Posts mit dem Label § 119 BGB werden angezeigt. Alle Posts anzeigen
Posts mit dem Label § 119 BGB werden angezeigt. Alle Posts anzeigen

Sonntag, 6. Juni 2021

„Lenkende Ausschlagung“ der Erbschaft und für Anfechtung unbeachtlicher Motivirrtum

Die Beteiligte zu 1. war die Ehefrau des Verstorbenen, die Beteiligten zu 3. und 4. seine Kinder. In einem gemeinschaftlichen Testament hatten sich die Eheleute wechselseitig zu alleinigen Erben eingesetzt. Der Beteiligte zu 2. war der Sohn des Beteiligten zu 4. Die Beteiligten zu 1. und 4. schlugen in der Annahme, der Beteiligte zu 3. sei dann alleiniger Erbe, die Erbschaft aus und der Beteiligte zu 3. Stellte einen Erbscheinsantrag. Das Amtsgericht wies darauf hin, dass der Beteiligte zu 2. in der Erbfolge nach der Ausschlagung des Beteiligten zu 4. einrücke. Daraufhin änderte die Beteiligte zu 3. ihren Antrag und beantragte einen Teilerbschein, der sie als Erbin zu ½ ausweise.  Einen gleichen Antrag stellte der beteiligte zu 2. Am 26.06.2020 erklärte die Beteiligte zu 1. die Anfechtung ihrer Ausschlagung und die Einziehung der zwischenzeitlich erteilten Erbscheine. Sie kündigte die Stellung eines Erbscheinsantrages auf sich als Alleinerbin an und führte aus, der Grundbesitz seit erheblich belastet gewesen und nur die Beteiligte zu 3. und deren Ehemann seien in der Lagegewesen, diese Verbindlichkeiten abzutragen. Mit ihrer Ausschlagung habe sie erreichen wollen, dass die Beteiligte zu 3.  Alleinerbin werde, nachdem auch der Beteiligte zu 4. die Erbschaft ausgeschlagen habe. Der Beteiligte zu 2. trat dem Antrag der Beteiligten zu 1. entgegen. Derr Antrag der Beteiligten zu 1. Wurde vom Nachlassgericht zurückgewiesen. Dagegen legte die Beteiligte zu 1. Beschwerde ein, die, nachdem ihr das Nachlassgericht nicht abhalf, vom OLG zurückgewiesen wurde.

Das OLG negierte einen Anfechtungsgrund.

Zwar könne grundsätzlich ein Anfechtungsgrund vorliegen, wenn sich der Ausschlagende über die Person, bei der die Erbschaft aufgrund der Anfechtung anfalle, irre. Es würde sich dann im einen beachtlichen Rechtsfolgeirrtum handeln, der als Inhaltsirrtum grundsätzlich die Anfechtung rechtfertige. § 119 BGB. Ein Rechtsfolgenirrtum würde im Rahmen des § 119 BGB grundsätzlich einen zur Anfechtung berechtigenden Inhaltsirrtum darstellen. Dies sei dann der Fall, wenn der Erklärende über die Rechtsfolgen seiner Willenserklärung irrt, da die Erklärung nicht die von ihm erstrebte Rechtswirkung erzeuge, sondern eine solche bewirke, die sich davon unterscheide. Dies sei aber nur der Fall, wenn die vorgenommene Erklärung (das vorgenommene Rechtsgeschäft) eine wesentlich andere als die beabsichtigte Wirkung erzeuge. Der nicht erkannte Eintritt zusätzlicher oder mittelbarer Rechtswirkungen, die zu den gewollten und auch eingetretenen Rechtsfolgen hinzutreten würden, würden sich nicht als Irrtum über den Inhalt darstellen, sondern als nach § 119 BGB unbeachtlicher Motivirrtum (BGH, Urteil vom 29.06.2016 – IV ZR 387/15 -; BGH, Beschluss vom 05.07.2006 – IV ZB 39/05 -).

Vorliegend würde es sich um eine „lenkende Ausschlagung“ handeln. Auch dabei sei der Irrtum über die Person des nächstberufenen Erben eine beachtlicher Rechtsfolgenirrtum iSv. § 119 BGB. Mit der Ausschlagung würde nicht nur der Ausschlagende gem. § 1953 als Erbe wegfallen. Sondern zugleich die Erbschaft dem Nächstberufenen anfallen. Dieser Anfall sei die unmittelbare Rechtsfolge der Ausschlagung. Mithin könne grundsätzlich der Ausschlagende dann anfechten, wenn das Lenkungsziel der Ausschlagung verfehlt würde (in Rechtsprechung und Literatur strittig; teilweise wird auch hier ein unbeachtlicher Motivirrtum angenommen). Nach Ansicht des OLG käme es vorliegend auf den Meinungsstreit dazu aber nicht an. Sie habe gewusst, dass mit ihrer Ausschlagung die Beteiligten zu 3. und 4. Erben würden, wie sie es auch in ihrer Ausschlagungserklärung angegeben habe. Damit sei dies so von ihr gewollt worden. Sie habe sich lediglich darüber geirrt, dass mit der weiteren, danach vom Beteiligten zu 4. abgegebenen Ausschlagungserklärung der zunächst auf den Beteiligten zu 4. fallende Erbanteil dann nicht auf die Beteiligte zu 3. übergeht, sondern auf den Sohn des Beteiligten zu 4., den Beteiligten zu 2. Einem entsprechenden Irrtum könnte zwar auch der Beteiligte zu 4. Unterlegen sein, der dann seine Ausschlagung hätte anfechten können, was er aber nicht tat. Für die Beteiligte zu 1. Habe es sich jedenfalls nicht um eine unmittelbare Rechtsfolge ihrer Ausschlagungserklärung gehandelt, dass der Beteiligte zu 2. Miterbe wurde, sondern lediglich um eine mittelbare Rechtsfolge. Dies stelle aber keinen beachtlichen Rechtsfolgeirrtum nach § 119 BGB dar, sondern nur einen unbeachtlichen Motivirrtum.

OLG Frankfurt, Beschluss vom 06.02.2021 - 21 W 167/20 -

Montag, 6. Juli 2020

Anfechtung der Erbausschlagung wegen Irrtums


Die Stadt D. veranlasste im Wege der Ersatzvornahme die Bestattung der Erblasserin und teilte den Beteiligten (den 11 Kindern der Erblasserin) mit Schreiben vom 24.07.2013 mit, aufgrund der Angaben der Beteiligten zu 1, 3, 8 und 11 zugunsten aller Beteiligten wegen unbilliger Härte von einer Kostenersatzforderung Abstand zu nehmen. Gleichzeitig teilte sie mit, dass dies die beteiligten nicht von der Erbschaft befreie und empfahl die Erbschaft auszuschlagen. Die Beteiligten zu 1, 3 und 7 schlugen daraufhin die Erbschaft aus und teilten dabei mit, dass ihnen die Zusammensetzung des Nachlasses nicht bekannt sei.  Am 09.08.2018 teilte der Beteiligte zu 12 mit, der Wert des Nachlasses belaufe sich nach dem Verkauf eines Grundstücks auf € 35.000,00. Die Beteiligten zu 1 bis 3 und 7 erklärten nunmehr die Anfechtung ihrer Ausschlagungserklärung. Die Beteiligte zu 1 gab an, angenommen zu haben, dass die bestehenden Verbindlichkeiten den Wert des Grundstücks übersteige; von den Beteiligten zu 3 und 7 wurde geltend gemacht, nichts von dem Grundstück gewusst zu haben. Die Beteiligte zu 1 gab an, sie habe annehmen müssen, der Nachlass sei überschuldet.

Im Dezember 2018 beantragte die Beteiligte zu 3 die Erteilung eines Erbscheins nach gesetzlicher Erbfolge, der die Beteiligten zu 1 bis 11 als Erben zu je 1/11 ausweist. Dieser Antrag wurde vom Nachlassgericht mit Beschluss vom 18.07.2019 zurückgewiesen, da nach seiner Auffassung die Erbausschlagung nicht erfolgreich angefochten worden sei. Gegen diesen Beschluss legten die Beteiligten zu 2, 3 und 8 Beschwerde ein. Nachdem das Nachlassgericht dieser nicht abgeholfen hatte, musste das zuständige OLG entscheiden. Es half der Beschwerde ab.

Das OLG ging dabei von einem Anfechtungsgrund in Form eines Eigenschaftsirrtums gem. § 1954 Abs. 1 BGB iVm. § 119 Abs. 2 BGB aus. Zwar würde ein Irrtum über die Größe des Nachlasses grundsätzlich keinen Anfechtungsgrund darstellen, da nicht der Wert selbst, sondern die wertbildenden Faktoren als Eigenschaften anzusehen seien. Würde eine Erbschaft für finanziell uninteressant gehalten und daher ausgeschlagen, könne dies nicht angefochten werden, wenn sich späterhin wertvolle Nachlassgegenstände herausstellen würden oder ein vorhandener Nachlassgegenstand als wertvoll herausstelle.

Allerdings gehöre die Zusammensetzung des Nachlasses zu den Eigenschaften der Erbschaft. Ein Irrtum über die Zugehörigkeit bestimmter Rechte zum Nachlass könne daher eine Anfechtung der Annahme oder Ausschlagung einer Erbschaft rechtfertigen, wenn es sich dabei um wesentliche Eigenschaften handele. Dies würde bei einem Irrtum zur Frage der Überschuldung angenommen, wenn der Irrtum auf falschen Vorstellungen über das Vorhandensein von Nachlassgegenständen oder –verbindlichkeiten beruhe, nicht aber bei einer fehlerhaften Einschätzung des Wertes. Wer ohne nähere Kenntnis der Zusammensetzung des Nachlasses eine Fehlvorstellung von dessen Größe habe, sei daher nicht zur Anfechtung der Annahme oder der Ausschlagung berechtigt, da es sich bei der zugrundeliegenden Annahme bzw. Ausschlagung um eine spekulativem bewusst ungesicherte Entscheidung handeln würde.

Vorliegend hätte sich zwar die Beteiligten 1 bis 3 und 7 nach ihren Ausschlagungserklärungen keine vertieften Gedanken über die Zusammensetzung des Nachlasses gemacht. Allerdings sei zu berücksichtigen, dass sie mit der Ausschlagung einer ausdrücklichen Empfehlung der Stadt D. gefolgt seien. Auch wenn sich aus dem Schreiben der Stadt ergäbe, dass die Anerkennung einer unbilligen Härte für den Verzicht auf den Kostenerstattungsanspruch auf Angaben der Beteiligten 1, 3, 8 und 11 beruhe, habe für die Beteiligten zu 1 bis 3 und 7 keine Veranlassung bestanden anzunehmen, dass die Empfehlung der Stadt nicht auf einer eigenen (behördlichen) Einschätzung bezüglich einer Überschuldung des Nachlasses beruhe. Damit beruhe die Ausschlagung auf der irrtümlichen Annahme, die Stadt habe eine Überschuldung des Nachlasses festgestellt. Hinzu käme, dass nach den Angaben der Beteiligten zu 3 Erfahrungen über ständige Vollstreckungen bei den Eltern bestanden hätten, weshalb in einem solchen Fall nicht davon gesprochen werden könne, die Entscheidung der Anfechtenden sei auf einer spekulativen, bewusst ungesicherten Grundlage getroffen worden. Der Irrtum sei hier auch kausal.

OLG Düsseldorf, Beschluss vom 21.01.2020 - 3 Wx 167/19 -