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Sonntag, 6. Oktober 2024

Anfechtung der eigenen Erbausschlagung

Die Antragstellerin (AS) hatte das ihr zustehende Erbe zunächst ausgeschlagen, diese Ausschlagung allerdings innerhalb der Monatsfrist des § 63 FamFG angefochten. Ihr gestellter Alleinerbschein zu ihren Gunsten beantragt, da sie als Erbin erster Ordnung gem. § 1924, 1930 einen Alleinerbschein beantragt. Allerdings gab das Nachlassgericht dem Antrag des Großneffen der Erblasserin auf Erteilung eines Erbscheins statt. Die dagegen von der AS eingelegte Beschwerde war erfolgreich.

Zwar habe die AS zunächst wirksam nach §§ 1942 ff BGB die Erbschaft ausgeschlagen, weshalb der Anfall der Erbschaft gem. § 1953 Abs. 1 BGB nicht als erfolgt gelte. Diese Ausschlagung sei allerdings fristgerecht von ihr angefochten worden, weshalb hier eine Ausnahme nach § 1957 Abs. 1 BGB eingreife. Erforderlich für die wirksame Ausschlagung könne ein kausaler Irrtum über eine verkehrswesentliche Eigenschaft des Nachlasses sein, §§ 1954, 119 Abs. 2 BGB. Ein solcher Irrtum könne angenommen werden bei falscher Vorstellung hinsichtlich der Zusammensetzung des Nachlasses, des Bestandes an Aktiva und Passiva. Das OLG lehnte allerdings entgegen einer in der Rechtsprechung vertretenen Ansicht ab (so z.B. BGH, Urteil vom 21.02.2052 - IV ZR 103/51 -; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 05.09.2008 - 3 Wx 123/08 -) die Überschuldung des Nachlasses als verkehrswesentliche Eigenschaft anzusehen, da der Wert anders als die wertbildenden Faktoren keine Eigenschaft einer Sache iSv. § 119 Abs. 2 BGB sei (BGH, Urteil vom 18.12.1954 - II ZR 296/53 -), sondern selbst Ergebnis der Bewertung der einzelnen Aktiv- und Passivposten des Nachlasses. Allerdings se die irrtümliche Vorstellung über eine Überschuldung im Rahmen der Kausalitätsprüfung zu berücksichtigen.

Bei dem Irrtum handele es sich um eine Abweichung der Vorstellung des Erklärenden über eine verkehrswesentliche Eigenschaft von den tatsächlichen Gegebenheiten. Es handele sich um eine innere Tatsache. Ein entsprechender Irrtum iSv. § 119 Abs. 2 BGB läge nicht vor, wenn die Ausschlagung unabhängig von Grund und Höhe der Erbschaft bewusst auf der Grundlage ungenauer zeitferner Informationen erfolge (KG, Beschluss vom 19.10.2023 – 6 W 31/23 -); in diesem Fall würde die Vorstellung nicht von den tatsächliche Umständen abweichen, vielmehr halte der Erklärende die Grundlagen der ihm vorliegenden Informationen das Vorliegen einer bestimmten verkehrswesentlichen Eigenschaft als wahrscheinlicher als deren Nichtvorliegen. Damit läge eine Vermutung vor, da die Vorstellung nicht aufgrund einer Bewertung bekannter Fakten vor, die zur Ausschlagung oder Annahme der Erbschaft führe. Spekulativ sei in diesem Fall die Entscheidung auf ungesicherter Basis erfolgt (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 19.12.2018 - I-3 Wx 140/19 -).

Dem stellte das OLG den Fall gegenüber, dass der Erklärende hinreichende Anstrengungen unternommen habe, um Erkenntnisse über Fakten zu erlangen, die ihm als gesicherte Entscheidungsgrundlage dienen könnten. Im Rahmen der Irrtumsfeststellung ginge es auch nicht um ein Vershulden des Erklärenden, da (vgl. § 122 Abs. 2 BGB) selbst grob fahrlässiges Verschulden eine Irrtumsanfechtung nicht ausschließen würde (so bereits RGZ 62, 205 und RGZ 88, 411). Zu prüfen sei bei der Frage, ob der Anfechtende naheliegende Erkenntnismöglichkeiten genutzt habe, alleine die Plausibilität des behaupteten Irrtums, da es sich bei der von der Realität abweichenden Fehlvorstellung um eine innere und damit nur anhand von Indizien aufklärbare Tatsache handele. Derjenige, der keine Anstrengungen unternehme, um sich zu informieren, der sich nicht für die Tatsachen interessiere, nähme häufig eine unsichere Grundlage für seine Entscheidung in Kauf und stütze diese damit bewusst auf ein Wahrscheinlichkeitsurteil. Damit sein eine zur Anfechtung berechtigende Fehlvorstellung über Zusammensetzung und Bestand des Nachlasses unwahrscheinlich und unplausibel. Demgegenüber könnten vom Erklärenden unternommene Erkundigungen zum Nachlass, die der Erklärende im Zeitpunkt der Erklärung gemacht habe, als Anzeichen für einen Irrtum dienen (so auch OLG Hamm, Beschluss vom 29.01.2009 - I-15 Wx 213/08 - zur Annahme einer Erbschaft).

Weiterhin müsse der Irrtum über die verkehrswesentliche Eigenschaft kausal für die Erklärung gewesen sein. Grundsätzlich könne dies angenommen werden, wenn die Ausschlagung in der Annahme der Überschuldung des Nachlasses erfolge. Das sei aber nicht zwingend, da auch ein Irrtum, der bei vorgestellter maginaler Solvenz eine tatsächlich vorhandene geringfügige Überschuldung zur Folge habe, nicht kausal sein, , wie auch der Irrtum über das Vorhandensein eines bedeutenden Nachlassgegenstandes bei unabhängig davon bestehender Solvenz des Nachlasses seinerseits kausal für die Erklärung sein könne. Es käme im Einzelfall auf die Beweggründe des Erklärenden an, weshalb auch insoweit in Zweifelsfällen eine Anhörung desselben unerlässlich sei. Genügend sei eine Mitursächlichkeit des Irrtums.

Dies zugrundeliegend ging das OLG davon aus, dass die Antragstellerin zum Zeitpunkt der Ausschlagung der Erbschaft irrtümlich falsche Vorstellungen hinsichtlich der Zusammensetzung des Nachlasses hatte. Dabei hebe sie hier insbesondere über das Vorhandensein der Guthaben auf Spar- und Girokonto geirrt, was jedenfalls mitursächlich für die Ausschlagung gewesen sei. Das OLG führte sodann im Einzelnen aus, weshalb die AAS ihrer Erkundigungspflicht nachgekommen sei und daher von einem Irrtum im vorgenannten Sinne ausgegangen werden könne. Es wies auch darauf hin, dass sie erst nach der Ausschlagung vom Nachlasspfleger von den Kontenguthaben erfuhr und dass ihr nicht angelastet werden könne, dass sie nicht selbst in der Wohnung der Erblasserin nach Finanzunterlagen gesucht habe, da es auf ein Verschulden nicht ankäme und vorliegend die zuständige Kriminalbeamtin ihr den Zustand der Wohnung geschildert und ihr im Hinblick darauf abgeraten habe, die Wohnung zu betreten.

Damit stellte das OLG fest, das nach den Gesamtumständen die AS bei Abgabe der Ausschlagungserklärung sich über die Zusammensetzung und damit eine verkehrswesentliche Eigenschaft des Nachlasses geirrt habe und nicht lediglich das Fehlen von Vermögenswerten als wahrscheinlich ansah.

OLG Frankfurt, Beschluss vom 24.07.2024 - 21 W 146/23 -

Freitag, 30. August 2024

WEG: Qualifizierte Mehrheit bei Änderung von Regelungen in Gemeinschaftsordnung und Öffnungsklausel

Die sogen. Öffnungsklausel betrifft Änderungen (zulässiger) Vereinbarungen der Wohnungseigentümer (Teilungserklärung / Gemeinschaftsordnung) nach § 10 Abs. 1 S. 2 WEG. Grundsätzlich bedarf die Änderung einer Vereinbarung der Mitwirkung sämtlicher Wohnungseigentümer. Neben gesetzlichen Öffnungsklauseln, nach denen eine Vereinbarung auch durch Beschluss geändert werden kann (z.B. §§ 16 Abs. 2 S. 2, 12 Abs. 4 und 21 Abs. 5 WEG) kann allerdings auch eine Öffnungsklausel vereinbart werden, also in die Gemeinschaftsordnung aufgenommen werden, nach der die Wohnungseigentümer allgemein oder in bestimmten Fällen nicht nur mittels einer Vereinbarung der Wohnungseigentümer, sondern im Beschlussweg mit der (qualifizierten) Mehrheit eine Änderung vornehmen können.

Dem Rechtsstreit lag hier eine notariell bei Begründung des Wohnungseigentums 1984 protokollierte   und im Grundbuch gewahrte Gemeinschaftsordnung zugrunde, die u.a.  besagte, dass das Gebäude zu Wohnzwecken und gewerblichen Zwecken diene (Z. 2 Abs. 1) und der Bestimmungszweck des Gebäudes sowie der einzelnen Sondereigentumsräume „nur mit einer Mehrheit von ¾ aller stimmberechtigten Miteigentümer geändert werden kann“ (Z. 2. Abs. 4). Für die Änderung der Gemeinschaftsordnung sei ggf. zusätzlich die Zustimmung von Hypotheken- und Grundschuldgläubigern erforderlich (Z. 21 Abs. 1). Auf Antrag des Beteiligten wurde in einer Eigentümerversammlung vom 14.06.2022 mit Mehrheit der Beschluss gefasst, dass zum Einen die Vertretungsberechtigung in Bezug auf die Ausübung des Stimmrechts nicht mehr auf Miteigentümer oder den Verwalter beschränkt ist, und die Teileigentumseinheiten 02 und 03 in Wohnungseigentum umgewandelt werden können, wird dies vom jeweiligen Sondereigentümer gewünscht. Der Geschäftsführer der Verwaltung beantragte mit notarieller Urkunde die „Änderung der Teilungserklärung“ zu den benannten Beschlüssen in den Grundbüchern der Gemeinschaft einzutragen. Mit Zwischenverfügung wies das Grundbuchamt darauf hin, dass die Zustimmung der dingliche berechtigten in Abt. III der Grundbücher erforderlich sei und setzte zur Behebung eine Frist. Hiergegen richtete sich die Beschwerde des Beteiligten, der das Grundbuchamt nicht abhalf.

Das Beschwerdegericht hob zwar die Zwischenverfügung auf die Beschwerde hin auf, doch dürfte dies dem Beteiligten nicht weiterhelfen.

Das Beschwerdegericht wies darauf hin, dass dann, wenn der beantragten Eintragung ein Hindernis entgegen stehen würde, den Antrag entweder unter Angabe der Gründe zurückweisen oder (wie hier in der Sache geschehen) dem Antragsteller eine angemessene Frist zur Behebung des Hindernisses setzen müsse (§ 18 Abs. 1 S. 1 GBO). Eine Zwischenverfügung (Hinweis mit Fristsetzung) käme aber nur dann in Betracht, wenn das Eintragungshindernis rückwirkend auf den Zeitpunkt der Antragsstellung bei dem Grundbuchamt behoben werden könne (BGH, Beschluss vom 01.10.2020 - V ZB 51/20 -). Das Hindernis könne hier aber weder durch das vom Grundbuchamt aufgezeigte Abhilfemittel und schon gar nicht auf den Zeitpunkt der Antragsstellung behoben werden.

Dass für die vorgesehene Änderung der Vertretungsberechtigung bei der Stimmabgabe keine Öffnungsklausel für eine Änderung durch qualifizierten Mehrheitsbeschluss vorläge, sei offenkundig, weshalb der entsprechende Beschluss nicht Grundlage für eine Eintragung im Grundbuch sein könne.  

Vorliegend hätten nicht alle Wohnungseigentümer Erklärungen abgegeben noch wären sie übereinstimmend. Streitbefangen seien Beschlüsse seien Beschlüsse die zwar auf eine Änderung der Gemeinschaftsordnung gerichtet seien, aber nicht auf Grund der Gemeinschaftsordnung gefasst worden seien.  Es würde eine entsprechende Öffnungsklausel in der Gemeinschaftsordnung fehlen.

Offen bleiben könne dabei, ob in Ansehung der Regelung unter Z. 2 Abs. 4 die Umwandlung von Teileigentum in Wohnungseigentum und umgekehrt durch qualifizierten Mehrheitsbeschluss überhaupt geregelt sei oder es dort nur um Zweckbestimmungen gehe, also ob Wohnungseigentum auch gewerblich genutzt werden dürfe, was hier (noch) nicht streitgegenständlich sei.

In der Sache sei der Beschluss auf Umwandlung auf die Schaffung einer Öffnungsklausel gerichtet, aufgrund derer der Beteiligte als derzeitiger Eigentümer der Teileigentumsrechte ohne weitere Beteiligung der anderen Miteigentümer eine Umwandlung in Wohnungseigentum vornehmen könne. Ein entsprechender Änderungsvorbehalt sei in der Gemeinschaftsordnung bisher nicht geregelt, was bedeute, dass zunächst eine entsprechende Vereinbarung der Miteigentümer untereinander erforderlich sei. Diese Vereinbarung läge bisher nicht vor.

Unter Verweis auf § 10 Abs. 3 S. 2 WEG verwies das Beschwerdegericht darauf, dass Beschlüsse zur Wirksamkeit gegenüber Sondernachfolgern, die nicht aufgrund einer Vereinbarung ergehen würden, keiner Eintragung im Grundbuch bedürfen. Daraus folge zugleich deren fehlende Eintragungsfähigkeit (BGH, Beschluss vom 16.09.1994 - V ZB 2/93 -; hier wies der BGH auf die Notwendigkeit einer Anfechtung hin). 

An das Grundbuchamt erging durch das Beschwerdegericht der Hinweis, dass nicht eine Zwischenverfügung zur Vorlage einer Vereinbarung ergehen könne, da mittels der Zwischenverfügung nicht auf den Abschluss eines Rechtsgeschäfts hingewirkt werden könne, welches Grundlage einer einzutragenden Rechtsänderung werden könne.

Kammergericht Berlin, Beschluss vom 01.02.2024 - 1 W 378/23 -

Montag, 8. Juli 2024

Unwirksamkeit eines Vergleichs wegen fehlerhafter Angaben eines Sachverständigen ?

Die Parteien hatten am 10.11.2023 vor dem Senat des OLG einen Vergleich in einem Rechtstreit geschlossen, in dem der Kläger Schadensersatz und Schmerzensgeld infolge ärztlicher Behandlung begehrte. Diesem Vergleich stimmte der Kläger sofort zu, die Beklagten behielten sich ein Widerrufsrecht bis zum 01.12.2023 vor, von dem sie keinen Gebrauch machten. Mit Schriftsatz vom 14.11.2923 erklärte der Kläger gegenüber dem Beklagtenvertreter die Anfechtung des Vergleichs bzw. seiner Willenserklärung zum Abschluss des Vergleichs gem. §§ 119, 123 BGB. Unter Stellung seiner vormaligen Anträge beantragte er die Fortsetzung des Verfahrens, demgegenüber die Beklagten beantragten festzustellen, dass der Rechtstreit durch den Vergleich erledigt sei. Das OLG stellte die Erledigung des Rechtstreits durch den Vergleich durch Endurteil fest (dazu BGH, Beschluss vom 18.09.1996 - VIII ZB 28/96 -).

Die Beweislast dafür, dass ein abgeschlossener Vergleich nicht den Prozess beendet habe, trage derjenige, der sich darauf berufe (vorliegend der Kläger).

Der Kläger hatte sich vorliegend auf die Unrichtigkeit eines gerichtlich eingeholten Sachverständigengutachtens berufen. Nach dem auch auf einen Prozessvergleich anwendbaren § 779 Abs. 1 BGB sei ein Vergleich unwirksam, wenn der nach dem Inhalt des Vergleichs als feststehend zu Grunde gelegte Sachverhalt der Wirklichkeit nicht entspreche und der Streit oder die Ungewissheit bei Kenntnis der Sachlage nicht entstanden wäre. Damit, so weiter der Senat, sei der Fall beiderseitigen Irrtums über einen Umstand, der außerhalb des Streits der Parteien gelegen habe, geregelt. Allerdings sei die Richtigkeit von Angaben gerichtlicher Sachverständiger kein von den Parteien als feststehend zu Grunde gelegter Sachverhalt (OLG Hamm, Urteil vom 21.05.2005 - 13 U 25/04 -). Vor dem Vergleich seien die Möglichkeit und Verfügbarkeit alternativer Behandlungsmethoden streitig gewesen, wozu sich der Sachverständige geäußert habe. Dies sei auch der Streitbeilegung zugrunde gelegt worden. Damit aber stünde fest, dass die Parteien gerade nicht übereinstimmend vom Bestehen alternativer Behandlungsmethoden ausgegangen seien, sondern dies erst durch das Gutachten ermittelt worden sei. Mithin habe sich der Kläger nur in einem tatsächlichen Irrtum über einen Umstand befunden, der bereits vor dem Vergleich streitig bzw. ungewiss gewesen sei. Die Parteien würden selbst das Risiko übernehmen für streitige und ungewisse Umstände, deren Bedeutung und Folgen zur Streitbeilegung im Vergleich geregelt würden, die in Wahrheit aber von angenommenen Größen abweichen würden.  Ein beiderseitiger Irrtum, wie er § 779 Abs. 1 BGB voraussetze, habe nicht vorgelegen.

Auch infolge der vom Kläger erklärten Anfechtung des Vergleichs sei dieser nicht unwirksam. Dazu müsste der Tatbestand des § 119 BGB verwirklicht sein, was nicht der Fall sei. Der Kläger habe sich nicht iSv. § 119 Abs. 1 BGB über den Inhalt seiner Erklärung im Irrtum befunden, sondern diese Erklärung abgeben. Irrtümer über Motive oder im Rahmen der Kalkulation seien bei dem Abschluss eines Prozessvergleichs unbeachtlich. Damit könnten selbst unrichtige Angaben des Sachverständigen nicht die Anfechtung rechtfertigen, auch wenn diese die Höhe der Vergleichssumme beeinflusst haben sollten. Es würde sich um einen bloßen (unbeachtlichen) Motivirrtum in Form einer Fehlvorstellung handeln.

Die Behandlungsmethode stelle sich auch nicht als verkehrswesentliche Eigenschaft eines Vergleichs iSv. § 119 Abs. 2 BGB dar.

Ebenso würde hier nicht § 123 Abs. 2 BGB greifen. Eine arglistige Täuschung oder bewusst falsche Angabe durch den Sachverständigen sei nicht dargelegt worden. Zudem wäre nicht dargelegt worden und auch nicht ersichtlich, dass die Beklagten – was erforderlich wäre – diese mutmaßliche arglistige Täuschung des Sachverständigen kannten oder hätten kennen müssen. Zu diesen Punkten stelle der Kläger nur Mutmaßungen an, was nicht ausreichend ist.

OLG Hamm, Beschluss vom 12.04.2024 - 26 U 2/23 -

Montag, 19. Februar 2024

Vormerkung im Grundbuch für insolvenzrechtliche Rückforderung des Erbanteils ?

Sachverhalt: Der Insolvenzschuldner übertrug seinen Erbanteil auf seine Kinder, die diesen sodann ihrer Mutter schenkten. Der Insolvenzverwalter beantragte im Wege der einstweiligen Verfügung eine Eintragung einer Vormerkung im Grundbuch, die das Landgericht bewilligte. Diese einstweilige Verfügung wurde auf die Berufung des Insolvenzschuldners aufgehoben und der Antrag darauf zurückgewiesen.  

Den vom Landgericht angenommenen Verfügungsanspruch negierte das OLG im Berufungsverfahren. Voraussetzung wäre hier, dass es sich bei dem schuldrechtlichen Anspruch auf Rückgewähr, der durch einstweilige Verfügung (§§ 935 ff ZPO) gesichert werden könnte, um einen potentiellen Massebestandteil iSv. §§ 35 Abs. 1, 36 Abs. 1 InsO handeln würde. Die Eintragung einer Vormerkung (§§ 883 Abs. 1, 885 BGB) im Grundbuch ließe sich damit nur erreichen, wenn die Rückübertragung eines Grundstücks / dinglichen Rechts Anspruchsgegenstand wäre. Dies sei vorliegend nicht der Fall.

Die Erben seien infolge von § 47 Abs. 1 2. Alt. GBO im Grundbuch als Eigentümer in ungeteilter Erbengemeinschaft eingetragen worden. Ein grundbuchlicher Berichtigungsantrag (§ 22 GBO) beträfe nur die Inhaberschaft des jeweiligen Erbanteils und sei nur Annex zum anfechtungsrechtlichen Rückgewährsanspruch. Der Berichtigungsanspruch sei nicht auf Einräumung eines Rechts iSv. § 883 Abs. 1 S. 1 BGB gerichtet, weshalb er auch nicht durch eine Vormerkung gesichert werde könne. Gesichert werden könnten nur dingliche Rechte. Der über seinen Erbanteil verfügende Miterbe würde selbst dann nicht über ein Grundstücks verfügen, wenn dieses der einzige Nachlassgegenstand wäre.

Eine Vergleichbarkeit mit der vom Insolvenzverwalter benannten Entscheidung des OLG München (Beschluss vom 26,06,2017 - 34 Wx 173/17 -) läge nicht vor. Dort sei es um einen Anspruch (und dessen Sicherung durch Vermerkung) eines Erben aus einem Vorausvermächtnis, den Antrag eines Miterben gegen die weiteren Miterben auf Übereignung des Grundstücks zum Alleineigentum.

Entscheidend ist mithin nicht, ob zum Nachlass auch Grundstücksrechte gehören, sondern für die Wahrung einer dinglichen Sicherung durch Vormerkung, ob es sich um einen schuldrechtlichen oder dinglichen Anspruch handelt.   

OLG Düsseldorf, Beschluss vom 31.10.2023 – I-12 U 43/23 -

Sonntag, 4. Juni 2023

Fiskus als Erbe gem. § 1964 BGB und Folgen für den Nachlassgläubiger

Wird ein Erbe nicht innerhalb „einer den Umständen entsprechenden Frist“ ermittelt, so hat das Nachlassgericht festzustellen, dass ein anderer Erbe als der Fiskus nicht vorhanden ist, § 1964 Abs. 1 BGB, für den dann die Vermutung spricht, gesetzlicher Erbe zu sein, § 1964 Abs. 2 BGB. Das Nachlassgericht erließ einen solchen Beschluss, gegen den die Beteiligte zu 1 (eine Nachlassgläubigerin) Beschwerde einlegte.

Beschwerdeberechtigt ist derjenige, der geltend machen kann, durch einen Beschluss in seinen Rechten beeinträchtigt zu sein, § 59 Abs. 1 FamFG.

Im Hinblick auf die Regelung des § 59 Abs. 1 FamFG verwarf das OLG Celle die Beschwerde als unzulässig. Seitens der Nachlassgläubigerin sei lediglich ihre Eigenschaft als Nachlassgläubigerin  eingewandt worden, nicht aber die Stellung eines Erbprätendenten. 

Rechte des Nachlassgläubigers würden durch den Beschluss nicht betroffen. Dieser könne Ansprüche weiterhin gegen den Fiskus (mithin das jeweilige Bundesland) nach §§ 1936, 1966, 2011 oder gegen den aus ihrer Sicht wahren Erben geltend machen.  Der Feststellungsbeschluss nach § 1964 Abs. 1 BGB habe keine rechtsbegründende Wirkung und könne jederzeit bei Vorliegen neuer Tatsachen aufgehoben werden (dies ergibt sich aus § 48 Abs. 1 FamFG). 

Der Feststellungsbeschluss verschaffe dem Fiskus, ohne Änderung der tatsächlich eingetretenen Erbfolge, eine Legitimation im Rechtsverkehr.   

Hier ist ergänzend darauf zu verweisen, dass die Legitimation auch beschränkt ist; muss ein Grundbucheintrag erfolgen, so kann dieser vom Fiskus auf der Grundlage dieses Beschlusses nicht vornehmen, sondern muss für sich einen Erbschein nach § 2353 BGB beantragen, da der Beschluss nach § 35 GBO den Erbschein (oder das europäische Nachlasszeugnis) nicht ersetzt, es sei denn, die Erbeinsetzung würde auf einer letztwilligen Verfügung beruhen (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 28.02.2020 - I-3 Wx 12/19 -). Die Erbeinsetzung des Fiskus nach § 1964 ist nur subsidiär und in der Regel ein vermutetes Erbrecht; der Feststellungsbeschluss hat damit keine rechtsgestaltende Wirkung, die den Fiskus für alle Zeiten gegenüber jedermann zum Erben macht (OLG Düsseldorf aaO.). Mithin ist der wirkliche Erbe nicht gehindert, seine Rechte geltend zu machen (so auch OLG Frankfurt, Beschluss vom 05.09.1983 - 20 W 515/83 -; OLG Köln, Beschluss vom 06.08.1965 - 2 Wx 117/65; BayObLG, Beschluss vom 01.04.1987 - BReg 2 Z 8/87 -). 

Zu berücksichtigen ist auch, dass, tritt der Fiskus als Erbe ein, da sich keine gesetzlichen Erben finden lassen, der Staat nur mit dem Nachlass des Erblassers, nicht weitergehend haftet (BGH, Urteil vom 14.12.2018 - V ZR 309/17 -). 

OLG Celle, Beschluss vom 22.03.2023 - 6 W 31/23 -

Freitag, 3. Februar 2023

Die sittenwidrig vom Zuwendungsempfänger bewirkte Schenkung an sich

Der 1922 geborene Kläger schenkte mit notariellen Vertrag vom 133.06.2017 den Beklagten Wertpapiere in einem Wert von € 219.000,00. Weiterhin übertrag er dem Vater der Beklagten, seinem Sohn, das Eigentum an einem Mehrfamilienhaus. Mit Schreiben vom 15.08.2017 erklärte der Kläger im Hinblick auf die Schenkung an die Beklagten die Anfechtung des (noch nicht vollzogenen) Schenkungsvertrages und erhob im Anschluss Anfechtungslage, die vom Landgericht abgewiesen wurde. Die Berufung des Klägers wurde vom Oberlandesgericht (OLG) zurückgewiesen. De BGH hatte auf die zugelassene Revision das Urteil des OLG aufgehoben und den Rechtsstreit an das OLG zurückverwiesen.

Kernpunkte der Auseinandersetzung waren, ob (1) der Schenkungsvertrag aufgrund der Anfechtung nichtig war, was der Fall gewesen wäre, wenn die Beklagten dem Kläger ein Übel in Aussicht gestellt hätten, um ihn zur Schenkung zu veranlassen, und (2) ob der Vertrag wegen Ausnutzung einer erheblichen Willensschwäche des Klägers nichtig war. Beides wurde vom OLG verneint.

(1) Der BGH schloss sich dem OLG in dessen Würdigung an, dass die Voraussetzungen für eine Anfechtung der Schenkung nicht vorlagen. Es sei dem Vortrag des Klägers nicht zu entnehmen, dass die Beklagten oder deren Vater den Kläger durch Drohung mit einem empfindlichen Übel (§ 123 Abs. 1 BGB) zum Abschluss der Schenkungsverträge veranlassten.

(2) Allerdings sei eine Nichtigkeit wegen Sittenwidrigkeit aufgrund der Feststellungen des OLG entgegen dessen Rechtsauffassung nicht zu verneinen.

Sittenwidrig sei ein Rechtsgeschäft, wenn es nach seinem Inhalt oder Gesamtcharakter gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstoße. Würde es nicht bereits seinem Inhalt nach gegen die grundlegenden Wertungen der Rechts- oder Sittenordnung verstoßen, müsse ein persönliches Verhalten des Handelnden hinzukommen, das diesem zum Vorwurf gemacht werden könne (BGH, Urteil vom 16.07.2019 - II ZR 426/17 -). Dabei sei der dem Inhalt, Zweck und Beweggrund zu entnehmende Gesamtcharakter des Verhaltens maßgeblich (BGH, Urteil vom 04.06.2013 - VI ZR 288/12 -). Die Sittenwidrigkeit könne sich je nach Einzelfall aus einem dieser Elemente oder aus einer Kombination und deren Summenwirkung ergeben (BGH, Urteil vom 26.04.2022 - X ZR 3/20 -).  

Bei einem unentgeltlichen Geschäft gem. § 138 Abs. 1 BGB könne sich die Sittenwidrigkeit nicht nur aus den Motiven des Zuwendenden ergeben, sondern auch und sogar in erster Linie aus den Motiven des Zuwendungsempfängers. Das sei beispielhaft der Fall, bei dem aus fremder Bedrängnis in sittenwidriger Weise Vorteile gezogen würden. Von Bedeutung könne dabei sein, ob der der Schenker den Wünsche des Beschenkten aufgrund seiner Persönlichkeitsstruktur nicht oder kaum habe entziehen können, ob dies der Beschenkte wusste oder sich einer derartigen Erkenntnis leichtfertig verschloss und er die fehlende oder geschwächte Widerstandskraft des Schenkers eigennützig ausnutzte oder es sogar darauf anlegte (BGH, Urteil vom 04.07.1990 - IV ZR 121/89 -). Es würde sich um Gesichtspunkte handeln, die auch die (bloße) Anfechtbarkeit nach § 123 Abs. 1 BGB überlagern würden, da nicht die Drohung mit einem Übel im Vordergrund stünde, sondern die Ausnutzung einer vorhandenen Zwangslage im Vordergrund stünde oder hinzutreten würde.

Befände sich der Schenker in einer objektiven und subjektiven Zwangslage, könne der Vorwurf der Sittenwidrigkeit nicht nur denjenigen treffen, der diese Zwangslage herbeigeführt habe; ausreichend sei, wenn der Zuwendungsempfänger sich eine bestehende Zwangslage bewusst nutzbar mache. Das sei auch dann der Fall, wenn der Vertrag vom Zuwendungsempfänger in der Kenntnis abgeschlossen wird, dass der Schenker sich in einer Zwangslage befindet. Das Wissen einer mit den Vertragsverhandlungen und Vertragsabschluss beauftragten Person müsse sich der Zuwendungsempfänger im Rahmen des § 138 Abs. 1 BGB entsprechend § 166 Abs. 1 BGB zurechnen lassen (BGH, Urteil vom 08.11.1991 - V ZR 260/90 -).

Dies zugrunde gelegt habe das OLG die vom Kläger vorgetragenen Gesichtspunkte nicht vollständig berücksichtigt.

Nicht berücksichtigt habe das OLG den Vortrag, der Vater der Beklagten habe den Kläger am Abend vor der Beurkundung des Schenkungsvertrages über längere Zeit hinweg „bearbeitet“ und am nächsten Morgen in Begleitung der Beklagten zum Notar gefahren, wo er erstmals den Inhalt der abzuschließenden Verträge erfahren habe. In diesem Zusammenhang sei der Vortrag beachtlich gewesen, der Beklagte zu 1. und  sein Vaterhätten den Kläger über mehrere Monate intensiv überwacht und weitgehend isoliert. Es sei möglich, dass der Kläger den Schenkungsvertrag zugunsten der Beklagten abgeschlossen habe, um der von ihm als Überwachung und Isolation empfundenen Situation, die im Hinblick auf den vermeintlichen Entscheidungszwang in dem nicht zuvor angekündigten Notartermin seien Zuspitzung gefunden habe, zu entkommen.

Als Indiz könne auch das vom Kläger behauptete Geschehen nach der notariellen Beurkundung Bedeutung haben. Zwar seien grundsätzlich für die Beurteilung der Sittenwidrigkeit von Relevanz, die zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses vorgelegen haben (BGH, Urteil vom 30.07.2020 - VI ZR 5/20 -), können aber danach liegende Umstände gleichwohl indizielle Bedeutung gewinnen.

Eine solche Indizwirkung könne dem klägerischen Vortrag zukommen, ein Mitarbeiter der Bank, bei der der Kläger sein Wertpapierdepot hatte, soll den von den Beklagten angestrebten Vollzug der Übertragung verhindert haben. Das könne darauf hindeuten, dass der Kläger dem Schenkungsvertrag nur abschloss, da er die Situation im Notartermin als besonders bedrängend empfand und anders als bei dem nachfolgenden Banktermin keinen Ausweg aus einer subjektiv empfunden Zwangslage gesehen habe.

Das OLG hätte sich mit diesem Vortrag im Zusammenhang befassen müssen und auf dieser Grundlage in tatrichterlicher Würdigung entscheiden müssen, ob die Schenkungsverträge mit den Beklagten auf einer vom Kläger als bedrohlich empfundenen Zwangslage beruhten und ob die Beklagten dies wussten oder sich entsprechende Kenntnisse des Vaters zurechnen lassen müssten. Auch hätte sich das OLG mit der Frage befassen müssen, ob der Kläger aufgrund seines hohen Alters die Situation als besonders belastend empfand.

BGH, Urteil vom 15.11.2022 - X ZR 40/20 -

Montag, 28. März 2022

WEG: Folgenbeseitigungsanspruch bei rechtskräftig für unwirksam erklärten Beschlüssen

1. Im Mai 2017 beschloss die Eigentümerversammlung der WEG die Erneuerung der Wohnungseingangstüren und die Vergabe des Auftrags an einen Handwerksbetrieb (unter Zahlung eines Vorschusses in Höhe von € 100.000,00). Der Beschluss wurde angefochten.

Während des laufenden gerichtlichen Anfechtungsverfahrenswurde der Beschluss aufgehoben und ein neuer Beschluss gefasst, der dann auch angefochten wurde und rechtskräftig aufgehoben wurde.

Der Handwerksbetrieb baute nur 31 Türen ein und stellte den Einbau der restlichen 92 Türen mit Hinweis auf das (zu diesem Zeitpunkt noch nicht abgeschlossene) Anfechtungsverfahren ein.

Daraufhin fasste die Eigentümerversammlung den Beschluss, den Handwerksbetrieb unter Fristsetzung zum Einbau der restlichen Türen aufzufordern und nach Fristablauf vom Vertrag zurückzutreten, ferner ggf. den gezahlten Vorschuss gerichtlich geltend zu machen. Die Kläger des vorliegenden Verfahrens haben den Beschluss angefochten. Nachdem der Handwerksbetrieb die Türen nicht eingebaut hatte und zwischenzeitlich infolge der im Beschluss vorgesehen und durchgeführten Klage ein rechtskräftiges Versäumnisurteil gegen den Handwerksbetrieb auf Rückzahlung erging, wurde von den Parteien der Rechtstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt und das Amtsgericht hatte nach § 91a ZPO über die Kosten zu entscheiden. Er hatte den Beklagten die Kosten auferlegt, die dagegen sofortige Beschwerde einlegten.  Diese wurde vom Landgericht zurückgewiesen.

2. Nach § 91a ZPO ist bei einem in der Hauptsache übereinstimmend für erledigt erklärten Rechtsstreits vom Gericht nach billigen Ermessen nach dem Sach- und Rechtsstand des aktuellen Streitstandes zu entscheiden.

Der Verwalter sei gem. § 27 Abs. 1 Nr. 1 WEG a.F. nach dem ursprünglichen Beschluss verpflichtet gewesen, den Beschluss umzusetzen, wobei diese Verpflichtung solange bestanden habe, bis der Beschluss rechtskräftig für ungültig erklärt worden sei, § 23 Abs. 4 S. 2 WEG.  Der Verwalter sei mithin zur Beauftragung verpflichtet gewesen.

Die gerichtliche Feststellung der Ungültigkeit des Beschlusses wirke sich nicht auf das Vertragsverhältnis der WEG zum Handwerksbetrieb aus, da der Beschluss nur die interne Willensbildung der WEG beträfe.

Allerdings sei zu prüfen, ob nach Rechtskraft der Ungültigkeitserklärung des Beschlusses es immer noch ordnungsgemäßer Verwaltung entspricht, die Erfüllung des Vertrages vom Vertragspartner geltend zu machen. Innerhalb der WEG sei bestünde ein Folgenbeseitigungsanspruch mit der Folge, dass die Auswirkungen des unwirksamen Beschlusses soweit wie möglich rückgängig gemacht würden. Beträfe dieser Folgenbeseitigungsanspruch einen bereits abgeschlossenen Sachverhalt, habe die Gemeinschaft einen weiten Ermessensspielraum, was bei einer entsprechenden Kosten-Nutzen-Analyse es auch rechtfertigen könne, von der Rückgängigmachung der Beschlussfolgen abzusehen. (Ob im Falle eines Absehens von der Rückgängigmachung Nachteile von Eigentümern auszugleichen seien, sei eine Frage des Einzelfalls, heute geregelt in § 14 Abs. 3 WEG).

Vorliegend seien die Baumaßnahmen rechtskräftig als nicht ordnungsgemäß eingestuft worden. Damit sei alles zu unternehmen, um eine Vertiefung des Zustandes im Rahmen einer ordnungsgemäßen Verwaltung zu verhindern. Sei der unwirksame Beschuss noch nicht vollständig vollzogen, habe eine weitere Beschlussumsetzung zu unterbleiben. Darüber hinaus erfasse der Folgenbeseitigungsanspruch auch Verträge mit Dritten, die noch nicht vollständig tätig geworden seien. In diesem Fall müssten alle zumutbaren Anstrengungen unternommen werden, weitere Maßnahmen des Vertragspartners zu verhindern. Dazu gehöre das Anstreben einer einvernehmlichen Vertragsauflösung oder bei Werkverträgen (wie hier) auch die Kündigungsmöglichkeit nach § 648a BGB.

Eine derartige Vertragsbeendigung sei aber nicht Gegenstand des streitgegenständlichen Beschlusses gewesen, wonach dem Handwerksbetrieb zunächst eine Frist zur Leistungserbringung gesetzt werden sollte. Damit habe für die Gemeinschaft ein erhebliches Risiko bestanden, dass die beauftragten Arbeiten durchgeführt würden und diese der Gefahr ausgesetzt, die nutzlosen, gegebenenfalls im Rahmen der Folgenbeseitigung Arbeiten mit entsprechenden Aufwand rückabzuwickeln.

Der Umstand, dass es dazu infolge der endgültigen Arbeitseinstellung des Handwerksbetriebs nicht gekommen sei, ist nicht entscheidend. Abzustellen sei hier für die Ordnungsgemäßheit des Beschlusses nicht der Schluss der mündlichen Verhandlung im vorliegenden Verfahren, sondern der Kenntnisstand der Eigentümerversammlung bei der Beschlussfassung. Da zu diesem Zeitpunkt nicht erkennbar war, dass der Handwerksbetrieb seien Arbeiten endgültig einstellen würde und mithin die Gefahr der Erfüllung durch diesen bestanden habe, habe der Beschluss nicht ordnungsgemäßer Verwaltung entsprochen.

LG Frankfurt am Main, Beschluss vom 23.11.2021 - 2-13 T 71/21 -

Mittwoch, 20. Oktober 2021

Unterlassener Abschluss einer Gebäudeversicherung durch (faktischen) Verwalter und Anfechtung der Wiederwahl

Die Klägerin hatte die Wiederwahl der Beklagten als Verwalterin der Wohnungseigentümer-gemeinschaft (WEG) vom März 2019 angefochten. Das Amtsgericht hatte der Klage stattgegeben. Da die Klägerin nach Einleitung des Berufungsverfahrens durch die Beklagte ihr Wohnungseigentum aufgab und auf einen Dritten übertrug und zudem auch die Bestellzeit der beklagten Verwalterin aus dem angefochtenen Beschluss ablief, wurde die Hauptsache für erledigt erklärt. Das Landgericht verneinte die Erfolgsaussichten der Beklagten und erlegte dieser die Kosten des Verfahrens auf.

Die Beklagte war bereits vormals Verwalterin gewesen. Der Bestellzeitraum endete zum 31.12.2017. Allerdings wurde kein anderer Verwalter von der WEG berufen und die Beklagte führte das Amt unstreitig faktisch weiter aus. So habe sie, so das Landgericht, die Abrechnungen erstellt, Eigentümerversammlungen einberufen und geleitet und die Beschluss-Sammlung geführt. Si sei damit faktische Verwalterin gewesen. Auch wenn zwischen den Parteien die Einzelheiten des Rechtsverhältnisses zwischen der beklagten als (faktische) Verwalterin und der WEG streitig seien, würden die Parteien doch darin übereinstimmen, dass das Pflichtenprogramm eines bestellten Verwalters (einschließlich seiner Haftung) hier zugrunde liegen würde, entweder da von einem Auftragsverhältnis gem. § 662 BGB auszugehen sei, oder da die Grundsätze der fehlerhaften Anstellung heranzuziehen seien.

Vor diesem Hintergrund könnten Fehler bei der Verwaltertätigkeit der Beklagten nach dem 31.12.2017 zur Prüfung der angefochtenen Verwalterwahl herangezogen werden wie in dem Fall, dass der wiederbestellte Verwalter bis zu seiner Wahl ordnungsgemäß bestellter Verwalter gewesen wäre.

Voraussetzung für die Anfechtung der Wiederwahl sei, dass ein wichtiger Grund vorliegen würde, der gegen die Bestellung der Beklagten als Verwalterin sprechen würde. Wie bei der Abberufung des Verwalters nach § 26 Abs. 1 S. 3 WEG a.F. könne ein wichtiger Grund nur bejaht werden, wenn unter Berücksichtigung aller (nicht einmal notwendigerweise vom Verwalter verschuldeter) Umstände nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) eine Zusammenarbeit mit dem gewählten Verwalter unzumutbar wäre und das erforderliche Vertrauensverhältnis von vornherein nicht zu erwarten sei. Dies sei u.a. dann  anzunehmen, wenn Umstände vorliegen, die dafür sprächen, dass der Gewählte unfähig oder ungeeignet für das Amt erscheine. Ein solcher Grund würde aber die Wohnungseigentümer noch nicht ohne weiteres dazu verpflichten, den Verwalter abzuberufen (§ 26 Abs. 1 S. 3 WEG a.F.), vielmehr sei (auch im Rahmen einer Wiederwahl) eine Prognose vorzunehmen , ob er das Amt ordnungsgemäß ausüben wird, was einen Beurteilungsspielraum einräume. Erst bei Überschreitung dieses Beurteilungsspielraums würde nach altem Recht die Nichtabberufung und (auch nach geltendem Recht) die Wiederwahl den Grundsätzen ordnungsgemäßer Verwaltung widersprechen. Erforderlich sei deshalb, dass es objektiv nicht mehr vertretbar erscheine, den Verwalter ungeachtet der gegen ihn sprechenden Umstände (hier) erneut zu bestellen. Dies sei dann der Fall, wenn die Mehrheit der (abstimmenden) Wohnungseigentümer aus der Sicht eines vernünftigen Dritten gegen ihre eigenen Interessen handele, weil sie – etwa aus Bequemlichkeit – massive Pflichtverletzungen tolerieren solle (BGH, Urteil vom 10.02.2012 - V ZR 105/11 -; LG Frankfurt am Main, Urteil vom 12.12.2019 - 2-12 S 143/18 -).

Das Amtsgericht hatte darauf abgestellt, dass das Gebäude über einen längeren Zeitraum ohne Gebäudeversicherung gewesen sei. Dies stelle, so das Landgericht, eine Lücke im Versicherungsschutz mit einem Totalverlustrisiko dar, welches die Eigentümer nicht hinnehmen müssten. Hinzu käme hier, das die Eigentümer auf der von der Beklagten geleiteten Eigentümerversammlung vom 22.10.2018 den Abschluss einer Gebäudeversicherung beschlossen hätten, wobei zu diesem Zeitpunkt bereits seit längerer Zeit eine solche nicht bestanden habe. Im März 2019, zum Zeitpunkt der Wiederwahl, sei immer noch keine Gebäudeversicherung abgeschlossen gewesen. Damit sei es von den Eigentümern objektiv nicht mehr hinnehmbar, diesem Verwalter weiterhin die Verwaltung eines erheblichen Teils ihres Vermögens anzuvertrauen. Kein Eigentümer müsse gegen seinen Willen hinnehmen, wenn gleichwohl die Mehrheit der Eigentümer unter diesen Umständen meinen, diesem Verwalter gleichwohl vertrauen zu können (LG Frankfurt am Main aaO.).

Der Verweis der Berufung darauf, dass eine Gebäudehaftpflichtversicherung bestanden habe, verkenne, dass § 21 Abs. 5 Nr. 3 WEG a.F. (§ 19 Abs. 2 Nr. 3 WEG n.F.) nicht nur eine Haftpflichtversicherung sondern auch die für die Eigentümer von besonderen Interesse Gebäudeversicherung erfordere, um das Risiko im Schadensfall abzuwenden (Anm.: Wird der Kauf einer Eigentumswohnung finanziert, sehen die Darlehensbedingungen der Finanzierungsinstitute in der Regel vor, dass eine Gebäudeversicherung bestehen muss).

LG Frankfurt am Main, Beschluss vom 24.06.2021 - 2-13 S 25/20 -

Donnerstag, 14. Januar 2021

WEG: Beschluss über Vertragsstrafe und einstweilige Verfügung

 

Im Kern ging es in dem Verfahren um einen Mehrheitsbeschluss der Wohnungseigentümergemeinschaft, mit dem ein Verbot zum Füttern von Vögeln ausgesprochen wurde und bei Zuwiderhandlung eine Vertragsstrafe von € 400,00 angedroht wurde. Die Antragssteller haben den Beschluss angefochten und begehrte im Wege eines einstweiligen Rechtsschutzes die Aussetzung des Beschlusses, Das Amtsgericht hatte den Antrag abgewiesen. Das Rechtsmittel war teilweise erfolgreich, insoweit der Beschluss über die Vertragsstrafe bis zu einer Entscheidung über die Hauptsache einstweilen ausgesetzt wurde.

Anders als das Amtsgericht ging das Landgericht davon aus, dass ein Verfügungsgrund im Hinblick auf die Anordnung einer Vertragsstrafe vorliegen würde. Dabei wies es darauf hin, dass Beschlüsse der Wohnungseigentümer bis zu einer Ungültigkeitserklärung durch ein Gericht wirksam und vollziehbar seien, § 23 Abs. 4 S. 2 WEG. In Ansehung dieser Wirkung könne die Vollziehung von Beschlüssen für die Zeit des Anfechtungsverfahrens nur dann ausgesetzt werden, wenn glaubhaft gemacht würde, dass im Einzelfall das Interesse der Anfechtenden überwiegen würde und eine fehlende Aussetzung wegen irreversibler Schäden nicht zumutbar sei oder die Rechtswidrigkeit derart evident sei, dass es dafür keiner Prüfung im Hauptsacheverfahren mehr bedürfe. Letzteres nahm das Landgericht an. Es würde an einer Beschlusskompetenz für die Anordnung von Vertragsstrafe ermangeln. Dies sei bereits vom BGH im Hinblick auf die Regelung in § 21 Abs. 7 WEG entschieden worden (BGH, Urteil vom 22.03.2019 – V ZR 105/18 -).  Dort habe der BGH klar ausgeführt, dass die dem entgegenstehende Gesetzesbegründung im vorrangigen Wortlaut der Norm keine Stütze finde.

Da damit die Regelung im Hinblick auf die Vertragsstrafe eindeutig nichtig sei, würde auch kein Vollzugsinteresse daran bestehen können, da nichtige Beschlüsse ipso jure keine Wirkung entfalten würden (BGH, Urteil vom 22.07.2011 - V ZR 245/09 -). Da die Antragssteller behaupteten, mindestens einmal wöchentlich einen Verstoß gegen das Verbot der Vogelfütterung zu begehen, mithin nicht ausgeschlossen werden könne, dass der Beschluss zur Vertragsstrafe vollzogen würde (wozu der Verwalter nach § 27 Nr. 1 WEG gehalten wäre) ließe sich nicht ausschließen, dass die Antragsteller Forderungen in erheblicher Höhe ausgesetzt sein könnten, was den Verfügungsgrund begründe.

Nicht entsprochen wurde dem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zum Verbot der Vogelfütterung. Hier handele es sich um eine Änderung der Hausordnung. Weder ließe sich eindeutig erkennen, dass es insoweit an einer Beschlusskompetenz ermangeln könne noch sei klar, dass der Beschluss nicht hinreichend bestimmt sei.

LG Frankfurt am Main, Beschluss vom 01.10.2020 - 2-13 T 64/20 -

Montag, 6. Juli 2020

Anfechtung der Erbausschlagung wegen Irrtums


Die Stadt D. veranlasste im Wege der Ersatzvornahme die Bestattung der Erblasserin und teilte den Beteiligten (den 11 Kindern der Erblasserin) mit Schreiben vom 24.07.2013 mit, aufgrund der Angaben der Beteiligten zu 1, 3, 8 und 11 zugunsten aller Beteiligten wegen unbilliger Härte von einer Kostenersatzforderung Abstand zu nehmen. Gleichzeitig teilte sie mit, dass dies die beteiligten nicht von der Erbschaft befreie und empfahl die Erbschaft auszuschlagen. Die Beteiligten zu 1, 3 und 7 schlugen daraufhin die Erbschaft aus und teilten dabei mit, dass ihnen die Zusammensetzung des Nachlasses nicht bekannt sei.  Am 09.08.2018 teilte der Beteiligte zu 12 mit, der Wert des Nachlasses belaufe sich nach dem Verkauf eines Grundstücks auf € 35.000,00. Die Beteiligten zu 1 bis 3 und 7 erklärten nunmehr die Anfechtung ihrer Ausschlagungserklärung. Die Beteiligte zu 1 gab an, angenommen zu haben, dass die bestehenden Verbindlichkeiten den Wert des Grundstücks übersteige; von den Beteiligten zu 3 und 7 wurde geltend gemacht, nichts von dem Grundstück gewusst zu haben. Die Beteiligte zu 1 gab an, sie habe annehmen müssen, der Nachlass sei überschuldet.

Im Dezember 2018 beantragte die Beteiligte zu 3 die Erteilung eines Erbscheins nach gesetzlicher Erbfolge, der die Beteiligten zu 1 bis 11 als Erben zu je 1/11 ausweist. Dieser Antrag wurde vom Nachlassgericht mit Beschluss vom 18.07.2019 zurückgewiesen, da nach seiner Auffassung die Erbausschlagung nicht erfolgreich angefochten worden sei. Gegen diesen Beschluss legten die Beteiligten zu 2, 3 und 8 Beschwerde ein. Nachdem das Nachlassgericht dieser nicht abgeholfen hatte, musste das zuständige OLG entscheiden. Es half der Beschwerde ab.

Das OLG ging dabei von einem Anfechtungsgrund in Form eines Eigenschaftsirrtums gem. § 1954 Abs. 1 BGB iVm. § 119 Abs. 2 BGB aus. Zwar würde ein Irrtum über die Größe des Nachlasses grundsätzlich keinen Anfechtungsgrund darstellen, da nicht der Wert selbst, sondern die wertbildenden Faktoren als Eigenschaften anzusehen seien. Würde eine Erbschaft für finanziell uninteressant gehalten und daher ausgeschlagen, könne dies nicht angefochten werden, wenn sich späterhin wertvolle Nachlassgegenstände herausstellen würden oder ein vorhandener Nachlassgegenstand als wertvoll herausstelle.

Allerdings gehöre die Zusammensetzung des Nachlasses zu den Eigenschaften der Erbschaft. Ein Irrtum über die Zugehörigkeit bestimmter Rechte zum Nachlass könne daher eine Anfechtung der Annahme oder Ausschlagung einer Erbschaft rechtfertigen, wenn es sich dabei um wesentliche Eigenschaften handele. Dies würde bei einem Irrtum zur Frage der Überschuldung angenommen, wenn der Irrtum auf falschen Vorstellungen über das Vorhandensein von Nachlassgegenständen oder –verbindlichkeiten beruhe, nicht aber bei einer fehlerhaften Einschätzung des Wertes. Wer ohne nähere Kenntnis der Zusammensetzung des Nachlasses eine Fehlvorstellung von dessen Größe habe, sei daher nicht zur Anfechtung der Annahme oder der Ausschlagung berechtigt, da es sich bei der zugrundeliegenden Annahme bzw. Ausschlagung um eine spekulativem bewusst ungesicherte Entscheidung handeln würde.

Vorliegend hätte sich zwar die Beteiligten 1 bis 3 und 7 nach ihren Ausschlagungserklärungen keine vertieften Gedanken über die Zusammensetzung des Nachlasses gemacht. Allerdings sei zu berücksichtigen, dass sie mit der Ausschlagung einer ausdrücklichen Empfehlung der Stadt D. gefolgt seien. Auch wenn sich aus dem Schreiben der Stadt ergäbe, dass die Anerkennung einer unbilligen Härte für den Verzicht auf den Kostenerstattungsanspruch auf Angaben der Beteiligten 1, 3, 8 und 11 beruhe, habe für die Beteiligten zu 1 bis 3 und 7 keine Veranlassung bestanden anzunehmen, dass die Empfehlung der Stadt nicht auf einer eigenen (behördlichen) Einschätzung bezüglich einer Überschuldung des Nachlasses beruhe. Damit beruhe die Ausschlagung auf der irrtümlichen Annahme, die Stadt habe eine Überschuldung des Nachlasses festgestellt. Hinzu käme, dass nach den Angaben der Beteiligten zu 3 Erfahrungen über ständige Vollstreckungen bei den Eltern bestanden hätten, weshalb in einem solchen Fall nicht davon gesprochen werden könne, die Entscheidung der Anfechtenden sei auf einer spekulativen, bewusst ungesicherten Grundlage getroffen worden. Der Irrtum sei hier auch kausal.

OLG Düsseldorf, Beschluss vom 21.01.2020 - 3 Wx 167/19 -

Montag, 19. Juni 2017

WEG: Unzulässige unbestimmte Beschlussanfechtung versus Vorratsanfechtung

Die Entscheidung kreist um die Problematik der Verhaltensweise eines Eigentümers innerhalb der Wohnungseigentümergemeinschaft, der zum Zeitpunkt des Ablaufs der Anfechtungsfrist (1 Monat nach Beschlussfassung) noch nicht weiß, ob er gegen alle oder nur einzelne Beschlüsse vorgehen will. Der Kläger des Ausgangsverfahrens hatte Klage „gegen Beschlüsse der Wohnungseigentümerversammlung“ einer bestimmten Eigentümerversammlung erhoben, verbunden mit der Ankündigung, mit der Klagebegründung noch mitzuteilen, gegen welche Beschlüsse sich die Klage konkret richten soll. In der nach Ablauf der Anfechtungsfrist eingereichten Klagebegründung (die Frist für die Klagebegründung beträgt in WEG-Sachen zwei Monate nach der Beschlussfassung; die Frist für die Anfechtung beträgt einen Monat nach der Wohnungseigentümerversammlung) beschränkte der Kläger die Klage auf einige der Beschlüsse.

Das Amtsgericht hatte die Klage abgewiesen. Das Landgericht hat die Berufung wegen Versäumung der Anfechtungsfrist zurückgewiesen. Die Beschwerde des Klägers beim BGH gegen die Nichtzulassung der Revision durch das Landgericht wurde vom BGH zurückgewiesen.

Der BGH wies in den Gründen seines Zurückweisungsbeschlusses darauf hin, dass alleine der Umstand, dass ohne nähere Präzisierung sich die Anfechtung „gegen Beschlüsse der Wohnungseigentümergemeinschaft“ richten  würde, noch nicht die Unzulässigkeit wegen fehlender Bestimmtheit gefolgert werden könne. Die Auslegung dürfe bei der Beschlussanfechtung nicht am buchstäblichen Sinn des Ausdrucks haften, sondern es müsse der wirkliche Willen der klagenden Partei erforscht werden. Es ist die wohlverstandene Interessenslage des Klägers festzustellen. Dies würde in der Regel einer Auslegung entgegenstehen, die zu einer Unzulässigkeit der Prozesshandlung (hier: Klage) führt (Senat im Beschluss vom 10.10.2013 - V ZB 132/13 -). 

Eine Klage, die wie hier als Anfechtungsklage nach der Formulierung gegen alle Beschlüsse der Versammlung erhoben wird, könnte nach Auffassung des BGH von vornherein nur als sogen. Vorratsanfechtung zulässig sein. Im Rahmen der Auslegung wäre aber zu berücksichtigen, dass diese Klage von vornherein höhere Kosten verursacht als nur die Anfechtung einzelner Beschlüsse. Bei der Vorratsanfechtung ist der Wert nach allen Beschlüssen zu berechnen; selbst wenn der Kläger später die Klage auf einige Beschlüsse beschränkt und im Übrigen zurücknimmt, hat er die Kosten jedenfalls bezüglich des zurückgenommenen Teils zu tragen, was erheblich sein kann. Von daher besteht auch bei der grundsätzlich zulässigen Vorratsanfechtung die Möglichkeit, dass dies nicht dem Willen des Klägers entspricht, wobei er nach Auffassung des BGH für diesen Fall billigend in Kauf nähme, die Ausschlussfrist des § 46 Abs. 1 S. 2 WEG nicht zu wahren, zumal ihm (möglicherweise) noch die Möglichkeit bliebe, späterhin die Nichtigkeit der Beschlüsse geltend zu machen. Gegen den Willen des Klägers, tatsächlich alle Beschlüsse anzufechten, würde bereits sprechen, dass er bereits in der Klageschrift eine Einschränkung der Beschlussanfechtung ankündigte.

Vorliegend könne vom Kläger auch nicht geltend gemacht werden, dass er nur insoweit eine Teilrücknahme der Klage erklärt habe, als es sich um kostenmäßig nicht ins Gewicht fallende Beschlüsse gehandelt habe. Abzustellen sei nicht auf ein späteres Verhalten des Klägers, so der BGH; entscheidend sei, welche Beschlüsse als zum Zeitpunkt des Ablaufs der Anfechtungsfrist als angefochten anzusehen sind. Dies müsse erkennbar sein. Zu diesem Zeitpunkt sei aber nicht erkennbar, ob eine Auslegung der Klageschrift, die zu einer hohen Kostenschuld geführt hätte, seinem Willen entsprach.

Anmerkung: Entscheidend für die Unzulässigkeit war vorliegend nicht der Umstand, dass „alle Beschlüsse“ angefochten wurden, da dies noch nicht zur Unbestimmtheit führte. Auch ist die Vorratsanfechtung vom Grundsatz her nicht unzulässig. Da aber die Klage nicht expressis verbis alle Beschlüsse benannte, die angefochten werden sollte, sich auf die Angabe „alle Beschlüsse“ beschränkte, kam der Angabe in der Klageschrift, es würde in der Klagebegründung mitgeteilt, auf welche Beschlüsse sich die Klage beschränken soll, entscheidende Bedeutung zu. Denn mit dieser Mitteilung machte der Kläger deutlich, dass er nicht beabsichtige, die Anfechtungsklage tatsächlich gegen alle Beschlüsse zu erheben. 


BGH, Beschluss vom 16.02.2017 - V ZR 204/16 -