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Freitag, 31. März 2023

Rückwärtsfahrt aus Garagenausfahrt und Mithaftung des Vorbeifahrenden

Die Klägerin, deren Geschäftsführer aus einer Garagenausfahrt rückwärts auf die verkehrsberuhigte Straße auffuhr und dort mit dem vorbeifahrenden Beklagtenfahrzeug kollidierte, machte Schadensersatzansprüche gegen die Beklagten geltend. Nach Behauptung der Klägerin sei das Beklagtenfahrzeug mit überhöhter Geschwindigkeit in ihr Fahrzeug hineingefahren, nach Vortrag der Beklagten habe das Beklagtenfahrzeug zunächst gestanden, es sei (da eine Personen im anderen Fahrzeug gesehen wurde, die beabsichtigte aus der Grundstück rückwärts herauszufahren) gehupt worden und langsam wieder angefahren worden; das klägerische Fahrzeug sei dann in das Beklagtenfahrzeug hineingefahren.

Das Amtsgericht (AG) wies die Klage ab. Auf der Berufung wurde ihr zu einem geringen Teil stattgegeben. Richtig sei das Amtsgericht davon ausgegangen, dass beide Parteien grundsätzlich nach §§ 7, 17, 18 StVG für den Unfall einzustehen hätten, da beide Fahrzeuge im Betrieb waren und der Unfall auch nicht auf höhere Gewalt zurückzuführen sei, ferner der Unfall auch für beide Parteien kein unabwendbares Ereignis iSv. § 17 Abs. 3 StVG darstelle.

Zu Lasten der Klägerin sei zudem ein Sorgfaltsverstoß beim Rückwärtsfahren einzustellen. Das Berufungsreicht ließ offen, ob dies unmittelbar aus § 9 Abs. 5 StVO (beim Rückwärtsfahren ist eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer auszuschließen)  abgeleitet werden könne, da es sich um eine verkehrsberuhigten Bereich handele (§ 42 StVO, Zeichen 325.1/325.2), oder in einem solchen ähnlich wie auf einem Parkplatz entsprechendes aus dem Rücksichtnahmegebot des § 1 Abs. 2 StVO abzuleiten wäre. Auch im Anwendungsbereich des § 1 Abs. 2 StVO greife ein Anscheinsbeweis für ein Verschulden des Rückwärtsfahrenden (BGH, Urteil vom 11..10.2016 - VI ZR 66/16 -). Ferner sei zu Lasten der Klägerin ein Verstoß gegen die Sorgfaltspflicht aus § 10 StVO (der aus  einem Grundstück Herausfahrende hat sich so zu verhalten hat, dass er andere Verkehrsteilnehmer nicht gefährdet) zu berücksichtigen.

Ein Überschreiten der zulässigen Geschwindigkeit in einem verkehrsberuhigten Bereich durch das Beklagtenfahrzeug sie nicht festzustellen. Nicht berücksichtigt habe das AG allerdings, dass  der Fahrer des Beklagtenfahrzeugs die Gefahr erkannt habe: Das mit einer Person besetzte Fahrzeug und dass dieses über kurz oder lang rückwärts ausfahren würde. Deshalb sei auch gehupt worden. Allerdings hätte in dieser Situation das Klägerfahrzeug weiter beobachtet werden müssen, um bei dessen Zurücksetzen sofort anhalten zu können. Die Beobachtung wurde beim Losfahren unterlassen, weshalb es auch vorkollisionär nicht zum Stillstand des Beklagtenfahrzeugs gekommen sei.

Damit sei ein Zurücktretend er Betriebsgefahr des Beklagtenfahrzeugs hinter dem Verschulden der Klägerseite ausgeschlossen. Dahinstehen könne, ob - wie auf Parkplätzen- im verkehrsberuhigten Bereich die Betriebsgefahr regelmäßig nicht zurücktrete, da Sorgfaltspflichten stärker einander angenähert seien,, indem Kraftfahrer jederzeit auf bevorrechtigten Fußgängerverkehr Rücksicht zu nehmen hätten, was nur bei Einhaltung der Schrittgeschwindigkeit und ständiger Bremsbereitschaft möglich sei. Der festgestellte leichte Sorgfaltsverstoß führe zu einer unfallursächlichen Erhöhung der allgemeinen Betriebsgefahr und rechtfertige eine Mithaftung von 20% (§ 17 Abs. 1 StVG).

LG Saarbrücken, Urteil vom 20.01.2023 - 13 S 60/22 -

Dienstag, 31. Januar 2023

Zusammenstoß mit Motorrad im Begegnungsverkehr als unabwendbares Ereignis ?

Die Betriebsgefahr (§ 7 StVG) eines Fahrzeuges ist stets (mit-) bestimmender Faktor bei der Frage, ob und inwieweit eine eigene Haftung bei einem Verkehrsunfall besteht. Denn grundsätzlich ist jeder Halter verpflichtet, die Unabwendbarkeit eines Verkehrsunfalls für ihn gem. § 17 Abs. 3 StVG darzulegen und zu beweisen. Wie das OLG Hamm in seinem hier besprochenen Beschluss zutreffend ausführte, verlangt Unabwendbarkeit vom dem Fahrer, dass dieser „jede nach den Umständen des Falles gebotene Sorgfalt beobachtet haben“ muss (§ 17 Abs. 3 S. 2 StVG). Der Begriff „unabwendbares Ereignis“  meine nicht eine absolute Unvermeidbarkeit eines Unfalls, sondern dass das schadensstiftende Ereignis auch bei der äußersten möglichen Sorgfalt und Einhaltung der geltenden Verkehrsvorschriften nicht abgewendet werden könne. Dazu würde ein sachgemäßes, geistesgegenwärtiges Handeln erheblich über den Maßstab der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt iSv. § 276 BGB hinaus gehören.

Ob diese Voraussetzungen vorlagen, war vom OLG anlässlich einer Kollision eines Pkw (Beklagte) mit einem Motorrad (Klägerin) zu klären. In einer langgezogenen Rechtskurve befuhr der verstorbene Ehemann der Klägerin die Gegenfahrspur und kollidierte so mit dem Pkw der Beklagten. Aus technischer Sicht, so der im erstinstanzlichen Verfahren beauftragte Sachverständige, hätte sich der Verkehrsunfall nur dadurch vermeiden lassen, dass der Fahrer des Pkw nach links in den Gegenverkehr lenkt. Nachdem das Landgericht die Klage abgewiesen hatte, legte die Klägerin gegen das Urteil Berufung mit dem Ziel ein, eine Quote von 30% im Rahmen der vom Pkw ausgehenden Betriebsgefahr nach § 17 Abs. 3 StVG zu erhalten.

Das OLG wies nach § 522 ZPO darauf hin, dass es gedenke, die Berufung der Klägerin als offensichtlich unbegründet zurückzuweisen. Unter Zugrundelegung der oben dargelegten Grundsätze zur Unabwendbarkeit iSv. § 17 Abs. 3 BGB verwies es darauf, der sogenannte Idealfahrer dürfe nicht auf einem Vorrecht beharren, wenn er erkenne, dass dieses von anderen Verkehrsteilnehmern aufgrund örtlicher Gegebenheiten möglicherweise nicht erkannt würde, wie er auch erhebliche fremde Fehler und alle möglichen Gefahrenmomente berücksichtigen müsse. Diese von ihm verlangte besondere Sorgfalt müsse sich nicht nur in der konkreten Gefahrensituation, sondern bereits im Vorfeld manifestieren. Er müsse also die Erkenntnisse berücksichtigen, die nach allgemeiner Erfahrung geeignet seien, Gefahrensituationen nach Möglichkeit zu vermeiden. Wenn also ein Idealfahrer gar nicht in die Situation geraten würde oder hatte der Unfall dann nicht zu vergleichbar schweren Folgen geführt, könne von einem unabwendbaren Ereignis nicht ausgegangen werden.

Ausgehend davon habe sich der Fahrer des Pkw ideal verhalten und den Unfall nicht abwenden können.

Er sei mit einer unter der zulässigen Höchstgeschwindigkeit auf der Landstraße gefahren. Als er den Motorradfahrer kurz vor der Kollision bei direkter Sicht auf seiner Spur habe wahrnehmen können, habe er (so der Sachverständige) instinktiv eine Vollbremsung eingeleitet und sei dann noch mit einer Kollisionsgeschwindigkeit von 25 - 30 km/h mit ihm am äußerst rechten Fahrbahnrand zusammengestoßen. Da von einem Idealfahrer verlangt würde, sich an die geltenden Verkehrsvorschriften zu halten, war er schon nach § 2 Abs. 2 StVO nicht verpflichtet gewesen in den Gegenverkehr zur Vermeidung der Kollision zu lenken, wodurch er eine Gefahr für sich und andere Verkehrsteilnehmer geschaffen hätte. Zudem hätte sich auch nur nachträglich ergeben, dass dadurch die Kollision vermieden worden wäre, da für den Fahrer des Pkw nicht erkennbar gewesen sei, ob der Motorradfahrer mit einem Ausweichen nach links oder rechts reagieren würde. Naheliegend wäre gewesen, dass der Motorradfahrer zurück in seine Fahrspur fahre und nicht, wie geschehen, noch weiter auf die Gegenfahrspur.

Auch aus dem Umstand, dass dem Pkw eine Motorradkolonne entgegenkam habe ihn nicht zu einer Reaktion im eigenen Fahrverhalten veranlassen müssen. Er sei nicht deshalb verpflichtet gewesen, seine Geschwindigkeit (noch weiter) herabzusetzen oder gar anzuhalten um die Motorradfahrer passieren zu lassen. Grundsätzlich dürfe sich ein regelgerecht verhaltender Verkehrsteilnehmer darauf vertrauen, dass andere Verkehrsteilnehmer sich ebenfalls an die Verkehrsregeln halten (BGH, Urteil vom 20.09.2011 - VI ZR 282/10 -). Damit habe sich der verkehrsgerecht verhaltene Pkw-Fahrer darauf verlassen dürfen, dass sich die Motorradfahrer ebenso verhalten. Gegen diese Annahme für ein verkehrsgerechtes Verhalten der Motorradfahrer hätten für den Pkw-Fahrer vor dem Unfall (der Sicht auf den sich auf seiner Fahrspur befindlichen Motorradfahrer) nicht bestanden.

Die Berufung wurde nach dem Hinweisbeschluss zurückgenommen.

OLG Hamm, Hinweisbeschluss vom 03.08.2022 - 7 U 63/22 -

Montag, 19. Dezember 2022

Unabwendbares Unfallereignis gem. § 17 Abs. 3 StVG und ein plötzlicher Ampelausfall

Die Klägerin wollte an einer Kreuzung S.-Str./W.-Str. nach links abbiegen. Auf ihrer S.-Str. war an der Kreuzung eine eigene (von der Klägerin genutzte) Abbiegerspur mit einer „Linksabbieger-Ampel“. Die Ampel war während des Vorgangs ausgefallen. Der Beklagte befuhr mit einem Omnibus die S.-Str. in entgegengesetzter Fahrtrichtung. Während ihres Abbiegevorgangs wurde der Pkw der Klägerin hinten rechts von dem Omnibus erfasst.

Das Landgericht gab der Klage statt mit der Begründung, der Beklagte habe der allgemeinen Sorgfaltspflicht aus § 1 StVO sowie der aus § 11 Abs. 3 StVO folgenden Pflicht zum umsichtigen Fahren bei unklarer Verkehrslage zuwider gehandelt, da er zwar bei Ausfall der Ampel gegenüber der linksabbiegenden Klägerin vorfahrtsberechtigt gewesen sei, doch hätte er während seiner Rotphase den Ausfall der Ampel sehen können und auf die gefährliche Verkehrslage reagieren müssen. Zudem sei die Klägerin noch bei Grünlicht für sie in die Kreuzung eingefahren und hätte darauf vertrauen dürfen; alleine aus dem Umstand, dass die Fußgängerampel ausfiel, hätte sie keine Rückschlüsse ziehen müssen.

Die vom Beklagten gegen das Urteil hatte zum Teil Erfolg. Das OLG nahm eine Haftungsverteilung von 80% zu 20% zugunsten der Klägerin an. Anders als das Landgericht ging es nicht von einem unabwendbaren Ereignis iSv. § 17 Abs. 3 StVG aus. Ein solcher Fall verlange ein sachgemäßes, geistesgegenwärtiges Handeln über den gewöhnlichen und persönlichen Maßstab hinaus (den sogen. Idealfahrer). Eine Unabwendbarkeit sei danach nicht gegeben, wen ein besonders umsichtiger Fahrer die Gefahr noch abgewandt hätte (OLG Frankfurt, Urteil vom 15.04.2012 - 16 U 213/13 -).

Der Idealfahrer hätte aus dem Ausfall des Ampellichts der Fußgängerampel , der für die Klägerin als Linksabbiegerin sichtbar gewesen sei, auf eine Fehlfunktion der Ampelschaltung geschlossen. Dies hätte Anlass geben können, den Abbiegevorgang zunächst abzubrechen, was den Unfall vermieden hätte.

Da danach der Verkehrsunfall für die Klägerin nicht unvermeidbar war, wäre eine Haftungsabwägung nach den Verursachungs- und Verschuldensanteilen der Beteiligten gem. § 17 Abs. 1 StVG vorzunehmen. Dabei dürften nur unstreitige oder zugestandene und bewiesene Umstände berücksichtigt werden. Jeder der beteiligten habe danach die Umstände zu beweisen, die dem anderen zum Verschulden gereichen und aus denen er für eine Abwägung nach § 17 Abs. 1 StVG für sich günstige Rechtsfolgen ableiten wolle.  

Der Klägerin sei hier, aus den Gründen des Landgerichts, kein Verschuldensvorwurf zu machen. Die Nichtbeachtung der Fußgängerampel schließe zwar die Unabwendbarkeit nach § 17 Abs. 3 StVG für sie aus, habe aber nicht die Qualität eines Verkehrsverstoßes., da beim Überfahren der Haltelinie ihre Linksabbiegerampel noch Grünlicht gezeigt habe (§ 9 Abs. 4 S. 1 StVO).  Auch scheide ein verstoß der Klägerin gegen § 1 Abs. 2 StVO (sich so zu verhalten, dass kein anderer gefährdet wird) aus, da die Klägerin bei einer für sie grün anzeigenden Linksabbiegerampel darauf habe vertrauen dürfen, dass für entgegenkommenden Verkehr Rotlicht angezeigt wird. Damit verbliebe bei der Klägerin lediglich die Haftung aus dem Gesichtspunkt der Betriebsgefahr. Diese würde hier auch nicht zurücktreten. Ein Zurücktreten der Betriebsgefahr käme nur dann in Betracht, wenn diese nicht erheblich sei und auf bei dem gegnerischen Fahrer ein grobes Verschulden vorläge. Allerdings habe es sich vorliegend um ein Fehlverhalten des beklagten leichter Art in einer Verkehrssituation gehandelt, die (hier plötzlicher Ampelausfall) nicht alltäglich sei. Dieser Umstand könne eine Einstufung als groben Verstoß nicht rechtfertigen. Danach sei in dem benannten Verhältnis mit 80% zugunsten der Klägerin zu quoteln.

Schleswig-Holsteinisches OLG, Urteil vom 20.09.2022 - 7 U 201/21 -