Freitag, 25. November 2022

Gilt „Rechts vor Links“ auch bei Fahrt entgegen der Einbahnstraße ?

Die Fahrerin des Pkw des Klägers bog nach links in eine Straße ab. Zu dieser Zeit befuhr der Zweibeklagte die Straße, in die die das klägerische Fahrzeug einbog um letztlich in gleicher Fahrtrichtung weiterzufahren, wie der klägerische Pkw nach seinem Einbiegen. Bis zu der Einmündung der Straße, aus der der klägerische Pkw auf die vom Beklagtenfahrzeug genutzte Straße einfuhr, war die vom Beklagtenfahrzeug genutzte Straße eine Einbahnstraße, die das Beklagtenahrzeug entgegen der erlaubten Fahrtrichtung befuhr; erst ab der Einmündung war ein Befahren in beiden Fahrtrichtungen zulässig. Im Kreuzungsbereich kollidierten die Fahrzeuge.

Der Kläger klagte auf Erstattung des ihm entstandenen Schadens zu 100%. Das Amtsgericht gab der Klage in Höhe von 50% statt. Die dagegen vom Kläger eingelegte Berufung wurde vom Landgericht zurückgewiesen. Für keine der Parteien sei der Verkehrsunfall unabwendbar iSv. § 17 Abs. 2 StVG gewesen; beiden Parteien (Fahrern) sei ein Verschuldensvorwurf zu machen.

Das schuldhafte Verhalten der Beklagtenseite sei der Verstoß des Beklagten zu 2. als Fahrer des Fahrzeugs gegen Zeichen 220 zu § 41 Abs. 2 Nr. 2 StVO, wobei dahinstehen könne und müsse (diesbezüglich sei kein Vortrag erfolgt), ob der Beklagte zu 2. Auch gegen Zeichen 267 StVO (Verbot der Einfahrt in die Straße) verstoßen habe. Jedenfalls sei der Beklaget zu 2. bei der ursprünglichen Einfahrt in die Straße an dem Zeichen 220 voreigekommen, welches allen Verkehrsteilnehmern auf der Fahrbahn die Fahrtrichtung vorschreibe. Auch wenn er dies bei der ursprünglichen Einfahrt in die Straße übersehen oder vergessen habe, begrüne dies einen Fahrlässigkeitsvorwurf. Der Verstoß sei auch mitursächlich gewesen, da es ohne diesen Verstoß nicht zu dem Verkehrsunfall gekommen wäre. Zudem habe der Beklagte zu 2., informatorisch angehört, angegeben, auf aus seiner Sicht von links kommenden Verkehr nicht geachtet zu haben, was einen Verstoß gegen § 1 Abs. 2 StVO darstelle, da er damit habe rechnen müssen, dass ein Kraftfahrer die Einbahnstraße in die Gegenrichtung befahre.

Ein unfallursächliches Verschulden auf Klägerseite läge darin begründet, dass die Fahrerin nach dem Bewies des ersten Anscheins gegen das Gebot des § 8 Abs. 1 S. 1 StVO verstoßen habe. Das Beklagtenfahrzeug sei aus Sicht des klägerischen Fahrzeugs von rechtsgekommen. Dem Vorfahrtsrecht des Beklagtenfahrzeugs würde nicht entgegen stehen, dass dieses die in diesem Bereich als Einbahnstraße ausgeschilderte Straße in verbotener Fahrtrichtung befahren wurde. Zwar habe der BGH ein Vorfahrtsrecht ein Vorfahrtsrecht ausgeschlossen, wenn es schon an einem Recht zum Fahren ermangele (BGH, Urteil vom 06.10.1981 - VI ZR 296/79 -). Dem könne aber „inzwischen für die vorliegende Fallgestaltung nicht gefolgt werden“, da dies inkonsequent wäre. Auch derjenige, der unter Verstoß gegen das Rechtsfahrgebot links fahre behalte nach der Rechtsprechung des BGH sein Vorfahrtsrecht (BGH, Urteil vom 19.09.1974 - III ZR 73/72 -). Auch würde das Vorfahrtsrecht nicht tangiert, wenn der Vorfahrtsberechtigte eine für ihn (nicht allgemein) gesperrte Straße nutze (zu denken wäre hier an Anliegerstraßen o.ä.).  Seit 1977 könnten zudem Einbahnstraße für den Radverkehr in beide Fahrtrichtungen geöffnet werden; mithin habe ein Radfahrer (wobei es sich nicht notwendig um Zweiräder handeln müsse) der die Einbahnstraße berechtigt entgegen der Einbahnstraße entgegen der Fahrtrichtung befahre in diesem Fall die Vorfahrt gegenüber von links kommenden Fahrzeugen. Angesehen davon dürfe der nach § 8 Abs. 1 S. 1 StVO Wartepflichtige nicht darauf vertrauen, dass aus der verbotenen Richtung überhaupt kein Fahrzeug käme; er müsse schon aus Rücksicht auf etwaige Anlieger oder Vorrechtsfahrzeuge (§ 35 Abs. 1 StVO: Polizei, Feuerwehr pp.) die Fahrbahn in beiden Fahrtrichtungen beobachten.

Die Revision wurde nicht zugelassen, da keine grundsätzliche Bedeutung bestünde. Auch würde die Zulassung nicht aus Gründen der Fortbildung des Rechts geboten sein, da es für die rechtliche Beurteilung typischer oder verallgemeinerungsfähiger Lebenssachverhalte an einer richtungsweisenden Orientierungshilfe ermangele. Die Entscheidung des BGH vom 06.10.1981 - VI ZR 296/79 -  veranlasse die Zulassung nicht, da sie noch nicht die Möglichkeit berücksichtige, das zwischenzeitlich Fahrradfahrern die Möglichkeit gegeben werden könne, die Einbahnstraße in beiden Fahrtrichtungen zu nutzen.

Kommentar

Der Entscheidung des Landgerichts kann insgesamt nicht gefolgt werden.

1. Das Beklagtenfahrzeug fuhr unzulässig entgegen der Einbahnstraße und es kam deshalb (wohl da die Fahrerin des klägerischen Fahrzeugs nicht nach rechts bei Einfahrt auf diese Straße, die aber der Einfahrt in beide Fahrtrichtungen freigegeben war) zum Verkehrsunfall. Wenn das Beklagtenfahrzeug die Einbahnstraße nur ein Stück befahren hätte um dann dort zu wenden, wäre nachvollziehbar, wenn hier ein Verstoß gegen Zeichen 220 angenommen wird. Wurde die Straße in voller Länge befahren und nur zur Durchfahrt genutzt, muss sich der Fahrer nicht merken, ob eine solche Straße Einbahnstraße ist, um dies bei der Rückfahrt noch zu erinnern und zu beachten. Es käme also in diesem Fall darauf an, dass das Zeichen 267 an der Einfahrt zu Straße stand.

2. Für die Fahrerin des Klägerfahrzeugs war erkennbar, dass die Straße, auf die sie auffuhr, nach rechts eine Einbahnstraße war, die nicht in der Fahrtrichtung zu ihr hätte befahren werden dürfen. Es wird auch nicht ausgeführt (und war wohl auch nicht der Fall), dass diese Einbahnstraße für Fahrradfahrer in beiden Fahrtrichtungen freigegeben war, was auch durch entsprechend Beschilderung „Radfahrer frei“ (Zeichen 1022-10). Ist dieses nicht vorhanden, konnte sich die Fahrerin des klägerischen Pkw darauf verlassen, dass auch Radfahrer nicht die Straße entgegen der Fahrtrichtung befahren. Ebensowenig verfängt nicht der Verweis auf Sonderrechtsfahrzeuge. Nutzen diese entgegen der allgemeinen Verkehrsregelungen Straßen (z.B. Überqueren von Kreuzungen mit roter Ampelschaltung), so haben sie ihre Absicht deutlich kundzutun (z.B. Einschalten der Sirene); insoweit wird daran erinnert, dass bei Herannahen eines nur mit Blaulicht versehenen Polizei- oder Krankenwagens die Kreuzung nicht durch Hineinfahren in dieselbe trotz Rotlichts der Ampelanlage genutzt werden darf, sondern erst, wenn auch die Sirene am Einsatzfahrzeug eingeschaltet wird.

3. Die Revision hätte hier zwingend wegen Abweichung von dem Urteil des BGH vom 06.10.1981 - VI ZR 296/79 - zugelassen werden müssen. Gemäß § 546 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 ZPO ist die Revision zuzulassen, wenn das Urteil von einer Entscheidung des BGH abweicht und auf dieser Abweichung (wie hier) beruht (BVerfG, Beschluss vom 19.12.2000 - i BvR 1684/99 -). Die Überlegungen des Landgerichts, weshalb gleichwohl die Revision nicht zugelassen wurde, tragen nicht. Zum Einen ergibt sich aus weiteren Entscheidungen des BGH nicht, dass er an seiner bisherigen Rechtsprechung nicht festhält. Zum Anderen stützt sich das Landgericht für die Nichtzulassung auf das möglicherweise Radfahrern eingeräumte (hier nicht einmal feststellbare) Recht, die Einbahnstraße in beiden Fahrtrichtungen zu befahren. Da nicht festgestellt wurde, dass ein derartiges Recht für Fahrradfahrer bestand, liegt eine Abweichung vor, die zwingend die Revisionszulassung nach sich zog. Denn es muss auch in diesem Fall von einer verbotenen Nutzung der Einbahnstraße durch Radfahrer ausgegangen werden, wenn sie diese entgegen der vorgeschriebenen Fahrtrichtung befahren (was auch bußgeldbewährt ist). Zudem: Wenn, wie das Landgericht angibt, die Regelung zu Fahrradfahrern in 1977 geschaffen wurde, lag diese zum Zeitpunkt der Entscheidung des BGH bereits vor. Auch die in dem Urteilsgründen benannten weiteren Erwägungen des Landgerichts tragen dessen Entscheidung nicht. Zwar hat der BGH entschieden, dass sich das Vorfahrtsrecht auf einer Straße auf die gesamte Straßenbreite und nicht lediglich auf die rechte Fahrspur bezieht, weshalb ein einbiegen auf eine Vorfahrtsstraße und eine Kollision mit dem sich auf der Vorfahrtsstraße entgegen dem Rechtsfahrgebot links fahrenden Fahrzeug als Vorfahrtsverletzung darstellt. Eine solche Konstellation lag hier aber nicht vor, da das Beklagtenfahrzeug eine Einbahnstraße schlicht verbotswidrig entgegen der vorgeschriebenen Fahrtrichtung befuhr.

Bei dieser Situation eine hälftige Haftungsteilung anzunehmen, ist nicht nachvollziehbar, da damit die Grundsätze der Straßenverkehrsordnung verkehrt werden. Der grob regelwidrig Fahrende Verkehrsteilnehmer, der die Einbahnstraße verboten befährt, kommt in den von der Verkehrsordnung nicht vorgesehenen Genuss eines „rechts vor links“-Vorteils, obwohl doch gerade deshalb in Bereichen von Einbahnstraßen keine Vorfahrtszeichen bzw. Vorfahrtbeachtungszeichen aufgestellt werden, da es an den Beschilderungen fehlt, wenn nur in eine bestimmte Richtung eingebogen werden kann, aus der anderen Richtung keine Gefahr droht oder drohen kann.

LG Wuppertal, Urteil vom 30.06.2022 - 9 S 48/22 -


Aus den Gründen:

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Amtsgerichts Mettmann, 22 C 359/20, vom 09.03.2022 wird auf seine Kosten zurückgewiesen. Dieses Urteil und das angefochtene Urteil sind ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.

Gründe

I.

Die Parteien sind durch einen Verkehrsunfall miteinander verbunden. Die Fahrerin des Pkw des Klägers bog von der XX Straße in V nach links in die Straße ### ab. Zeitgleich befuhr die Zweitbeklagte die Straße ### entgegen der erlaubten Fahrtrichtung, um nach der Einmündung der XX Straße in dieselbe Richtung wie das Klägerfahrzeug zu fahren. Die Straße ### war zwar bis zur Einmündung eine Einbahnstraße, war aber für Fahrradfahrer im Gegenverkehr freigegeben. Die Fahrzeuge kollidierten im Einmündungsbereich. Zur näheren Verdeutlichung der Unfallsituation wird auf die nachfolgende Skizze aus dem vom Amtsgericht eingeholten Sachverständigengutachten verwiesen, wobei das Klägerfahrzeug das blaue/rechte ist.

> Skizze <

Der Kläger hat 100 % des ihm entstandenen Schadens, nämlich 2.636,05 EUR, verbunden mit einem entsprechenden Feststellungsantrag auf Ersatz künftiger Schäden, verlangt und zwar nebst Zinsen und Kosten. Das Amtsgericht hat der Klage auf der Grundlage einer hälftigen Schadensverursachung teilweise stattgegeben und sie im Übrigen abgewiesen. Hätte die Fahrerin des Klägers nach rechts geschaut, hätte sie das Beklagtenfahrzeug sehen können. Zulasten des Klägers sei ein Verstoß gegen § 8 I StVO zu berücksichtigen, weil seine Fahrerin mit Radfahrern hätte rechnen und diesen Vorfahrt gewähren müssen. Auf der anderen Seite sei zulasten der Beklagten ein Verstoß gegen § 41 I i.V.m. Zeichen 220 der Anl. 2 zur StVO zu berücksichtigen. Die Verursachungsbeiträge würden sich gleichwertig gegenüberstehen.Hiergegen wendet sich der Kläger mit seiner Berufung, mit der er seine erstinstanzlichen Anträge weiterverfolgt.Hinsichtlich der Unvermeidbarkeit überspanne das Gericht die Anforderungen an den sogenannten Idealfahrer, da es unnatürlich sei, beim Linksabbiegen nach rechts zu schauen, wenn aus dieser Richtung nicht mit einem Kfz gerechnet werden müsse. Darüber hinaus habe die als Zeugin vernommene Fahrerin des Klägers, Frau F, die Frage bejaht, nach rechts geschaut zu haben. Zudem habe das Amtsgericht Feststellungen dahingehend, wann das Fahrzeug der Beklagten erkennbar gewesen sei, nicht bzw. nur unzureichend begründet. Vielmehr wäre ein verbleibender Anhalteweg von 4 m zur Vermeidung einer Kollision unzureichend gewesen. Des Weiteren habe das Amtsgericht zu Unrecht angenommen, dass die Beklagte zu 2) ein Vorfahrtsrecht gehabt habe. Ein Recht zur Vorfahrt sei begrifflich ausgeschlossen, wenn es schon an einem Recht zum Fahren mangele.Im Übrigen wird von der Darstellung eines Tatbestandes gemäß §§ 540 II, 313a, 544 II Nr. 1 ZPO abgesehen.

II.

Die zulässige, insbesondere form- und fristgerecht eingelegte und begründete Berufung bleibt in der Sache ohne Erfolg. Die angefochtene Entscheidung beruht weder auf einer Rechtsverletzung, noch rechtfertigen die nach § 529 ZPO zugrunde zu legenden Tatsachen eine andere Entscheidung; § 513 ZPO. Die Beklagten haften nicht zu mehr als ½ gesamtschuldnerisch für die bei dem Unfall eingetretenen Schäden des Klägers (§§ 7 I, 17 I und II, 18 I, III StVG, 823 I, II BGB i. V. m. 8 I 1 StVO, 115 I 1 Nr. 1 VVG, 426, 249 BGB).1.a) § 17 II StVG ist anwendbar.Denn der Unfall ist für keine der Parteien durch höhere Gewalt - von außen wirkende betriebsfremde Ereignisse aufgrund elementarer Naturkräfte oder durch Handlungen dritter Personen - verursacht oder auch bei Wahrung äußerst möglicher Sorgfalt nicht abzuwenden gewesen (unabwendbares Ereignis), so dass die Ersatzpflicht der einen oder anderen Seite nicht von vornherein gemäß §§ 7 II, 17 III StVG, 115 I 1 Nr.1 VVG ausgeschlossen ist. Vielmehr haben beide Seiten den Unfall schuldhaft verursacht.Gemäß §§ 17 I, II, 18 I, III StVG hängt die Verpflichtung zum Schadensersatz, wie auch der Umfang der Ersatzpflicht von den Umständen, insbesondere davon ab, wie weit der Schaden vorwiegend von dem einen oder dem anderen Teil verursacht worden ist. Im Rahmen der Abwägung der Verursachungs- und Verschuldensanteile der Halter und Fahrer der beteiligten Fahrzeuge und unter Berücksichtigung der von beiden Kraftfahrzeugen ausgehenden Betriebsgefahr nach §§ 17 I, II, 18 I, III StVG, 254 BGB sind neben unstreitigen und zugestandenen Tatsachen nur bewiesene Umstände zu berücksichtigen, wobei auch die Regeln des Anscheinsbeweises Anwendung finden.Danach ist es vorliegend gerechtfertigt, dass der Kläger nicht mehr als ½ seines unfallbedingten Schadens ersetzt erhält.

a)

Auf Seiten der Beklagten ist ein schuldhafter Verstoß gegen Zeichen 220 zu § 41 II Nr. 2 StVO in die Abwägung einzustellen, wobei dahinstehen kann (und mangels entsprechenden Parteivortrags dahinstehen muss), ob die Beklagte zu 2) auch gegen Zeichen 267 zu § 41 II Nr. 2 StVO (Verbot der Einfahrt) verstoßen hat. Denn bei der ursprünglichen Einfahrt in die Straße ### war sie an dem Zeichen 220, das allen Verkehrsteilnehmern auf der Fahrbahn die Richtung vorschreibt, vorbeigekommen. Sollte sie es dabei nicht wahrgenommen oder, als sie später und damit zur Unfallzeit dieselbe Straße in Gegenrichtung befuhr, vergessen haben, würde dies zumindest einen Fahrlässigkeitsvorwurf begründen.Dieser Verkehrsverstoß war auch unfallursächlich. Er kann nicht hinweggedacht werden, ohne dass es nicht zum Unfall gekommen wäre. Die Einrichtung von Einbahnstraßen soll auch die Unfallgefahr an Kreuzungen und Einmündungen verringern. Davon abgesehen läge ein unfallursächliches Verschulden jedenfalls darin, dass gegen § 1 II StVO verstoßen worden ist. Denn die Beklagte zu 2) hat informatorisch angehört angegeben, auf den Verkehr von links nicht geachtet zu haben. Dabei hätte sie in der konkreten Situation mit Auswirkungen auf die Geschwindigkeit und Aufmerksamkeit berücksichtigen müssen, dass aus ihrer Sicht von links kommender Verkehr seinerseits nicht damit rechnen würde, dass ein Auto die Einbahnstraße in Gegenrichtung befahren würde.

b)

Aber auch auf Seiten des Klägers ist ein unfallursächliches Verschulden zu berücksichtigen. Zumindest nach dem Beweis des ersten Anscheins hat die Fahrerin seines Pkw‘s gegen das aus § 8 I 1 StVO resultierende Gebot "rechts vor links" unfallursächlich verstoßen.

(1)

Das Beklagtenfahrzeug kam aus ihrer Sicht von rechts im Sinne von § 8 I 1 StVO. Dem Vorfahrtsrecht der Beklagten steht im Entscheidungsfall nicht entgegen, dass sie eine Einbahnstraße in verbotener Richtung befahren haben. Der Wortlaut des § 8 I 1 StVO macht nämlich keine entsprechende Einschränkung. Zwar hat der BGH unter anderem für diese Fallgestaltung früher die plakativ begründete Auffassung vertreten: Ein Recht zur Vorfahrt ist dann begrifflich ausgeschlossen, wenn es schon an einem Recht zum Fahren mangelt (BGH, VI ZR 296/79, NJW 1982, 334, beck-online).Doch kann dieser Auffassung jedenfalls inzwischen für die vorliegende Fallgestaltung nicht gefolgt werden.Zum einen ist sie nämlich inkonsequent. Auch derjenige, der unter Verstoß gegen das Rechtsfahrgebot auf der linken Fahrbahnseite fährt, wozu er kein "Recht" hat, behält nämlich nach ständiger Rechtsprechung des BGH sein Vorfahrtsrecht (BGH, III ZR 73/72, juris; ebenso: Spelz in: Freymann/Wellner, jurisPK-Straßenverkehrsrecht, 2. Aufl., § 8 StVO (Stand: 01.12.2021), Rn. 66; s. auch für § 10 StVO: BGH, VI ZR 282/10, juris). Zum anderen hatte der Bundesgerichtshof (VI ZR 296/79, a.a.O.) selbst konzediert, dass verkehrswidriges Verhalten des Berechtigten dessen Vorfahrt nicht beseitigt. Unschädlich sollte z.B. sein, dass der Berechtigte eine für ihn, jedoch nicht allgemein, gesperrte Straße benutzen würde. Das entspricht auch, soweit ersichtlich, der mindestens herrschenden Meinung (Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke/Heß, 27. Aufl. 2022, StVO § 8 Rn. 53, 54, mit weiteren Nachweisen aus der Rechtsprechung: Dem von rechts Kommenden steht die Vorfahrt auch zu, wenn er eine für ihn, jedoch nicht allgemein gesperrte Straße unbefugt befährt, zB eine für den Durchgangsverkehr verbotene, nur dem Anliegerverkehr oder für bestimmte Personenkreise freigegebene; OLG Karlsruhe VRS 7, 436: LKW befährt für Lastkraftwagen gesperrte Straße).Zu beachten ist im gegebenen Zusammenhang vor allem, dass seit 1997 Einbahnstraßen für den Radverkehr geöffnet werden dürfen. Nach 5-jähriger Testphase wurde diese Regelung 2001 in die Straßenverkehrs-Ordnung (StVO) durch ein Zusatzzeichen zu Zeichen 220 und 353 bzw. zu Zeichen 267 übernommen. Entsprechendes galt unstreitig hier. D.h., ein Fahrradfahrer, der die Einbahnstraße erlaubtermaßen in Gegenrichtung befahren hätte, hätte auch ein Vorfahrtsrecht gehabt. Mithin stellt sich die Situation so dar, dass die Beklagte zu 2) eine für sie, nicht jedoch allgemein gesperrte Straße (vgl. BGH, VI ZR 296/79, a.a.O.), befahren hat.Dem lässt sich auch nicht mit Erfolg entgegen halten, es handele sich nicht um eine mit den schon bisher gemachten "Ausnahmen" vergleichbare Fallgestaltung, da es sich bei einem Fahrrad um ein einspuriges Fahrzeug handele. Abgesehen davon, dass es auch Straßen gibt, die nur für Motorräder gesperrt sind, sind Fahrräder nicht zwingend einspurig. Die Straßenverkehrsordnung definiert das Fahrrad zwar nicht. § 63 a I StVZO beschreibt das Fahrrad aber nunmehr als ein Fahrzeug mit mindestens zwei Rädern, das ausschließlich durch die Muskelkraft (vgl. BVerwG, 3 B 183/00, juris) auf ihm befindlicher Personen mit Hilfe von Pedalen oder Handkurbeln angetrieben wird. Mindestens zwei Räder haben aber auch Fahrräder mit Anhänger und sonstige mehrspurige Fahrzeuge der im Gesetz genannten speziellen Antriebsart, sodass auch Rikschas (Huppertz: Verkehrsrechtliche Einordnung von Rikschas; NZV 2006, 299ff.), Dreiräder (Rebler, Fahrräder im öffentlichen Straßenverkehr, DAR 2009, 12) und selbst sogenannte Bierbikes oder Partybikes (rollende Theken) darunter fallen (Ternig in: Freymann/Wellner, jurisPK-Straßenverkehrsrecht, 2. Aufl., § 63a StVZO (Stand: 01.12.2021), Rn. 9). Davon abgesehen darf der nach § 8 I 1 StVO Wartepflichtige ohnehin nicht darauf vertrauen, dass aus der verbotenen Richtung überhaupt kein Fahrzeug kommt; eine solche Annahme könnte allenfalls bei einer völlig abgesperrten oder unbefahrbaren Straße vertretbar sein. Sonst muss schon mit Rücksicht auf etwaige Anlieger oder Vorrechtsfahrzeuge (§ 35 Abs. 1) die Fahrbahn in beiden Richtungen beobachtet werden (Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke/Heß, 27. Aufl. 2022, StVO § 8 Rn. 55).

(2)

Die Beweisaufnahme hat nicht die ernsthafte Möglichkeit eines anderen Geschehensablaufs ergeben.Das erstinstanzlich eingeholte Sachverständigengutachten zugrunde gelegt ist es nicht ernsthaft möglich, dass sich der Unfall nicht durch eine ein Vorfahrtsrecht etwaiger von rechts kommender Verkehrsteilnehmer berücksichtigende Aufmerksamkeit hätte verhindern lassen. Die Sachverständige hat eindeutig, überzeugend und von den Parteien unangefochten ausgeführt, die Fahrerin des Kläger-Pkw‘s hätte den Unfall vermeiden können, wenn sie vor dem Abbiegen nach rechts geschaut ... hätte. Für die Richtigkeit dieser Annahme sprechen auch die sachverständigenseits festgestellten näheren Umstände der Kollision, insbesondere die von dem Klägerfahrzeug gefahrene Annäherungsgeschwindigkeit von lediglich 10 km/h und die von dem Beklagtenfahrzeug nach dem Sachverständigengutachten gefahrene Kollisionsgeschwindigkeit von 15 km/h und maximale Annäherungsgeschwindigkeit von 30 km/h sowie die Anstoßkonstellation.

c)

Bei der Abwägung der beiderseitigen Verursachungs- und Verschuldensanteile wiegt der dem Kläger zuzurechnende Sorgfaltsverstoß jedenfalls nicht weniger als die Verkehrswidrigkeit der Beklagten zu 2). Kommt der Vorfahrtberechtigte aus einer für ihn gesperrten Straße (ohne deshalb sein Vorfahrtrecht verloren zu haben), unterliegt er zwar einer besonderen Sorgfaltspflicht, sodass bei einem Zusammenstoß in der Regel von seiner Mithaftung auszugehen sein wird, die nach den Umständen des Einzelfalles (z.B. Art der gesperrten Straße) zu bestimmen ist (Grüneberg Haftungsquoten, A. Unfälle zwischen Kfz und Kfz Rn. 49, beck-online). Der Verkehrsverstoß der Beklagtenseite wiegt ausweislich des Bußgeldkataloges (25 EUR ohne und 35 EUR mit Sachbeschädigung) objektiv nicht schwerer als der Vorfahrtverstoß auf Klägerseite. Vielmehr ist bei Verletzung der Rechts-vor-links-Regel mit Sachbeschädigung ein Bußgeld von 120 EUR sowie ein Punkt vorgesehen. Deshalb wird der Kläger durch eine Haftungsverteilung von 50/50 nach Auffassung der Kammer nicht benachteiligt. Sie wird von der Kammer auch letztlich als angemessen angesehen.2.Die Schadenshöhe als solche ist unstreitig. Rechnerisch ergibt sich damit der aus dem Tenor ersichtliche Betrag.Was die Zinsforderung anbelangt, wird auf die Ausführungen des Amtsgerichts zum entsprechenden Verzugsschadenersatzanspruch dem Grunde nach verwiesen, die sich die Kammer zu eigen macht und die von keiner Partei angegriffen worden sind.Der Anspruch auf Erstattung vorgerichtlicher Anwaltskosten fußt der Höhe nach auf dem vom Kläger verlangten Umsatzsteuersatz.Der Feststellungsantrag war den Ausführungen zu II.1. entsprechend zu entscheiden.

III.

Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf § 97 ZPO einerseits und §§ 708 Nr. 10, 711 und 713 ZPO andererseits.

Streitwert für das Berufungsverfahren: bis 1.500 EUR (§§ 43 I, 48 I GKG, 6 S. 1 ZPO)

Anlass, die Revision zuzulassen (§ 543 I Nr. 1, II ZPO), bestand nicht. Die Sache hat weder grundsätzliche Bedeutung, noch erfordern Belange der Rechtsfortbildung oder der Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs.

Eine grundsätzliche Bedeutung ist nämlich nur dann zu bejahen, wenn die Entscheidung der Sache von einer klärungsbedürftigen Rechtsfrage abhängt, die über den konkreten Rechtsstreit hinaus in Rechtsprechung und Rechtslehre oder den beteiligten Verkehrskreisen umstritten ist (BGH, IV ZR 543/15, bei juris). Anlass zur Fortbildung des Rechts durch Entwicklung höchstrichterlicher Leitsätze im Sinne von § 543 II 1 Nr. 2, 1. Alt. ZPO besteht nur dann, wenn es für die rechtliche Beurteilung typischer oder verallgemeinerungsfähiger Lebenssachverhalte an einer richtungweisenden Orientierungshilfe ganz oder teilweise fehlt (BGH, V ZR 291/02, bei juris).Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs dazu, dass ein entgegen der erlaubten Fahrtrichtung eine Einbahnstraße befahrende Fahrzeugführer keine Vorfahrt haben könne, berücksichtigt nicht die zwischenzeitlich eingetretene Rechtsänderung, dass Fahrradfahrern erlaubt werden kann, eine Einbahnstraße entgegen der Fahrtrichtung zu befahren, und verlangt deshalb auch nicht die Zulassung der Revision.


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