Die Parteien hatten am 10.11.2023 vor dem Senat des OLG einen Vergleich in einem Rechtstreit geschlossen, in dem der Kläger Schadensersatz und Schmerzensgeld infolge ärztlicher Behandlung begehrte. Diesem Vergleich stimmte der Kläger sofort zu, die Beklagten behielten sich ein Widerrufsrecht bis zum 01.12.2023 vor, von dem sie keinen Gebrauch machten. Mit Schriftsatz vom 14.11.2923 erklärte der Kläger gegenüber dem Beklagtenvertreter die Anfechtung des Vergleichs bzw. seiner Willenserklärung zum Abschluss des Vergleichs gem. §§ 119, 123 BGB. Unter Stellung seiner vormaligen Anträge beantragte er die Fortsetzung des Verfahrens, demgegenüber die Beklagten beantragten festzustellen, dass der Rechtstreit durch den Vergleich erledigt sei. Das OLG stellte die Erledigung des Rechtstreits durch den Vergleich durch Endurteil fest (dazu BGH, Beschluss vom 18.09.1996 - VIII ZB 28/96 -).
Die Beweislast dafür, dass ein abgeschlossener Vergleich nicht den Prozess beendet habe, trage derjenige, der sich darauf berufe (vorliegend der Kläger).
Der Kläger hatte sich vorliegend auf die Unrichtigkeit eines gerichtlich eingeholten Sachverständigengutachtens berufen. Nach dem auch auf einen Prozessvergleich anwendbaren § 779 Abs. 1 BGB sei ein Vergleich unwirksam, wenn der nach dem Inhalt des Vergleichs als feststehend zu Grunde gelegte Sachverhalt der Wirklichkeit nicht entspreche und der Streit oder die Ungewissheit bei Kenntnis der Sachlage nicht entstanden wäre. Damit, so weiter der Senat, sei der Fall beiderseitigen Irrtums über einen Umstand, der außerhalb des Streits der Parteien gelegen habe, geregelt. Allerdings sei die Richtigkeit von Angaben gerichtlicher Sachverständiger kein von den Parteien als feststehend zu Grunde gelegter Sachverhalt (OLG Hamm, Urteil vom 21.05.2005 - 13 U 25/04 -). Vor dem Vergleich seien die Möglichkeit und Verfügbarkeit alternativer Behandlungsmethoden streitig gewesen, wozu sich der Sachverständige geäußert habe. Dies sei auch der Streitbeilegung zugrunde gelegt worden. Damit aber stünde fest, dass die Parteien gerade nicht übereinstimmend vom Bestehen alternativer Behandlungsmethoden ausgegangen seien, sondern dies erst durch das Gutachten ermittelt worden sei. Mithin habe sich der Kläger nur in einem tatsächlichen Irrtum über einen Umstand befunden, der bereits vor dem Vergleich streitig bzw. ungewiss gewesen sei. Die Parteien würden selbst das Risiko übernehmen für streitige und ungewisse Umstände, deren Bedeutung und Folgen zur Streitbeilegung im Vergleich geregelt würden, die in Wahrheit aber von angenommenen Größen abweichen würden. Ein beiderseitiger Irrtum, wie er § 779 Abs. 1 BGB voraussetze, habe nicht vorgelegen.
Auch infolge der vom Kläger erklärten Anfechtung des Vergleichs sei dieser nicht unwirksam. Dazu müsste der Tatbestand des § 119 BGB verwirklicht sein, was nicht der Fall sei. Der Kläger habe sich nicht iSv. § 119 Abs. 1 BGB über den Inhalt seiner Erklärung im Irrtum befunden, sondern diese Erklärung abgeben. Irrtümer über Motive oder im Rahmen der Kalkulation seien bei dem Abschluss eines Prozessvergleichs unbeachtlich. Damit könnten selbst unrichtige Angaben des Sachverständigen nicht die Anfechtung rechtfertigen, auch wenn diese die Höhe der Vergleichssumme beeinflusst haben sollten. Es würde sich um einen bloßen (unbeachtlichen) Motivirrtum in Form einer Fehlvorstellung handeln.
Die Behandlungsmethode stelle sich auch nicht als verkehrswesentliche Eigenschaft eines Vergleichs iSv. § 119 Abs. 2 BGB dar.
Ebenso würde hier nicht § 123 Abs. 2 BGB greifen. Eine arglistige Täuschung oder bewusst falsche Angabe durch den Sachverständigen sei nicht dargelegt worden. Zudem wäre nicht dargelegt worden und auch nicht ersichtlich, dass die Beklagten – was erforderlich wäre – diese mutmaßliche arglistige Täuschung des Sachverständigen kannten oder hätten kennen müssen. Zu diesen Punkten stelle der Kläger nur Mutmaßungen an, was nicht ausreichend ist.
OLG Hamm, Beschluss vom
12.04.2024 - 26 U 2/23 -
Aus den Gründen:
Tenor
Es wird festgestellt, dass der
Rechtsstreit durch Vergleich vom 10.11.2023 erledigt ist.
Die weiteren Kosten des Rechtsstreits
trägt der Kläger.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Revision
wird nicht zugelassen.
Gründe
I.
Der Kläger hat
ursprünglich Schmerzensgeld und die Feststellung von Schadensersatzansprüchen
infolge ärztlicher Behandlungen begehrt.
Im Senatstermin
vom 10.11.2023 haben die Parteien einen Vergleich geschlossen, nachdem die
Beklagte zu 1) an den Kläger zur Abgeltung aller Forderungen im Zusammenhang
mit der streitgegenständlichen stationären Behandlung vom 20.02.2014 bis zum
06.04.2014 einen Betrag von 2.000 EUR zahlt. Der Kläger hat diesem
Vergleich sofort vorbehaltlos zugestimmt, die Beklagten behielten sich den
Widerruf des Vergleichs bis zum 01.12.2023 vor. Ein Widerruf ist nicht erfolgt.
Der Kläger hat
mit Schriftsatz vom 14.11.2023 gegenüber den Beklagtenvertretern die Anfechtung
des Vergleichs bzw. seiner Willenserklärung zum Abschluss des Vergleichs gem.
§§ 119, 123 BGB erklärt.
Der Kläger
beantragt nunmehr - unter Stellung seiner Anträge auf Aufhebung des
Versäumnisurteils vom 12.05.2023 und Abänderung des Urteils dahingehen, dass
die Beklagten zur Zahlung eines angemessenen Schmerzensgeldes verpflichtet sind
und die weitere Ersatzpflicht festgestellt wird - , den ursprünglichen
Rechtsstreit fortzusetzen. Die Beklagten beantragen festzustellen, dass der
Rechtsstreit durch Vergleich vom 10.11.2023 erledigt ist. Wegen des genauen
Wortlauts der gestellten Anträge wird auf das Protokoll des Senatstermins vom
12.04.2024 Bezug genommen.
Wegen des
weiteren Sach- und Streitstandes und der erstinstanzlich gestellten Anträge
wird auf die angefochtene Entscheidung und die zu den Gerichtsakten gereichten
Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
Im Übrigen wird
von der weiteren Darstellung des Tatbestandes gemäß §§ 540 Abs. 2,
313a Abs. 1 S. 1, 544 ZPO abgesehen.
II.
Der
Rechtsstreit der Parteien war nach Abschluss des Vergleichs vom 10.11.2023
nicht vor dem Senat fortzusetzen. Der Vergleich ist nicht durch die Beklagten
innerhalb der - nur den Beklagten zustehenden - Widerrufsfrist
widerrufen worden. Auch im Übrigen ist von einer Wirksamkeit des Vergleiches
auszugehen, insbesondere greift die vom Kläger erklärte Anfechtung des
Vergleichs nicht durch. Demgemäß war auszusprechen, dass der Rechtsstreit
erledigt ist.
1) Der
Streit über die Wirksamkeit eines Prozessvergleichs ist aus
verfahrensrechtlichen Gründen durch Fortsetzung des alten Verfahrens
auszutragen, indem die Partei, die den Vergleich für unwirksam hält,
Terminsantrag mit dieser Begründung stellt. Das gleiche gilt für den Streit
über die anfängliche materielle Unwirksamkeit des Vergleichs z.B. wegen
Nichtigkeit oder Anfechtung. Bringt die Fortsetzung des alten Verfahrens das
Ergebnis, dass der Vergleich wirksam ist, so ist durch Endurteil (vgl. BGH,
Beschl. vom 18.09.1996 - VIII ZB 28/96, NJW 1996, 3345) auszusprechen, dass der
Rechtsstreit durch Vergleich erledigt ist (vgl. Grüneberg/Sprau, BGB, 83.
Aufl., § 779 Rn. 31).
Die Darlegungs-
und Beweislast dafür, dass der Prozessvergleich den Rechtsstreit nicht beendet
hat, trägt derjenige, der dies geltend macht (BeckOK BGB/Rudolf Fischer,
68. Ed. 01.05.2023, BGB § 779 Rn. 119), hier der Kläger.
2) Der
Kläger kann sich zunächst nicht darauf berufen, dass der Vergleich unwirksam
ist.
Ein Vergleich
ist nach § 779 Abs. 1 BGB, der auch auf Prozessvergleiche anwendbar
ist, dann unwirksam, wenn der nach dem Inhalt des Vergleichs als feststehend zu
Grunde gelegte Sachverhalt der Wirklichkeit nicht entspricht und der Streit
oder die Ungewissheit bei Kenntnis der Sachlage nicht entstanden sein würde.
Geregelt wird hier der Fall eines beiderseitigen Irrtums über einen Umstand,
der außerhalb des Streits der Parteien lag (Grüneberg/Sprau, BGB, 83. Aufl.,
§ 779 Rn. 1, 29).
Die Richtigkeit
der Angaben eines gerichtlichen Sachverständigen ist kein von den Parteien als
feststehend zu Grunde gelegter Sachverhalt (vgl. OLG Hamm, Urteil vom
21.02.2005 - 13 U 25/04, NJW-RR 2006, 65.). Hier befand sich der Kläger
- nach eigenem Vortrag - allenfalls in einem tatsächlichen Irrtum
über einen Umstand, der vor dem Vergleich als streitig oder ungewiss angesehen
wurde, nämlich die Möglichkeit und Verfügbarkeit alternativer
Behandlungsmethoden. Auch zu diesem Streitgegenstand ist durch die Beauftragung
des Sachverständigen Beweis erhoben und dessen Ergebnisse sind bei der
Streitbeilegung zu Grunde gelegt worden. Die Parteien sind vorliegend demnach
gerade nicht übereinstimmend von dem Bestehen einer bestimmten
Behandlungsalternative ausgegangen; vielmehr wurde durch die Beweisaufnahme
diese durch das Gutachten erst ermittelt und erörtert. Für streitige oder
ungewisse Umstände, deren Bedeutung und Folgen die Parteien zur Streitbeilegung
im Vergleich regeln, die in Wahrheit aber von den angenommenen Größen
abweichen, übernehmen die Parteien selbst das Risiko. Der Fall des § 779
Abs. 1 BGB betrifft einen beiderseitigen Irrtum über einen Umstand, der
außerhalb des Streits der Parteien lag (vgl. OLG Hamm, a.a.O.).
3) Der
Vergleich ist auch nicht auf Grund der erklärten Anfechtung des Klägers vom
14.11.2023 unwirksam.
a) Der
Tatbestand des § 119 Abs. 1 BGB ist nicht erfüllt. Der Kläger befand
sich bei seiner Erklärung nicht über deren Inhalt im Irrtum; er wollte auch
eine Erklärung dieses Inhalts abgeben.
Irrtümer über
Motive oder im Rahmen der Kalkulation sind beim Abschluss eines
Prozessvergleiches unbeachtlich (Jahnke/Burmann Hdb Personenschaden,
8. Kap. Abwicklung Rn. 112, beck-online). Insbesondere berechtigt
auch ein Fehler des Sachverständigen nicht zur Anfechtung des Vergleichs,
selbst wenn dessen unrichtige Ausführungen maßgeblich für die Höhe des
Vergleichs waren (vgl. OLG Hamm, Urteil vom 21.02.2005 - 13 U 25/04, NJW-RR
2006, 65).
Insofern kann
vorliegend dahinstehen, ob die Ausführungen des Sachverständigen L. zur
Durchführung der Laserenukleation Jahr 2014 inhaltlich zutreffend waren. Selbst
wenn hier durch die Aussage des Sachverständigen bei dem Kläger eine
Fehlvorstellung entstanden sein sollte, handelte es sich lediglich um einen
unbeachtlichen Motivirrtum, der nicht zur Anfechtung der Willenserklärung
berechtigt.
Zudem handelt
es sich bei einer Behandlungsmethode nicht um eine verkehrswesentliche
Eigenschaft eines Vergleichs im Sinne des § 119 Abs. 2 BGB.
b) Auch
die Voraussetzungen des § 123 Abs. 2 BGB liegen nicht vor.
Es ist
- was der Kläger darzulegen und zu beweisen hätte - bereits weder
vorgetragen, noch sonst ersichtlich, dass überhaupt eine arglistige Täuschung
des Sachverständigen oder auch nur eine bewusst falsche Angabe des
Sachverständigen vorgelegen hat. Die Behauptung des Klägers, der
Sachverständige habe gewusst, dass seine Angaben nicht stimmen, erfolgt
ersichtlich ins Blaue hinein. Hierfür sind keinerlei Anknüpfungstatsachen
vorgetragen oder sonst ersichtlich. Der Kläger trägt selbst vor, es könne
insoweit "nur gemutmaßt werden".
Jedenfalls ist
- was nach § 123 Abs. 2 S. 1 BGB zudem erforderlich
wäre -, auch nicht ersichtlich, dass die Beklagten diese mutmaßliche
arglistige Täuschung des Sachverständigen kannten oder hätten kennen müssen.
Auch der Kläger mutmaßt insofern lediglich, dass dies "unterstellt werden
müsse".
c) Auf
die von den Beklagten aufgeworfene Frage, ob die Anfechtungserklärung überhaupt
unverzüglich erfolgt ist, kommt es danach nicht mehr an.
III.
Die
Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
Die
Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus den §§ 708
Nr. 10, 713 ZPO.
Die Revision
ist nicht zuzulassen, weil die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat
und auch keine Entscheidung des Revisionsgerichts zur Fortbildung des Rechts
oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordert.
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