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Freitag, 30. August 2024

WEG: Qualifizierte Mehrheit bei Änderung von Regelungen in Gemeinschaftsordnung und Öffnungsklausel

Die sogen. Öffnungsklausel betrifft Änderungen (zulässiger) Vereinbarungen der Wohnungseigentümer (Teilungserklärung / Gemeinschaftsordnung) nach § 10 Abs. 1 S. 2 WEG. Grundsätzlich bedarf die Änderung einer Vereinbarung der Mitwirkung sämtlicher Wohnungseigentümer. Neben gesetzlichen Öffnungsklauseln, nach denen eine Vereinbarung auch durch Beschluss geändert werden kann (z.B. §§ 16 Abs. 2 S. 2, 12 Abs. 4 und 21 Abs. 5 WEG) kann allerdings auch eine Öffnungsklausel vereinbart werden, also in die Gemeinschaftsordnung aufgenommen werden, nach der die Wohnungseigentümer allgemein oder in bestimmten Fällen nicht nur mittels einer Vereinbarung der Wohnungseigentümer, sondern im Beschlussweg mit der (qualifizierten) Mehrheit eine Änderung vornehmen können.

Dem Rechtsstreit lag hier eine notariell bei Begründung des Wohnungseigentums 1984 protokollierte   und im Grundbuch gewahrte Gemeinschaftsordnung zugrunde, die u.a.  besagte, dass das Gebäude zu Wohnzwecken und gewerblichen Zwecken diene (Z. 2 Abs. 1) und der Bestimmungszweck des Gebäudes sowie der einzelnen Sondereigentumsräume „nur mit einer Mehrheit von ¾ aller stimmberechtigten Miteigentümer geändert werden kann“ (Z. 2. Abs. 4). Für die Änderung der Gemeinschaftsordnung sei ggf. zusätzlich die Zustimmung von Hypotheken- und Grundschuldgläubigern erforderlich (Z. 21 Abs. 1). Auf Antrag des Beteiligten wurde in einer Eigentümerversammlung vom 14.06.2022 mit Mehrheit der Beschluss gefasst, dass zum Einen die Vertretungsberechtigung in Bezug auf die Ausübung des Stimmrechts nicht mehr auf Miteigentümer oder den Verwalter beschränkt ist, und die Teileigentumseinheiten 02 und 03 in Wohnungseigentum umgewandelt werden können, wird dies vom jeweiligen Sondereigentümer gewünscht. Der Geschäftsführer der Verwaltung beantragte mit notarieller Urkunde die „Änderung der Teilungserklärung“ zu den benannten Beschlüssen in den Grundbüchern der Gemeinschaft einzutragen. Mit Zwischenverfügung wies das Grundbuchamt darauf hin, dass die Zustimmung der dingliche berechtigten in Abt. III der Grundbücher erforderlich sei und setzte zur Behebung eine Frist. Hiergegen richtete sich die Beschwerde des Beteiligten, der das Grundbuchamt nicht abhalf.

Das Beschwerdegericht hob zwar die Zwischenverfügung auf die Beschwerde hin auf, doch dürfte dies dem Beteiligten nicht weiterhelfen.

Das Beschwerdegericht wies darauf hin, dass dann, wenn der beantragten Eintragung ein Hindernis entgegen stehen würde, den Antrag entweder unter Angabe der Gründe zurückweisen oder (wie hier in der Sache geschehen) dem Antragsteller eine angemessene Frist zur Behebung des Hindernisses setzen müsse (§ 18 Abs. 1 S. 1 GBO). Eine Zwischenverfügung (Hinweis mit Fristsetzung) käme aber nur dann in Betracht, wenn das Eintragungshindernis rückwirkend auf den Zeitpunkt der Antragsstellung bei dem Grundbuchamt behoben werden könne (BGH, Beschluss vom 01.10.2020 - V ZB 51/20 -). Das Hindernis könne hier aber weder durch das vom Grundbuchamt aufgezeigte Abhilfemittel und schon gar nicht auf den Zeitpunkt der Antragsstellung behoben werden.

Dass für die vorgesehene Änderung der Vertretungsberechtigung bei der Stimmabgabe keine Öffnungsklausel für eine Änderung durch qualifizierten Mehrheitsbeschluss vorläge, sei offenkundig, weshalb der entsprechende Beschluss nicht Grundlage für eine Eintragung im Grundbuch sein könne.  

Vorliegend hätten nicht alle Wohnungseigentümer Erklärungen abgegeben noch wären sie übereinstimmend. Streitbefangen seien Beschlüsse seien Beschlüsse die zwar auf eine Änderung der Gemeinschaftsordnung gerichtet seien, aber nicht auf Grund der Gemeinschaftsordnung gefasst worden seien.  Es würde eine entsprechende Öffnungsklausel in der Gemeinschaftsordnung fehlen.

Offen bleiben könne dabei, ob in Ansehung der Regelung unter Z. 2 Abs. 4 die Umwandlung von Teileigentum in Wohnungseigentum und umgekehrt durch qualifizierten Mehrheitsbeschluss überhaupt geregelt sei oder es dort nur um Zweckbestimmungen gehe, also ob Wohnungseigentum auch gewerblich genutzt werden dürfe, was hier (noch) nicht streitgegenständlich sei.

In der Sache sei der Beschluss auf Umwandlung auf die Schaffung einer Öffnungsklausel gerichtet, aufgrund derer der Beteiligte als derzeitiger Eigentümer der Teileigentumsrechte ohne weitere Beteiligung der anderen Miteigentümer eine Umwandlung in Wohnungseigentum vornehmen könne. Ein entsprechender Änderungsvorbehalt sei in der Gemeinschaftsordnung bisher nicht geregelt, was bedeute, dass zunächst eine entsprechende Vereinbarung der Miteigentümer untereinander erforderlich sei. Diese Vereinbarung läge bisher nicht vor.

Unter Verweis auf § 10 Abs. 3 S. 2 WEG verwies das Beschwerdegericht darauf, dass Beschlüsse zur Wirksamkeit gegenüber Sondernachfolgern, die nicht aufgrund einer Vereinbarung ergehen würden, keiner Eintragung im Grundbuch bedürfen. Daraus folge zugleich deren fehlende Eintragungsfähigkeit (BGH, Beschluss vom 16.09.1994 - V ZB 2/93 -; hier wies der BGH auf die Notwendigkeit einer Anfechtung hin). 

An das Grundbuchamt erging durch das Beschwerdegericht der Hinweis, dass nicht eine Zwischenverfügung zur Vorlage einer Vereinbarung ergehen könne, da mittels der Zwischenverfügung nicht auf den Abschluss eines Rechtsgeschäfts hingewirkt werden könne, welches Grundlage einer einzutragenden Rechtsänderung werden könne.

Kammergericht Berlin, Beschluss vom 01.02.2024 - 1 W 378/23 -

Freitag, 6. Oktober 2023

Beschwer durch Einkünftequalifikation in Einkommensteuerbescheid ?

Der BFH musste sich im Rahmen der Beschwerde der Kläger gegen ein Urteil eines Finanzgerichts klären, ob eine Beschwer der Kläger vorlag, was er verneinte. Das Finanzamt hatte Einkommensteuer-Änderungsbescheide für die Jahre 2017 bis 2019 erlassen, deren Aufhebung die Kläger (erfolglos) begehrten. Im Rahmen der Änderung nahm das Finanzamt eine andere Qualifikation der Verpachtung landwirtschaftlicher Flächen vor, wogegen sich die Kläger wandten.

Dazu hielt der BFH fest, dass die Frage, ob die Steuerpflichtigen mit der Verpachtung (hier) der landwirtschaftliche genutzten Flächen Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft oder aus Vermietung und Verpachtung erzielen würden, nach dem Grundsatz der Abschnittbesteuerung bei der Einkommensteuer als Jahresteuer (§ 2 Abs. 7 S. 1 u. 2 EStG) für jeden Veranlagungszeitraum neu zu entscheiden sei. Es handele sich dabei um einen gem. § 157 Abs. 2 AO nicht selbständig anfechtbaren Teil der Einkommensteuerbescheide. Da diese Qualifizierung nicht zu einer höheren Einkommensteuer gegenüber der ursprünglichen Steuerfestsetzung führte, fehle es an einer notwendigen Beschwer (vgl. BFH, Beschluss vom 05.07.2011 – X B 222/10 –).

BFH, Beschluss vom 04.07.2023 - VI B 21/23 -

Freitag, 10. Februar 2023

Vollziehbare bauaufsichtliche Verfügungen zum Gemeinschaftseigentum und Beschlussfassung nach § 19 Abs. 1 WEG

Das im gemeinschaftlichen Eigentum der antragstellenden Wohnungseigentümergemeinschaft stehende 12-stöckige Hochhaus hatte eine Fassade mit brennbaren Holzwolleleichtbauplatten. Die Baubehörde hatte mit einer an die Wohnungseigentümergemeinschaft  gerichteten bauaufsichtlichen Verfügung vom 08.07.2019 dieser unter Anordnung des Sofortvollzugs aufgegeben, die brennbare Fassadenbekleidung zu entfernen. Dem kam die Wohnungseigentümergemeinschaft innerhalb der Ausführungsfristen seit Sommer 2021 nicht nach; die Eigentümergemeinschaft fasste zwar entsprechende Beschlüsse, die allerdings das AG Wennigsen mit Urteil vom 05.07.2022 für unwirksam erklärte. Daraufhin drohte die Baubehörde (Antragsgegnerin) ein Zwangsgeld an und setzte dieses mit € 100.000,00 nach Ablauf der Frist unter gleichzeitiger erneuter Androhung eines weiteren Zwangsgeldes von € 200.000,00 fest. Gegen diese Verfügung legte die Wohnungseigentümergemeinschaft Widerspruch ein und beantragte vorläufigen Rechtsschutz, den das Verwaltungsgericht versagte. Die dagegen eingelegte Beschwerde wies das OVG Lüneburg zurück.

Ein Vollstreckungshindernis nach dem Niedersächsischen Polizei- und Ordnungsbehördengesetz (NPOG) läge nicht vor. Ein solches Hindernis iSv. §§ 64 Abs. 1, 65 Abs. 1 Nr. 2, § 67 NPOG läge u.a. dann vor, wenn der Vollstreckungsschuldner (hier die Wohnungseigentümergemeinschaft) einer ihm obliegenden Pflicht nicht nachkommen könne, ohne in die Rechte Dritter (Miteigentümer oder sonstige Nebenberechtigte) einzugreifen, da in diesem Fall gegen den Dritten mit Beginn der Vollstreckungsmaßnahme eine Duldungsverfügung gegen den Dritten ergehen müsste.

Verstoße eine in Wohnungseigentum aufgeteilte bauliche Anlage hinsichtlich der im gemeinschaftlichen Eigentum stehenden Gebäudeteile (§ 1 Abs. 5 WEG), so die Fassade, gegen öffentliches Baurecht, sei der richtige Adressat der bauaufsichtlichen Verfügung gem. § 85 Abs. 2 NBauO die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer. Dies begründe sich daraus, dass diese die sich aus dem gemeinschaftlichen Eigentum ergebenden Rechte ausübe und die entsprechenden Pflichten der Wohnungseigentümer wahrnehme, § 9a Abs. 2 WEG (§ 10 Abs. 6 S. 3 WEG in der bis 30.11.2020 geltenden Fassung). Die einzelnen Wohnungseigentümer seien von der Verwaltung ausgeschlossen, § 18 Abs. 1 WEG. Damit sei auch die Vollstreckung gegenüber der Gemeinschaft vorzunehmen.

Es bedürfe auch gegenüber den einzelnen Wohnungseigentümern keiner Duldungsverfügung, da diese von der Verwaltung ausgeschlossen seien und sich ihre Rechte in Bezug auf das gemeinschaftliche Eigentum auf die Mitwirkung an entsprechenden Beschlussfassungen im Innenverhältnis beschränken würden, § 19 Abs. 1 WEG. Ihnen würden keine Rechte zustehen, mittels der sie die Gemeinschaft an der Befolgung einer wirksamen und vollziehbaren bauaufsichtlichen Verfügung hindern könnten.

Zwar sei der Einwand der Antragstellerin grundsätzlich zutreffend, dass die Verwaltungsbefugnis im Innenverhältnis gegenüber den einzelnen Wohnungseigentümern beschränkt sei und jeder Wohnungseigentümer nach § 18 Abs. 2 WEG eine ordnungsgemäße Verwaltung im Rahmen der bestehenden Beschlüsse der Gemeinschaft verlangen und gerichtlich durchsetzen könne. Allerdings stehe aufgrund der wirksamen und vollziehbaren und damit zwingend zu befolgenden bauaufsichtlichen Anordnung für die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer verbindlich auch ohne eine Beschlussfassung, sogar entgegen einer Beschlussfassung der Wohnungseigentümer fest, dass ein Handeln entsprechend der Verfügung geboten sei. Damit folge die Handlungspflicht unmittelbar aus der bauaufsichtlichen Verfügung und überwinde selbst entgegenstehende interne Willensbildungen der Wohnungseigentümer(OVG des Saarlandes, Beschluss vom 17.08.2022 - 2 B 104/22 -).

OVG Lüneburg, Beschluss vom 16.11.2022 - 1 ME 106/22 -

Freitag, 12. Februar 2021

Unterlassungsanspruch des Nachbarn bei baurechtswidrigem Offenstall

 

Die Beklagte hatte auf ihrem Grundstück mit einer Entfernung von ca. 12m zum Wohnhaus der klagenden Nachbarin. Die von der Beklagten gegründete UG betrieb auf dem Grundstück eine Reitschule. Ein Antrag der Beklagten auf Baugenehmigung wurde im Verwaltungsverfahren als auch im nachfolgenden Klageverfahren abgewiesen. Das Verwaltungsgericht sah in dem Offenstall eine fehlende Rücksichtnahme auf die Interessen der beigeladenen Klägerin, und zwar wegen der Entfernung von ca. 12m zu den Ruheräumen der Klägerin und da die Boxen mit Auslauf zum Wohnhaus der Klägern ausgerichtet seien. Dies wirke auf das benachbarte Wohngrundstück belastend. Das Landgericht verurteilte auf die Klage der Klägerin die Beklagte auf Unterlassung der Pferdehaltung in dem Offenstall. Das OLG sah die Problematik in der Lärmverursachung und beschränkte die Verurteilung auf die Einhaltung der jeweiligen TA Lärm.  Dieser Entscheidung folgte der BGH auf die vom OLG zugelassene Revision hin nicht.

Die Beschränkung übergehe den Umstand, dass der Abwehranspruch aus § 1004 Abs. 1 S. 2 iVm. § 906 BGB darauf gerichtet sei, die konkrete Lärmbeeinträchtigung zu unterlassen, bzw. auf ein Ma0 zurückzuführen, welches nicht mehr als wesentliche Beeinträchtigung anzusehen sei. Allerdings würde sich daraus auch noch kein Anspruch auf Unterlassen der Pferdehaltung in dem Offenstall ergeben. Vorliegend sei dieser Anspruch, dass die Beklagte die Haltung ihrer Pferde auf ihrem Grundstück unterlässt, aber aus § 1004 Abs. 1 S. 1 analog iVm. § 823 Abs. 2 BGB und dem öffentlich-rechtlichen Gebot der Rücksichtnahme begründet.

Die Verletzung nachbarschützender Vorschriften des öffentlichen Baurechts würden einen verschuldensunabhängigen Unterlassungsanspruch des Nachbarn begründen. Zu diesen Normen würde das Gebot der Rücksichtnahme zählen, wie es z.B. seine Ausprägung in den Normen des § 34 Abs. 1 BauGB (des „Einfügens“) oder des § 35 Abs. 3 S. 1 Nr. 3 BauGB (der „schädlichen Umwelteinwirkungen“) gefunden habe. Im Falle eines solchen Verstoßes bedürfe es für den Unterlassungsanspruch keiner weitergehenden Beeinträchtigung des Nachbarn. Schutzgesetze iSd. § 823 Abs. 2 BGB würden den Schutz des Nachbarn vorverlagern und nicht an einen Verletzungserfolg anknüpfen.

Die bestandskräftige Entscheidung des Verwaltungsgerichts über die Versagung der Baugenehmigung habe auch Bindungswirkung für den Rechtsstreit der Klägerin gegen die beklagte zur Frage, ob gegen das Rücksichtnahmegebot verstoßen wurde. Damit sei dies im Zivilverfahren nicht gesondert zu prüfen. Das Urteil binde nach § 121 Nr. 1 VwGO die beteiligten, zu denen nach § 63 Nr. 3 VwGO auch Beigeladene (hier die Klägerin) zähle. Die materielle Rechtskraft binde auch andere Gerichte, mithin auch die Zivilgerichte. Nach den mit der Entscheidung in Rechtskraft erwachsenen tragenden Gründen derselben stünde die materielle Baurechtswidrigkeit des Offenstalls fest.

BGH, Urteil vom 27.11.2020 - V ZR 121/19 -

Donnerstag, 15. August 2019

Steuerrecht: Bindungswirkung der vom unzuständigen Finanzamt erteilten verbindlichen Auskunft


Die Klägerin war Kommanditistin der Beigeladenen (einer GmbH & Co. KG). Nachdem die Beigeladene hatte nach Veräußerung eines Grundstücks eine Rücklage nach § 6b EStG gebildet. Da die Beigeladene über kein Ersatzwirtschaftsgut verfügte, plante die Klägerin im Rahmen einer Bauherrengemeinschaft den Bau von Tiefgaragenplätzen und wollte zum Zwecke der Übertragung der Rücklage die Fristverlängerung auf sechs Jahre gem. § 6b Abs. 3 S. 3 EStG in Anspruch nehmen. Sie stellte deshalb im Juni 2008 bei dem für sie betreffend der einheitlichen und gesonderten Feststellung zuständige Finanzamt (FA) S. einen Antrag auf verbindliche Auskunft unter Darlegung der Umstände. Das FA S. erteilte unter Bezugnahme auf die Darstellung der Klägerin die gebührenpflichtige verbindliche Auskunft, dass die Rücklage, soweit sie auf die Klägerin entfällt, in deren Gesamthandsvermögen übertragen werden könne. Auch die vorgesehene buchhalterische Abwicklung entspräche den Richtlinien. Sofern die „formalen Voraussetzungen des § 6b Abs. 4 EStG eingehalten werden, werde die Übertragung anerkannt“. Die Beigeladene löste die Rücklage auf und buchte den auf die Klägerin entfallenden Betrag ertragsneutral unter Zuschreibung zum Gesellschafterdarlehen aus und führte die Rücklage in ihren Bilanzen fort.

Im Rahmen einer bei der Beigeladenen durchgeführten steuerlichen Außenprüfung wurde die steuerneutrale Übertragung der anteiligen Rücklage nicht anerkannt. Die Auskunft des örtlich unzuständigen FA S. entfalte keine Bindungswirkung, da die Umstellung des Wirtschaftsjahres bei der Beigeladenen nicht mitgeteilt worden sei und das zuständige FA, der Beklagte des Verfahrens, nicht beteiligt worden sei. Der Auflösungsbetrag sei daher steuerpflichtiger Gewinn der Klägerin. Der Beklagte daher seinen unter Nachprüfungsvorbehalt stehenden Bescheid über die gesonderte und einheitliche Feststellung von Besteuerungsgrundlagen den Gewinn der Beigeladenen hinsichtlich des Gewinnanteils der Klägerin, indem es die Rücklage nach § 6b EStG auch für die Klägerin zinswirksam auflöste. Der Einspruch der Klägerin wurde zurückgewiesen. Hiergegen erhob die Klägerin Klage.

Das Finanzgericht (FG) stellte zunächst die Zulässigkeit der Klage fest und machte sodann Ausführungen zu einer Rücklage nach § 6b EStG. Im Hinblick auf den Zeitraum sei zwar die Rücklage, wenn sie am Schluss des vierten bzw. sechsten Jahres nach ihrer Bildung noch vorhanden sei, grundsätzlich gewinnerhöhend aufzulösen. Hier hätten die Voraussetzungen für eine Verlängerung der Reinvestitionsfrist von vier auf sechs Jahre (bei der Klägerin) vorgelegen. Einzig kontrovers sei, ob die Rücklage bei der Beigeladenen gewinnneutral hätte aufgelöst werden und auf die Klägerin als Mitunternehmerin übertragen werden dürfen, bevor die Herstellung des Reinvestitionsgutes abgeschlossen war  und ohne auf Seiten der Beigeladenen eine Ergänzungsbilanz für die Klägerin zu bilden. Dies ergäbe sich, unbeschadet der materiell-rechtlichen Richtigkeit (BFH, Urteil vom 22.11.2018 - VI R 50/16 -) aus der verbindlichen Auskunft des FA S.

§ 89 Abs. 2 S. 1 AO sehe vor, dass Finanzämter auf Antrag verbindliche Auskünfte über eine steuerliche Beurteilung von genau bestimmten, noch nicht verwirklichten Sachverhalten erteilen, wenn in Ansehung der steuerlichen Auswirkungen ein besonderes Interesse bestünde. Diese Auskünfte seien für die Besteuerung des Antragstellers verbindliche (§ 2 Abs. 1 S. 1 StAuskV) Verwaltungsakte, die nach § 133 BGB zu beurteilen seien. Sie würden mit Bekanntgabe wirksam, §§ 124 Abs. 1 S. 1 AO iVm. 122 AO) und eine Rechtswidrigkeit sei grundsätzlich ohne Bedeutung. Nur eine Nichtigkeit käme in Betracht (§§ 124 Abs. 3, 125 Abs. 1 AO), der einen besonders schwerwiegenden Fehler voraussetze und offenkundig sein müsse (BFH, Urteil vom 12.08.2015 - I R 45/14 -). Eine verbindliche Auskunft durch das FA S. in diesem Sinne sei zu bejahen.

Die Nichtangabe des Wirtschaftsjahres bei der Beigeladenen sei ohne Bedeutung, da lediglich die Verlängerung der Reinvestitionsfrist von vier auf sechs Jahre entscheidend gewesen sei, bei der hier datumsmäßig die Umstellung des Wirtschaftsjahres ohne Belang gewesen sei.

§ 2 Abs. 1 S. 1 StAuskV entfalte auch Bindungswirkung für die Klägerin in personeller Hinsicht. Es könne dahinstehen ob in Fällen eines mehrstufigen Feststellungsverfahrens der Antrag von der Beigeladenen als auch der Klägerin zu stellen gewesen sei (§§ 1 Abs. 3, 2 Abs. 3 StAuskV, § 178 Abs. 2 S. 2 AO), wobei das FG von einer alleinigen Antragsbefugnis der Klägerin in Ansehung einer mitunternehmerbezogenen Sichtweise des § 6b EStG ausgeht, da die formelle Rechtmäßigkeit nicht die Bindungswirkung bzw. Wirksamkeit ausschließen würde (BFH, Urteil vom 12.08.2015 - I R 45/14 -).

Selbst wenn (was nicht unzweifelhaft sei) das FA S. örtlich nicht zuständig gewesen sein sollte, würde dies die Bindungswirkung nicht betreffen. Die Bindungswirkung würde nur im Falle der Nichtigkeit entfallen. Soweit in § 2 Abs. 1 S. 1 StAuskV und dem Anwendungserlass zur Abgabenordnung zu § 89 ausdrücklich ausgeführt wird, dass Auskünfte unzuständiger Behörden keine Bindungswirkung entfalten würden, würde es schon in Ansehung von Art 80 Abs. 1 GG an einer tragfähigen Ermächtigungsgrundlage ermangeln. Es handele sich um einen solch fundamentalen Eingriff in die gesetzliche Regelung betreffend der Wirksamkeit von Verwaltungsakten, dass diese entweder im Gesetz selbst (§ 89 Abs. 2 AO) oder deutlich in die Ermächtigungsgrundlage hätte aufgenommen werden müssen. Auch würde die Bindungswirkung nicht deshalb entfallen, da das FA S. und nicht die Beklagte die verbindliche Auskunft erteilt habe; auch bei Steuerbescheiden, die von einer unzuständigen Behörde erlassen worden seien, könne eine Durchbrechung ihrer Bestandskraft nur bei Vorliegen entsprechender Rechtsgrundlagen erfolgen. Maßgebend sei alleine, dass sich die Verwaltungsakte auf sämtliche Steuerfestsetzungen beziehen würden. Dem entspräche auch § 2 Abs. 1 S. 1 StAuskV, da dort von der Bindung „für die Besteuerung des Antragstellers gesprochen würde.

Auch sei die verbindliche Auskunft nicht wieder aufgehoben worden. Auch eine konkludente Aufhebung sei nicht erfolgt, da das Verhalten der Betriebsprüfung dahin gegangen sei, dass die Auskunft von vornherein keine Wirksamkeit entfalte.

FG Münster, Urteil vom 17.06.2019 - 4 K 3539/16 F -

Sonntag, 25. September 2016

Streitverkündung durch Versicherungsnehmer aufgrund Gesamtschuld hemmt die Verjährung

Die Versicherungsnehmerin (VN) der jetzigen Klägerin wurde vom Bauherrn im vorangegangenen Verfahren wegen Baumängeln verklagt. In diesem Verfahren verkündete die VN dem jetzigen Beklagten den Streit, der auf Seiten der VN dem Rechtsstreit beitrat. Nach dem Urteil, mit dem die VN zur Zahlung von € 79.054,86 zuzüglich Zinsen verurteilt wurde, zahlte die Klägerin den Betrag abzüglich des Selbstbehalts der VN an den Bauherrn an den Bauherrn und verlangte 40% davon vom Beklagten erstattet. Das Landgericht hat die VN und den Beklagten als Gesamtschuldner angesehen, allerdings eine vom Beklagten erhobene Einrede der Verjährung als begründet angesehen. Nach „ 195 betrage die Verjährungsfrist drei Jahre, beginnend nach § 199 Abs. 1 BGB mit dem Schluss des Jahres, in dem der ausgleichspflichtige Anspruch entstand und die VN Kenntnis von den anspruchsbegründenden Umständen erhielt. Damit, so das Landgericht, begann die Verjährung am 01.01.2008 und sei am 31.12.2010 abgelaufen. Die Klageerhebung der Klägerin in 2013 habe die Verjährungsfrist nicht mehr nach § 204 BGB hemmen können. Die Streitverkündung der VN habe nach Auffassung des Landgerichts nicht zur Hemmung geführt, da die Streitverkündung unzulässig gewesen sei. Die Unzulässigkeit ergebe sich daraus, dass schon im Zeitpunkt der Streitverkündung eine gesamtschuldnerische Haftung des Beklagten mit der VN in Betracht kam und von daher auch der Bauherr beide hätte verklagen können. Damit hätte die VN den Beklagten selbst klageweise auf Freistellung in Anspruch nehmen müssen. Dem schloss sich das OLG an und hat die Berufung mit Beschluss nach § 522 ZPO zurückgewiesen.

Der BGH folgte der Rechtsansicht der Vorinstanzen nicht.

Er wies darauf hin, dass nach § 72 Abs. 1 ZPO eine Streitverkündung u.a., dann zulässig sei, wenn die Partei im Zeitpunkt der Streitverkündung aus in diesem Augenblick naheliegenden Gründen für den Fall eines für sie ungünstigen Ausgangs des Rechtsstreits einen Anspruch gegen einen Dritten erheben zu können glaubt. Entscheidend dabei sie, dass die Streitverkündung verhindern soll, dass verschiedene Beurteilungen desselben Tatbestandes durch unterschiedliche Gerichte erfolgen, weshalb auch §§ 74, 68 ZPO diesem Risiko entgegenwirkt. Von daher sei zu unterscheiden:

Unzulässig ist eine Streitverkündung durch den Kläger des Vorprozesses (dies wäre hier der Bauherr) gegenüber dem jetzigen Beklagten, wenn (und da) von vornherein nach Lage der Dinge der jetzige Beklagte und die VN als Gesamtschuldner ihm gegenüber haften und von daher die Klage hätte auf den jetzigen Beklagten erweitert werden können. In einem solchen Fall könnte es auch für den Streitverkünder nicht mehr darauf ankommen, ob der Prozess für ihn ungünstig ausgeht.

Anders aber sei es in dem Fall (wie hier), wenn der Beklagte des Vorprozesses (hier die VN) gegen einen Dritten (Streitverkündungsempfänger, hier der Beklagte des aktuellen Prozesses) aus im Zeitpunkt der Streitverkündung naheliegenden Gründen aus einem Gesamtschuldverhältnis  einen Gesamtschuldnerausgleichsanspruch  erheben zu können glaube. Ausgleichsansprüche unter Gesamtschuldner sind, so der BGH, Ansprüche auf Schadloshaltung iSv. § 72 Abs. 1 ZPO. Ein Beklagter wie hier die VN der Klägerin , der einen Gesamtschuldnerausgleich gegen einen Dritten erheben zu können glaubt, ist dem Risiko ausgesetzt, vor dem die mit der Streitverkündung verbundene Bindungswirkung nach §§ 74, 68 ZPO bewahren soll.


BGH, Urteil vom 07.05.2015 – VII ZR 104/14 -