Eine Gläubigerin beantragte die
Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Schuldnerin bei dem AG
Cottbus. Dort ging der Antrag am 28.10.2018 ein. Mit Beschluss vom 12.06.2019
verwies das AG Cottbus die Sache an das örtlich zuständige AG Charlottenburg. Von der Schuldnerin
wurde die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte bestritten. Sie
hatte zum Zeitpunkt des Eingangs des Insolvenzantrages bei dem AG Cottbus hatte
sie nach Handelsregistereintrag ihren Sitz im dortigen Amtsgerichtsbezirk. Dort
war sie allerdings nie tätig, sondern hatte in 2017 ihr Gewerbe in Berlin
angemeldet. Am 24.04.2019 übertrug der geschäftsführende Alleingesellschafter
seine Anteile an der Schuldnerin auf eine in Polen ansässige Person, der Sitz
der Gesellschaft wurde zeitgleich nach Berlin verlegt und eine in Polen ansässige
Person zur Geschäftsführerin bestellt. Diese teilte dem Insolvenzgericht (AG
Charlottenburg) mit Datum vom 25.07.2019 mit, sie führe die Geschäfte der
Schuldnerin ausschließlich von Polen aus.
Mit Beschluss vom 08.07.2019 wies
das AG - Insolvenzgericht - Charlottenburg den Eröffnungsantrag mangels einer
die Kosten des Verfahrens deckenden Masse ab. Die dagegen von der Schuldnerin
eingelegte Beschwerde wurde zurückgewiesen, ebenso die gegen die Zurückweisung
zugelassene Rechtsbeschwerde zum BGH, mit der die Schuldnerin die Zurückweisung
des Eröffnungsantrages als unzulässig begehrte.
Der BGH verwies darauf, dass sich
die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichts nach Art. 3 der Verordnung
(EU) 2015/848 vom 20.05.2015 über Insolvenzverfahren (EuInsVO) richte. Danach
seien die Gerichte des Mitgliedsstaates der EU für die Eröffnung des
Insolvenzverfahrens zuständig, in dessen Hoheitsgebiet der Schuldner den Mittelpunkt
seiner hauptsächlichen Interessen habe. Entscheidend sei danach der Zeitpunkt
der Antragstellung, wenn der Schuldner nach Antragstellung, aber vor einer
Entscheidung über den Antrag über die Eröffnung des Insolvenzantrages diesen
Mittelpunkt in das Gebiet eines anderen Mitgliedstaats verlege (EuGH, Urteile
vom 17.01.2006 - C-1/04 - und vom 24.03.2022 - C-723/20 -).
Der Mittelpunkt habe sich hier
zum Zeitpunkt des Eingangs des Antrages bei dem AG Cottbus in Deutschland,
nämlich Berlin, befunden. Erst durch die Transaktion der Anteile an der
Schuldnerin, und Änderung der Geschäftsführung habe die Schuldnerin, deren satzungsmäßiger
Sitz weiterhin in Deutschland lag, die Geschäfte von Polen aus fortgeführt.
Es käme nicht darauf an, dass der
Antrag bei dem örtlich unzuständigen Gericht AG Cottbus und nicht bei dem
zuständigen Amtsgericht in Berlin gestellt worden sei. Ein Insolvenzantrag
würde nach dem (insoweit maßgeblichen) deutschem Recht mit dem Eingang bei dem
zuerst angerufenen Gericht anhängig. Mit der Verweisung durch das örtlich unzuständige
an das örtlich zuständige Gericht würde kein neues Eröffnungsverfahren begründet,
sondern das Verfahren bei dem dann örtlich zuständigen Gericht lediglich fortgesetzt.
Der vorliegende europäische Bezug
würde daran nichts ändern, da die EuInsVO nur die internationale Zuständigkeit
regele (§ 26 EuInsVO), nicht aber die sachliche und örtliche Zuständigkeit im
Mitgliedstaat. Dies entspräche auch Sinn
und Zweck der EuInsVO über Insolvenzverfahren, deren Ziel die Verhinderung der
Verlagerung von Vermögensgegenständen oder Rechtsstreitigkeiten von einem
Mitgliedstaat in einen anderen zu verhindern, um so eine verbesserte Rechtslage
zu erhalten. Damit würde die nach den Erwägungsgründen drei und acht der
EuInsVO gewollte Effizienz und Wirksamkeit grenzüberschreitender Verfahren
beeinträchtigt, da der Gläubiger gezwungen wäre, gegen den Schuldner immer
wieder dort vorzugehen, wo dieser sich gerade für kürzere oder längere Zeit
niederlasse, was zu einer Verlängerung des Verfahrens führen könnte (EuGH,
Urteil vom 24.03.2022 - C-723/20 -). Selbst wenn der Eröffnungsantrag in einem
Mitgliedstaat bei dem örtlich unzuständigen Gericht erhoben würde, soll dem
Schuldner nicht die Möglichkeit zu einem Wechsel der internationalen
Zuständigkeit gegeben werden.
Anmerkung: Die hier
vorliegende Problematik hat ihren Hintergrund in dem Umstand, dass der satzungsmäßige
Sitz nicht identisch mit dem Sitz der Verwaltung sein muss. Innerhalb der EU
kann daher eine Gesellschaft zwar ihren Sitz z.B. in Berlin haben, ihren
Verwaltungssitz aber in Frankreich oder Polen. Der Verwaltungssitz ist der o.g.
Mittelpunkt, weshalb sich die Zuständigkeit auch für Insolvenzverfahren danach
orientiert. Diesen Umstand wollte sich hier offensichtlich die Schuldnerin
nutzbar machen, indem sie den Verwaltungssitz nach Polen verlagerte, um so die internationale
Zuständigkeit der deutschen Insolvenzgerichte auszuschließen, da mit der
Eröffnung des Insolvenzverfahren als auch, wie geschehen, durch die Versagung
der Eröffnung mangels einer die Kosten des Verfahrens deckenden Masse die
Gesellschaft nicht mehr werbend tätig werden kann.
BGH, Beschluss vom 07.07.2022
- IX ZB 14/21 -