Der Kläger veräußerte nahezu wertlose
Aktien an seine Sparkasse und machte in seiner Einkommensteuerklärung 2013
dafür Verluste mit € 5.759,78 geltend. Das Finanzamt (FA) berücksichtigte diese
Verluste mit der Begründung nicht, der Kläger habe diesbezüglich keine
Bescheinigung nach § 20 Abs. 6 Satz 6 EStG vorgelegt. Nach erfolglosem
Einspruch gab das Finanzgericht der Klage statt. Die Revision des beklagten FA
wurde zurückgewiesen.
Nach Auffassung des BFH handele
es sich hier um steuerlich anzuerkennende Verluste gemäß § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr.
1 und Abs. 4 Satz 1 EStG. Danach sei auch ein negativer Gewinn und damit ein
Veräußerungsverlust (entsprechend der Regelung in § 20 Abs. 2 Satz zu den
Einkünften aus Kapitalvermögen) erfasst. Die Veräußerung sei die zumindest wirtschaftliche
Übertragung des Eigentums auf einen Dritten. Dieser Fall der entgeltlichen
Veräußerung läge auch vor, wenn wertlose Anteile zwischen fremden Dritten ohne
Gegenleistung übertragen würden (BFH, Urteil vom 06.04.2011 - IX R 61/10 -). Weitere Tatbestandmerkmale sehe das Gesetz
nicht vor. Insbesondere sei danach weder die Höhe der Gegenleistung noch die
Höhe anfallender Veräußerungskosten maßgeblich (entgegen BMF-Schreiben in BStBl
I 2016, 85 Rz. 59). Mithin läge hier bei der Veräußerung der Aktien zu € 8,00
bzw. € 6,00 abzüglich der Kosten eine steuerlich beachtliche Veräußerung vor.
Das Fahlen einer Bescheinigung
der auszahlenden Stelle (hier: Sparkasse) iSv. § 43a Abs. 3 S. 4 EStG stehe der
Anwendung des § 29 Abs. 6 Satz 6 EStG auch nicht entgegen. Die Norm des § 43a
Abs. 3 Satz 4 EStG diene der Verhinderung eines doppelten Verlustabzugs. Diese
Gefahr sei hier nicht gegeben; die Sparkasse sei nach der veröffentlichten
Auffassung der Finanzverwaltung davon ausgegangen, dass der erzielte Verlust
steuerlich unbeachtlich sei. Es wäre reiner Formalismus auch in diesem Fall zu
verlangen, dass für die Verlustrechnung iSv. § 20 Abs. 6 Satz 6 EStG
erforderlich sei (BFH, Urteil vom 20.10.2016 - VIII R 55/13 -; BFH, Urteil vom
29.08.2017 - VIII R 23/15 -).
Der Einwand des beklagten FA, es
läge ein Gestaltungsmissbrauch vor (§ 42 AO), sei auch zurückzuweisen. Nach §
42 Abs. 1 Satz 1 AO könne das Steuergesetz nicht durch Gestaltungsmissbrauch
umgangen werden. Dieser Missbrauch sei anzunehmen, wenn eine unangemessene
Gestaltung gewählt würde, die beim Steuerpflichtigen oder einem Dritten im Vergleich
zu einer angemessenen Gestaltung zu einem gesetzlich nicht vorgesehenen
Steuervorteil führe. Alleine das Motiv, Steuern zu sparen, würde die Gestaltung
aber nicht missbräuchlich machen (BFH, Beschluss vom 29.11.1982 - GrS 1/81 -). Der Steuerpflichtige dürfe seine Verhältnisse
so ordnen, dass möglichst keine oder nur geringe Steuern anfallen (BFH, Urteil
vom 19.01.2017 - IV R 10/14 -). Erst
dann, wenn der Steuerpflichtige die vom Gesetzgeber vorausgesetzte Gestaltung nicht
zum Erreichen eines bestimmten wirtschaftlichen Ziels gebrauche, sondern dafür
einen ungewöhnlichen Weg wähle, auf dem
nach dem Willen des Gesetzgebers das Ziel nicht erreicht werden solle, wäre
eine Unangemessenheit nach § 42 AO anzunehmen. Dass sei z.B. der Fall, wenn das
Geschäft zu einer wirtschaftlichen Neutralisierung führe und nur steuerliche
Vorteile erreicht werden sollen oder die wirtschaftliche Auswirkung durch eine
gegenläufige Gestaltung kompensiert würde und sich danach lediglich als eine
formale Maßnahme darstelle.
Nach diesen Grundsätzen läge
vorliegend kein Missbrauch vor. Der Kläger habe das Ziel verfolgt, sich von
nahezu wertlosen Wertpapieren zu trennen, was sinnvoll nur durch Veräußerung
möglich gewesen sei. Auch könne der Zeitpunkt der Maßnahme dem
Steuerpflichtigen nicht vorgeschrieben werden; es läge in seinem Belieben, wann
er Wertpapiere kauft oder verkauft (BFH, Urteil vom 25.08.2009 -), womit der
Steuerpflichtige nur von den vom Gesetzgeber vorgegebenen
Gestaltungsmöglichkeiten Gebrauch mache. Ebensowenig könne (wie das FA meinte) vom
Steuerpflichtigen verlangt werden, die Wertpapiere in seinem Depot zu behalten,
um sie irgendwann evtl. schlicht auszubuchen. Dies würde (unabhängig von der
zivill- und steuerrechtlich nicht zu klärenden Problematik) die Dispositionsfreiheit
des Steuerpflichtigen unzulässig einschränken.
BFH, Urteil vom 12.06.2018 -
VIII R 32/16 -