Im Kern ging es in dem Verfahren um einen Mehrheitsbeschluss der Wohnungseigentümergemeinschaft, mit dem ein Verbot zum Füttern von Vögeln ausgesprochen wurde und bei Zuwiderhandlung eine Vertragsstrafe von € 400,00 angedroht wurde. Die Antragssteller haben den Beschluss angefochten und begehrte im Wege eines einstweiligen Rechtsschutzes die Aussetzung des Beschlusses, Das Amtsgericht hatte den Antrag abgewiesen. Das Rechtsmittel war teilweise erfolgreich, insoweit der Beschluss über die Vertragsstrafe bis zu einer Entscheidung über die Hauptsache einstweilen ausgesetzt wurde.
Anders als das Amtsgericht ging das Landgericht davon aus, dass ein Verfügungsgrund im Hinblick auf die Anordnung einer Vertragsstrafe vorliegen würde. Dabei wies es darauf hin, dass Beschlüsse der Wohnungseigentümer bis zu einer Ungültigkeitserklärung durch ein Gericht wirksam und vollziehbar seien, § 23 Abs. 4 S. 2 WEG. In Ansehung dieser Wirkung könne die Vollziehung von Beschlüssen für die Zeit des Anfechtungsverfahrens nur dann ausgesetzt werden, wenn glaubhaft gemacht würde, dass im Einzelfall das Interesse der Anfechtenden überwiegen würde und eine fehlende Aussetzung wegen irreversibler Schäden nicht zumutbar sei oder die Rechtswidrigkeit derart evident sei, dass es dafür keiner Prüfung im Hauptsacheverfahren mehr bedürfe. Letzteres nahm das Landgericht an. Es würde an einer Beschlusskompetenz für die Anordnung von Vertragsstrafe ermangeln. Dies sei bereits vom BGH im Hinblick auf die Regelung in § 21 Abs. 7 WEG entschieden worden (BGH, Urteil vom 22.03.2019 – V ZR 105/18 -). Dort habe der BGH klar ausgeführt, dass die dem entgegenstehende Gesetzesbegründung im vorrangigen Wortlaut der Norm keine Stütze finde.
Da damit die Regelung im Hinblick auf die Vertragsstrafe eindeutig nichtig sei, würde auch kein Vollzugsinteresse daran bestehen können, da nichtige Beschlüsse ipso jure keine Wirkung entfalten würden (BGH, Urteil vom 22.07.2011 - V ZR 245/09 -). Da die Antragssteller behaupteten, mindestens einmal wöchentlich einen Verstoß gegen das Verbot der Vogelfütterung zu begehen, mithin nicht ausgeschlossen werden könne, dass der Beschluss zur Vertragsstrafe vollzogen würde (wozu der Verwalter nach § 27 Nr. 1 WEG gehalten wäre) ließe sich nicht ausschließen, dass die Antragsteller Forderungen in erheblicher Höhe ausgesetzt sein könnten, was den Verfügungsgrund begründe.
Nicht entsprochen wurde dem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zum Verbot der Vogelfütterung. Hier handele es sich um eine Änderung der Hausordnung. Weder ließe sich eindeutig erkennen, dass es insoweit an einer Beschlusskompetenz ermangeln könne noch sei klar, dass der Beschluss nicht hinreichend bestimmt sei.
LG Frankfurt am Main,
Beschluss vom 01.10.2020 - 2-13 T 64/20 -
Aus den Gründen:
Tenor
Auf die sofortige Beschwerde wird der Beschluss des AG Offenbach am Main vom 6. Juli 2020 teilweise abgeändert.
Die Vollziehung der Beschlüsse der Eigentümerversammlung vom 3. Juni 2020 zu TOP 2 wird, soweit dort beschlossen wurde „Für jedes verbotswidrige Vogelfüttern, ist eine Vertragsstrafe in Höhe von 400 € an die Untergemeinschaft fällig“ wird bis zur rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache einstweilen eingestellt.
Die weitergehende Beschwerde wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens werden gegeneinander aufgehoben.
Der Beschwerdewert wird auf bis zu 22.000 € festgesetzt.
Gründe
I.
Die Parteien bilden eine Wohnungseigentümergemeinschaft. Diese hat in der Gemeinschaftsordnung Untergemeinschaften gebildet, die eigene Versammlungen abhalten können und zuständig sind, für alle Angelegenheiten der jeweiligen Häuser, wobei ein Verweis auf die Angelegenheiten des § 21 Abs. 5 WEG erfolgt. In welchem Umfang Hausordnungen bereits vorhanden sind, ist zwischen den Parteien streitig.
Die Untergemeinschaft des Hauses, in dem die Antragsteller ihr Sondereigentum haben, hat folgenden Beschluss gefasst: „Das Füttern von Vögeln im Bereich der Untergemeinschaft ... ist grundsätzlich verboten. Für jedes verbotswidrige Vogelfüttern, ist eine Vertragsstrafe in Höhe von 400 € an die Untergemeinschaft fällig. Sollten darüber hinaus auch noch Tauben gefüttert werden, kann jeder Bewohner dies bei der Stadtverwaltung ... zur Anzeige bringen.“
Gegen diesen Beschluss haben die Antragsteller Anfechtungsklage erhoben. Im vorliegenden Verfahren begehren sie die Aussetzung des Beschlusses im Wege einstweiligen Rechtschutzes und stützen sich u.a. darauf, dass eine Kompetenz der Untergemeinschaft zur Beschlussfassung nicht bestanden habe, der Beschluss unbestimmt sei und eine Vertragsstrafe ohnehin nicht beschlossen werden könne.
Das Amtsgericht hat den Antrag zurückgewiesen und sich zur Begründung maßgeblich darauf gestützt, dass ein Verfügungsgrund nicht vorliege, die Sache sei bereits deshalb nicht eilbedürftig, weil der Beschluss über die Vertragsstrafe nichtig sei und daher keine Zahlungspflichten der Antragsteller auslösen könne.
Hiergegen richtet sich die sofortige Beschwerde der Antragsteller. Die Beklagten, denen im Beschwerdeverfahren rechtliches Gehör gewährt wurde, beantragen die Zurückweisung der Beschwerde.
II.
Die sofortige Beschwerde ist statthaft, sie ist insbesondere form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden (§§ 567 Abs.1 Ziff.2, 569 ZPO). Sie hat auch teilweise Erfolg.
Nach Auffassung der Kammer ist jedenfalls insoweit als in dem Beschluss eine Vertragsstrafenregelung enthalten ist, ein Verfügungsgrund gegeben, im Übrigen folgt die Kammer der Auffassung des Amtsgerichts.
Eine einstweilige Verfügung gemäß §§ 935 ff ZPO setzt einen Verfügungsgrund voraus. Die Regelung durch eine einstweilige Verfügung muss daher gemäß § 940 ZPO zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheinen.
Ob dies der Fall ist, ist im Falle der wie hier begehrten Außervollzugsetzung von Beschlüssen einer Eigentümerversammlung durch eine Abwägung der schutzwürdigen Interessen beider Seiten zu beurteilen. Ausgangspunkt ist dabei die Wertung des Gesetzgebers, dass auch fehlerhafte Beschlüsse einer Eigentümerversammlung bis zu ihrer Ungültigkeitserklärung durch ein Gericht grundsätzlich wirksam und vollziehbar sind, § 23 Abs. 4 Satz 2 WEG. Die Anfechtungsklage hat also gerade keine aufschiebende Wirkung (BayObLGZ 1972, 246). Gemäß § 27 Abs. 1 Nr. 1 WEG ist der Verwalter deshalb regelmäßig gehalten, auch angefochtene Beschlüsse zu vollziehen. Das Gesetz misst dem Vollziehungsinteresse der Gemeinschaft mithin grundsätzlich ein größeres Gewicht bei als dem Aussetzungsinteresse der Miteigentümer, die den Beschluss anfechten. Die Vollziehung des Beschlusses für die Zeit des schwebenden Anfechtungsverfahrens kann angesichts dieser Wertung des Gesetzgebers nur dann per einstweiliger Verfügung ausgesetzt werden, wenn glaubhaft gemacht wurde, dass im konkreten Einzelfall ausnahmsweise die Interessen der anfechtenden Miteigentümer überwiegen, etwa weil ihnen ein weiteres Zuwarten wegen drohender irreversibler Schäden nicht mehr zugemutet werden kann oder weil bei unstreitiger Sachlage und gefestigter Rechtsprechung die Rechtswidrigkeit des Beschlusses derart offenkundig ist, dass es hierfür nicht erst der umfassenden Prüfung durch ein Hauptsacheverfahren bedarf (LG München ZWE 2008, 490). Bei der Abwägung sind insoweit auch grundrechtliche Erwägungen anzustellen, so dass eine Aussetzung erforderlich ist, wenn andererseits verfassungsrechtlich geschützte Rechte der Eigentümer (Art. 14 GG) beeinträchtigt sind und eine Rückgängigmachung nicht oder kaum möglich ist (grdl. Bärmann/Roth WEG § 46 Rn. 159; Bärmann/Pick/Dötsch WEG § 46 Rn. 154 ff. mwN), dabei ist neben den Schwierigkeiten einer tatsächlichen Rückgängigmachung auch zu prüfen, inwieweit diese rechtlich möglich (bereits eingegangene Verträge mit Dritten – vgl. Zschieschack ZMR 2020, 387) oder im System des WEG angelegt (BGH NZM 2020, 755 – Beschlüsse über Jahresabrechnungen und Umlagen) ist.
Bei Anlegung dieser Maßstäbe liegt ein Verfügungsgrund für die Aussetzung in Bezug auf die Anordnung der Vertragsstrafe vor. Diese Regelung ist evident nichtig, denn eine Beschlusskompetenz hierüber zu beschließen, besteht nicht. Wie der Bundesgerichtshof entschieden hat, bietet § 21 Abs. 7 WEG insoweit keine Beschlusskompetenz mit Mehrheitsbeschluss eine Vertragsstrafenregelung einzuführen (BGH ZWE 2019, 282). Wie der BGH in der Entscheidung ausdrücklich ausgeführt hat, kann die anderweitige Gesetzesbegründung nicht für eine gegenteilige Auffassung herangezogen werden, da sich dies im Wortlaut des Gesetzes nicht wiederfindet. Dass dies zutreffend ist, zeigt sich daran, dass der Gesetzgeber in der Fassung des Regierungsentwurfs für das Wohnungseigentumsmodernisierungsgesetzes (WEMoG) in § 19 Abs. 3 WEG-E eine ausdrückliche Regelung für Vertragsstrafen vorgesehen hatte, die allerdings im Bundestag keine Mehrheit gefunden hat. Dass die Vertragsstrafenregelung wohl auch deshalb keinen Bestand haben könnte, da die Gläubigerin – die Untergemeinschaft – nicht rechtsfähig ist und damit nicht taugliche Anspruchsinhaberin, kann daher dahinstehen.
Ist die Regelung insoweit nichtig, besteht ein Vollzugsinteresse nicht, da nichtige Beschlüsse ipso jure keine Wirkungen entfalten (BGH NJW-RR 2011, 1383). Allerdings kann auch hier eine deklaratorische Beschlussaussetzung erfolgen (Bärmann/Pick/Dötsch WEG § 46 Rn. 159). Dies wird schon aus Gründen der Rechtssicherheit erforderlich sein, wenn nicht ausgeschlossen ist, dass versucht wird, den Beschluss zu vollziehen. Da vorliegend nicht ausgeschlossen ist, dass dies geschieht und die Antragsteller sich Zahlungsaufforderungen in erheblicher Höhe ausgesetzt sehen könnten, da sie vorgetragen haben, mindestens wöchentlich einen Verstoß zu begehen, liegt ein Verfügungsgrund vor. Jedenfalls in einem derart eindeutigen Fall überwiegt das Aussetzungsinteresse das - hier ohnehin nicht bestehende - Vollzugsinteresse.
Ein Aussetzungsinteresse bezüglich des Verbotes des Vogelfütterns durch Änderung der Hausordnung im Übrigen besteht nicht. Insoweit sind keine Gründe dafür ersichtlich, dass das Aussetzungsinteresse auch hier dazu zwingt, von der gesetzlichen Wertung des § 23 Abs. 4 S. 2 WEG abzuweichen. Weder die Frage der Beschlusskompetenz noch die der Bestimmtheit liegen so eindeutig, dass eine Anfechtbarkeit des Beschlusses offensichtlich wäre, über die Frage, ob es bereits eine Hausordnung gibt, herrscht sogar tatsächlich Streit der Parteien. Zudem drohen auch keine konkreten, irreversiblen Schäden. Finanzielle Belastungen müssen die Antragsteller erst fürchten, wenn gerichtlich ein – ggf. vorbeugender – Unterlassungsanspruch (dazu BGH ZWE 2019, 282 Rn. 11) durchgesetzt worden ist. Alleine die Gefahr insoweit in Anspruch genommen zu werden, genügt nicht, zumal ein entsprechendes Verfahren wohl analog § 148 ZPO auszusetzen wäre, bis über die Anfechtungsklage entschieden wäre (vgl. BGH NJW 2019, 1216 Rn. 25; Bärmann/Pick/Dötsch WEG Vor §§ 43 ff. Rn. 86). Der letzte Satz des Beschlusses – Anzeigemöglichkeit – ist nicht angegriffen worden, ein Regelungsgehalt dürfte ohnehin fraglich sein.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 ZPO, dabei hat die Kammer den Wert des Verbots und der Vertragsstrafe gleich bewertet, da die Höhe der Strafe zeigt, welche Bedeutung die Gemeinschaft dem Verstoß beimisst. Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 49a GKG und berücksichtigt auf Klägerseite deren Interesse des Fütterns, was nach der beschlossenen Regelung und der Absicht jede Woche gegen die Regelung zu verstoßen für einen Zeitraum von einem Jahr – Mindestverfahrensdauer der Hauptsache – zu einem Wert von 20.800 € führt.
Vorsorglich wird darauf hingewiesen, dass – soweit die einstweilige Verfügung erlassen wurde – für das Widerspruchsverfahren das Amtsgericht zuständig ist (allg. Auffassung; vgl. Musielak/Voit/Huber ZPO § 924 Rn. 6).
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