem folgte das OLG. Zwar liegt kein Schuldanerkenntnis vor, aber eine Erklärung zum Geschehensablauf. Während sich das Schuldanerkenntnis lediglich auf die Verschuldensfrage bezieht, sei in dem Unfallbericht auch der Unfallhergang (detailliert) dargelegt worden. Dieser (anerkannte) Sachverhalt wäre damit von dem Erklärenden selbst zu widerlegen. Darauf verwies das OLG, welches darauf verwies, dass in der handschriftlichen Erklärung nicht nur ein Verschulden vom beklagten Fahrer bestätigt worden sei, sondern darüber hinaus detaillierte Ausführungen zum Unfallhergang gemacht worden seien. Dem beklagten Fahrer sei es nicht gelungen, den Gegenbeweis zu führen. Seine allgemeine Erklärung im Rahmen der informatorischen Anhörung (§ 141 ZPO), er habe nach dem Unfall neben sich gestanden, reiche nicht aus. 

OLG Nürnberg, Urteil vom 29.03.2022 - 3 U 4188/ 21 -

Montag, 3. Januar 2022

Rechtliches Gehör und Kündigung wegen geringer Mietdifferenz über längere Zeit

Die Parteien (Brüder) hatten einen schriftlichen Mietvertrag mit einer Bruttomiete von € 562,42 vereinbart. Nach Darstellung des Beklagten soll die Miethöhe mündlich reduziert worden sein. Der Kläger kündigte fristlos wegen einer Mietdifferenz von € 162,42/Monat für den Zeitraum Januar 2015 bis Januar 2018 und machte die offene Mietdifferenz von € 9.709,54 geltend. Die Klage wurde - auch im Berufungsverfahren vor dem Landgericht - diesbezüglich abgewiesen, da die Beweisaufnahme ergeben habe, dass eine Mietreduzierung vereinbart worden sei. . Auf die Nichtzulassungsbeschwerde hin hob der BGH das Urteil auf und verwies den Rechtsstreit an eine andere Kammer des Landgerichts zurück, § 544 Abs. 9 ZPO.

Der BGH sah eine verfahrenserhebliche Verletzung rechtlichen Gehörs (Art. 103 GG) darin, dass das Landgericht das Vorbringen des Klägers nicht berücksichtigt habe, dass auch bei Zugrundelegung der Zeugenaussagen eine monatliche Mietdifferenz von € 12,42 vorliege. Es läge daher eine nach seiner Ansicht ein nach § 573 Abs. 1 Nr. 2 BGB relevanter Mietrückstand von (mehr als) einer Monatsmiete seit März 2017 vor, der auch bei Ausspruch der Kündigung bestanden habe und bis zu diesem Zeitpunkt noch angestiegen sei. 

Das Gebot des rechtlichen Gehörs erfordere vom erkennenden Gericht, die Ausführungen der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen, ohne dass es allerdings gehalten sei, sich ausdrücklich mit jedem Vorbringen in den Entscheidungsgründen zu befassen. Wenn allerdings im Einzelfall besondere Umstände vorlägen, aus denen sich ergebe, dass tatsächliches Vorbringen nicht zur Kenntnis genommen oder bei der Entscheidung nicht erwogen worden seien, sei ein Verstoß gegen die Pflicht aus Art. 103 Abs. 1 GG gegeben. Hier habe das Landgericht nicht den vom Kläger geltend gemachten Umstand berücksichtigt, dass sich bei der Berechnung der Mietreduzierung von € 562,42 um € 300,00 noch ein Betrag von € 312,42 ergäbe, nicht lediglich von € 300,00, wie vom Beklagten gezahlt. Zudem wurde vom Kläger auf ein Schreiben des Beklagtenvertreters verwiesen, demzufolge der Beklagtenvertreter in einem Schreiben vom 17.09.2009 (unstreitig) eine geschuldete Miete von € 312,00 benannt habe und weder dort noch im Rahmen der Verhandlung vor dem Amtsgericht erklärt hätte, warum er, wenn sich die Miete um € 250,00/Monat reduziert habe, nicht den Differenzbetrag von € 312,42 sondern nur € 300,00 zahle. Zudem habe er geltend gemacht, dass ausgehend von einer Miete in Höhe von € 312,00 im Zeitraum von Januar 2015 bis Januar 2018 ein Mietrückstand von € 444,00 bestünde und damit die fristlose, hilfsweise die ordentliche Kündigung gerechtfertigt sei. Damit und mithin mit der Kernfrage des Rechtsstreits für die (noch) rechtshängigen Ansprüche auf Räumung und Herausgabe und Zahlung von rückständiger Miete) habe sich das Landgericht nicht auseinandergesetzt, also mit der Frage, welche konkrete Miete letztlich geschuldet würde. Es habe das Vorbringen des Klägers ausgeblendet.  Es habe damit einen wesentlichen Punkt des Berufungsvorbringens des Klägers nicht nur im Kern, sondern vollständig übergangen. 

Dies sei aber sowohl für die Berechnung des Zahlungsanspruchs für die Miete als auch für die am 23.01.2018 erklärte (ordentliche) Kündigung von Relevanz gewesen. Bei Beachtung dieses Vorbringens hätte das Berufungsgericht nicht zur vollständigen Abweisung der Berufung gelangen können. Ausgehend von einer Miete in Höhe von € 312,42 hätte sich ein Mietrückstand für die Zeit Januar 2015 bis Januar 2018 von € 459,54 ergeben, was zwar für eine fristlose Kündigung nach § 543 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 Buchst. a und b BGB nicht ausreichend gewesen wäre, allerdings die Voraussetzungen für eine ordentliche Kündigung nach § 573 Abs. 2 Nr. 1 BGB erfüllt hätte, die hilfsweise ausgesprochen worden war, da bis zum Zugang der Kündigungserklärung vom 23.01.2018 ab März 2017 ununterbrochen mehr als € 312,42 an Miete offen gestanden habe (BGH, Urteil vom 10.10.2012 - VIII ZR 107/12 -). Damit hätte das Mietverhältnis mit Ablauf des 31.10.2019 geendet. 

Der BGH ging auch auf die Subsidiarität der Rüge der Gehörsverletzung ein. Danach hätten die Prozessbeteiligten alle nach Lage der Sache zur Verfügung stehenden prozessualen Möglichkeiten zu ergreifen, um eine Korrektur der geltend gemachten Gehörsverletzung zu erwirken oder eine solche zu verhindern (z.B. BGH, Urteil vom 09.02.2011 - VIII ZR 285/09 -). Dies entspräche dem sich aus § 295 ZPO ersichtlichen Rechtsgedanken, wonach eine Gehörsverletzung nicht mehr gerügt werden könne, wenn nach Erkennen derselben die verbliebene Möglichkeit einer Äußerung nicht genutzt würde. Hier sei sie vom Kläger im Rahmen zulässig im Rahmen der Berufung genutzt worden. 

Es sei auch vorliegend nicht auszuschließen, dass das Berufungsgericht bei Berücksichtigung des Vortrages des Klägers, anders entschieden hätte, wenn es den Vortrag des Klägers zum amtsgerichtlichen Urteil in Bezug auf die  Diskrepanz im Beklagtenvortrag berücksichtigt hätte, nach dem das Landgericht der Darstellung des Beklagten nach Beweisaufnahme folgte, und nicht aufgeklärt und damit offen gelassen habe, ob nur € 281,21 (die Hälfte von € 562,42), € 300,00 (so die letzte Überweisung) oder € 312,42 (€ 564,42 abzüglich € 250,00) als Miete geschuldet würden. 

Das Berufungsgericht sei schon deswegen nicht nach § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO an die Beweiswürdigung des Amtsgerichts gebunden gewesen, da dieses nur unvollständig und zur Höhe der geschuldeten Miete widersprüchlich (€ 562,42 abzüglich € 250,00 ergeben nicht die Hälfte von € 562,42) sei. Selbst bei Zugrundelegung des vom Berufungsgericht angenommenen, auf das Vorliegen von Rechtsfehlern iSv. § 286 Abs. 1 ZPO beschränkten Prüfungsmaßstabs gehalten gewesen sei, eigene Feststellungen zu treffen. Zudem handele es sich bei dem Berufungsverfahren um eine zweite Tatsacheninstanz, die das erstinstanzliche Urteil nicht nur auf Rechtsfehler zu überprüfen habe. Auch als „eingeschränkte Tatsacheninstanz“ bestünde seine Aufgabe in der Gewinnung von „fehlerfreien und überzeugenden“ und damit „richtigen“ Entscheidungen (BGH, Urteil vom 26.05.2020 - VIII ZR 64/19 -). 

BGH, Beschluss vom 10.11.2020 - VIII ZR 18/20 -

Sonntag, 13. Oktober 2019

Rechtliches Gehör: Rechtzeitiger Hinweis auf vom Erstgericht abweichende Auffassung durch Berufungsgericht


Das rechtliche Gehör (Art. 103 GG) ist ein Grundpfeiler der Rechtsordnung. Es dient einem fairen Verfahren. Seine Verletzung führt notwendig dazu, dass ein Urteil aufzuheben ist (und der Rechtstreit an das zuvor befasste Gericht zurückverweisen wird), wenn dessen Entscheidung auf der Verletzung rechtlichen Gehörs beruht. Und immer wieder werden Urteile von Instanz- und Obergerichten veröffentlicht, die gerade dies thematisieren.

So auch vorliegend. Das LAG Berlin-Brandenburg hatte darüber zu entscheiden, ob das beklagte Land dem schwerbehinderten Kläger Vergütung für den Zeitraum Dezember 2016 bis Mai 2017 zu zahlen hatte, was mit der Begründung eines Annahmeverzugs des Klägers unterlassen wurde. Dabei war zu klären, ob der Kläger für die vereinbarte Vollzeittätigkeit in der Datenverarbeitung dauerhaft krankheitsbedingt leistungsunfähig war und daher ein Annahmeverzug nach § 297 BGB ausgeschlossen war. Das Arbeitsgericht hatte die Klageabgewiesen; das LAG hatte ihr im Wesentlichen stattgegeben. Dabei negierte es, anders als noch das Arbeitsgericht, eine ausreichende Indizwirkung von drei vom beklagten Land vorgelegten vertrauensärztlichen Stellungsnahmen (eine vor, eine während und eine nach dem streitgegenständlichem Zeitraum) , die für den fraglichen Zeitraum eine Leistungsunfähigkeit des Klägers bejahten.

Nach Ansicht des BAG hatte das LAG deshalb gegen den Anspruch des beklagten Landes auf rechtliches Gehör verstoßen, da es einen gebotenen Hinweis auf seine vom Arbeitsgericht abweichende Auffassung nicht rechtzeitig gegeben und damit dem beklagten Land die Möglichkeit abgeschnitten habe, dazu mit erläuterndem oder ergänzenden Sachvortrag zu reagieren.

Würdige ein Gericht einen Sachverhalt oder Vorbringen in einer Weise, mit der ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter nach dem bisherigen Verfahrensverlauf nicht rechnen müsse, verstoße das Gericht elementar gegen seine Hinweispflicht nach § 139 Abs. 1 ZPO und damit das Gebot des rechtlichen Gehörs aus Art. 103 GG, wenn es nicht darauf hinwirke, dass sich die Partei rechtzeitig und  vollständig über alle erheblichen Tatsachen erklärt und gegebenenfalls ergänzt und Beweismittel benennt. Deshalb dürfe ein Berufungsbeklagter grundsätzlich darauf vertrauen, dass ihm das Berufungsgericht einen Hinweis nach § 139 ZPO erteilt, wenn es von der Beweiswürdigung des Erstgerichts abweichen wolle, wobei er einen Anspruch darauf habe, dies so rechtzeitig vor einem Termin zu erfahren, dass er noch rechtzeitig vor dem Termin darauf reagieren könne (BVerfG, Beschluss vom 01.08.2017 - 2 BvR 3068/14 -).

Diese Grundsätze zur Beweiswürdigung würden auch dann gelten, wenn (wie hier) das Erstgericht sich vom Arbeitgeber zu eigen gemachte ärztliche Stellungnahmen als ausreichend ansehe, ein den Annahmeverzug ausschließendes Unvermögen des Arbeitnehmers iSd. § 297 BGB zu indizieren. Das sei vom LAG verkannt worden.

Der Berufung des Arbeitgebers auf eine Leistungsunfähigkeit iSd. § 297 BGB des Arbeitnehmers stelle sich als eine beachtliche Einwendung dar. Für diese sei er darlegungs- und beweisbelastet (BAG, Urteil vom 22.08.2018 - 5 AZR 592/17 -). Ein Arbeitgeber habe regelmäßig keine eigenen näheren Kenntnisse über den Gesundheitszustand seines Arbeitnehmers, weshalb er seiner primären Darlegungslast durch Hinweis auf die Leistungsunfähigkeit hindeutende Umstände genüge. Deshalb genüge auch die Vorlage einer gutachterlichen Stellungnahme (so auch vom Betriebsarzt), wenn er sich diese zu eigen mache (BAG, Urteil vom 22.08.2018 aaO.).

Ob hier vorgelegte ärztliche Stellungnahmen als Privatgutachten zu qualifizieren seien, sei eine der Beweiswürdigung unterliegende tatrichterliche Wertung. Deshalb könne ein Brufungsbeklagter bei beabsichtigter anderweitiger Würdigung durch das Berufungsgericht darauf vertrauen, ihn gem. § 139 ZPO rechtzeitig einen rechtlichen Hinweis erteilt und ihm die Gründe für seine vom Erstgericht abweichende Würdigung mitteilt.

Das sei hier nicht erfolgt. Erstmals sei das beklagte Land im Rahmen der Berufungsverhandlung der Hinweis erteilt worden, die vorgelegten ärztlichen Stellungnahmen würden nach Ansicht der Berufungskammer kein Indiz für eine Leistungsunfähigkeit des Klägers darstellen. Dem beklagten Land sei damit die Möglichkeit genommen worden, zu einer Kernfrage des Rechtstreits (die das Arbeitsgericht noch zu seinen Gunsten beantwortete), der abweichenden Annahme des LAG entgegenzutreten. Da das beklagte Land auch nach dem Protokoll der Verhandlung eine Schriftsatzfrist zu den Hinweis erbat, habe das LAG auch nicht davon ausgehen dürfen, es wolle dazu keine weiteren Rechtsausführungen oder weiteren Vortrag halten.

Da das beklagte Land im Rahmen seiner Nichtzulassungsbeschwerde zum BAG dargelegt habe, mit welchen Erwägungen es auf einen rechtzeitigen Hinweis des LAG reagiert hätte, um dessen Bedenken gegen eine Indizwirkung zu zerstreuen, könne nicht ausgeschlossen werden, dass das LAG bei Kenntnis seine Ansicht geändert hätte und doch angenommen hätte, dass das beklagte Land seiner primären Darlegungslast genügte. In diesem Fall hätte das LAG zu prüfen gehabt, ob dem der Kläger ausreichend substantiiert entgegen getreten sei und ob – evtl. nach Beweisaufnahme – eine Leistungsunfähigkeit des Klägers vorlag oder nicht.

BAG, Beschluss vom 28.08.2019 - 5 AZN 381/19 -

Freitag, 21. Dezember 2018

Eigenbedarfskündigung und zerstrittenes Mietverhältnis


Die Parteien stritten um die Wirksamkeit einer Eigenbedarfskündigung der Beklagten als Vermieter; sie verband ein seit 2009 bestehendes Mietverhältnis über eine im 5. OG belegen Wohnung eines Mehrfamilienhauses, welches durch eine Vielzahl von Rechtsstreitigkeiten und wechselseitigen Strafanzeigen geprägt war. Die 79-jährige Beklagte und ihr 80 Jahre alter Ehemann haben ihren Hauptwohnsitz in Österreich. Im Zeitraum 2001 bis 2006 benutzten sie zunächst eine 3-Zimmerwohnung, später eine 2-Zimmerwohnung. Mit Schreiben vom 14.04.2016 kündigte die Beklagte wegen Eigenbedarf und führte dazu aus, die geringe Größe der selbst genutzten Wohnung habe zu Problemen geführt, weshalb die beklagte du ihr Ehemann seltener da seien. Dies solle sich aber ausfamiliären Gründen, wegen gewünschter Teilnahme am örtlichen Kulturleben und zum Besuch von Heimspielen des örtlichen Fußballvereins wieder ändern.

Das Amtsgericht wies die Klage auf Feststellung des Fortbestandes des Mietverhältnisses ab; das Landgericht hat ihr auf die Berufung hin stattgegeben. Auf die Nichtzulassungsbeschwerde der Beklagten hob der BGH das landgerichtliche Urteil auf und verwies den Rechtsstreit an das Landgericht zurück.

Grundsätzlich, so der BGH, sei das Berufungsgericht an die Tatsachenfeststellungen des ersten Rechtszugs gebunden. Bei Zweifeln sei eine erneute Beweisaufnahme durch das Berufungsgericht zwingend erforderlich. Insbesondere sei aus der Verpflichtung zur Wahrung des rechtlichen Gehörs abzuleiten, dass bereits erstinstanzlich gehörte Zeugen nochmals gem. § 398 Abs. 1 ZPO zu vernehmen wären, wenn das Berufungsgericht deren Aussage anders als das erstinstanzliche Gericht würdigen wolle. Darauf könne nur verzichtet werden, wenn sich das Berufungsgericht auf solche Umstände stützten würde, die weder die Urteilsfähigkeit, das Erinnerungsvermögen oder die Wahrheitsliebe des Zeugen noch die Vollständigkeit und Widerspruchsfreiheit seiner Aussage beträfen. Das Amtsgericht sei vorliegend nach den Aussagen der Zeugen angenommen, dass hier der Beklagten ungeachtet der Entfernung und ihres und ihres Ehemanns Alter die Nutzung der gekündigten Wohnung auch für Übernachtungsbesuche Dritter möglich sei. Das Landgericht ging davon aus, ohne erneut die Zeugen anzuhören, dass dies für die Beklagte nicht realisierbar wäre. Das Berufungsgericht habe gemeint, aus Erwägungen der allgemeinen Lebenserfahrung heraus von dem Ergebnis des Amtsgerichts abweichen zu können. Damit aber habe es die Wahrheitsliebe und/oder die Urteilsfähigkeit der Zeugen und der Beklagten anders beurteilt als das Amtsgericht, ohne dass einer der Ausnahmefälle, bei denen eine erneute Anhörung nicht notwendig sei, vorgelegen habe.

Auch soweit das Landgericht den Umzug der Beklagten von der größeren in die kleinere Wohnung bewertete, wäre dies zwar zu berücksichtigen, aber auch die Gründe dafür in die Erwägung mit einzubeziehen und könnte erst nach Anhörung der Vermieterin und ggfls. der Zeugen geklärt werden. Für die Frage der Ernsthaftigkeit des Vorliegens des Eigenbedarfs käme es auf die Umstände zum Zeitpunkt der Kündigungserklärung an. Aus dem Eigentum folge die Befugnis des Vermieters zur Entscheidung darüber, von welchem Zeitpunkt an ein Wohnbedarf Anlass für eine Eigenbedarfskündigung sein soll. Dies hänge damit zusammen, dass der Wunsch sich nicht ausschließlich oder gar in erster Linie an objektiven Kriterien messen lasse, sondern mit dem persönlichen Lebensweg eines Menschen, seinen Zukunftsplänen und seinen persönlichen Vorstellungen und Bedürfnissen zusammenhänge.

Nach der Zurückverweisung sei das Landgericht veranlasst, die Frage, ob der vom Vermieter zur Begründung der Kündigung angegebene Erlangungswunsch „nachvollziehbar und vernünftig“ sei, nicht mit der weiteren Frage zu vermengen, ob der vom Vermieter geltend gemachte Eigenbedarf auch tatsächlich bestünde und realisierbar wäre.  Dass die benannten Gründe (familiäre Kontakte pp.) vernünftig und nachvollziehbar seien, läge auf der Hand. Vorrangig sei zu prüfen, ob das tatsächliche Bestehen dieses Nutzungswunsches zur Überzeugung des Berufungsgerichts nachgewiesen sei, also insbesondere auch ernsthaft verfolgt würde und nicht bloß, um z.B. einen unliebsamen Mieter aus der Wohnung zu verdrängen, vorgeschoben sei.

BGH, Beschluss vom 23.10.2018 - VIII ZR 61/18 -