Die Entscheidung kreist um die
Problematik der Verhaltensweise eines Eigentümers innerhalb der
Wohnungseigentümergemeinschaft, der zum Zeitpunkt des Ablaufs der
Anfechtungsfrist (1 Monat nach Beschlussfassung) noch nicht weiß, ob er gegen
alle oder nur einzelne Beschlüsse vorgehen will. Der Kläger des
Ausgangsverfahrens hatte Klage „gegen Beschlüsse
der Wohnungseigentümerversammlung“ einer bestimmten Eigentümerversammlung
erhoben, verbunden mit der Ankündigung, mit der Klagebegründung noch
mitzuteilen, gegen welche Beschlüsse sich die Klage konkret richten soll. In
der nach Ablauf der Anfechtungsfrist eingereichten Klagebegründung (die Frist
für die Klagebegründung beträgt in WEG-Sachen zwei Monate nach der Beschlussfassung;
die Frist für die Anfechtung beträgt einen Monat nach der
Wohnungseigentümerversammlung) beschränkte der Kläger die Klage auf einige der
Beschlüsse.
Das Amtsgericht hatte die Klage abgewiesen.
Das Landgericht hat die Berufung wegen Versäumung der Anfechtungsfrist
zurückgewiesen. Die Beschwerde des Klägers beim BGH gegen die Nichtzulassung
der Revision durch das Landgericht wurde vom BGH zurückgewiesen.
Der BGH wies in den Gründen
seines Zurückweisungsbeschlusses darauf hin, dass alleine der Umstand, dass
ohne nähere Präzisierung sich die Anfechtung „gegen Beschlüsse der Wohnungseigentümergemeinschaft“ richten würde, noch nicht die Unzulässigkeit wegen
fehlender Bestimmtheit gefolgert werden könne. Die Auslegung dürfe bei der
Beschlussanfechtung nicht am buchstäblichen Sinn des Ausdrucks haften, sondern es
müsse der wirkliche Willen der klagenden Partei erforscht werden. Es ist die
wohlverstandene Interessenslage des Klägers festzustellen. Dies würde in der
Regel einer Auslegung entgegenstehen, die zu einer Unzulässigkeit der
Prozesshandlung (hier: Klage) führt (Senat im Beschluss vom 10.10.2013 - V ZB
132/13 -).
Eine Klage, die wie hier als Anfechtungsklage
nach der Formulierung gegen alle Beschlüsse der Versammlung erhoben wird,
könnte nach Auffassung des BGH von vornherein nur als sogen. Vorratsanfechtung
zulässig sein. Im Rahmen der Auslegung wäre aber zu berücksichtigen, dass diese
Klage von vornherein höhere Kosten verursacht als nur die Anfechtung einzelner
Beschlüsse. Bei der Vorratsanfechtung ist der Wert nach allen Beschlüssen zu
berechnen; selbst wenn der Kläger später die Klage auf einige Beschlüsse beschränkt
und im Übrigen zurücknimmt, hat er die Kosten jedenfalls bezüglich des
zurückgenommenen Teils zu tragen, was erheblich sein kann. Von daher besteht
auch bei der grundsätzlich zulässigen Vorratsanfechtung die Möglichkeit, dass
dies nicht dem Willen des Klägers entspricht, wobei er nach Auffassung des BGH
für diesen Fall billigend in Kauf nähme, die Ausschlussfrist des § 46 Abs. 1 S.
2 WEG nicht zu wahren, zumal ihm (möglicherweise) noch die Möglichkeit bliebe,
späterhin die Nichtigkeit der Beschlüsse geltend zu machen. Gegen den Willen
des Klägers, tatsächlich alle Beschlüsse anzufechten, würde bereits sprechen,
dass er bereits in der Klageschrift eine Einschränkung der Beschlussanfechtung
ankündigte.
Vorliegend könne vom Kläger auch
nicht geltend gemacht werden, dass er nur insoweit eine Teilrücknahme der Klage
erklärt habe, als es sich um kostenmäßig nicht ins Gewicht fallende Beschlüsse
gehandelt habe. Abzustellen sei nicht auf ein späteres Verhalten des Klägers,
so der BGH; entscheidend sei, welche Beschlüsse als zum Zeitpunkt des Ablaufs
der Anfechtungsfrist als angefochten anzusehen sind. Dies müsse erkennbar sein.
Zu diesem Zeitpunkt sei aber nicht erkennbar, ob eine Auslegung der
Klageschrift, die zu einer hohen Kostenschuld geführt hätte, seinem Willen
entsprach.
Anmerkung: Entscheidend für die Unzulässigkeit war
vorliegend nicht der Umstand, dass „alle
Beschlüsse“ angefochten wurden, da dies noch nicht zur Unbestimmtheit
führte. Auch ist die Vorratsanfechtung vom Grundsatz her nicht unzulässig. Da
aber die Klage nicht expressis verbis alle Beschlüsse benannte, die angefochten
werden sollte, sich auf die Angabe „alle
Beschlüsse“ beschränkte, kam der Angabe in der Klageschrift, es würde in
der Klagebegründung mitgeteilt, auf welche Beschlüsse sich die Klage beschränken
soll, entscheidende Bedeutung zu. Denn mit dieser Mitteilung machte der Kläger
deutlich, dass er nicht beabsichtige, die Anfechtungsklage tatsächlich gegen
alle Beschlüsse zu erheben.
BGH, Beschluss vom 16.02.2017 - V ZR 204/16 -
Aus den Gründen:
Tenor
- Die Nichtzulassungsbeschwerde gegen den Beschluss der 55. Zivilkammer des Landgerichts Berlin vom 8. Juli 2016 wird auf Kosten des Klägers zurückgewiesen.
- Der Gegenstandswert des Beschwerdeverfahrens beträgt 176.861,41 €.
Gründe
- I.
- Der Kläger hat beim Amtsgericht eine Klage erhoben, die sich „gegen Beschlüsse der Eigentümerversammlung“ der Wohnungseigentümergemeinschaft vom 25. November 2014 richtet. Zugleich kündigte er an, er werde mit der Klagebegründung mitteilen, „auf welche Beschlüsse sich die Klage beschränkt“. In der nach Ablauf der Anfechtungsfrist eingereichten Klagebegründung erklärte er, dass die Beschlüsse zu TOP 1 bis 4 Gegenstand der Anfechtungsklage sein sollen.
- Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landgericht hat die Berufung des Klägers durch Beschluss gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückgewiesen. Mit der Nichtzulassungsbeschwerde will er die Zulassung der Revision erreichen.
- II.
- Nach Ansicht des Berufungsgerichts hat der Kläger die Anfechtungsfrist des § 46 Abs. 1 Satz 2 Hs. 1 WEG wegen fehlender Bestimmtheit des Klageantrags versäumt. Die Formulierung in der Klageschrift sei dahingehend zu verstehen, dass er den Anfechtungsgegenstand in der Klage noch nicht konkret festgelegt habe, sondern sein Begehren erst später habe konkretisieren wollen.
- III.
- 1. Die nach § 522 Abs. 3, § 544 Abs. 1 ZPO statthafte und auch im Übrigen zulässige (§ 544 Abs. 2 ZPO) Nichtzulassungsbeschwerde ist unbegründet. Die Rechtssache wirft keine entscheidungserheblichen Fragen von grundsätzlicher Bedeutung auf. Eine Entscheidung ist auch nicht zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich (§ 543 Abs. 2 ZPO). Insbesondere verletzt die Auslegung des Klageantrags durch die Vorinstanzen nicht das Gebot effektiven Rechtsschutzes.
- a) Allerdings darf auch bei einer Beschlussanfechtungsklage die Auslegung nicht am buchstäblichen Sinn des Ausdrucks haften, sondern hat den wirklichen Willen der Partei zu erforschen; dabei ist der Grundsatz zu beachten, dass im Zweifel dasjenige gewollt ist, was nach den Maßstäben der Rechtsordnung vernünftig ist und der wohlverstandenen Interessenlage entspricht (vgl. Senat, Urteil vom 12. Dezember 2014 - V ZR 53/14, NJW-RR 2015, 583 Rn. 9). Dies steht in aller Regel einer Auslegung des Klageantrags entgegen, die zu einer Unwirksamkeit der Prozesshandlung (hier: wegen Unbestimmtheit des Klageantrags) und in der Folge zu der Versäumung einer Ausschlussfrist führt (vgl. Senat, Beschluss vom 10. Oktober 2013 - V ZB 132/13, juris Rn. 3; für Rechtsgeschäfte auch Senat, Urteil vom 6. November 2015 - V ZR 78/14, BGHZ 207, 349 Rn. 18).
- b) Bei einer Klage nach § 46 WEG, die - wie hier - nur als sog. Vorratsanfechtung (vgl. dazu Roth in Bärmann, WEG, 13. Aufl., § 46 Rn. 9) zulässig wäre, kann jedoch ausnahmsweise auch eine solche Auslegung der wohlverstandenen Interessenlage der Partei entsprechen. Zu berücksichtigen ist nämlich, dass eine Vorratsanfechtung, also eine Anfechtung aller in der Wohnungseigentümerversammlung gefassten Beschlüsse, deutlich mehr Kosten verursacht als die Anfechtung nur einzelner Beschlüsse. Diese zusätzlichen Kosten können, auch wenn die Klage später auf einzelne Beschlüsse beschränkt und im Übrigen zurückgenommen wird, erheblich sein. Gibt ein Wohnungseigentümer in einer Beschlussanfechtungsklage - wie hier - zu erkennen, dass er die Klage auf einen (noch unbestimmten) Teil der in einer Wohnungseigentümerversammlung gefassten Beschlüsse beschränken will, versteht es sich daher nicht von selbst, dass nur eine Auslegung der Klage als Vorratsanfechtung in Betracht kommt. Denkbar ist auch, dass dies wegen der damit verbundenen Kosten nicht dem Willen des Klägers entspricht, er vielmehr - vor die Wahl gestellt - die Versäumung der Ausschlussfrist des § 46 Abs. 1 Satz 2 WEG (als Folge der unklaren Fassung seiner Klage) als das geringere Übel ansehen würde, zumal es ihm dann immer noch möglich ist, die Nichtigkeit der ihm missfallenden Beschlüsse geltend zu machen (vgl. Senat, Urteil vom 2. Oktober 2009 - V ZR 235/08, BGHZ 182, 307 Rn. 19).
- c) Anders als die Rechtsbeschwerde meint, ist im konkreten Fall nicht deshalb eine andere Beurteilung geboten, weil der Kläger die Anfechtung später auf die Beschlüsse beschränkt hat, die zu einem hohen Streitwert (über 175.000 €) der Anfechtungsklage führen, während die Teilrücknahme kostenmäßig kaum ins Gewicht gefallen sein soll. Auf das spätere Verhalten des Klägers kann es nicht ankommen; welche Beschlüsse angefochten werden, muss vielmehr bei Ablauf der Anfechtungsfrist des § 46 Abs. 1 Satz 2 WEG erkennbar sein. Zu diesem Zeitpunkt war aber nicht zweifelsfrei, ob eine Auslegung der Klageschrift, die zu einer hohen Kostenschuld geführt hätte, dem Willen des Klägers entsprach.
- 2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
- Der Gegenstandswert ist nach den Grundsätzen festgesetzt worden, die der Senat in seinem Beschluss vom 9. Februar 2017 - V ZR 188/16 (zur Veröffentlichung bestimmt) aufgestellt hat.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen