Die Klägerin hatte zunächst eine Schlussrechnung vorgelegt, in der vom Gesamtbetrag € 32.757,58 mit dem Vermerk abgezogen waren, „abzgl. Restleistungen in Teilbereichen der Fa. V.“. Nach Hinweis des Gerichts, der Abzug von € 32.757,58 erschließe sich nicht, weshalb dies die Klägerin aufschlüsseln wollte. Sie legte dann aber eine mit der ersten Schlussrechnung inhaltsgleiche Schlussrechnung vor, die lediglich den Abzug nicht enthielt; stattdessen wurde die Klage um den Betrag erweitert. Damit entspreche die Rechnung nun dem Aufmaßprotokoll, so die Klägerin. Der vormalige Abzugsbetrag sei ein Nachlass der Nachunternehmerin an die Klägerin wegen der bestrittenen vollständigen Fertigstellung gewesen, für den Fall, dass die Klägerin sofort zahle, den sie an den Beklagten weitergereicht habe und nunmehr gestrichen habe, nachdem dieser nicht gezahlt habe. Das Landgericht wies die Klage mangels prüfbarer Rechnung ab; die Berufung wurde vom Kammergericht als Berufungsgericht zurückgewiesen. Die Nichtzulassungsbeschwerde führte zur Aufhebung des Urteils und Zurückverweisung des Verfahrens an das Berufungsgericht.
Der BGH sah hier den Anspruch der Klägerin auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 GG) als verletzt an. Insoweit sei von der Klägerin zutreffend gerügt worden, indem das Berufungsgericht wegen Widerspruchs zum früheren Vortrag, den Vortrag zur zweiten Schlussrechnung, es seien nur erbrachte Leistungen enthalten, für unbeachtlich gehalten habe, einen Beweis für den behaupteten Grund des Vortragswechsels gefordert habe, und das Beweisangebot der Klägerin zum neuen Vortrag übergangen habe.
Der BGH hielt fest, dass keine Partei gehindert sei, ihren Vortrag im Laufe des Rechtsstreits zu ändern wie auch zu präzisieren. Entstünden dabei Widersprüchlichkeiten im eigen Parteivortrag, könne dies (nur) im Rahmen der Beweiswürdigung gem. § 286 ZPO Beachtung finden. Eine Nichtberücksichtigung dieses neuen Vortrags würde auf eine unzulässige vorweggenommene Beweiswürdigung hinauslaufen und damit auch gegen Art. 103 GG verstoßen (BGH, Beschluss vom 23.11.2023 - V ZR 170/22 -).
Vorliegend hätte mithin das Berufungsgericht den nach seiner Ansicht entscheidungserheblichen bestrittenen Vortrag der Klägerin, die zweite Schlussrechnung umfasse nur erbrachte Leistungen, durch Einholung des beantragen Sachverständigengutachtens nachgehen müssen. Es durfte diesen Vortrag nicht übergehen, selbst wenn es darin einen Widerspruch zu einem früheren Vortrag sehe. Erst nachdem es den Beweis erhoben habe, dürfe der Vortragswechsel im Rahmen der Beweiswürdigung Berücksichtigung finden. Nicht zulässig sei es auch, vor einer Beachtung des neuen Vortrages, die Gründe für den Vortragswechsel und Beweise dafür zu verlangen.
BGH, Beschluss vom 20.11.2024 - VII ZR 191/23 -Tenor
Der Beschwerde der Klägerin gegen die
Nichtzulassung der Revision wird stattgegeben.
Der Beschluss des 27. Zivilsenats
des Kammergerichts vom 12. Oktober 2023 wird gemäß § 544
Abs. 9 ZPO aufgehoben.
Der Rechtsstreit wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Verfahrens über die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Gegenstandswert: 173.313,80 €
Gründe
I.
Die Klägerin
fordert Restwerklohn aus einem gekündigten Einheitspreisvertrag über
Bauleistungen.
Mit einem Teil der Leistungen hatte die Klägerin die V. GmbH (im Folgenden: die Nachunternehmerin) beauftragt. Nach Kündigung des Vertrags durch den Beklagten legte die Klägerin eine erste Schlussrechnung, in der sie vom Gesamtbetrag - neben Teilzahlungen - einen Bruttobetrag von 32.757,58 € mit dem Vermerk "abzgl. Restleistungen in Teilbereichen der Fa. V. GmbH" abzog. Die Klägerin hat zunächst nur den verbleibenden Betrag eingeklagt und in der Klageschrift vorgetragen, die bei der Bautenstandsfeststellung erkennbaren Minderleistungen wegen vorzeitiger Beendigung des Vertragsverhältnisses seien berücksichtigt worden.
Auf den Hinweis
des Landgerichts in der mündlichen Verhandlung, die Prüffähigkeit der
Schlussrechnung begegne Bedenken, weil sich die abgezogenen
"Restleistungen in Teilbereichen" von 32.757,58 € aus der Abrechnung
und dem Aufmaß nicht erschlössen, hat die Klägerin erklärt, die abgezogenen
nicht erbrachten Leistungen näher aufschlüsseln zu können.
Daraufhin legte
die Klägerin eine zweite Schlussrechnung, welche den Abzug von 32.757,58 €
nicht enthält, einen um diesen Betrag erhöhten Endbetrag ausweist und im
Übrigen vollständig mit der ersten Schlussrechnung übereinstimmt. Die Klägerin
hat die Klage um diesen Betrag erweitert und behauptet, die zweite
Schlussrechnung entspreche nunmehr genau den vorgelegten Aufmaßprotokollen und
den erbrachten Leistungen. Hierfür hat sie Beweis durch
Sachverständigengutachten angeboten. Der Abzugsbetrag sei ein Nachlass der
Nachunternehmerin an die Klägerin wegen der bestrittenen vollständigen
Fertigstellung gewesen für den Fall, dass der Beklagte sofort auf die
Schlussrechnung der Klägerin zahle. Diesen Nachlass habe die Klägerin unter der
mündlichen Abrede der sofortigen Zahlung an den Beklagten weitergereicht.
Nachdem dieser nicht gezahlt habe, habe sie den Nachlass aus der
Schlussrechnung genommen.
Das Landgericht
hat die Klage mangels prüffähiger Schlussrechnung als derzeit unbegründet
abgewiesen. Die Berufung der Klägerin hat das Berufungsgericht mit Beschluss
nach § 522 Abs. 2 ZPO zurückgewiesen und die Revision nicht
zugelassen. Dagegen wendet sich die Klägerin mit der Nichtzulassungsbeschwerde
und verfolgt ihren Klageantrag weiter.
II.
Die
Nichtzulassungsbeschwerde hat Erfolg und führt gemäß § 544
Abs. 9 ZPO zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur
Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
1.
Das
Berufungsgericht hat im Wesentlichen ausgeführt:
Es fehle an
einer prüffähigen Schlussrechnung. Nach dem Vortrag der Klägerin in der
Klageschrift habe es sich bei dem fraglichen Abzug in der ersten
Schlussrechnung um einen Abzug für nicht erbrachte Leistungen gehandelt; die
Klägerin hätte deshalb deutlich machen müssen, welche der in der ersten
Schlussrechnung aufgeführten Leistungen nicht erbracht worden seien.
Der in der
Folgezeit mit Vorlage der zweiten Schlussrechnung geänderte Vortrag der
Klägerin, der Abzug sei ein skontogleicher Verzicht bei schneller Zahlung
gewesen, sei nicht zugrunde zu legen. Denn er stehe im diametralen Widerspruch
zur Schlussrechnung der Nachunternehmerin, auf der sich der Hinweis befinde:
"Abzüglich 10 % der hier angesprochenen Positionen für Restleistungen in
Teilbereiche. 27.572,38 €" (Nettobetrag). Die Nachunternehmerin habe den
Abzug also ausweislich ihrer Rechnung für nicht ausgeführte Leistungen
vorgenommen, wie die Klägerin auch zunächst vorgetragen habe. Zwar sei es einer
Partei nicht grundsätzlich verwehrt, im Laufe des Rechtsstreits ihren Vortrag
zu ändern oder entgegen dem Inhalt von Urkunden vorzutragen. Jedoch sei die Klägerin
für ihren bestrittenen geänderten Vortrag, der Abzug betreffe nicht fehlende
Leistungen, sondern stelle ein Angebot auf Einigung bei schneller Zahlung dar,
und dazu, wie es letztlich fälschlicherweise zum unberechtigten Abzug gekommen
sei, beweisfällig geblieben. Bereits aus diesem Grund könne der geänderte
Vortrag nicht berücksichtigt werden. Die Klägerin hätte nicht nur eine neue
Schlussrechnung mit einem unter Sachverständigenbeweis gestellten Aufmaß in den
Prozess einführen, sondern Beweis für ihre Behauptung führen müssen, der Abzug
in der ersten Schlussrechnung sei wegen eines weitergereichten skontogleichen
Nachlasses der Nachunternehmerin erfolgt, der mangels Zahlung nun wegfalle, und
die abgerechneten Leistungen seien alle erbracht. Die Klägerin hätte die
Nachunternehmerin beziehungsweise deren Mitarbeiter als Zeugen für die
behauptete falsche Ausweisung des Abzugsbetrages in deren Schlussrechnung und
daraus folgend in der ersten klägerischen Schlussrechnung anbieten können. Im
Rahmen dieser Beweisaufnahme hätte geklärt werden können, ob die
Nachunternehmerin alle Arbeiten ausgeführt habe oder nicht. Die streitige Frage
der Ausführung der Arbeiten könne allein durch ein Aufmaß nicht geklärt werden,
weshalb dieser Beweisantritt unzureichend gewesen sei.
2. Mit dieser
Begründung verletzt das Berufungsgericht in entscheidungserheblicher Weise den
Anspruch der Klägerin auf Gewährung rechtlichen Gehörs gemäß Art. 103
Abs. 1 GG.
a) Das
Berufungsgericht verletzt den Anspruch der Klägerin auf Gewährung rechtlichen
Gehörs, indem es, wie die Nichtzulassungsbeschwerde zu Recht rügt, wegen
Widerspruchs zu früherem Vortrag den bestrittenen Vortrag zur zweiten
Schlussrechnung, es seien nur erbrachte Leistungen enthalten, für unbeachtlich
hält, einen Beweis für den behaupteten Grund des Vortragswechsels fordert und
das Beweisangebot der Klägerin zum neuen Vortrag übergeht.
aa) Eine
Partei ist grundsätzlich nicht gehindert, ihr Vorbringen im Laufe des
Rechtsstreits zu ändern und insbesondere zu präzisieren, zu ergänzen oder zu
berichtigen. Dabei entstehende Widersprüchlichkeiten im Parteivortrag können
allenfalls im Rahmen der Beweiswürdigung gemäß § 286 ZPO Beachtung finden.
Die Nichtberücksichtigung eines erheblichen Beweisangebots wegen vermeintlicher
Widersprüche im Vortrag der beweisbelasteten Partei läuft auf eine prozessual
unzulässige vorweggenommene tatrichterliche Beweiswürdigung hinaus und verstößt
damit zugleich gegen Art. 103 Abs. 1 GG (vgl. BGH, Beschluss vom 23.
November 2023 - V ZR 170/22 Rn. 7, TranspR 2024, 77; Beschluss vom
17. November 2022 - V ZR 25/22 Rn. 9, juris; Urteil vom
15. Februar 2018 - I ZR 243/16 Rn. 17, NJW-RR 2018, 1003 =
WRP 2018, 824 - Gewohnt gute Qualität; Beschluss vom 10. November 2016 - I ZR
235/15 Rn. 15, WuM 2017, 48; Urteil vom 18. April 2013 - I ZR 66/12 Rn. 41,
VersR 2015, 210).
bb)
Hieran gemessen hat das Berufungsgericht den Anspruch der Klägerin auf
Gewährung rechtlichen Gehörs verletzt, indem es für den von seinem
Rechtsstandpunkt aus entscheidungserheblichen bestrittenen Vortrag der
Klägerin, die zweite Schlussrechnung umfasse nur erbrachte Leistungen, den
angebotenen Beweis durch Einholung eines Sachverständigengutachtens übergangen
hat. Das Gericht muss aber, auch wenn es in einem solchen Vortrag einen
Widerspruch zu früherem Vortrag sieht, dem angebotenen Beweis nachgehen und kann
den Widerspruch sowie den Vortragswechsel erst im Rahmen der Beweiswürdigung
berücksichtigen. Es darf demgegenüber nicht zunächst eine Beweisführung für die
behaupteten Gründe des Vortragswechsels verlangen und den angebotenen Beweis
für den neuen Vortrag - mangels Beweisangebots für die behaupteten Gründe des
Vortragswechsels - übergehen.
Soweit das
Berufungsgericht den Beweisantritt für unzureichend gehalten hat, weil die
streitige Frage der Ausführung der Arbeiten allein durch ein Aufmaß nicht
geklärt werden könne, übersieht es, dass der Beweisantritt der Klägerin neben
dem Aufmaß ein Sachverständigengutachten umfasst.
b) Die Gehörsverletzung ist entscheidungserheblich. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass das Berufungsgericht die Prüffähigkeit der zweiten Schlussrechnung und möglicherweise auch deren Berechtigung bejaht hätte, wenn es den zur zweiten Schlussrechnung gehaltenen Vortrag nicht für unbeachtlich gehalten und den - jedenfalls für die Frage der Berechtigung der Schlussrechnung erheblichen - angebotenen Beweis, es seien nur erbrachte Leistungen abgerechnet, nicht übergangen hätte.
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