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Sonntag, 21. Juli 2024

Transfrau sei Mann – zulässige oder unzulässige Meinungsäußerung ?

Auf einem Onlineportal der Verfügungsbeklagten zu 1. war ein Beitrag der Verfügungsbeklagten zu 2. mit der Überschrift „Held*innen der Demokratie? So fördern wir mit unseren Steuergeld Frauenhass“  veröffentlicht, gegen den sich die Verfügungsklägerin mit einer einstweiligen Verfügung mit dem Antrag dagegen wandte, sie als „Mann“ zu bezeichnen, wenn dies geschehe wie in der Äußerung in dem Beitrag „Anstatt eine junge Doktorandin zu unterstützen, die seit Monaten attackiert, auf offener Straße verfolgt und sogar körperlich angegriffen wird, unterstützt die Stiftung lieber einen 60-jährigen Mann, der an der Spitze eines Lobby-Vereins steht und maßgeblich an dem Frauenhass beteiligt ist, dem A seit Monaten ausgesetzt ist“. (Nachfolgend werden die Parteien als Klägerin und Beklagte benannt).  Das Landgericht gab einem entsprechenden Verfügungsantrag der Klägerin statt und bestätigte diese nach Einspruch sodann mit dem angefochtenen Urteil. Das OLG erließ einen Hinweisbeschluss gem. § 522 ZPO, mit dem es darauf hinwies, die Berufung der Beklagten zurückweisen zu wollen. Mit dem Beschluss vom 14.02.2024 wies das OLG die Berufung zurück.

Sowohl unter Berücksichtigung des Satzes, in dem die Bezeichnung der der Klägerin als Mann erfolgte, wie auch aus dem Gesamtkontext des Beitrages stelle der Beitrag eine Meinungsäußerung dar, durch die die Klägerin herabgewürdigt würde. Bei der Sinndeutung käme es nicht darauf an, wie der Äußernde seine Aussage verstanden wissen wollte, sondern darauf, wie ein verständiges Durchschnittspublikum des Publikation unter Berücksichtigung des allgemeinen Sprachgebrauchs und Kontextes, der „Eigengesetzlichkeiten“ des jeweiligen Übertragungsmediums sowie der erkennbaren Begleitumstände der jeweiligen Äußerung verstünde.

Unter Berücksichtigung der Struktur des Satzes und der dort verwandten stilistischen Mittel, in dem die Bezeichnung „Mann“ verwandt würde, enthalte diese Bezeichnung für den Leser eine herabwürdigende Bedeutung. Der Beitrag enthalte auch eine rhetorische Steigerung der für die Klägerin verwandten Bezeichnung, die in dem Schlusssatz in der Formulierung „Mann“ gipfele. Die deutliche Herabsetzung würde auch in der Gegenüberstellung der jungen Doktorandin, nach Auffassung der Autorin das Opfer, und dem über 60-jährigen „Mann“ die die finanzielle Unterstützung durch die Stiftung nicht verdient habe, und in dem unmittelbaren inhaltlichen Zusammenhang mit einer Beteiligung am „Frauenhass“ deutlich, da durch die Verwendung des Begriffs eine deutlich herabsetzende im konkreten Zusammenhang für den Leser vermittelt würde. Das OLG ging auch von einer bewussten Bezeichnung „Mann“ aus, da der Autorin die Lebensgeschichte und das biologische Geschlecht der der Klägerin ausweislich des Beitrages bekannt gewesen sei.

Das OLG ging von einer Meinungsäußerung bei der streitgegenständlichen Äußerung aus, da es sich um eine einheitliche wertende Zusammenfassung der in dem Beitrag ausgedrückten Kritik an den Ergebnissen um die Anfeindungen, denen sich A ausgesetzt sehe, handele. Eine Trennung  des Satzes in eine zusammenfassende Kritik zum Vorgehen der Stiftung und eine Tatsachenbehauptung über das biologische Geschlecht der Klägerin sei nicht ersichtlich. Die Bezeichnung „Mann“ sei sowohl grammatikalisch als auch vom Sinngehalt vollständig eingebettet und für den Leser nicht als eigenständige Äußerung zum Geschlecht der Klägerin erkennbar.

Diese Meinungsäußerung sei unzulässig. Zwar könnten auch scharfe und auch abwertende Äußerungen von der Meinungsfreiheit geschützt sein, auch wenn der Betroffene sie ehrverletzend empfinde. Es sei allerdings bei ehrverletzenden Äußerungen eine Gesamtabwägung der widerstreitenden Interessen vorzunehmen. Dabei sei zu berücksichtigen, dass es sich bei der Bezeichnung der Klägerin als „Mann“ um einen Eingriff in einen zentralen Bereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts handele, was zu Gunsten der Klägerin besonders zu gewichten sei. Mit der Bezeichnung würde ihr ihre seit Jahrzehnten nach außen gelebte geschlechtliche Identität abgesprochen, was sie nicht hinnehmen müsse.

OLG Frankfurt, Beschluss vom 15.02.2024 - 16 U 93/23 -

Samstag, 21. Oktober 2023

Zur Frage des zulässigen Beweismittels: Kamera filmt Beschädigung am abgestellten Kfz

Mit seinem Urteil vom 15.08.2018 - VI ZR 233/17 - hatte der BGH entschieden, dass die permanente und anlasslose Aufzeichnung des Verkehrsgeschehens mit datenschutzrechtlichen Regelungen nicht vereinbar sei. Die Nutzung von Dashcam-Aufzeichnungen, die ein Unfallbeteiligter vom Unfallgesehen gefertigt habe, sei in einem Unfallhaftpflichtprozess gleichwohl verwertbar. Daran anknüpfend entschied das AG Lörrach einen Fall, bei dem mittels einer aufgestellten Wildkamera festgestellt werden sollte, wer ein Fahrzeug durch Beibringung von Kratzern schädigt.

Der Beklagte ist Eigentümer, der Kläger und der Drittwiderbeklagte sind Mieter einer Immobilie, in der neben den benannten auch die Eltern des Klägers und des Beklagten wohnen. Am Fahrzeug des auf dem Grundstück abgestellten Fahrzeugs des Klägers (dessen Eigentum vom Beklagten bestritten wurde) kam es im Zeitraum Oktober und November 2020 zu immer neuen Kratzern an dem Fahrzeug, weshalb der Drittwiderbeklagte am 26.11.2020 (im Einvernehmen mit dem Kläger), nachdem zuletzt neue Kratzer am 20.11.2020 festgestellt wurden, eine Wildkamera aufstellte, die das Fahrzeug und den Hauseingang filmte. Diese nahm nur auf, wenn der Bewegungssensor derselben Bewegungen feststellte. Am 30.11.2020 ist der Beklagte sichtbar, wie er sich - mit einem Schlüssel – am Heck des Fahrzeugs befindet. Den Schaden durch Kratzer verlangte der Kläger vom Beklagten; die Kratzer habe der Beklagte mit einem spitzen Gegenstand, wie einem Schlüssel, hineingeritzt.  Der Beklagte bestritt dies; er habe sich das Fahrzeug nur auf Wunsch seiner Mutter angesehen; zudem sei das Video der Wildkamera unverwertbar. Drittwiderklagend beantragte er festzustellen, dass der Drittwiderbeklagte keine Schadensersatzansprüche gegen ihn im Zusammenhang mit der Schädigung habe. Im Rahmen der mündlichen Verhandlung vor dem Amtsgericht (AG) wurde das sich in der beigezogenen staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsakte befindliche Video angesehen.

Das AG stellte zunächst fest, dass der Kläger Eigentümer des Fahrzeugs sei (was bestritten war). Mangels Eigentums hätte ansonsten seine Klage abgewiesen werden müssen. Das AG kam aufgrund der Videoaufzeichnung zu dem Ergebnis, dass der Schaden vom Beklagten verursacht wurde. Damit stellte sich die Frage der Verwertbarkeit der Aufzeichnung.

Dahingestellt ließ das AG, ob die Aufnahmen rechtmäßig waren. Es spräche allerdings vieles dafür, dass sie nach Art. 6 Datenschutzverordnung (DSGVO) unrechtmäßig erfolgten, wobei insbesondere zu berücksichtigen sei, dass die Aufnahmen auf dem Grundstück des Beklagten erfolgten und dieser mithin ohne Kenntnis in seinem privaten Bereich gefilmt wurde. Allerdings würden auch rechtswidrig erlangte Aufnahme nicht zwingend zu einem Beweisverwertungsverbot führen. Das Interesse des Klägers an der Durchsetzung seiner zivilrechtlichen Ansprüche, verankert im Grundgesetz mit dem Anspruch auf rechtliches Gehör gem. Art. 103 GG iVm. dem Interesse an einer funktionierenden Zivilrechtspflege und einer materiell richtigen Entscheidung auf der einen Seite, sei mit dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht des Beklagten aus Art. 2 Abs. 1 GG iVm. Art, 1 Abs. 1 GG in seiner Ausprägung als Recht auf informelle Selbstbestimmung und ggf. als Recht am eigenen Bild, soweit er auf einer Aufnahme erkennbar sei, abzuwägen (BGH, Urteil vom 15.05.2018 – VI ZR 233/17 -). Nach Maßgabe einer abgestuften Schutzwürdigkeit, in denen sich die Persönlichkeit verwirkliche, würden die sogen. sensitiven Daten (zugeordnet der Intim- und Geheimsphäre) besonderen Schutz genießen. Geschützt sei aber auch das Recht auf Selbstbestimmung bei der Offenbarung persönlicher Lebenssachverhalte, die lediglich zur Sozial- und Privatsphäre gehören würden.

Da die Kamera auf dem eigenen Grundstück des Beklagten aufgestellt gewesen sei und auch der Eingangsbereich des Hauses (und damit das Rein- und Rausgehen des Beklagten) zu sehen sei, sei ein sensibler Bereich betroffen. Man könne davon ausgehen, dass das eigene Grundstück ein geschützter Bereich sei, auf dem auch keine ungenehmigten Videoaufzeichnungen gefertigt werden dürfen. Zu berücksichtigen sei aber dass nur ein kleiner Bereich gefilmt worden sei und im Vordergrund das Fahrzeug zu sehen sei. Auch würde nur ein Teil gefilmt, bei dem man idR. nur kurz durchlaufen würde und keine besondere die Persönlichkeit entfaltende Tätigkeit vornehme. Damit sei die Privatsphäre des Beklagten hier nur in einem untergeordneten Maße betroffen gewesen.

Auf der anderen Seite sei der Kläger in schwerer Beweisnot gewesen. Er hatte in einem kurzen Zeitraum mehrere Beschädigungen an seinem Fahrzeug entdeckt und habe mit weiteren zu rechnen gehabt. Für ihn sei auch nicht auszuschließen gewesen, dass der Beklagte der Täter war (was hier vom AG nicht weiter ausgeführt wurde). Es sei bei dem Kläger das Rechtsgut Eigentum durch Sachbeschädigung betroffen, was als gewichtig anzusehen sei. Er und der Drittwiderbeklagte seien eingriffsschonend vorgegangen; so sei nur eine Wildkamera mit Bewegungssensor aufgestellt worden. Diese sie am 26.11. aufgestellt worden und am 30.11.2022 hätten sich der Kläger und der Drittwiderbeklagte mit dieser Aufnahme begnügt. Es sei ihnen also nur um die Beweissicherung der erfolgten Beschädigung gegangen.

Einer Verwertung der Aufzeichnung stünde nicht das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Beklagten entgegen. Die Privatsphäre des Beklagten sei nicht stark betroffen. Demgegenüber sei die Beweisnot des Klägers als hoch anzusehen. Der Umstand, dass auch Dritte von den Aufnahmen betroffen sein könnten, ändere an der Abwägung nichts. Ihrem Schutz sei durch die Regelungen des Datenschutzes selbst auch Rechnung getragen (BGH aaO.). Für den Kläger spreche dessen Interesse an der materiellen Wahrheit im Zivilprozess. Das Recht am eigenen Bild des Beklagten ändere auch nichts an der Abwägung, da ein Verbreiten nach § 22 KunstUrhG nicht beabsichtigt gewesen sei und auch nicht stattgefunden habe.

Der Beklagte könne sich auch nicht auf das einen ähnlichen Sachverhalt betreffende Urteil des OLG Karlsruhe vom 08.11.2001 – 12 U 180/21 – berufen, da diese vor dem Urteil des BGH zur Dashcam (aaO.). berufen- Das OLG habe auf das Interesse unbeteiligter Dritter abgestellt, was aber nach der BGH-Entscheidung nicht mehr stark zu gewichten sei. Bei dem beklagtenseits benannten Urteil des OLG Köln vom 05.07.2005 – 24 U 12/05 – sei es um Aufzeichnungen in einer Waschküche, und damit einem sensiblen Bereich gegangen, wie er hier nicht vorgelegen habe. Ebenso wenig greife das Urteil des LG Mühlhausen vom 12.05.2020 – 6 O 486/18 – zugunsten des Beklagten, da es sich dort um anlasslose Aufnahmen gehandelt habe, demgegenüber hier die kurzzeitigen Aufnahmen unter schwerer Beweisnot des Klägers bei zu befürchtenden weiteren Schädigungen erfolgt seien.

Der Klage wurde stattgegeben, der Drittwiderklage wurde stattgegeben (darauf wurde oben nicht näher eingegangen).

AG Lörrach, Urteil vom 27.02.2023 - 3 C 111/22 -

Dienstag, 18. Februar 2020

Persönlichkeitsrecht: Geldentschädigung bei Videoüberwachung durch Vermieter ?


Mit zunehmendem Sicherungsbedürfnis des Vermieters vor Schädigungen seines Eigentums und des Mieters vor möglichen Einbrüchen weitet sich der Einsatz von Videoüberwachungen sowohl im Bereich gewerblich genutzter Immobilien wie auch in der Wohnnutzung dienenden Immobilien aus. Auch wenn häufig Mieter die Überwachungen als zusätzlichen Schutz auch der eigenen Sphäre begrüßen, sehen sich andere Mieter (insbesondere bei Wohnraum) in ihrem allgemeinen Persönlichkeitsrecht beeinträchtigt.

Vorliegend waren Videokameras im Innenbereich des Hauseingangs und im ersten Innenhof des Mietobjekts installiert. Betroffen von der Überwachung waren auch der Außenbereich der Wohnung der klagenden Mieterin als auch Teile des Zugangs zu ihrer Wohnung. Die Mieterin machte einen Anspruch auf Geldentschädigung wegen der von ihr in der Überwachung gesehenen Verletzung ihres Persönlichkeitsrechts geltend.  Im Laufe des Verfahrens des auch auf Unterlassung Anbringung der Videokameras gerichteten Antrags wurden diese von dem Vermieter entfernt und insoweit der Rechtsstreit übereinstimmend für erledigt erklärt. Die Klage auf Geldentschädigung wurde vom Amtsgericht abgewiesen. Mit seinem Hinweisbeschluss (§ 522 ZPO) teilte das Landgericht der klagenden Mieterin, die Berufung gegen die amtsgerichtliche Entscheidung eingelegt hatte, mit, dass beabsichtigt sei, die Berufung zurückzuweisen.

Der Anspruch auf Geldentschädigung beruhe auf § 823 Abs. 1 BGB iVm. Art. 1 Abs. 1 GG und Art. 2 Abs. 1 GG. Nach der Rechtsprechung des BGH begründe eine schuldhafte Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts eine Geldentschädigung des Betroffenen, wenn es sich um einen schwerwiegenden Eingriff handele und die Beeinträchtigung nicht in anderer Weise befriedigend aufgefangen werden könne.

Für die schwere des Eingriffs sei auf die gesamten Umstände des Einzelfalls abzustellen. Dabei sei auf die Bedeutung und Tragweite des Eingriffs abzustellen, mithin auf das Ausmaß der Verbreitung der Veröffentlichung, die Nachhaltigkeit und Fortdauer der Interessen- oder Rufschädigung des Verletzten und auf die Nachhaltigkeit und Fortdauer dieser Verletzung, ferner auf Anlass und Beweggrund des Handelnden und den Grad seines Verschuldens (BGH, Urteil vom 17.12.2013 - VI ZR 211/12; BGH, Urteil vom 15.09.2015 - VI ZR 175/14 -). Zu berücksichtigen sei auch ein erwirkter Unterlassungstitel; die daraus mögliche Vollstreckung könne den Entschädigungsanspruch beeinflussen und sogar ausschließen. Dies deshalb, da die Geldentschädigung im Falle der Verletzung des Persönlichkeitsrechts ihre sachliche Rechtfertigung darin finde, dass ohne diese häufig die Verletzungshandlung ohne Sanktion bliebe und damit „der Rechtsschutz der Persönlichkeit verkümmern würde“.

Dass hier ein schwerer Eingriff in das Persönlichkeitsrecht  der Mieterin durch die Kameras  vorläge, sei zutreffend vom Amtsgericht angenommen worden. Allerdings beträfe dieser rechtswidrige Eingriff nicht den Kern desselben, auch wenn mit dem Zugang zur Wohnung ein verfassungsrechtlich besonders geschützter privater Rückzugsbereich der Mieterin betroffen sei. Ziel der Überwachung sei nicht eine gezielte, generelle Überwachung der (auch eventuell ahnungslosen) Mieter gewesen und eine Verbreitung oder Veröffentlichung habe weder stattgefunden noch sei dies zu befürchten gewesen.

Der erwirkte Unterlassungstitel belege, dass die mit dem rechtswidrigen Eingriff erfolgte Persönlichkeitsrechtsverletzung nicht sanktionslos geblieben sei, wie das Entfernen der Kameras belege. Die Heimlichkeit der Installation und Überwachung der Kameras und der Zeitraum bis zu ihrer Entfernung würden hier die Geldentschädigung nicht rechtfertigen können.  

LG Berlin, Hinweisbeschluss vom 02.10.2019 - 65 S 1/19 -

Donnerstag, 2. Mai 2019

Meinungsfreiheit: Schranken zur Annahme von Schmähkritik im Rahmen (kommunal-) politischer Auseinandersetzung


Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) musste sich mit einer Verfassungsbeschwerde gegen ein Urteil des OLG Karlsruhe auseinandersetzen, nach welchem dem dortigen Beklagten und jetzigen Beschwerdeführer (BF) unter Abänderung der landgerichtlichen Entscheidung untersagt wurde, bestimmte Äußerungen (nachfolgend unterstrichen) zu tätigen. Die Verfassungsbeschwerde führte zur Aufhebung des Urteils und zur erneuten Entscheidung an das OLG zurückverwiesen. Kläger und Beklagter des Ausgangsverfahrens waren Fraktionsvorsitzende unterschiedlicher Fraktionen eines Gemeinderates. Der Kläger sprach sich für die Verwirklichung eines Bauvorhabens durch den gleichen Bauträger für ein weiteres, umstrittenes Bauprojekt anlässlich der Eröffnung eines Bauprojekts dieses Bauträgers aus. Auf eine Anfrage eines anderen Bewerbers bei dem BF (Beklagten), unter welchen Bedingungen er auch mit einer Genehmigung er für ein von ihm geplantes Objekt rechnen könne, antwortete der BF per Mail (abschriftlich den anderen Fraktionen und dem Oberbürgermeister zugesandt), dieser möge sich an eine bestimmte Person wenden, die sich dann „nach Erfüllung bestimmter Voraussetzungen bestimmt auch ohne jegliche Einschränkung für Ihr Bauvorhaben einsetzen und sich über alle Bedenken von Fachleuten und Gremien hinwegsetzen (wird), Ihnen alle mögliche Befreiungen zu gestehen“ würde, unabhängig von städtebaulichen Belangen. Er solle die „brutalstmögliche Ausdehnung“ seines Projekts in Bezug auf Grenzabstände, GFZ und GRZ beantragen und auf das Bauvorhaben des anderen Bauträgers verweisen.  Weiter hieß es. „Unter welchen Bedingungen diese Zustimmung zu erhalten ist müssen Sie natürlich mit ihm selbst ausloten.“ Die Fraktion des benannten Ansprechpartners würde dann sicherlich zustimmen.


Das OLG vertrat die Ansicht, ein Anspruch auf Unterlassung der Äußerungen bestehe, da diese dahingehend auszulegen seien, der Kläger sei bestechlich. Einer Abwägung der einschlägigen Grundrechte (wie vom Landgericht vorgenommen) im Hinblick auf das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Klägers auf der einen Seite und der Meinungsfreiheit auf Seiten des BF bedürfe es daher nicht.

Dem folgte das BVerfG nicht und sah den BF in seinem Grundrecht aus Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG (Meinungsfreiheit) verletzt an. Dabei wies es darauf hin, dass dieses Grundrecht zwar Werturteile als auch Tatsachenbehauptungen schütze, allerdings nicht vorbehaltlos. Nach Art 5 Abs. 2 GG finde es seine Schranken in allgemeinen Gesetzen (so § 823 Abs. 1 BGB , § 1004 Abs. 1 S. 2 BGB analog), doch erfordere eine gerichtliche Untersagung einer grundsätzlich nach Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG geschützten Meinungsäußerung eine Abwägung mit dem betroffenen allgemeinen Persönlichkeitsrecht (BVerfGE 99, 185, 196f sowie BVerfGE 114, 339, 348). Zu berücksichtigen sei dabei insbesondere, dass nach Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG nicht nur sachlich-differenzierte Äußerungen geschützt würden, sondern auch pointiert, polemisch und überspitzte Kritik geschützt würde, weshalb die Grenze zulässiger Meinungsäußerung nicht bereits da läge, wo eine polemische Zuspitzung für die Äußerung sachlicher Kritik nicht erforderlich wäre (BVerfGE 82, 272, 283f und BVerfGE 85, 1, 16).

Nur bei einer Formalbeleidigung oder sogen. Schmähkritik würde die Meinungsfreiheit hinter dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht zurücktreten (BVerfGE 82, 43, 51; BVerfGE 90, 241, 248; BVerfGE 93, 266, 294). Allerdings seien an die Annahme des Vorliegens einer Formalbeleidigung bzw. Schmähkritik strenge Anforderungen zu stellen, da sie die jeweilige Meinungsäußerung aus dem Schutzbereich der Meinungsfreiheit unabhängig von einer Abwägung mit dem Persönlichkeitsrecht ausschließen würden. Stünde die Äußerung in einem Kontext einer Sachauseinandersetzung könne nicht mehr von einer Schmähung ausgegangen werden. Die Qualifikation als Schmähung verlange daher regelmäßig die Berücksichtigung von Anlass und Kontext der Äußerung. Davon könne nur dann abgesehen werden, wenn die die Äußerung einer derartigen diffamierenden Gehalt habe, dass sie in jedem denkbaren Zusammenhang nur noch als Herabsetzung des Betroffenen aufgefasst werden müsse. Dies sei möglicherweis bei Verwendung von besonders schwerwiegenden Schimpfwörtern (etwa aus der Fäkalsprache) der Fall. Bi einer die Öffentlichkeit wesentlich berührenden Frage liege Schmähkritik nur ausnahmsweise vor, sie bleibe bliebe grundsätzlich auf die Privatfehde beschränkt (BVerfGE 7, 198, 212; BVerfGE 93, 266, 294).

Wenn ein Gericht fälschlich eine Äußerung als Formalbeleidigung oder Schmähung betrachte, weshalb es eine notwendige Abwägung unter Berücksichtigung aller Umstände unterlässt, so läge darin ein verfassungsrechtlich erheblicher Fehler, der zur Aufhebung der Entscheidung führe, wenn diese darauf beruhe.

Nach diesen Grundsätzen sah das BVerfG die Entscheidung des OLG als fehlerhaft an. Es habe die Voraussetzungen für ein Unterlassen einer Abwägung verkannt. Vom OLG sei alleine deshalb ein Sachbezug negiert worden, da die Vorwürfe gegen den Kläger mit den Genehmigungsvoraussetzungen von Bauvorhaben nichts zu tun hätten. Es habe dabei verkannt, dass sich der Kläger für die Genehmigung eines bestimmten umstrittenen Bauvorhabens öffentlich eingesetzt ausgesprochen habe und als Mitglied des Gemeinderates aktiv an der Baupolitik mitwirke. Hintergrund sei, was vom OLG im Tatbestand des Urteils auch aufgenommen worden sei, die Behandlung des Bauvorhabens im Gemeinderat gewesen.  Die Äußerung des BF auf eine Anfrage eines konkurrierenden Bauträgers habe damit ersichtlich nicht im Zusammenhang mit einer persönlichen, sondern politischen Auseinandersetzung zwischen dem BF und dem Kläger gestanden; das OLG habe verkannt, dass der sachliche Bezug einer Äußerung nicht mit deren Anlass zusammenfallen müsse.  Es dürfte zur Eigenart politischer, insbesondere parteipolitischer Auseinandersetzungen gehören, dass konkrete Vorgänge zum Anlass einer allgemeineren politischen Auseinandersetzung genommen würden, wie es vorliegend geschehen sei .

Auch habe das OLG den weiteren Inhalt der Mail nicht berücksichtigt. Die Wortwahl der weiteren Äußerungen („brutalstmögliche Ausdehnung“) würde den Ausführungen einen spöttisch-satirischen Charakter verleihen und verdeutlichen, dass die Äußerungen auf eine (wenn auch polemische) Kritik am politischen Gegner und dessen Baupolitik zielen würden. Damit sei der Bezug zur allgemeinen baupolitischen Auseinandersetzung verstärkt worden und würde dagegensprechen, in den Äußerungen nur eine bei dieser Gelegenheit gegen den Kläger als solchen gerichtete Diffamierung als „bestechliche Person“ zu sehen.  

Mit der Zurückverweisung wurde das OLG angehalten, die bisher unterlassene Abwägung vorzunehmen.

BVerfG, Beschluss vom 19.02.2019 - 1 BvR 1954/17 -

Freitag, 5. Oktober 2018

Privatanzeige: Zur (konkludenten oder ausdrücklichen) Einwilligung einer telefonischen Kontaktaufnahme durch Makler


Die Verfügungsklägerin (VKl) bot in einer Anzeige mit dem Zusatz „von Privat“ eine Eigentumswohnung zum Verkauf unter Angabe ihrer Telefonnummer an. Sie wurde von mehr als 80 Maklern  angerufen, u.a. der Verfügungsbeklagten (VBK). Eine Mitarbeiterin dieser rief die VKl am 05.07.2017 an und fragte die VKl, ob die VBK die Wohnung ihren Kunden vorstellen dürfe, was für die VKl unverbindlich und kostenlos sei, die auch weiterhin die Wohnung privat anbieten dürfe. Streitig war zwischen den Parteien, ob die VBK auch nach einem Besichtigungstermin fragte.

Die VKl sah in dem Anruf eine unzumutbare Belästigung iSv. § 7 Abs. 2 Nr. 7 UWG und darin ihr allgemeines Persönlichkeitsrecht verletzt. Die VBK sah in ihrem Anruf keine wettbewerbswidrige Handlung und vertrat zudem die Auffassung, das Verhalten der VKl sei rechtsmissbräuchlich, da die VKl trotz Anrufe zahlreicher Makler bei ihr nicht angegeben habe, dass Anrufe durch Makler unerwünscht seien.  Das Landgericht erließ die von der VKl beantragte einstweilige Verfügung und bestätigte nach Einspruch der VBK dies durch Urteil vom 21.11.2017. Gegen dieses legte die VBK Berufung ein. Die Berufung hatte Erfolg. Ein Unterlassungsanspruch nach §§ 823 Abs. 1, 1004 BGB iVm. 7 Abs. 2 Nr. 2 UWG bestünde nicht.

Der Anruf der VBK stelle sich nicht als unerbetene Werbung iSv. § 7 Abs. 2 Nr. 2 UWG dar. Unter Werbung würden alle Maßnahmen eines Unternehmens verstanden, die auf Förderung des Absatzes  eigner Produkte oder Dienstleistungen gerichtet seien, wozu auch die mittelbare Absatzförderung (wie Imagewerbung oder Sponsoring) gehören würde.  In diesem Sinne sei der Anruf der VBK, auch wenn er nicht auf einen direkten Vertragsabschluss für einen Maklervertrag mit der VKl gerichtet gewesen sei. Mittelbar der Förderung des Absatzes der VBK dienlich gewesen.  Allerdings sei der Anruf nicht als unerbetene Werbung zu werten.

Mit der Angabe der eigenen Telefonnummer in der Verkaufsanzeige habe die VKl ihr Einverständnis abgegeben, telefonische Kaufangebote zu erhalten, auch solche von Maklern für von diesen vertretenen Kaufinteressenten. Auch habe sie ihr Einverständnis mit telefonischen Anfragen zum Kaufobjekt erklärt. Wer seine Immobilie unter Angabe der eigenen Rufnummer anbiete, müssend damit rechnen, dass er nicht nur von privaten Kaufinteressenten, sondern auch von Maklern und gewerblichen Käufern kontaktiert würde. Dies liege auch regelmäßig im Interesse des annoncierenden Verbrauchers, da damit der Kreis der potentiellen Interessenten steigen würde. Ausgehend vom maßgeblichen Empfängerhorizont (BGH, Urteil vom 17.07.2008 - I ZR 75/06 -) habe für die VBK kein Grund für die Annahme bestanden, dass die VKl nur Anfragen von Privatpersonen, nicht von Maklern erhalten wolle; entsprechendes habe die VKl auch in der Anzeige, obwohl möglich (und auch in entsprechenden Fällen verbreitet üblich), nicht erklärt.

Die VKl habe auch nicht nur konkludent, sondern ausdrücklich in eine telefonische Kontaktaufnahme eingewilligt. Ein Unternehmer, der seine E-Mail-Adresse, Faxnummer und/oder Telefonnummer veröffentliche, erkläre damit ausdrücklich, dass er auf diesem Wege kontaktiert werden wolle und ihm Kaufanfragen im Rahmen üblicher Verkaufstätigkeiten übermittelt werden könnten. Nichts anderes würde für einen Verbraucher gelten, der seine Telefonnummer in einer Verkaufsanzeige bekannt gäbe. Dass nicht ausdrücklich auch angegeben wurde, dass auch Anrufe von Maklern erwünscht seien, ändert daran nichts, da es auf den objektiven Erklärungswert.

OLG Karlsruhe, Urteil vom 12.06.2018 - 8 U 153/17 -

Freitag, 8. Juni 2018

Kunstfreiheit (Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG) versus Persönlichkeitsrecht(Art. 2 Abs. 1 iVm. 1 Abs. 1 GG) bei Straßenfotografie


Der Beschwerdeführer nahm an einer Straßenausstellung („Ostkreuz: Wetswärts. Neue Sicht auf Charlottenburg“), teil, in deren Rahmen 24 Ausstellungstafeln mit 146 Fotografien im öffentlichen Bereich gezeigt wurden. Auf einem der Fotos, gefertigt vom Beschwerdeführer und Beklagten des vorangegangenen Verfahrens) war die Klägerin des vorangegangenen Verfahrens zu sehen, die mit einer Handtasche in der einen Hand, einer Plastiktüte in der anderen Hand an einer Ampel eine Straße überquerte und in Richtung der Kamera zu blicken scheint, wobei ihr Gesicht gut erkennbar war. Die Person der Klägerin nahm auf dem Bild, welches eine Ausstellungstafel von 120 x 140cm füllte, einen Anteil von 1/3 ein. Der Beschwerdeführer hatte die Klägerin nicht um Erlaubnis gefragt, die diesen abmahnte; die strafbewehrte Unterlassungserklärung gab der Beschwerdeführer ab, zahlte aber nicht die dann im Zivilverfahren streitgegenständlichen Anwaltsgebühren und begehrten fiktiven Lizenzkosten; Der Beschwerdeführer wurde zur Zahlung der Anwaltsgebühren verurteilt; die fiktiven Lizenzkosten wurden der Klägerin versagt. Der Beschwerdeführer wandte sich mit der Verfassungsbeschwerde gegen seine Verurteilung zur Zahlung der Anwaltsgebühren von € 795,46.

Die Verfassungsbeschwerde wurde zurückgewiesen.

Das Foto stelle ein unverfälschtes Abbild der Realität dar. Dies würde nicht einem Kunstwerk entgegenstehen, da ersichtlich würde, dass der Beschwerdeführer ersichtlich die Wirklichkeit künstlerisch gestalten wollte. Ziel einer Straßenfotografie sei gerade, die Realität unverfälscht abzubilden, wobei das spezifisch Künstlerische in der Auswahl des Realitätsausschnitts läge und in der Gestaltung mit fotografischen Mitteln zum Ausdruck käme. Es handele sich damit bei dem Foto um ein Kunstwerk, bei dem Einrücke, Erfahrungen und Erlebnisse des Künstlers durch das Medium Fotografie zur Anschauung gebracht würden.

Von der Kunstfreiheit (Art. 5 Abs. 3 S. 1 G) sei nicht nur die Anfertigung der Fotografie umfasst, sondern auch deren öffentliche Ausstellung.

Im Rahmen des Abwehranspruchs der Klägerin nach §§ 1004 Abs. 1 S. 2 iVm. 823 Abs. 1 BGB, 22ff KUG habe das Kammergericht im Berufungsrechtszug die Bedeutung und Tragweite der Kunstfreiheit richtig gewürdigt. Der Einfluss der Grundrechte auf die Auslegung und Anwendung der zivilrechtlichen Normen sei nicht auf Generalklauseln beschränkt, sondern erstrecke sich auf alle auslegungsfähigen und –bedürftigen Tatbestandsmerkmale der zivilrechtlichen Vorschriften. Eine Korrektur durch das Verfassungsrecht sei nur möglich, wenn Fehler im Urteil erkennbar wären, die auf einer grundsätzlich unrichtigen Anschauung von der Bedeutung der Grundrechte beruhen würden, insbesondere zum Schutzbereich, und auch in ihrer materiellen Bedeutung für den konkreten Rechtsfall von einigem Gewicht seien, insbesondere wenn darunter die Abwägung der beiderseitigen Rechtspositionen im Rahmen der privatrechtlichen Regelungen leiden würde.

Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG gewährleiste zwar die Kunstfreiheit vorbehaltslos, aber nicht schrankenlos. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht nach Art 2 Abs. 1 iVm. 1 Abs. 1 GG würde Grenzen der Kunstfreiheit ziehen. Zum Persönlichkeitsrecht würden das Verfügungsrecht über die Darstellung der eigenen Person, die soziale Anerkennung und die persönliche Ehre gehören. Außerhalb der Voraussetzungen einer örtlichen Abgeschiedenheit könne dem Persönlichkeitsrecht ein erhöhtes Gewicht zukommen, so bei Abbildungen des Betroffenen in Momenten der Entspannung oder des Sich-Gehen-Lassens außerhalb der Einbindung in die Pflichten des Berufs und des Alltags.

Auch die Kunstfreiheit würde für das Persönlichkeitsrecht Grenzen ziehen, weshalb es nicht ausreichend wäre, eine Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts festzustellen. Zu klären wäre im Einzelfall, ob die Beeinträchtigung derart schwerwiegend ist, dass die Freiheit der Kunst zurücktreten müsse, Eine schwerwiegende Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts ließe sich durch die Kunstfreiheit nicht rechtfertigen.

Für die Lösung der Spannungslage könne auch nicht alleine auf die Wirkung des Kunstwerks im außerkünstlerischen Sozialbereich abgehoben werden, vielmehr müsse auch kunstspezifischen Gesichtspunkten Rechnung getragen werden.

Das Kammergericht habe die Bedeutung und Tragweite der Kunstfreiheit bei der Zuordnung des Bildes zum Anwendungsbereich des § 23 Abs. 1 Nr. 4 KUG und in das Ergebnis seiner Abwägung im Rahmen des § 23 Abs. 2 KUG einbezogen und sei damit auch den Eigengesetzlichkeiten der Straßenfotografie gerecht geworden. Die Schwere der Beeinträchtigung habe es aus der Art der Präsentation des Bildes als großformatigen Blickfang an einer belebten öffentlichen Straße in einer Millionenstadt hergeleitet und dabei auch erkannt, dass es mit der Kunstfreiheit nicht vereinbar wäre, den Wirkbereich von vornherein auf Galerien, Museen oder sonstige räumlich begrenzte Ausstellungsflächen zu begrenzen. Damit sei auch vom Kammergericht nicht von vornherein die ungestellte Abbildung von Personen (ohne ihre Erlaubnis) nicht generell unmöglich gemacht.

BVerfG, Beschluss vom 08.02.2018 - 1 BvR 2112/15 -

Mittwoch, 20. September 2017

Unvererblichkeit des Geldentschädigungsanspruchs aus einer allgemeinen Persönlichkeitsrechtsverletzung auch im Falle der Rechtshängigkeit desselben

Eine Persönlichkeitsrechtsverletzung begründet grundsätzlich einen Anspruch auf eine Geldentschädigung gem. § 823 BGB. Vorliegend musste sich der BGH mit einem solchen Anspruch befassen, den der Erblasser noch zu Lebzeiten rechtshängig gemacht hatte. Die Rechtsnachfolgerin des Verstorbenen (nunmehr Klägerin) verfolgte diesen Anspruch weiter. Die Klage wurde in allen Instanzen abgewiesen.

Bereits mit Urteil vom 29.04.2014 – VI ZR 246/12 – entschied der BGH, dass ein Anspruch auf Geldentschädigung wegen Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts grundsätzlich nicht vererblich sei. Dies würde jedenfalls dann gelten, wenn der Erblasser vor Rechtshängigkeit der Klage versterbe. Offen blieb, ob dies auch gelten würde, wenn der Erblasser während des Rechtsstreits, also nach Rechtshängigkeit der Klage (Zustellung bei der Beklagtenseite) verstirbt. Nunmehr beantwortete der BGH die Frage dahingehend, dass der Anspruch unvererblich sei und die Rechtshängigkeit des Anspruchs keine Ausnahme rechtfertige.

Aus der Streichung des bis zum 30.09.1990 geltenden § 847 Abs. 1 S. 2 BGB wie auch aus den Streichungen des des § 34 Abs. 1 Nr. 2 Halbs. 2 BGSG und des 1998 gestrichenen § 1300 Abs. 2 BGB ließe sich nicht der Wille des Gesetzgebers ableiten, einen Anspruch auf Geldentschädigung wegen einer Persönlichkeitsrechtsverletzung vererblich auszugestalten. Erst recht lasse sich nicht der gesetzgeberische Wille feststellen, dass ein grundsätzlich unvererblicher Anspruch im Falle seiner Rechtshängigkeit entsprechend § 847 Abs. 1 Satz 2 BGB a.F. ausnahmsweise vererblich sein solle. Die Begründung des Regierungsentwurfs zur Änderung schadensersatzrechtlicher Vorschriften (BT-Drucks. 14/7752, S. 24f) stelle ausdrücklich klar, dass der auf den Schutzauftrag aus Art. 1 und 2 Abs. 1 GG zurückgehende Anspruch auf Geldentschädigung wegen Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts von den Bestimmungen der §§ 847, 253 BGB unabhängig sei und die Änderungen dieser Vorschriften ihn nicht tangieren könne.

Die Rechtsordnung enthalte auch keinen allgemeinen Grundsatz, aus dem sich eine Vererblichkeit rechtshängiger Ansprüche ergäbe. Zwar würde die Rechtshängigkeit materiellrechtlich rechtserhaltende Wirkung entfalten, wie insbesondere auch der Hemmungstatbestand zur Verjährung in § 204 Abs. 1 Nr. 1 BGB zeige. Dies sei damit begründet, um innerhalb bestimmter Fristen Rechtsklarheit zu schaffen und auch den Schuldner vor Beweisnöten bei einem zu langem Zuwarten zu verschonen. Ein solcher regelungszusammenhang sei aber bei der Frage der Vererblichkeit des Anspruchs nicht gegeben. Zwar könne der Rechtshängigkeit eine „rechts(ver)starkende“ Wirkung zukommen, wie zu den aufgehobenen Normen der §§ 847 Abs. 1 S. 2, 1300 Abs. 2 BGB angenommen wurde. Erforderlich sei aber immer gewesen, dass der Wille des Erblassers zur Geltendmachung klar erkennbar und ein Streit darüber ausgeschlossen werden konnte.

Von daher sei bei der Streitfrage des Übergangs des rechtshängigen Anspruchs auf Geldentschädigung für eine Persönlichkeitsrechtsverletzung alleine seine Funktion maßgebend. Anders als beim Schmerzensgeld stünde vorliegend regelmäßig die Genugtuungsfunktion im Vordergrund, während der Präventionsgedanke ihn alleine nicht tragen könne. Diese Genugtuungsfunktion würde aber mit dem Tod des Verletzten an Bedeutung verlieren. Aus dem Gedanken der Genugtuung folge aber auch, dass ein rechtshängiger Anspruch nicht vererblich sei. Die Genugtuung würde der Verletzte aber nicht bereits mit Einreichung der Klage oder dessen Zustellung  erlangen, sondern erst mit rechtskräftiger Entscheidung über diesen Anspruch. Der rechtskräftig festgestellte Anspruch ginge auf die Erben über.


BGH, Urteil vom 23.05.2017 - VI ZR 261/16 -

Sonntag, 10. Juli 2016

Dashcam - ist die Aufzeichnung als Beweismittel im Zivilprozess (Haftpflichtprozess) verwertbar?

Die kleine Videokamera, die regelmäßig auf dem Armaturenbrett angebracht ist, ist bereits vielfach zum Gegenstand gerichtlicher Auseinandersetzungen geworden. Regelmäßig geht es dabei auch um die Frage, ob die Aufzeichnungen (z.B. in einem Verkehrsunfallprozess) gerichtsverwertbar sind.

Fall des LG Landshut: Die Kamera zeichnete die Rückwärtsfahrt des Beklagten auf, der so mit dem Fahrzeug des Klägers kollidierte. Das Amtsgericht hatte die Klage abgewiesen und die Aufzeichnung der Dashcam im Hinblick auf ein angenommenes Beweisverwertungsverbot nicht als Beweismittel anerkannt. Im Berufungsverfahren erließ das Landgericht den Beschluss, mit dem es die Verwertbarkeit bejahte und dabei darauf abstellte, dass zum einend er Fahrer des rückwärtsfahrenden Fahrzeuges nicht zu sehen wäre, zum anderen der Kläger ansonsten keine Beweismittel habe. Dem würde auch die Entscheidung des BGH vom 25.04.1995 – VI ZR 272/94 – nicht entgegenstehen, derzufolge die permanente Überwachung des Hauszugangs des Nachbarn unzulässig wäre, der sich nicht gefallen lassen müsse, regelmäßig rund um die Uhr gefilmt und erfasst zu werden. Vorliegend erfolge das Filmen von Fahrzeugen wahllos und es fände keine systematische Erfassung von Bewegungsprofilen statt. Soweit das AG München (Urteil 06.06.2013 – 343 C 4445/13 – und das LG Heilbronn (Urteil vom 03.02.2015 – 3 S 19/14 -) die Befürchtung einer privat organisierten dauerhaften und flächendeckenden Überwachung sämtlicher am öffentlichen Verkehr teilnehmenden Personen habe, mögen nach Auffassung der Kammer zwar die Gründe gerechtfertigt sein, würden aber eine Abwägung der Interessen im konkreten Einzelfall nicht hindern können. Vorliegend wären die Interessen nur insoweit betroffen, als man zu einem bestimmten Zeitpunkt ein Fahrzeug in einem bestimmten Bereich rückwärtsfahrend sähe, wobei der beklagte selbst nicht zu erkennen wäre. Von daher sei nicht von einem gravierenden Grundrechtseingriff auszugehen. Auf der anderen Seite wäre der Kläger ohne die Aufzeichnung beweislos bei einer ohne die Aufnahme erfolgten Negation des Rückwärtsfahrens. Damit wog nach Auffassung des Gerichts das Interesse an der Verwertung höher.

Fall des LG Frankenthal: Der Unfallhergang war auch hier zwischen den Parteien streitig. Das Landgericht ging nach Beweisaufnahme von einem pflichtwidrigen Spurwechsel der Klägerin auf der Autobahn aus. Dies schließt die Kammer aus Zeugenaussagen und aus der Auswertung der Aufzeichnung der Dashcam (im Fahrzeug der Beklagten). Dabei stellte es darauf ab, dass bei der verwandten Kamera die alten Aufzeichnungen überspielt würden. Zudem wäre nicht der Kernbereich des Persönlichkeitsrechts betroffen. Bereits das KG habe mit Urteil vom 05.07.1979 – 12 U 1277/79 - das Foto eines spielenden Kindes zu Beweiszwecken vor diesem Hintergrund zugelassen; hier wäre nur auf öffentlicher Straße eine Aufnahme gemacht worden, was zwar den Individualbereich beträfe, dieser aber nur der äußerste Kreis des Persönlichkeitsrechts sei. Im übrigen würde die Kammer dem LG Heilbronn (Urteil vom 03.02.2015 – 3 S 19/14 -), welches ein Beweisverwertungsverbot annahm, folgen, soweit dort darauf abgestellt wurde, dass eine permanente Aufnahme erfolge. Hier aber habe der Kläger glaubhaft dargelegt, dass die Kamera nur bei laufenden Motor arbeitet und zudem aktiv mit dem Stromkreis verbunden werden, was er aber nur tue, wenn ein anderer Verkehrsteilnehmer „komisch“ fahre. Es läge also eine anlassbezogene Aufzeichnung vor. Diese sei als Beweismittel auch in Ansehung der Rechtsprechung des EuGH zu Art. 8 EMRK zuzulassen (Urteil vom 27.05.2014 – Nr. 10764/09 -, wonach die verdeckte Videoaufzeichnung eines Detektiven zur Gewinnung von Beweismitteln Art. 8 EMRK nicht verletzt). Die Berufung gegen die Entscheidung zum OLG Zweibrücken – 1 U 23/16 – wurde zurückgenommen.

Anmerkung: Beide Entscheidungen verdeutlichen, dass ihr jeweiliges Ergebnis der Verwertbarkeit gekünstelt ist. Es wird letztlich vom Ergebnis her argumentiert. Mit den gleichen Argumenten ließe sich auch die Verwertbarkeit wegen eines Beweisverwertungsverbotes ablehnen. Es bleibt abzuwarten, wie letztlich die obergerichtliche Rechtsprechung, insbesondere der BGH hier in Zukunft urteilen wird.

LG Landshut, Beschluss vom 01.12.2015 – 12 S 2603/15 -

LG Frankenthal, Urteil vom 30.12.2015 – 4 O 358/15 -

Dienstag, 5. April 2016

Automatisch Generierte E-Mail mit Werbung ist unzulässig

Bild: pixabay
Es ist zwar schön zu wissen, dass seine Mail beim Empfänger angekommen ist, worauf häufig durch automatisch geneierte E-Mails des Empfängers hingewiesen wird. Doch der Empfänger nutzt diese Gelegenheit auch gerne um für sich zu werben oder ein Produkt zu werben. Diese Werbeplattform darf allerdings nach dem Urteil des BGH grundsätzlich nicht genutzt werden.

Die beklagte Versicherung hatte mit ihrer automatisch generierten Antwortmail u.a. bestimmte Apps beworben. Der Kläger verlangte die Verurteilung der Beklagten auf Unterlassung, mit ihm zum Zwecke der Werbung ohne sein Einverständnis E-Mail-Kontakt wie mit der automatisch generierten Mail mit Werbeanhang geschehen, aufzunehmen. Das Amtsgericht hatte der Klage stattgegeben; auf die Berufung hin änderte das Landgericht das Urteil ab und wies die Klage ab. Mit der zugelassenen Revision verfolgte der Kläger sein Ziel weiter; die Berufung führte zur Wiederherstellung der Entscheidung des Amtsgerichts.

Der BGH erkennt einen Unterlassungsanspruch nach §§ 823 Abs. 1, 1004 Abs. 1 S. 2 BGB an. Es sieht in den mit Werbung versehenen Mails der beklagten Versicherung einen rechtswidrigen Eingriff in das  allgemeine Persönlichkeitsrecht des Klägers. Dieses gäbe dem Betroffenen das Recht, im privaten Bereich in Ruhe gelassen zu werden (BGHZ 131, 332, 337). Damit könne er seine Privatsphäre von unerwünschten Einflussnahmen anderer freihalten und darüber entscheiden mit wem er in welchem Umfang Kontakt aufnehmen will. Eine bloße, nicht ehrverletzende Kontaktaufnahme durch einen Dritten würde aber nur dann das Persönlichkeitsrecht beeinträchtigen, wenn dies gegen den eindeutigen Willen des Betroffenen erfolge, da ansonsten die kommunikative Freiheit beeinträchtigt wäre (BGH VersR 2011,544).

Eine solche Entscheidung des Betroffenen ergäbe sich bei Werbeeinwürfen in den Hausbriefkasten durch einen dies untersagenden Aufkleber. Nach Art. 13 Abs. 1 der Datenschutzrichtlinie gehöre das elektronische Postfach mit zur Privatsphäre. Danach ist die die Nutzung des Postfachs nur bei vorheriger Einwilligung des Inhabers für eine Direktwerbung zulässig.

Werbung in diesem Sinne wären alle produktfördernden Maßnahmen. Mit den Hinweisen auf kostenlose Apps bewerbe die Beklagte ihre Produkte. Zwar sei die Eingangsbestätigung selbst keine Werbemaßnahme, was aber nicht zur Folge habe, dass die dort enthaltene Werbung keine (Direkt-) Werbung darstellen könne. Durch die zulässige Nutzung des elektronischen Postfachs des Klägers für die Bestätigungsmail würde die Nutzung nicht insgesamt zulässig.

Der Verstoß der Beklagten sei auch rechtswidrig. Eine Interessensabwägung ergäbe, dass das Interesse des Klägers auf Schutz seiner Persönlichkeit aus Art. 1 Abs. 2, 2 Abs. 1 GG, 8 Abs. 1 EMRK höher wiege als das Interesse der Beklagten ihren Mails werbende Zusätze hinzuzufügen.


BGH, Urteil vom 15.12.2015 – VI ZR 134/15 -

Dienstag, 2. September 2014

Das Recht am eigenen Bild - Veröffentlichung in einer Mieterbroschüre

Eine Wohnungsbaugesellschaft  veranstaltete für die Mieter ein Mieterfest. Auf diesem ließ sie Fotos machen, die sie dann in ihrer an die Mieter gerichteten Informationsbroschüre veröffentlichte. Die Klägerinnen, die auf einem Foto zu sehen waren, machten einen Anspruch auf Zahlung einer Geldentschädigung und Abmahnkosten geltend.

Willi Heidelbach / pixelio.de
Foto: Willi Heidelbach / pixelio.de
Der BGH negierte bereits einen Anspruch aus §§ 1004, 823 Abs. 2 BGB iVm. 22, 23 KUG, Art. 1 Abs. 1, 2 Abs. 1 GG mit der Begründung, BGB mit der Begründung, das Bild falle in den Bereich der Zeitgeschichte (§ 23 Abs. 1 Nr. 1 KUG) und verletze berechtigte Interessen der Abgebildeten nicht. Der Bereich der Zeitgeschichte umfasse alle Fragen von allgemeinem gesellschaftlichem Interesse. Dazu würden auch Veranstaltungen von nur regionaler oder lokaler Bedeutung gehören (so Bereits der BGH im Urteil vom 28.05.2013 – VI ZR 125/12 -).  Zwar bestünde kein schrankenloses Informationsinteresse; vielmehr sei der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten. Dieser Grundsatz der Verhältnismäßigkeit bedürfe gerade bei unterhaltenden Inhalten im besonderen Maße einer abwägenden Betrachtung der kollidierenden Rechtspositionen.

Im Hinblick auf das Mieterfest geht der BGH davon aus, dass die Abwägung hier einer Veröffentlichung nicht entgegenstünde. Das Mieterfest würde jährlich veranstaltet, die insgesamt zehn Bilder stellten Gruppen wie auch Einzelpersonen dar und die Bildberichterstattung vermittle den Eindruck, dass Mitbewohner aller Altersgruppen das Fest genossen hätten und eine gute nachbarliche Beziehung hätten. Das Mieterfest sei eine Veranstaltung von lokaler Bedeutung.


Abschließend weist der BGH aber auch darauf hin, dass auch in den Vorjahren vom Mieterfest jeweils in der entsprechenden an die Mieter (und damit dem eigeladenen Publikum) gerichteten Broschüre mittels Fotos berichtet worden wäre, weshalb die Klägerinnen von einer Veröffentlichung hätten ausgehen müssen. Diese Aussage macht der BGH im Kontext zu seiner Feststellung, dass die Rechte der (namentlich nicht benannten) Klägerinnen nur minimal beeinträchtigt wären. Dieser Zusatz in den Erwägungen lässt offen, ob nun die Rechtsbeeinträchtigung nur deshalb zurücktreten muss, da die Klägerinnen mit der Veröffentlichung hätten rechnen müssen. 

BGH, Urteil vom 08.04.2014 - VI ZR 197/13 -