Freitag, 25. Oktober 2024

Verwalterbestellung per einstweiliger Verfügung und Dringlichkeit

Das Amtsgericht hatte auf einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zur Bestellung eines Verwalters für die WEG einen solche für die Dauer von drei Jahren bestellt. Die dagegen von der Verfügungsbeklagten eingelegte Berufung war erfolgreich.

Das Berufungsreicht verwies darauf, dass für eine einstweilige Verfügung ein Verfügungsgrund (neben dem Verfügungsanspruch) erforderlich sei, der vorläge, wenn aus Sicht einer vernünftig denkenden Partei eine Veränderung des Zustands oder eine Verwirklichung eines Rechts einer Partei vereitelt oder wesentlich erschwert oder die Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig sei. Damit umschrieb das Berufungsgericht die Notwendigkeit der Dringlichkeit.

Eine im Einzelfall mögliche Dringlichkeit kann aber auch durch das Verhalten der antragstellenden Partei selbst (wieder) ausgeschlossen werden; so könne, so das Landgericht, ein Verfügungsgrund durch Selbstwiderlegung fehlen oder entfallen, wenn der Antragsteller die Annahme der Dringlichkeit durch sein eigenes Verhalten ausgeschlossen habe. Als Beispiel nannte das Landgericht den Fall, dass der Antragsteller von einer erlassenen einstweiligen Verfügung lange Zeit keinen Gebrauch mache (weshalb nach Widerspruch des Gegners diese mangels Dringlichkeit wieder aufzuheben ist, OLG Frankfurt am Main, Urteil vom 25.03.2010 - 6 U 219/09 -).

Das Landgericht nahm vorliegend auch eine Selbstwiderlegung an, da der vom Amtsgericht mit einstweiliger Verfügung bestellte Verwalter noch nicht informiert bzw. zur Tätigkeit aufgefordert worden sei. Damit passe die Argumentation der Antragstellerseite bei Antragstellung zum dringenden Bedarf nicht zusammen, da über einige Monate kein gebrauch von der einstweiligen Verfügung gemacht worden sei. Ein Abwarten des Berufungsverfahrens rechtfertige dies ebenso wenig wie (letztlich gescheitere) Einigungsversuche.

Als obiter dictum wies das Landgericht noch darauf hin, dass nach seiner Auffassung eine Verwalterbestellung qua einstweiliger Verfügung nicht über ein Jahr erfolgen dürfe, im Rahmen einer Beschlussersetzungsklage auch nur auf ein bis maximal zwei Jahre angenommen würde. Bei der einstweiligen Verfügung sei zu beachten, dass die Hauptsache nicht vorweggenommen werden dürfe, von daher längstens bis zur Rechtskraft des Hauptsacheverfahrens und auf eine gewisse Zeit zu bestreiten sei. An seiner bisherigen Auffassung zu zwei Jahren halte die Kammer des Berufungsgerichts nicht mehr fest.

LG Karlsruhe, Urteil vom 01.12.2023 - 11 S 12/23 -

Dienstag, 22. Oktober 2024

Rückabtretung und Rechtskraftwirkung der vorherigen Klageabweisung

Der Kläger hatte seine Ansprüche gegen die Beklagte treuhänderisch an eine f-GmbH (einen Inkassodienstleister) zur außer- und gerichtlichen Geltendmachung abgetreten. Diese machte die Ansprüche des Klägers im Rahmen einer Sammelklage zusammen mit Ansprüchen Dritter gerichtlich geltend. Ihre Klage wurde (wegen fehlender Aktivlegitimation) abgewiesen; eine dagegen eingelegte Berufung nahm sie zurück. Nunmehr klagte der Kläger, nach Rückabtretung seiner Ansprüche, selbst. Das Landgericht wies seine Klage ab; auf seine Berufung hin gab das OLG ihr statt. Auf die vom OLG zugelassene, von der Beklagten eingelegte Revision wurde das Urteil aufgehoben und der Rechtsstreit an das OLG zurückverwiesen.

Der auf Erstattung des Kaufpreises abzüglich Nutzungsentschädigung sei unzulässig (Antrag 1). Insoweit würde dem die materielle Rechtskraft des Urteils im Verfahren der f-GmbH entgegenstehen, §§ 322 Abs. 1, 325 Abs. 1 ZPO.

Die materielle Rechtskraft einer gerichtlichen Entscheidung stünde (als negative Prozessvoraussetzung) einer neuen Verhandlung und Entscheidung über denselben Streitgegenstand entgegen (ne bis in idem), weshalb die diesen Streitgegenstand beinhaltende Klage unzulässig sei (BGH, Urteil vom 18.01.1985 - V ZR 233/93 -). Dieses Prozesshindernis sei in jeder Lage des Verfahrens zu beachten (BGH, Urteil vom 23.02.2006 - I ZR 272/02 -).

Wird die Beklagte wie vorliegend zunächst aus abgetretenen Recht in Anspruch genommen und sodann nach Rückabtretung (wie hier) des Anspruchs vom ursprünglichen Zedenten mit identischer rechtlicher Begründung erneut verklagt, beträfen beide Klagen denselben Streitgegenstand (BGH, Urteil vom 16.10.2020 – V ZR 98/19 -). Bestimmt würde der von der Rechtskraft umfasste Streitgegenstand vom Klageantrag, in dem sich die vom Kläger für sich in Anspruch genommene Rechtsfolge konkretisiere, und dem Lebenssachverhalt, aus dem der Kläger die Rechtsfolge herleite (BGH, Urteil vom 19.12.1991 - IX ZR 96/91 -). Alle Tatsachen, die bei einer natürlichen, vom Standpunkt der Parteien ausgehenden und den Sachverhalt seinem Wesen nach erfassten Betrachtung zu dem zur Entscheidung gestellten Tatsachenkomplex gehören würden zum Anspruchsgrund zählen, den der Kläger zur Stützung seines Begehrens dem Gericht vortrage (BGH, Urteil vom 25.10.2012 - IX ZR 207/11 -). Das gelte auch unabhängig davon, ob diese einzelnen Tatsachen des Lebenssachverhaltes von den Parteien vorgetragen worden wären oder nicht, ferner unabhängig davon, ob die Parteien im Vorprozess die nicht vorgetragenen Tatsachen bereits kannten und hätten vortragen können (BGH, Urteil vom 23.06.2015 - II ZR 166/14 -).

Zwischenanmerkung: Eine andere Sichtweise würde dazu führen, dass ein beendeter Prozess stellt neu aufgerollt werden könnte, wenn er auf neue Tatsachen gestützt würde, die bereits beim Vorprozess mit zum Tatsachenkomplex gehören. Eine Ausnahme davon sieht das Gesetz nur in § 580 ZPO zur Restitutionsklage vor, die z.B. erfordert, dass das Urteil auf einer gefälschten Urkunde beruht oder auf einer beeidigten Aussage des Gegner, die vorsätzlich oder fahrlässig falsch war.

Danach würde der Antrag 1 denselben Streitgegenstand betreffen, der von dem Inkassodienstleister bereits im Vorprozess aus abgetretenen Recht geltend gemacht worden sei und sich der Kläger zur Stützung seines Antrages auf denselben Lebenssachverhalt mit gleichem Klageziel stütze (BGH, Urteil vom 16.10.2020 - V ZR 98/19 -).

Urteile seien nur insoweit der Rechtskraft fähig, als über den durch Klage oder Widerklage geltend gemachten Anspruch entschieden worden sei. Die Rechtskraft beschränke sich mithin auf den unmittelbaren Streitgegenstand, also die Rechtsfolge, die aufgrund eines bestimmten Lebenssachverhalts am Schluss der mündlichen Verhandlung den Gegenstand der Entscheidung bilde (BGH, Urteil vom 17.02.1983 - III ZR 184/81 -). Nicht erfasst würden einzelne Urteilselemente, tatsächliche Feststellungen und rechtliche Folgerungen, auf denen die Entscheidung aufbaue (BGH, Urteil vom 26.06.2003 - I ZR 269/00 -). Feststellungen von präjudiziellen Rechtsverhältnissen oder sonstigen Vorfragen nähmen als bloße Urteilselemente damit nicht an der Rechtskraft teil.

Der Inhalt des Urteils und damit der Umfang der Rechtskraft seien der Entscheidung im Ganzen zu entnehmen. Auszugehen sei dabei von der Urteilsformel, die allerdings bei einer Klageabweisung regelmäßig nicht erkennen lasse, worüber entschieden worden sei. Reiche die Urteilsformel nicht aus, um den Rechtkraftgehalt festzustellen, seien Tatbestand und Entscheidungsgründe, ggf. auch das Parteivorbringen, ergänzend heranzuziehen (BGH, Urteil vom 17.02. 1983 - III ZR184/81 -). Mit einem Urteil auf Abweisung einer Leistungsklage würde grundsätzlich festgestellt dass die begehrte Rechtsfolge unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt hergeleitet werden könne, selbst dann, wenn nicht alle erheblichen Tatsachen und in Betracht kommenden Rechtsnomen vorgetragen und geprüft worden seien (BGH, Urteil vom 12.12.2008 - V ZR 49/08 -). Anderes gelte nur dann, wenn den Entscheidungsgründen unmissverständlich der Wille des Gerichts zu entnehmen sei, über den zu Grunde liegenden Sachverhalt abschließend zu entscheiden und so dem Kläger eine erneute Klage zu diesem Anspruch auf der gleichen tatsächlichen Grundlage und aufgrund bereits zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung vorliegenden Umständen zu ermöglichen (BGH, Urteil vom 17.09.2011 - II ZR 221/09 -).

Das Landgericht habe hier im Vorprozess einen Anspruch uneingeschränkt verneint. Hierauf beschränke sich die Rechtskraft. Bei den getroffenen Feststellungen zur fehlenden Aktivlegitimation des Inkassodienstleisters (so wegen Unwirksamkeit der Abtretung wegen Verstoßes gegen das Rechtsdienstleistungsgesetz gem. § 134 BGB iVm. §§ 3, 4 RDG) handele es sich lediglich um Vorfragen, aus denen das Gericht den Schluss auf das Nichtbestehen des Zahlungsanspruchs gezogen habe. Sie würden als bloße Urteileelemente nicht von der Rechtskraft des Urteils erfasst, auch wenn das Gericht eine  Beschränkung der mündlichen Verhandlung auf die Frage der Aktivlegitimation  und angeordnet und nur hierüber in der mündlichen Verhandlung verhandelt habe. Dies deshalb, da sich in dem auf die mündliche Verhandlung ergangenen Urteil weder im Urteil noch in den Gründen eine entsprechende Beschränkung der Klageabweisung (auch nicht durch Auslegung) als derzeit unbegründet entnehmen ließe und es nicht ausreiche, dass die Klage ausschließlich mit der Begründung der fehlenden Aktivlegitimation abgewiesen worden sei.

Die Rechtskrafterstreckung wirke nach § 325 Abs. 1 ZPO für und gegen den Kläger, da er nach Rechtshängigkeit der Klage im Vorprozess infolge der Rückabtretung der Ansprüche Rechtsnachfolger des Inkassodienstleisters geworden sei. Der (hier auch erkennende) Senat des OLG habe nach Erlass des Urteils des Landgerichts im Vorprozess entschieden, dass die Abtretung der Ansprüche der Kunden an den Inkassodienstleister weder nach § 3 RDG iVm. § 134 BGB nach der bis 30.09.3021 geltenden Fassung von § 4 RDG (jetzt § 41 Abs. 1 RDG) iVm. § 134 BGB nichtig gewesen seien da die Tätigkeit von der dem Inkassodienstleister erteilten Erlaubnis von Rechtsdienstleistungen gedeckt waren. Die Rechtskraft des Urteils im Vorprozess ergäbe nichts anderes, da die Feststellung zur fehlenden Aktivlegitimation des Inkassodienstleisters als bloßes Urteilselement nach § 322 Abs. 1 ZPO nicht an der Rechtskraft teilnehme (s.o.).

Aufgrund er Bindungswirkung desrechtskräftigen Urteils aus dem Vorprozess stünden auch die weiteren Anträge (Feststellung Annahmeverzug, vorgerichtliche Anwaltskosten) dieser entgegen, ebenso eventuelle Restschadensersatzansprüche des Klägers aus §§ 862, 852 S. 1 BGB oder §§ 823 Abs. 2, 852 BGB iVm. § 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV -).

Eine Rückverweisung sah der BGH als geboten an, da die Aufhebung des Urteils nur wegen einer Rechtsverletzung bei der Anwendung des Gesetzes erfolgt sei und danach die Sache zur Endentscheidung reif sei (§ 563 Abs. 3 ZPO).

Schlussbemerkung: Der BGH hat sich vorliegend ausführlich mit der Frage der Rechtskrafterstreckung unter Bezugnahme auf seine ständige Rechtsprechung auseinander gesetzt. Dabei lag die Besonderheit in der hier vorliegenden Abtretung und der rechtskräftigen Abweisung der Klage des Zessionars, der sich die Ansprüche wieder rückabtreten ließ, um sie selbst noch einmal geltend zu machen. Die Reaktion des Zessionars war verständlich, hatte doch das Landgericht im Vorprozess die Klage wegen fehlender Aktivlegitimation abgewiesen. Die fehlende Aktivlegitimation nahm das Landgericht wegen Unzulässigkeit (Nichtigkeit, § 134 BGB) der Abtretung an. Würde man die Nichtigkeit der Abtretung annehmen, wäre der Anspruch nie wirksam vom Kläger an den Inkassodienstleister abgetreten worden und der Kläger wäre noch originär Inhaber des eventuellen Anspruchs; die Rechtskraft des Vorprozesses würde ihn dann nicht berühren, da die Klage von einem Nichtberechtigten erhoben worden wäre. Indem aber der BGH die Zession an den Inkassodienstleister als wirksam ansah, hier also der Kläger nur durch eine Rückabtretung den Anspruch selbst (wieder) geltend machen konnte, traf ihn die Rechtskrafterstreckung aus dem Vorurteil, der durch die Rückabtretung Rechtnachfolger des Inkassodienstleisters wurde und sich in dem rechtkräftigen Vorurteil kein Vorbehalt befand, welches eine neue Klage ermöglicht hätte. Damit zeigt das Urteil auf, dass Abtretungen an Dritte, wie sie auch häufig vorgenommen werden, um einen Zeugen zu generieren (damit dieser nicht Partei ist und damit als Zeuge ausscheidet),  rechtliche Unsicherheiten bei einer Klageabweisung beinhalten, die auf die Zession im Hinblick auf eine Aktivlegitimation zurückgehen.

BGH, Urteil vom 07.08.2024 - VIa ZR 930/23 -

Sonntag, 20. Oktober 2024

Falschbeantwortung von Fragen in der Kaskoversicherung

Der Kläger hatte bei der Beklagten für sein Quad eine Kaskoversicherung abgeschlossen. Dieses wurde nach seiner Behauptung am gestohlen und er hatte am 05.12.2019 Anzeige wegen Diebstahl erstattet. Ein Beauftragter der Beklagten befragte den Beklagten am 25.03.2020, so (Frage 8), ob er allgemeine finanzielle Schwierigkeiten habe, eine eidesstattliche Versicherung oder die Vermögensauskunft abgegeben habe (wobei auch angegeben werden konnte, dass keine Vermögensauskunft abgegeben worden sei), was de Beklagte mit „Nein“ beantwortete. Im Schuldnerverzeichnis war allerdings die Nichtabgabe der Vermögensauskunft in 2018 durch Kläger vermerkt. Die Beklagte versagte den Versicherungsschutz. Das Landgericht wies die Klage des Versicherungsnehmers ab; auf seien Berufung wies das OLG nach § 522 ZPO darauf hin, dass beabsichtigt sei, diese wegen offensichtlicher Erfolglosigkeit zurückzuweisen.

Dabei könne, so das OLG, dahinstehen, ob überhaupt ein Diebstahl vorläge. Die Versagung der Vermögensauskunft sei wegen vorsätzlicher Obliegenheitspflichtverletzung des Klägers im Hinblick auf die Angabe zur Nichtabgabe der Vermögensauskunft berechtigt gewesen.

Ein Versicherungsnehmer ist nach § 28 Abs. 4 VVG über die Folgen einer Verletzung einer vertraglichen Obliegenheit zu belehren, was vorliegend in Textform im Rahmen der Befragung erfolgt sei (weshalb es in Ansehung der Arglist des Klägers auf die Belehrung auch nicht ankäme). Schon in den vertraglich vereinbarten AKB der Beklagten sei ausgeführt, dass Fragen der Beklagten „zu den Umständen des Schadensereignissees, zum Umfang des Schadens und zur Leistungspflicht der Beklagten wahrheitsgemäß und vollständig beantwortet werden müssten. Hier habe der Beklagte bei der Beantwortung der Frage 8 verschwiegen, dass er die Abgabe der Vermögensauskunft nach § 802 c ZPO verweigert habe und die gem. § 882c Abs. 1 Nr. 1 ZPO in das Schuldnerverzeichnis eingetragen worden sei. Es läge auch Vorsatz vor, der zwar von dem Versicherer zu beweisen wäre, wobei allerdings dem Versicherungsnehmer die Substantiierungslast treffe. Der Versicherungsnehmer müsse mithin die in seiner Sphäre liegenden Umstände dartun und der Nachprüfung zugänglich machen, die zu der objektiven Falschangabe geführt hätten. Hier sei die Fragestellung eindeutig gewesen und der Kläger habe auch nach der Zusendung des Protokolls keine Berichtigung vorgenommen, auch keine Rückfragen gestellt, sondern das Protokoll unterschrieben. Seine Behauptung, mit der Fragestellung habe man ihn „aufs Glatteis“ führen wollen sei – so das OLG – abwegig.  

Arglist läge vor, wenn der Versicherungsnehmer bewusst und willentlich auf die Entscheidung des Versicherers einwirke, wenn er also vorsätzlich eine Obliegenheit verletze und dabei bewusst gegen die Interessen des Versicherers verstoße, da er damit rechne, dass seine Obliegenheitsverletzung Einfluss auf die Feststellung des Versicherungsfalles oder die Leistungspflicht des Versicherers oder deren Umfang hat oder haben könnte. Auf eine Bereicherungsabsicht käme es nicht an. Ausreichend sei, wenn der Versicherungsnehmer einen gegen die Interessen des Versicherers gerichteten Zweck verfolge, etwa da er Schwierigkeiten bei der Durchsetzung berechtigter Deckungsansprüche ausräumen wolle und wisse, dass sein Verhalten den Versicherer bei der Schadensregulierung möglicherweise beeinflussen könne (BGH, Urteil vom 21.12.2012 - IV ZR 97/11 -). Ausreichend sei, Beweisschwierigkeiten zu vermeiden, die Regulierung zu beschleunigen oder allgemein auf die Entscheidung des Versicherers Einfluss zu nehmen.

Die Beweislast für Arglist treffe den Versicherer. Aus wissentlich falschen Angaben im Rahmen der Auskunftsobliegenheit im Schadensfall ließe sich allerdings nicht ohne weiteres auf Arglist schließen, da häufig falsche Angaben aus Gleichgültigkeit, Trägheit oder wegen der Annahme ihrer Bedeutungslosigkeit gemacht würden (BGH, Urteil vom 04.05.2009 - IV ZR 62/07 -). Aber auch hier würde dem Versicherungsnehmer die subsidiäre Darlegungslast treffe, weshalb er plausibel darlegen müsse,  wie und weshalb es zu diesen unrichtigen Angaben gekommen ist (BGH, Urteil vom 11.05.2011 – IV ZR 148/09 -).

Der Kläger habe widersprüchliche Angaben gemacht. So habe er bei der Befragung (Frage 11) erklärt, er wolle einfach keine Finanzierung haben, da er das nicht möge, demgegenüber schriftsätzlich vorgetragen wurde, dass er bei Banken o.ä. ohnehin keinen Kredit bekommen hätte; tatsächlich wurde das Quad aber über eine Bank durch einen Dritten finanziert, da der Kläger keinen Kredit bekam. Bei der Beantwortung der Frage 11 sei es ihm darum gegangen, die Regulierung zu beschleunigen und weitere Nachforschungen zu seiner finanziellen Situation zu vermeiden. Auch wenn der Kläger als juristischer Laie seine finanzielle Situation als von den Fragen nicht umfasst angesehen haben sollte, käme es darauf nicht an, da er eine zulässige Frage auch dann beantworten müsse, wenn er die befragten Umstände als unerheblich ansehe. Das OLG sei überzeugt, dass dem Kläger nicht nur bewusst gewesen sei, dass seine Täuschung Einfluss auf das regulierungsverhalten haben könnte, sondern dass es ihm auch darauf angekommen sei.

Da damit Arglist vorläge, käme es nicht darauf an, ob die Obliegenheitsverletzung für den Eintritt oder die Feststellung des Versicherungsfalles oder für den Umfang der Leistungspflicht des Versicherers ursächlich gewesen wäre, § 28 Abs. 3 S. 2 VVG.

Allerdings kann es unter Umständen vom Versicherer rechtsmissbräuchlich sein, die völlige Leistungsfreiheit für sich in Anspruch zu nehmen, § 242 BGB. Das, so das OLG, könne der Fall sein, wenn die Täuschung nur einen geringen teil des versicherten Schadens betreffe und weitere Billigkeitsgründe zugunsten des Versicherungsnehmers berücksichtigt werden könnten. Bruchteilsgrenzen gebe es nicht. Es sei der Hintergrund der Regelung zu beachten, wonach bei der Schadensregulierung nach einem Versicherungsfall die Vertragspartner auf gegenseitiges Vertrauen angewiesen seien. Um das Vertrauensklima zu schützen, solle der Versicherungsnehmer von vornherein durch Androhung einer harten Sanktion von der Versuchung abgehalten werden, das Vertrauensverhältnis durch Täuschung zu missbrauchen (Hinweisbeschluss des OLG Rostock vom 08.01.2020 - 4 U 136/19 -).

Anmerkung: Nicht problematisiert hat hier das OLG den Umstand, dass zwar nach dem mitgeteilten Sachverhalt eine Eintragung im Schuldnerregister wegen Nichtabgabe des Vermögensauskunft erfolgte, aber eine solche nicht abgegeben wurde. Die konkrete Fragestellung bezog sich nicht darauf, ob die Vermögensauskunft verlangt wurde. Offenbar ist das OLG der Ansicht, dass die Eintragung im Schuldnerregister der Abgabe derselben gleichzusetzen ist, da damit die grundlegende Pflicht zu Abgabe einer solchen festgestellt wurde. Die Frage bezieht sich auf finanzielle Verhältnisse des Versicherungsnehmers, die natürlich von Interesse sind, wenn es zu einem behaupteten Diebstahl gekommen sein soll. Entzieht sich der Schuldner der gesetzlichen Pflicht zur Abgabe der Vermögensauskunft, soll er nicht demjenigen gleichgestellt werden, der nicht zu einer aufgefordert wurde und/oder keine abgegeben hat. Ob dem aber die Fragestellung durch den Versicherer gleichgestellt werden kann, gar – wie das OLG meint – deutlich sei, dürfte zu bezweifeln sein. Allerdings ist vorliegend zu berücksichtigen, dass auch die Antwort hätte abgegeben werden können, dass keine Vermögensauskunft abgegeben wurde, was der Kläger nicht bejahte, sondern nur verneinte, dass er eine abgeben habe.

OLG Dresden, Hinweisbeschluss vom 18.04.2024 - 4 U 67/24 -

Dienstag, 15. Oktober 2024

Festsetzung von Reisekosten eines (ausländischen) Prozessvertreters gegen säumigen Zeugen

Ein Zeuge war zu einem Termin, zu dem er zwecks seiner Vernehmung ordnungsgemäß geladen worden war, nicht erschienen. Zu diesem Termin war aber der Prozessbevollmächtigte der Kläger, die ihren Wohnsitz in Brasilien hatten, von seinem Kanzleisitz in Brasilien angereist. Das Landgericht verhängte gegen den Zeugen ein Ordnungsgeld von € 200,00 und legte ihm die durch sein Ausbleiben zum Termin entstandenen Kosten auf. Die dagegen vom Zeugen eingelegte Beschwerde wies das OLG Bamberg mit Beschluss vom 20.03.2023 zurück. Ein neuer Termin für die Zeugenvernehmung wurde auf den 11.05.2023 anberaumt, allerdings auf Antrag des Beklagtenvertreters am 20.04.2023 auf den 04.07.2023 verlegt. Am 20.05.2023 beantragte der Prozessbevollmächtigte der Kläger die Festsetzung seiner Reisekosten: Er habe im Hinblick auf den Termin vom 11.05.2023 am 23.03.2023 Kosten für Flugtickets in Höhe von € 1.000,00 gehabt, sodann durch die Verlegung des Termins noch einmal Umbuchungskosten von € 1.063,90. Zur Festsetzung gegen den Zeugen wurden nur die € 1.000,00 beantragt. Die Rechtspflegerin wies den Antrag zurück, dem das OLG auf die vom Klägervertreter eingelegten sofortigen Beschwerde stattgab, da es sich um notwendige Kosten der Rechtsverfolgung gem. § 91 Abs. 1 ZPO handele.

Die Kostengrundentscheidung sei nach § 380 Abs. 1 S. 1 ZPO getroffen, demzufolge dem Zeugen die durch sein Ausbleiben verursachten Kosten auferlegt werden könnten. Bei den Kosten eines an der Rechtsverfolgung oder -verteidigung Beteiligten greife auch hier die das Kostenfestsetzungsverfahren beherrschende Maxime des § 91 Abs. 1 S. 2 ZPO, dass nur solche Kosten zu erstatten seien, die zur zweckentsprechenden Wahrung der Rechte notwendig gewesen wären. Dabei käme es darauf an, ob eine verständige und wirtschaftlich vernünftige Partei die kostenauslösende Maßnahme im Zeitpunkt ihrer Veranlassung habe als sachdienlich ansehen dürfen, wobei sie ihre berechtigten Interessen verfolgen und zur vollen Wahrung ihrer Belange ergreifen dürfe. Lediglich sei sie gehalten, unter mehreren gleichartigen Maßnahmen die kostengünstigere zu wählen (BGH, Beschluss vom 16.12.2004 - I ZB 23/04 -).

Sollte nach dieser Maßgabe eine Partei grundsätzlich die Hinzuziehung eines am Wohn- oder Geschäftsort ansässigen Rechtsanwalts zur entsprechenden Rechtsverfolgung notwendig sein, so sei der Partei auch das Recht zuzubilligen, sich von diesem in der mündlichen Verhandlung vertreten zu lassen (auch wenn ggf. die Kosten eines Unterbevollmächtigten billiger wären). § 91 Abs. 2 S. 1 Halbs. 2 ZPO verlange keine zusätzliche Prüfung, ob auch die Wahrnehmung des Verhandlungstermins durch diesen Rechtsanwalt im konkreten Einzelfall unbedingt erforderlich sei. Das OLG wies darauf hin, dass die Annahme, der Unterbevollmächtigte sei nur „ausführendes Organ“ des Prozessbevollmächtigten, der Prozessstrategie und -taktik mit der Partei bespreche und den Vortrag in der mündlichen Verhandlung mit seinen Schriftsätzen bestimme, würde den Aufgaben des Prozessbevollmächtigten in einer Beweisaufnahme nicht gerecht, da deren Verlauf und die daraus zu ziehenden Schlussfolgerungen noch weniger planbar seien als in der mündlichen Verhandlung.

Vorliegend sah das OLG die Beauftragung des Prozessbevollmächtigten mit Kanzleisitz in Brasilien als notwendig im vorgenannten Sinn an. Die Kläger hätten ihren Wohnsitz in Brasilien. Im Hinblick auf die Möglichkeit eines persönlichen Mandantengesprächs wie auch der direkten Verständigung in deren portugiesischer Muttersprache sie die Beauftragung sachgerecht gewesen. Es handele sich zudem nicht um eine einfach gelagerte Sach- und Rechtslage bei einem nicht unerheblichen Streitwert von vorläufig € 50.000,00. Aufgrund seiner Zulassung zur Rechtsanwaltschaft unter Befreiung von seiner Kanzleipflicht in der BRD sei dem Prozessbevollmächtigten der Kläger auch die Führung eines Prozesses in Deutschland möglich gewesen, ohne Dritte einzuschalten.

Aus diesen Umständen folge regelmäßig die Erstattungsfähigkeit der Terminswahrnehmung durch den Prozessbevollmächtigten. Auf eine kostengünstigere Alternative hätten die Kläger nicht verwiesen werden können; dieser Ausnahmefall läge nur dann vor, wen von Anfang an festgestanden hätte, dass die Anwesenheit des Prozessbevollmächtigten bei der Beweisaufnahme nicht erforderlich sein wird, es sich also um ein „lediglich durchschnittliches“ Beweisthema gehandelt hätte. Allerdings sei für die Parte nicht von vorhersehbar, welche Schwierigkeiten es bei der Zeugeneinvernahme gibt, ob es um ein Zeugnisverweigerungsrecht gehen würde, wie die Glaubwürdigkeit zu beurteilen ist, was alles von der Persönlichkeit des Zeugen und seinem Verhalten abhänge. Auch sei zu berücksichtigen, dass das Hintergrundwissen eine sinnvolle und nützliche Hilfe bei der Beseitigung von Schwierigkeiten sei (BGH, Beschluss vom 16.12.2004 - I ZB 23/04 -).

Zu den nach § 380 Abs. 1 ZPO aufgrund seines Ausbleibens vom Zeugen zu erstattenden Kosten würden alle Kosten zählen, die durch die neuerliche Ladung des Zeugen und seiner Vernehmung in einem neuen Termin erforderlich würden (BGH, Beschluss vom 16.12.2004 - I ZB 23/04 -).

Anmerkung: Mit der vorstehenden Begründung müssten der Partei auch die Kosten der Umbuchung erstattet zuerkannt werden, da diese zwar kausal auf der Verlegung des Termins vom 11.05. beruhte, die nicht vom Zeugen veranlasst wurde, aber es überhaupt zu einem neuen Termin und damit der Bestimmung des 11.05. als neuen Termin kam, beruhte auf dem Ausbleiben des Zeugen im vorhergehenden Termin. Ohne das Ausbleiben des zeugen im ersten Termin wäre es mithin nicht zu einer Terminänderung gekommen, sie die Kosten der Umbuchung verursachte.

OLG Bamberg, Beschluss vom 01.03.2024 - 2 W 39/23 -

Samstag, 12. Oktober 2024

WEG: Normgerechte Auslegung der Beschlussfassung zum Hausgeld

Mit dem sogen. Wohnungseigentumsmodernisierungsgesetz (WEMoG) wurde auch § 28 Abs. 5 WEG a.F. zu den Rechenwerken des Wirtschaftsplanes und der Jahresabrechnung geändert. Die Beschlussfassung bezieht sich nach dem jetzigen § 28 Abs. 1 S.1 und Abs. 2 S. 1 WEG nur noch auf die Vorschüsse, Anpassung der Vorschüsse und Nachforderungen. Dies führte zu vielen Fehlern in den folgenden Beschlussfassungen und Beschlüssen. Dies hat der zuständige V. Zivilsenat des BGH erkannt und verlangt eine objektive Auslegung der entsprechenden Beschlüsse. Bereits in seinem Beschluss vom 25.10.2023 - V ZB 9/23 - zu einem Beschluss, durch den „der Wirtschaftsplan genehmigt wird“ hatte er ausgeführt, dass dieser Beschluss nächstliegend dahingehend auszulegen sei, dass die Wohnungseigentümer damit lediglich die Höhe der in den Einzelwirtschaftsplänen ausgewiesenen Vorschüsse festlegen wollen.

In dem diesem Beitrag zugrunde liegenden Urteil hatte die Wohnungseigentümerversammlung den Beschluss gefasst, dass „die Gesamtabrechnung und die daraus resultierenden Einzelabrechnungen des Hausgeldes für den Zeitraum 01.01.2020 bis 31.12.2020 … genehmigt“ werden und die „Abrechnungsspitzen … zum 01.09.2021 fällig“ würden.  Das Amtsgericht hatte die dagegen erhobene Anfechtungsklage abgewiesen. Das Landgericht als Berufungsgericht hatte den Beschluss insoweit für nichtig erklärt, als mit diesem die Gesamtabrechnung und die daraus resultierenden Einzelabrechnungen genehmigt wurden. Die dagegen gerichtete Revision sah der BGH unter Fortführung seiner Rechtsprechung gemäß seinem Beschluss vom 25.10.2023 als begründet an.

Das Landgericht hatte die Nichtigkeit angenommen, da der Eigentümerversammlung die Beschlusskompetenz nach § 28. Abs. 2 S. 1 WEG gefehlt habe, die sie entgegen der früheren Rechtslage nur zu Zahlungspflichten, die zum Ausgleich einer Unter- oder Überdeckung aus dem Wirtschaftsplan habe, zustehe, nicht aber für eine Gesamtabrechnung und die Einzelabrechnungen. Eine gesetzeskonforme Auslegung käme hier nicht in Betracht, da nicht nur die Abrechnungsspitzen fällig gestellt worden seien, sondern nach dem Beschlusstext auch die Gesamtabrechnung und die Einzelabrechnungen genehmigt worden seien.

Der BGH stimmte dem Berufungsgericht dahingehend zu, dass nach der seit dem 01.12.2020 gültigen Fassung des § 28 Abs. 1 S. 1 WEG nach Ablauf des Wirtschaftsjahres nur noch über die Einforderung von Nachschüssen oder die Anpassung von Vorauszahlungen Beschlüsse gefasst werden können und auch nur insoweit entgegen vorheriger Rechtslage nur Zahlungspflichten, die zum Ausgleich einer Unter- oder Überdeckung aus dem Wirtschaftsplan (für das betroffene Jahr) erforderlich seien. Das Zahlenwerk, aus dem sich die Zahlungsverpflichtungen ergäben, sei nicht mehr Gegenstand der Beschlussfassung, sondern diene nur noch nach § 28 Abs. 2 S. 2 WEG deren Vorbereitung (BT-Drs. 19/18791, S. 77).

Unter Verweis auf seine Entscheidung vom 25.10.2023 verwies der BGH darauf, dass ein in 2020 gefasster Beschluss, durch den „der Wirtschaftsplan genehmigt“ werde, nächstliegend dahingehend auszulegen sei, dass damit lediglich die Höhe der in den Einzelwirtschaftsplänen ausgewiesenen Beträge (Vorschüsse) festgelegt würden.  Er habe dort bereits darauf hingewiesen, dass Beschlüsse objektiv und „aus sich heraus“ auszulegen seien, wobei es maßgebend darauf ankäme, wie er nach seinem Wortlaut und Sinn für einen unbefangenen Betrachter nächstliegend zu verstehen sei. Dies spräche nächstliegend dafür, dass nach Inkrafttreten von § 28 Abs. 1 S. 1 WEG entsprechend dieser Norm nur über die Vorschüsse ein Beschluss gefasst werden sollte, auch wenn nach dem Wortlaut zugleich der Wirtschaftsplan genehmigt werden sollte.

Entsprechendes gelte auch für die Jahresabrechnung. Hier sei der Beschluss, durch den „die Gesamtabrechnung und die daraus resultierenden Einzelabrechnungen des Hausgeldes“ genehmigt würden, nächstliegend dahingehend auszulegen, dass damit nur ein Beschluss zu den in den Einzelabrechnungen ausgewiesenen Nachschüssen oder die Anpassung der beschlossenen Vorauszahlungen festgelegt werden sollen. Es sei auch hier davon auszugehen, dass die zu einer rechtmäßigen Verwaltung verpflichteten Wohnungseigentümer nicht das Zahlenwerk als solches genehmigen, sondern nur entsprechend der gesetzlichen Vorgabe einen Beschluss über die Abrechnungsspitze fassen wollten. Damit aber sei die Genehmigung auf die Abrechnungsspitzen beschränkt, wofür sich aus § 28 Abs. 2 S. 1 WEG die Beschlusskompetenz ergäbe.

BGH, Urteil vom 19.07.2024 - V ZR 102/23 -

Mittwoch, 9. Oktober 2024

Haftungsquote bei Kollision mit geöffneter Fahrzeugtür

Das Beklagtenfahrzeug parkte in einer am rechten Fahrbahnrand belegenen Parkbucht. Bei der Vorbeifahrt kollidierte das Klägerfahrzeug mit der hinteren linken (geöffneten) Tür des Beklagtenfahrzeugs. Das Landgericht wies die auf Schadensersatz gerichtete Klage ab. Das Berufungsgericht nahm eine Haftungsverteilung vor.

Das Berufungsgericht schloss sich der vom Erstgericht vertretenen Auffassung an, dass sowohl die Kläger- wie auch die Beklagtenseite für die Folgen des Unfalls gem. §§ 7, 17, 18 StVG iVm. 115 VVG einzustehen hätte, da die Unfallschäden jeweils bei dem Betrieb eines Kraftfahrzeuges entstanden seien und für keinen der beteiligten Fahrer ein unabwendbares Ereignis iSv. § 17 Abs. 3 StVG darstelle.

Richtig habe auch das Erstgericht im Rahmen der danach nach § 17 Abs. 1 StVG vorzunehmenden Haftungsverteilung einen Verstoß der Beklagten zu 2. Gegen § 14 S. 1 StPO angenommen habe, sei dies ebenfalls zutreffend. Wer ein- oder aussteigt müsse sich gem. § 14 S. 1 StPO so verhalten, dass eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen sei. Die Norm würde dem fließenden Verkehr schützen und verlange vom Aussteigenden ein Höchstmaß an Sorgfalt. Diese Sorgfaltsanforderung ende beim Einsteigen erst mit dem Schließen der Tür und beim Aussteigen erst mit dem Schließen der Tür du dem Verlassen der Fahrbahn. Situationen beim Ein- oder Aussteigevorgang bei geöffneter Tür würden davon auch umfasst, so auch ein beugen in das Fahrzeug, um Gegenstände auszuladen (BGH, Urteil vom 06.10.2009 - VI ZR 316/08 -). Ein Aussteigen zur Fahrbahnseite müsste so schnell wie möglich wegen der damit verbundenen besonderen Gefahrensituation durchgeführt werden und die Tür dürfe dabei nicht länger offengelassen werden als unbedingt notwendig (OLG Celle, Urteil vom 04.12.2019 - 14 U 127/19 -).  

Käme es im unmittelbaren zeitlichen und örtlichen Zusammenhang mit dem Ein- oder Aussteigevorgang zu einer Kollision mit dem fließenden Verkehr, spreche der Beweis des ersten Anscheins für eine fahrlässige Sorgfaltspflichtverletzung des Ein- bzw. Aussteigenden (BGH aaO.).

Ein zu geringer Seitenabstand würde den Anscheinsbeweis nicht bereits erschüttern. Zwar habe der BGH aaO. offengelassen, ob in einem solchen Fall der Anscheinsbeweis erschüttert sei, wenn sich der Aus-/Einsteigende bei dem Vorgang vergewisserte, dass sich kein rückwärtiger Verkehr nähere und der Unfall einzig auf den geringen Seitenabstand zurückzuführen sei. Hier allerdings läge der Fall anders, da die Zweibeklagte kein herannahendes Fahrzeug gesehen haben will obwohl sie sich nach dem rückwärtigen Verkehr vergewissert habe, der Sachverständige allerdings feststellt habe, dass sie in diesem Fall das klägerische Fahrzeug zu sehen gewesen wäre. Zudem ließe sich der Einlassung der Zweitbeklagten nicht entnehmen, dass sie nicht nur bei Öffnen der Tür, sondern fortwährend auch danach über rückwärtigen Verkehr vergewisserte, um ggf. die Tür wieder zu schließen

Das Erstgericht hatte einen unfallursächlichen Verstoß auf Klägerseite gegen § 1 Abs. 2 StVO wegen eines unzureichenden Seitenabstandes beim Vorbeifahren angenommen, da die geöffnete Tür zu sehen gewesen sei.  Dies sah das Berufungsgericht als zweifelhaft an, da offen se, ob die Tür im Zeitraum der Vorbeifahrt weiter geöffnet wurde und ob der der Klägerseite zur Verfügung stehende Verkehrsraum überhaupt einen weiteren Seitenabstand zugelassen habe. Dies ließ das Berufungsgericht offen, da auch bei einem unzureichenden Seitenabstand im Rahmen der Haftungsabwägung der klägerische Haftungsanteil allenfalls – wie von der Berufung zugrunde gelegt – der klägerische Haftungsanteil 50% betrage. Ein höherer Haftungsanteil scheide aus, da nicht auszuschließen sei, dass die Tür unmittelbar vor der Kollision weiter geöffnet wurde und von daher nicht feststehen würde, dass der Fahrer des klägerischen Fahrzeugs die wesentliche Ursache für die Kollision gesetzt habe.

OLG Saarbrücken, Urteil vom 05.07.2024 - 3 U 16/24 -

Sonntag, 6. Oktober 2024

Anfechtung der eigenen Erbausschlagung

Die Antragstellerin (AS) hatte das ihr zustehende Erbe zunächst ausgeschlagen, diese Ausschlagung allerdings innerhalb der Monatsfrist des § 63 FamFG angefochten. Ihr gestellter Alleinerbschein zu ihren Gunsten beantragt, da sie als Erbin erster Ordnung gem. § 1924, 1930 einen Alleinerbschein beantragt. Allerdings gab das Nachlassgericht dem Antrag des Großneffen der Erblasserin auf Erteilung eines Erbscheins statt. Die dagegen von der AS eingelegte Beschwerde war erfolgreich.

Zwar habe die AS zunächst wirksam nach §§ 1942 ff BGB die Erbschaft ausgeschlagen, weshalb der Anfall der Erbschaft gem. § 1953 Abs. 1 BGB nicht als erfolgt gelte. Diese Ausschlagung sei allerdings fristgerecht von ihr angefochten worden, weshalb hier eine Ausnahme nach § 1957 Abs. 1 BGB eingreife. Erforderlich für die wirksame Ausschlagung könne ein kausaler Irrtum über eine verkehrswesentliche Eigenschaft des Nachlasses sein, §§ 1954, 119 Abs. 2 BGB. Ein solcher Irrtum könne angenommen werden bei falscher Vorstellung hinsichtlich der Zusammensetzung des Nachlasses, des Bestandes an Aktiva und Passiva. Das OLG lehnte allerdings entgegen einer in der Rechtsprechung vertretenen Ansicht ab (so z.B. BGH, Urteil vom 21.02.2052 - IV ZR 103/51 -; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 05.09.2008 - 3 Wx 123/08 -) die Überschuldung des Nachlasses als verkehrswesentliche Eigenschaft anzusehen, da der Wert anders als die wertbildenden Faktoren keine Eigenschaft einer Sache iSv. § 119 Abs. 2 BGB sei (BGH, Urteil vom 18.12.1954 - II ZR 296/53 -), sondern selbst Ergebnis der Bewertung der einzelnen Aktiv- und Passivposten des Nachlasses. Allerdings se die irrtümliche Vorstellung über eine Überschuldung im Rahmen der Kausalitätsprüfung zu berücksichtigen.

Bei dem Irrtum handele es sich um eine Abweichung der Vorstellung des Erklärenden über eine verkehrswesentliche Eigenschaft von den tatsächlichen Gegebenheiten. Es handele sich um eine innere Tatsache. Ein entsprechender Irrtum iSv. § 119 Abs. 2 BGB läge nicht vor, wenn die Ausschlagung unabhängig von Grund und Höhe der Erbschaft bewusst auf der Grundlage ungenauer zeitferner Informationen erfolge (KG, Beschluss vom 19.10.2023 – 6 W 31/23 -); in diesem Fall würde die Vorstellung nicht von den tatsächliche Umständen abweichen, vielmehr halte der Erklärende die Grundlagen der ihm vorliegenden Informationen das Vorliegen einer bestimmten verkehrswesentlichen Eigenschaft als wahrscheinlicher als deren Nichtvorliegen. Damit läge eine Vermutung vor, da die Vorstellung nicht aufgrund einer Bewertung bekannter Fakten vor, die zur Ausschlagung oder Annahme der Erbschaft führe. Spekulativ sei in diesem Fall die Entscheidung auf ungesicherter Basis erfolgt (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 19.12.2018 - I-3 Wx 140/19 -).

Dem stellte das OLG den Fall gegenüber, dass der Erklärende hinreichende Anstrengungen unternommen habe, um Erkenntnisse über Fakten zu erlangen, die ihm als gesicherte Entscheidungsgrundlage dienen könnten. Im Rahmen der Irrtumsfeststellung ginge es auch nicht um ein Vershulden des Erklärenden, da (vgl. § 122 Abs. 2 BGB) selbst grob fahrlässiges Verschulden eine Irrtumsanfechtung nicht ausschließen würde (so bereits RGZ 62, 205 und RGZ 88, 411). Zu prüfen sei bei der Frage, ob der Anfechtende naheliegende Erkenntnismöglichkeiten genutzt habe, alleine die Plausibilität des behaupteten Irrtums, da es sich bei der von der Realität abweichenden Fehlvorstellung um eine innere und damit nur anhand von Indizien aufklärbare Tatsache handele. Derjenige, der keine Anstrengungen unternehme, um sich zu informieren, der sich nicht für die Tatsachen interessiere, nähme häufig eine unsichere Grundlage für seine Entscheidung in Kauf und stütze diese damit bewusst auf ein Wahrscheinlichkeitsurteil. Damit sein eine zur Anfechtung berechtigende Fehlvorstellung über Zusammensetzung und Bestand des Nachlasses unwahrscheinlich und unplausibel. Demgegenüber könnten vom Erklärenden unternommene Erkundigungen zum Nachlass, die der Erklärende im Zeitpunkt der Erklärung gemacht habe, als Anzeichen für einen Irrtum dienen (so auch OLG Hamm, Beschluss vom 29.01.2009 - I-15 Wx 213/08 - zur Annahme einer Erbschaft).

Weiterhin müsse der Irrtum über die verkehrswesentliche Eigenschaft kausal für die Erklärung gewesen sein. Grundsätzlich könne dies angenommen werden, wenn die Ausschlagung in der Annahme der Überschuldung des Nachlasses erfolge. Das sei aber nicht zwingend, da auch ein Irrtum, der bei vorgestellter maginaler Solvenz eine tatsächlich vorhandene geringfügige Überschuldung zur Folge habe, nicht kausal sein, , wie auch der Irrtum über das Vorhandensein eines bedeutenden Nachlassgegenstandes bei unabhängig davon bestehender Solvenz des Nachlasses seinerseits kausal für die Erklärung sein könne. Es käme im Einzelfall auf die Beweggründe des Erklärenden an, weshalb auch insoweit in Zweifelsfällen eine Anhörung desselben unerlässlich sei. Genügend sei eine Mitursächlichkeit des Irrtums.

Dies zugrundeliegend ging das OLG davon aus, dass die Antragstellerin zum Zeitpunkt der Ausschlagung der Erbschaft irrtümlich falsche Vorstellungen hinsichtlich der Zusammensetzung des Nachlasses hatte. Dabei hebe sie hier insbesondere über das Vorhandensein der Guthaben auf Spar- und Girokonto geirrt, was jedenfalls mitursächlich für die Ausschlagung gewesen sei. Das OLG führte sodann im Einzelnen aus, weshalb die AAS ihrer Erkundigungspflicht nachgekommen sei und daher von einem Irrtum im vorgenannten Sinne ausgegangen werden könne. Es wies auch darauf hin, dass sie erst nach der Ausschlagung vom Nachlasspfleger von den Kontenguthaben erfuhr und dass ihr nicht angelastet werden könne, dass sie nicht selbst in der Wohnung der Erblasserin nach Finanzunterlagen gesucht habe, da es auf ein Verschulden nicht ankäme und vorliegend die zuständige Kriminalbeamtin ihr den Zustand der Wohnung geschildert und ihr im Hinblick darauf abgeraten habe, die Wohnung zu betreten.

Damit stellte das OLG fest, das nach den Gesamtumständen die AS bei Abgabe der Ausschlagungserklärung sich über die Zusammensetzung und damit eine verkehrswesentliche Eigenschaft des Nachlasses geirrt habe und nicht lediglich das Fehlen von Vermögenswerten als wahrscheinlich ansah.

OLG Frankfurt, Beschluss vom 24.07.2024 - 21 W 146/23 -