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Montag, 29. Oktober 2018

Verlust aus Aktienverkäufen ohne Bescheinigung gem . § 20 EStG und Missbrauch der Gestaltungsmöglichkeit


Der Kläger veräußerte nahezu wertlose Aktien an seine Sparkasse und machte in seiner Einkommensteuerklärung 2013 dafür Verluste mit € 5.759,78 geltend. Das Finanzamt (FA) berücksichtigte diese Verluste mit der Begründung nicht, der Kläger habe diesbezüglich keine Bescheinigung nach § 20 Abs. 6 Satz 6 EStG vorgelegt. Nach erfolglosem Einspruch gab das Finanzgericht der Klage statt. Die Revision des beklagten FA wurde zurückgewiesen.

Nach Auffassung des BFH handele es sich hier um steuerlich anzuerkennende Verluste gemäß § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 und Abs. 4 Satz 1 EStG. Danach sei auch ein negativer Gewinn und damit ein Veräußerungsverlust (entsprechend der Regelung in § 20 Abs. 2 Satz zu den Einkünften aus Kapitalvermögen) erfasst.  Die Veräußerung sei die zumindest wirtschaftliche Übertragung des Eigentums auf einen Dritten. Dieser Fall der entgeltlichen Veräußerung läge auch vor, wenn wertlose Anteile zwischen fremden Dritten ohne Gegenleistung übertragen würden (BFH, Urteil vom 06.04.2011 - IX R 61/10 -).  Weitere Tatbestandmerkmale sehe das Gesetz nicht vor. Insbesondere sei danach weder die Höhe der Gegenleistung noch die Höhe anfallender Veräußerungskosten maßgeblich (entgegen BMF-Schreiben in BStBl I 2016, 85 Rz. 59). Mithin läge hier bei der Veräußerung der Aktien zu € 8,00 bzw. € 6,00 abzüglich der Kosten eine steuerlich beachtliche Veräußerung vor.

Das Fahlen einer Bescheinigung der auszahlenden Stelle (hier: Sparkasse) iSv. § 43a Abs. 3 S. 4 EStG stehe der Anwendung des § 29 Abs. 6 Satz 6 EStG auch nicht entgegen. Die Norm des § 43a Abs. 3 Satz 4 EStG diene der Verhinderung eines doppelten Verlustabzugs. Diese Gefahr sei hier nicht gegeben; die Sparkasse sei nach der veröffentlichten Auffassung der Finanzverwaltung davon ausgegangen, dass der erzielte Verlust steuerlich unbeachtlich sei. Es wäre reiner Formalismus auch in diesem Fall zu verlangen, dass für die Verlustrechnung iSv. § 20 Abs. 6 Satz 6 EStG erforderlich sei (BFH, Urteil vom 20.10.2016 - VIII R 55/13 -; BFH, Urteil vom 29.08.2017 - VIII R 23/15 -).

Der Einwand des beklagten FA, es läge ein Gestaltungsmissbrauch vor (§ 42 AO), sei auch zurückzuweisen. Nach § 42 Abs. 1 Satz 1 AO könne das Steuergesetz nicht durch Gestaltungsmissbrauch umgangen werden. Dieser Missbrauch sei anzunehmen, wenn eine unangemessene Gestaltung gewählt würde, die beim Steuerpflichtigen oder einem Dritten im Vergleich zu einer angemessenen Gestaltung zu einem gesetzlich nicht vorgesehenen Steuervorteil führe. Alleine das Motiv, Steuern zu sparen, würde die Gestaltung aber nicht missbräuchlich machen (BFH, Beschluss vom 29.11.1982 - GrS 1/81 -).  Der Steuerpflichtige dürfe seine Verhältnisse so ordnen, dass möglichst keine oder nur geringe Steuern anfallen (BFH, Urteil vom 19.01.2017 - IV R 10/14 -).  Erst dann, wenn der Steuerpflichtige die vom Gesetzgeber vorausgesetzte Gestaltung nicht zum Erreichen eines bestimmten wirtschaftlichen Ziels gebrauche, sondern dafür einen ungewöhnlichen Weg wähle,  auf dem nach dem Willen des Gesetzgebers das Ziel nicht erreicht werden solle, wäre eine Unangemessenheit nach § 42 AO anzunehmen. Dass sei z.B. der Fall, wenn das Geschäft zu einer wirtschaftlichen Neutralisierung führe und nur steuerliche Vorteile erreicht werden sollen oder die wirtschaftliche Auswirkung durch eine gegenläufige Gestaltung kompensiert würde und sich danach lediglich als eine formale Maßnahme darstelle.

Nach diesen Grundsätzen läge vorliegend kein Missbrauch vor. Der Kläger habe das Ziel verfolgt, sich von nahezu wertlosen Wertpapieren zu trennen, was sinnvoll nur durch Veräußerung möglich gewesen sei. Auch könne der Zeitpunkt der Maßnahme dem Steuerpflichtigen nicht vorgeschrieben werden; es läge in seinem Belieben, wann er Wertpapiere kauft oder verkauft (BFH, Urteil vom 25.08.2009 -), womit der Steuerpflichtige nur von den vom Gesetzgeber vorgegebenen Gestaltungsmöglichkeiten Gebrauch mache. Ebensowenig könne (wie das FA meinte) vom Steuerpflichtigen verlangt werden, die Wertpapiere in seinem Depot zu behalten, um sie irgendwann evtl. schlicht auszubuchen. Dies würde (unabhängig von der zivill- und steuerrechtlich nicht zu klärenden Problematik) die Dispositionsfreiheit des Steuerpflichtigen unzulässig einschränken.

BFH, Urteil vom  12.06.2018 - VIII R 32/16 -