Dienstag, 30. Juli 2024

Wer trägt die Kosten der Videoverhandlung (§ 128a Abs. 3 ZPO) und Neu- / Übergangsregelung

Das Arbeitsgericht gestattete den Parteien auf Antrag des Beklagtenvertreters, an der Güteverhandlung gem. § 128a Abs. 3 ZPO an einem anderen Ort zu verweilen und von dort im Wege der Film- und Tonübertragung teilzunehmen (Videoverhandlung). Der Beklagtenvertreter nahm auch an der Verhandlung im Wege der Videoübertragung teil, demgegenüber der Klägervertreter im Gerichtssaal anwesend war. Nach der Güteverhandlung nahm der Klägervertreter die Klage schriftsätzlich zurück. Die Gerichtskasse machte u.a. bei dem Kläger Kosten in Höhe von € 15,00 für die Videokonferenzverbindung geltend. Der dagegen eingelegten Erinnerung gab das Arbeitsgericht nicht statt, ließ aber die Beschwerde zum Landesarbeitsgericht (LAG) zu. Dieser dann vom Kläger eingelegten Beschwerde gab das LAG statt.

Mit der Klagerücknahme waren dem Kläger die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen, § 260 Abs. 3 S. 2 2. Alt. ZPO. Zwar folgte das LAG nicht der Argumentation des Klägers, dass nach § 12a ArbGG jede Partei im erstinstanzlichen arbeitsgerichtlichen Verfahren seien Kosten selbst trage. Es ging darauf zutreffend nicht ein, da es sich hier nicht um die von § 12a ArbGG betroffenen Kosten handelt, insoweit es sich um Gerichtskosten handelt. Vorliegend handelte es sich um eine Kostenpauschale nach Nr. 9019 KV-GKG.

Das LAG stellte darauf ab, dass sich aus Nr. 9019 KV-GKG direkt ergäbe, wer die Auslagenpauschale zu tragen habe. Sie falle für die Inanspruchnahme der Videoverbindung an und sei von demjenigen zu tragen, der sie in Anspruch nehmen würde. Der Wortlaut verdeutliche, dass Kostenschuldner derjenige sein soll, der die Videoverbindung in Anspruch nehme. Dies aber sei nicht der Kläger und seine Prozessvertretung gewesen, die anwesend gewesen seien, sondern der diese auch beantragende Beklagte bzw. sein Prozessvertreter gewesen, weshalb die Pauschale dem Beklagten aufzuerlegen sei.

Anmerkung: Künftighin wird sich die Frage der Kostentragung für die Teilnahme an einer Videokonferenzverbindung bei Gerichtsverhandlungen nur noch für solche Videokonferenzen stellen können, bei denen die Streitsache nach dem 18.07.2024 anhängig wurde.  Denn durch das Gesetz zur Förderung des Einsatzes von Videokonferenztechnik in der Zivilgerichtsbarkeit und den Fachgerichtsbarkeiten vom 18.07.2024 (BGBl I Nr. 237), in Kraft seit dem 19.07.2024, wurde Nr. 9019 KV-GKG, aufgehoben. Streitig könnte in Ansehung von § 71 GKG (Übergangsregelung) nur sein, , ob die Pauschale auch nach dem 18.07.2024 erhoben werden kann für Videoverhandlungen nach dem 18.07.2024, wenn das Verfahren vor dem 19.07.2024 bereits anhängig war

LAG Nürnberg, Beschluss vom 16.05.2024 - 5 Ta 35/24 -

Sonntag, 28. Juli 2024

Ergänzungspflegschaft für Minderjährigen zur bei Pflichtteilsanspruch ?

Nach dem Tod des Vaters war gemäß Testament die Kindesmutter alleinige Erbin. Das Familiengericht ordnete eine Ergänzungspflegschaft für die Kinder hinsichtlich deren Vertretung für eine eventuelle Geltendmachung des Pflichtteils an. Hiereggen richtete sich die sofortige Beschwerde der Kindesmutter, der vom Beschwerdegericht stattgegeben wurde.

Da die Entscheidung, ob ein Pflichtteil geltend gemacht werden soll, nicht Teil eines Rechtsgeschäfts sei, sei der alleine als Erbe eingesetzte Ehegatte nicht gem. §§ 1629 Abs. 2 S. 1, 1824 Abs. 2, 181 BGB von der gesetzlichen Vertretung der Kinder ausgeschlossen.

Allerdings könne das Familiengericht dem Elternteil in dieser Angelegenheit die Vertretungsmacht entziehen, und zwar im Hinblick auf möglicherwies gegenläufige Interessen von Erben und Pflichtteilsberechtigten. Erforderlich seien Anhaltspunkte für einen konkreten, erheblichen Interessensgegensatz, was nicht schon darin zum Ausdruck käme, dass der überlebende Ehegatte weder Pflichtteilsansprüche erfüllt noch sicherstellt.  Bei der Prüfung sei eine Gefährdung des Pflichtteils insbesondere gegen die Wahrung des Familienfriedens abzuwägen. Weder für die Anspruchsberechnung (dazu § 1640 BGB) noch für die Entscheidung zur Geltendmachung des Anspruchs bedürfe es eines Pflegers, es sei denn, der erbende Elternteil gefährde des Pflichtteilsanspruch.

Für eine solche Gefährdung würde sich hier nichts ergeben. Die Beschwerdeführerin habe mit dem Nachlassgericht kooperiert und den Nachlass überschlägig mitgeteilt; es sei weder ersichtlich, dass sie mit der Nachlassverwaltung überfordert wäre, noch dass sie bestrebt sei, ihre Kinder zu benachteiligen. Da zudem die Verjährung des Pflichtteilsanspruchs bis zur Vollendung des 21. Lebensjahres gehemmt sei (§ 207 Abs. 1 S. 2 Nr. 2a BGB), könne die Ergänzungspflegschaft ohnehin nur Sicherungsaufgaben haben, da die mögliche Geltendmachung des Pflichtteilsanspruchs dem Kind nach Erreichen der Volljährigkeit vorbehalten bleibe.

Sicherungsaufgaben seien hier auch nicht geboten. Dabei käme es nicht darauf an (worauf das Familiengericht abgestellt habe) ob die Kinder (wie beim Berliner Testament) die Stellung von Schlusserben hätten. Auch der Schlusserbe sei nicht vor benachteiligenden Zwischenverfügungen des Erben geschützt; die Bindungswirkung sei des Berliner Testaments rein erbrechtlicher Natur (§ 2270 Abs. 1, 2 BGB) und schließe Verfügungen unter Lebenden nicht aus. In beiden Fällen wären die Kinder mithin auf Ersatzansprüche (§§ 2287, 2288 BGB) angewiesen.

OLG Köln, Beschluss vom 17.04.2024 - 10 WF 16/24 -

Donnerstag, 25. Juli 2024

Anwaltsgebühren im Fall der Trennung des Verfahrens

Die Antragsgegnerin (Klägerin im Ausgangsverfahren) hatte gegen die Antragstellerin (Beklagte im Ausgangsverfahren) vor dem Verwaltungsgericht (VG) Klage erhoben, mit der sie sich gegen eine Anordnung zur Rücknahme und Rückerstattung von Corona-Überbrückungshilfe IV wandte und zugleich eine endgültige Gewährung einer Überbrückungshilfe IV von insgesamt € 248.183,85 für die Monate Januar bis März 2022 begehrte (gerichtliches Aktenzeichen: W 8 K 22.1922). Nunmehr nahm die vormalige Klägerin die Klägerin die Klage gegen die Anordnung zur Rücknahme und Rückerstattung in Höhe von € 45.980,51 und auf Gewährung in Höhe von € 170.072,43 zurück.  Nach dieser teilweisen Rücknahme der Anträge trennte das VG den Teil, der sich auf die zurückgenommenen Beträge bezog, ab und führte es unter neuem Aktenzeichen W 8 K 23.1043 weiter, um mit dem gleichen Beschluss dieses Verfahren einzustellen und stellte gleichzeitig dieses Verfahren ein, wobei es der Antragsgegnerin (Klägerin) die Kosten diesbezüglich auferlegte; der Streitwert für dieses abgetrennte Verfahren wurde auf € 170.072,43 festgesetzt. Für das noch anhängige Verfahren setzte das VG den Streitwert vor der Abtrennung auf € 248.183,85 und nach der Abtrennung auf vorläufig auf € 78.711,42 fest. Die Klage zu W 8 K 22.1922 wurde abgewiesen und die Kosten der Antragsgegnerin (Klägerin) auferlegt.

Die Antragstellerin als Beklagte beantragte die Kostenfestsetzung, § 164 VwGO. Nach Zustellung des Kostenfestsetzungsbeschlusses beantragte die  Antragstellerin gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss die gerichtliche Entscheidung, §§ 165, 151 VwGO. Die Antragstellerin wandte sich mit ihrer Erinnerung gegen die Höhe der Verfahrensgebühr eine Kürzung der Post- und Telekommunikationspauschale.  Der Erinnerung wurde nicht abgeholfen und dem VG zur Entscheidung vorgelegt. Das VG sah die Erinnerung nur teilweise als begründet an.

a) Bei der Bemessung der Verfahrensgebühr nach § 2 Abs. 2 RVG iVm. Nr. 3100 VV RVG hatte der Urkundsbeamte nicht den Gesamtstreitwert von € 248.183,35 zugrunde gelegt, wie von der Antragstellerin beantragt. Das VG verwies darauf, dass der festgesetzte Streitwert als der für die Gerichtsgebühren maßgebende Wert nach § 32 Abs. 1 RVG auch als Grundlage für die Berechnung der Rechtsanwaltsvergütung maßgebend sei. Zwar sei die 1,3-fache Verfahrensgebühr aus dem Gesamtstreitwert von € 248.183,35 mit dem Betreiben des Geschäfts durch den Prozessbevollmächtigten der Antragstellerin mit Einreichung der gegen den Bescheid gerichteten Anfechtungsklage entstanden. Diese könne aber nur im Verhältnis des Anteils des nach Trennung des Verfahrens entstandenen Einzelstreitwerts geltend gemacht werden (78.111,42 EUR x 100 : 248.183,35 = 31,5% von 3.227,90 EUR = 1.016,79 EUR). Die durch die Verfahrenstrennung aus den jeweiligen geringeren Einzelstreitwerten angefallenen Gebühren aus den jeweiligen geringeren Einzelstreitwerten würden nur dann erneut anfallen, wenn eine Verfahrensgebühr vor der Verfahrenstrennung bereits anteilig aus dem Gesamtstreitwert erwachsen sei (BVerwG, Beschluss vom 04.09.2009 - 9 KSt 10/09 -) und in dem Verfahren auch nach der Abtrennung die Voraussetzungen für das Entstehen einer Gebühr gesondert erfüllt sei. Das sei hier der Fall, da dieses Verfahren – anders als das abgetrennte und beendete Verfahren – nach der Abtrennung weiterbetrieben worden sei und erst durch Urteil beendet worden sei.  

§ 15 Abs. 2 S. 1 RVG würde dem nicht entgegenstehen; gehindert sei lediglich eine kumulative Forderung von anteiliger Gesamtgebühr und Einzelgebühr. Dies führe dazu, dass auf die nach der Verfahrenstrennung entstandene 1,3-fache Verfahrensgebühr aus dem Einzelstreitwert von € 78.111.42 (€ 1.907,10 zzgl. Mehrwertsteuer) der auf das Verfahren entfallende Anteil am Gesamtstreitwert (€ 1.016,79) wiederum mindern anzusetzen sei. Die ursprünglich entstandene Gebühr aus dem anteiligen Streitwert würde mithin durch die Verfahrenstrennung wirkungslos (BayVGH, Beschluss vom 08.08.2017 – 14 C 17.559 -).

Es ergäbe sich hier ein Wahlrecht des Prozessbevollmächtigten. Er könne die Festsetzung der Verfahrensgebühr aus dem anteiligen Gesamtstreitwert fordern oder aber  die Verfahrensgebühr aus dem Einzelstreitwert nach der Verfahrenstrennung (BayVGH aaO.). Vorliegend habe der Urkundsbeamte im Kostenfestsetzungsbeschluss die Verfahrensgebühr – in Ansehung des Hinweises des Bevollmächtigten auf die Rechtsprechung des BVerwG und des BayVGH Rechnung tragend – den im Vergleich zu dem anteiligen Gesamtstreitwert höheren Einzelstreitwert der Berechnung der Gebühr zugrunde gelegt.

Es sei mithin bei der Berechnung der Gebühren nicht der ursprüngliche Gesamtstreitwert vor der Abtrennung zugrunde zu legen gewesen, sondern lediglich der anteilige Gesamtstreitwert, der von der gerichtlichen Entscheidung in dieser Sache auch umfasst gewesen sei. Andernfalls würde dies dazu führen, dass die Streitwerte der abgetrennten Verfahren doppelt berücksichtigt würden (VG Bayreuth, Beschluss vom 24.03.2021 - B 1 M 20.74 -).

b) Die Pauschale für Entgelte für Post- und Telekommunikationsdienstleistungen nach Nr. 7002 VV RVG sei allerdings entgegen der Auffassung des Urkundsbeamten in voller Höhe von € 20,00 (20% der Gebühren, maximal € 20,00) ungekürzt anzusetzen.

Lägen mehrere Angelegenheiten vor, so könne in jeder Angelegenheit die Pauschale gefordert werden. Durch die Trennung seien zwei selbständige Verfahren entstanden (BayVGH aaO.).  Es handele sich damit nicht iSv. Nr. 7002 Abs. 1 VV RVG nicht mehr um „dieselbe Angelegenheit“. Von daher könne in jedem der zwei Verfahren die Pauschale geltend gemacht werden, vorliegend die ungekürzte Pauschale.

Anmerkung: Das VG benennt einmal als Gesamtstreitwert € 248.183,85, dann in den Gründen bei der Berechnung € 249.183,35.

VG Würzburg, Beschluss vom 20.06.2024 - W 8 M 24.374 -

Mittwoch, 24. Juli 2024

Ordnungsgeld: Beschwer des Antragstellers bei stattgebenden Ordnungsgeldbeschluss

Der Schuldnerin war durch rechtskräftiges Urteil untersagt worden, mit einer bestimmten Aussage zu werben oder werben zu lassen. Nachdem bereits wegen zwei Verstößen Ordnungsgelder auf Antrag der Gläubiger gegen die Schuldnerin (über je € 5.000,00) festgesetzt waren, beantragten die Gläubiger wegen eines weiteren Verstoßes neuer die Festsetzung eines „empfindlichen Ordnungsgeldes“, welches aber weder im Antrag noch in der Begründung als Mindestgröße oder in einer Größenordnung beziffert wurde. Im Rahmen einer Stellungnehme vom 12.01.2023 zu einem Schriftsatz der Schuldnerin führten die Gläubiger aus, dass tatsächlich schon zwei Ordnungsmittelbeschlüsse gegen die Schuldnerin existieren à € 5.000,00, zusammen € 10.000,00  existieren würden, gleichwohl die Schuldnerin in „dreister Weise“ die zu unterlassene Handlung widerholt habe und deshalb ein deutliches empfindlicheres Ordnungsgeld festgesetzt werden müsse. Das Landgericht setzte ein Ordnungsgeld von € 1.000,00 fest. Die dagegen von der Gläubigerin eingelegte Beschwerde wurde vom Oberlandesgericht als unzulässig zurückgewiesen. Die zugelassene Rechtsbeschwerde führte zur Aufhebung und Zurückverweisung an das OLG.

Das OLG hatte eine fehlende Beschwer der Gläubigerin angenommen. An der Beschwer würde es ermangeln, wenn weder im Ordnungsgeldantrag noch in dessen Gründen ein konkreter Betrag noch eine ungefähre Größenordnung benannt würde und das Gericht das Ordnungsgeld nach seinem Ermessen festgesetzt habe. Die Beschwer (die nach bis zur Entscheidung über ein Rechtsmittel vorliegen müsse) verlange, dass mit der angefochtenen Entscheidung von einem Antrag der antragstellenden Partei zu ihrem Nachteil abgewichen sei. Bei Ordnungsgeld würde die überwiegende Rechtsprechung  und Literatur (der BGH hat die Frage ausdrücklich bisher offen gelassen) davon ausgehen, dass auch bei Nichtbenennung eines bestimmten Betrages oder einer Größenordnung eine Beschwer vorliegen könne, wenn das Gericht das Ordnungsmittel unter Berücksichtigung der vom Gläubiger benannten Umstände ersichtlich zu niedrig bemessen habe. Die Gegenansicht verlange die Darlegung des Betrages bzw. der Größenordnung durch den Antragsteller. Dieser vom OLG vertretenen Gegenansicht folgts auch der BGH.

Dabei verwies der BGH auf den doppelten Zweck des Ordnungsmittels gem. § 890 Abs. 1 ZPO: Zum einen als zivilrechtliche Beugemaßnahme präventiv der Verhinderung künftiger Zuwiderhandlungen, zum Anderen repressiv als eine strafähnliche Sanktion für die Übertretung eines gerichtlichen Verbots. Damit sei das Ordnungsmittel mit Blick auf den Schuldner und dessen Verhalten festzusetzen. Die Wahl zwischen Ordnungsgeld und Ordnungshaft sowie die Höhe des Ordnungsmittels stünden im Ermessen des Gerichts. Zwar diene das Ordnungsgeld auch der effektiven Durchsetzung der Rechte des Gläubigers, würde aber nicht zu seinen Gunsten festgesetzt, sondern gem. § 1 Abs. 1 Nr. 3 JBeitrO zu Gunsten der Staatskasse beigetrieben. Von daher bedürfe die Beschwer hier einer besonderen Begründung. Beziffere der Gläubiger seinen Ordnungsgeldantrag nicht bzw. benenne er keine Größenordnung, lege er die Sanktionierung vollständig in die Hand des Gerichts und würde mit dessen Entscheidung auf Verhängung eines Ordnungsgeldes sein Rechtsschutzziel erreicht. Damit fehle es für eine Beschwerde an der Beschwer.

Der BGH verwies allerdings auf die Ausführungen des Gläubigers in seiner Stellungnahme zur Antragserwiderung, die vom OLG nicht berücksichtigt worden sei. Wenn der Gläubiger erkennbar Wert auf die Höhe des Ordnungsmittels gelegt habe und dieses unterschritten würde, läge die erforderliche Beschwer vor.  Das sei vorliegend der Fall. Zwar reiche der Antrag auf ein „empfindliches Ordnungsgeld“ nicht aus, doch habe der Gläubiger im Schriftsatz vom 12.01.2023 unter Verweis auf die zuvor mit je € 5.000,00 festgesetzten Ordnungsgelder und der Angabe, es sei nun „natürlich ein deutlich empfindlicheres Ordnungsgeld festzusetzen“ hinreichend verdeutlicht, dass er ein Ordnungsgeld von mehr als € 5.000,00 für notwendig erachte.

Damit war wegen Verstoßes gegen das Gebot des rechtlichen Gehörs der Beschluss des OLG aufzuheben und das Verfahren an dieses zurückzuverweisen.

BGH, Beschluss vom 23.11.2023 - I ZB 29/23 -

Sonntag, 21. Juli 2024

Transfrau sei Mann – zulässige oder unzulässige Meinungsäußerung ?

Auf einem Onlineportal der Verfügungsbeklagten zu 1. war ein Beitrag der Verfügungsbeklagten zu 2. mit der Überschrift „Held*innen der Demokratie? So fördern wir mit unseren Steuergeld Frauenhass“  veröffentlicht, gegen den sich die Verfügungsklägerin mit einer einstweiligen Verfügung mit dem Antrag dagegen wandte, sie als „Mann“ zu bezeichnen, wenn dies geschehe wie in der Äußerung in dem Beitrag „Anstatt eine junge Doktorandin zu unterstützen, die seit Monaten attackiert, auf offener Straße verfolgt und sogar körperlich angegriffen wird, unterstützt die Stiftung lieber einen 60-jährigen Mann, der an der Spitze eines Lobby-Vereins steht und maßgeblich an dem Frauenhass beteiligt ist, dem A seit Monaten ausgesetzt ist“. (Nachfolgend werden die Parteien als Klägerin und Beklagte benannt).  Das Landgericht gab einem entsprechenden Verfügungsantrag der Klägerin statt und bestätigte diese nach Einspruch sodann mit dem angefochtenen Urteil. Das OLG erließ einen Hinweisbeschluss gem. § 522 ZPO, mit dem es darauf hinwies, die Berufung der Beklagten zurückweisen zu wollen. Mit dem Beschluss vom 14.02.2024 wies das OLG die Berufung zurück.

Sowohl unter Berücksichtigung des Satzes, in dem die Bezeichnung der der Klägerin als Mann erfolgte, wie auch aus dem Gesamtkontext des Beitrages stelle der Beitrag eine Meinungsäußerung dar, durch die die Klägerin herabgewürdigt würde. Bei der Sinndeutung käme es nicht darauf an, wie der Äußernde seine Aussage verstanden wissen wollte, sondern darauf, wie ein verständiges Durchschnittspublikum des Publikation unter Berücksichtigung des allgemeinen Sprachgebrauchs und Kontextes, der „Eigengesetzlichkeiten“ des jeweiligen Übertragungsmediums sowie der erkennbaren Begleitumstände der jeweiligen Äußerung verstünde.

Unter Berücksichtigung der Struktur des Satzes und der dort verwandten stilistischen Mittel, in dem die Bezeichnung „Mann“ verwandt würde, enthalte diese Bezeichnung für den Leser eine herabwürdigende Bedeutung. Der Beitrag enthalte auch eine rhetorische Steigerung der für die Klägerin verwandten Bezeichnung, die in dem Schlusssatz in der Formulierung „Mann“ gipfele. Die deutliche Herabsetzung würde auch in der Gegenüberstellung der jungen Doktorandin, nach Auffassung der Autorin das Opfer, und dem über 60-jährigen „Mann“ die die finanzielle Unterstützung durch die Stiftung nicht verdient habe, und in dem unmittelbaren inhaltlichen Zusammenhang mit einer Beteiligung am „Frauenhass“ deutlich, da durch die Verwendung des Begriffs eine deutlich herabsetzende im konkreten Zusammenhang für den Leser vermittelt würde. Das OLG ging auch von einer bewussten Bezeichnung „Mann“ aus, da der Autorin die Lebensgeschichte und das biologische Geschlecht der der Klägerin ausweislich des Beitrages bekannt gewesen sei.

Das OLG ging von einer Meinungsäußerung bei der streitgegenständlichen Äußerung aus, da es sich um eine einheitliche wertende Zusammenfassung der in dem Beitrag ausgedrückten Kritik an den Ergebnissen um die Anfeindungen, denen sich A ausgesetzt sehe, handele. Eine Trennung  des Satzes in eine zusammenfassende Kritik zum Vorgehen der Stiftung und eine Tatsachenbehauptung über das biologische Geschlecht der Klägerin sei nicht ersichtlich. Die Bezeichnung „Mann“ sei sowohl grammatikalisch als auch vom Sinngehalt vollständig eingebettet und für den Leser nicht als eigenständige Äußerung zum Geschlecht der Klägerin erkennbar.

Diese Meinungsäußerung sei unzulässig. Zwar könnten auch scharfe und auch abwertende Äußerungen von der Meinungsfreiheit geschützt sein, auch wenn der Betroffene sie ehrverletzend empfinde. Es sei allerdings bei ehrverletzenden Äußerungen eine Gesamtabwägung der widerstreitenden Interessen vorzunehmen. Dabei sei zu berücksichtigen, dass es sich bei der Bezeichnung der Klägerin als „Mann“ um einen Eingriff in einen zentralen Bereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts handele, was zu Gunsten der Klägerin besonders zu gewichten sei. Mit der Bezeichnung würde ihr ihre seit Jahrzehnten nach außen gelebte geschlechtliche Identität abgesprochen, was sie nicht hinnehmen müsse.

OLG Frankfurt, Beschluss vom 15.02.2024 - 16 U 93/23 -

Donnerstag, 18. Juli 2024

Falschangabe in Kaskoversicherung nach Diebstahl und Leistungsfreiheit

Der Kläger behauptete den Diebstahl eines bei der Beklagten kaskoversicherten Quad. Erworben wurde das Quad 2018 und über eine Bank finanziert, wobei ein A.W. Darlehensnehmer war, da der Kläger bei Banken keinen Kredit bekommen hätte. Am 05.12.2019 erstatteten A.W. und der Kläger Strafanzeige wegen eines Diebstahls des Quad. Am 25.03.2020 wurde der Kläger von einem Beauftragten der Beklagten befragt, der ein Fragen-Antworten-Protokoll aufsetzte und dies dem Kläger zusandte, welcher es unterschrieb. Mit der Übersendung wurde dem Kläger eine Belehrung nach § 28 Abs. 4 VVG zugesandt. Auf die Frage 8, ob der Kläger allgemeine finanzielle Schwierigkeiten habe, eine eidesstattliche Versicherung oder Vermögensauskunft abgegeben habe bzw. eine Nichtabgabe der Vermögensauskunft erfolgt sei, antworte der Kläger „Nein, so etwas habe ich nicht“. Tatsächlich war im Schuldnerverzeichnis des AG Leipzig eine Nichtabgabe der Vermögenauskunft durch den Kläger vermerkt. Am 08.05.2020 versage die Beklagte den Versicherungsschutz. Die auf Versicherungsleistung von € 10.000,00 wurde abgewiesen. Das OLG wies den Kläger darauf hin, dass es die Zurückweisung der Berufung beabsichtige.

Das OLG ging von einer vorsätzlichen Obliegenheitspflichtverletzung des Klägers aus, wobei er gem. § 28 Abs. 4 VVG über die Folgen deren Verletzung belehrt worden sei, und zwar anlassbezogen in Textform aus Anlass der Befragung, wobei es auf die Belehrung in Ansehung der Arglist, von der der Senat ausging, nicht ankäme.  In E.1.1.3 AKB sei zwischen den Parteien vereinbart, dass der Kläger die Fragen „zu den Umständen des Schadensereignisses, zum Umfang des Schadens“ wie auch zur Leistungspflicht der Beklagten „wahrheitsgemäß und vollständig“ beantworten müsse. Der Kläger habe die Verweigerung der Abgabe der Vermögensauskunft nach § 802c ZPO sowie die Eintragung der Verweigerung in das Schuldnerverzeichnis gem. § § 882c Abs. 1 Nr. 1 ZPO verschwiegen.

Für ein Verschulden des Klägers sei die Beklagte beweisbelastet, doch trage der Versicherungsnehmer die Substantiierungslast: Er müsse die zur Obliegenheitspflichtverletzung führenden Umstände, die zu einer Sphäre gehören würden (mithin die Gründe der etwaigen Falschangaben) nachprüfbar dartun (OLG Celle, Urteil vom 30.11.2017 - 8 U 27/17 -). Die Fragen seien hier eindeutig gewesen. Trotz der durch Übersendung des Protokolls eröffneten Möglichkeit und der Kenntnisnahme seiner Beantwortung zur Nachabgabe der Vermögensauskunft habe er keine Rückfragen gestellt, sondern das Protokoll unterschrieben.

Das Verschweigen sei auch arglistig erfolgt. Das habe zur Folge, dass es nicht darauf ankäme, ob die Obliegenheitsverletzung für den Eintritt oder die Feststellung des Versicherungsfalles oder für die Feststellung oder den Umfang der Leistungspflicht des Versicherers Einfluss habe, § 28 Abs. 3 S. 2 VVG. Arglist setze die vorsätzliche Obliegenheitspflichtverletzung voraus und das Bewusstsein, gegen die Interessen des Versicherers zu verstoßen, da er damit rechne, dass seine Obliegenheitspflichtverletzung Einfluss auf die Feststellung des Versicherungsfalles oder die Leistungspflicht oder den Leistungsumfang des Versicherers habe oder haben könne. Dabei käme es auf eine Bereicherungspflicht nicht an. Ausreichend sei hier schon, dass der Versicherungsnehmer einen gegen die Interessen des Versicherers gerichteten Zweck verfolge, z.B. dass er für sich Schwierigkeiten bei der Durchsetzung berechtigter Deckungsansprüche ausräumen wolle und wisse, dass sein Verhalten die Schadenregulierung durch den Versicherer möglicherweise beeinflussen könne (st. Rspr., so BGH, Urteil vom 21.11.2012 - IV ZR 97/11 -).

Die Beweislast für die Arglist treffe zwar auch den Versicherer. Aus wissentlich falschen Angaben im Zusammenhang mit Aufklärungsobliegenheiten könne nicht ohne weiteres der Schluss auf Arglist gezogen werden, doch treffe den Versicherungsnehmer eine sekundäre Darlegungslast, weshalb er plausibel darzulegen habe, weshalb es zu den objektiv falschen Angaben kam (BGH, Urteil vom 11.05.2011 - IV ZR 148/09 -). Hier habe der Kläger widersprüchliche Angaben gemacht (was ausgeführt wird). Der Umstand, dass er die Fragen für unerheblich gehalten haben will, sei nicht beachtlich, da es nicht in der Sphäre des Versicherungsnehmers läge, da er nicht die Fragen des Versicherers zu bewerten habe.

Ggf. könne die völlige Leistungsverweigerung rechtsmissbräuchlich sein, so wenn dies für den Versicherungsnehmer eine übermäßige Härte darstellen würde. Dies käme aber nur in Betracht, wenn die Täuschung nur einen geringen Teil des versicherten Schadens betreffe und zudem weitere Billigkeitsmomente zugunsten des Versicherungsnehmers vorlägen. Entsprechende Umstände seien nicht vorgetragen und lägen nicht vor.

OLG Dresden, Hinweisbeschluss vom 18.04.2024 - 4 U 67/24 -

Sonntag, 14. Juli 2024

Haftung bei Brand eines Kfz aus ungeklärter Ursache

Hinter dem Fahrzeug des Klägers war auf einer Straße mit leichten Gefälle das Fahrzeug des Klägers abgestellt, dahinter das bei der Beklagten versicherte Fahrzeug. In der Nacht entwickelte sich an beiden Fahrzeugen ein Brand, bei dem das klägerische Fahrzeug zerstört wurde. Das Landgericht wies die Schadensersatzklage des Klägers ab, der das Oberlandesgericht auf dessen Berufung im Wesentlichen stattgab. Auf die zugelassene Revision hob der BGH das Urteil des Oberlandesgerichts auf und verwies den Rechtsstreit an dieses zurück.

Der BGH wies darauf hin, dass Voraussetzung für eine Haftung (nach der hier einzig in Betracht kommenden Norm des § 7 StVG) sei, dass sich der Schaden „bei dem Betrieb“ ereignet habe. Erforderlich sei, dass bei wertender Betrachtung das Schadensereignis durch das Kraftfahrzeug (mit-) geprägt sei. Es müsse sich um einen Schaden handeln, für den nach dem Sinn der Haftungsnorm schadlos gehalten werden soll. Für die Zurechnung käme es darauf an, dass die Schadensursache in einem nahen örtlichen und zeitlichen Zusammenhang mit einem Betriebsvorgang oder einer bestimmten Betriebseinrichtung stehen würde. Von daher reiche bei einem Fahrzeugbrand der Umstand für sich, dass ein Kraftfahrzeug wegen mitgeführter Betriebsstoffe oder der verwendeten Materialien leicht brenne, nicht für eine Haftung nach § 7  Abs. 1 StVG aus.

Vorliegend habe sich der Vorfall nicht einem nahen örtlichen und zeitlichen Zusammenhang mit einer Betriebseinrichtung des bei der Beklagten versicherten Pkw ereignete.

Die Schädigung Dritter durch einen Defekt einer Betriebseinrichtung eines Kfz gehöre zu den spezifischen Gefahren, für die § 7 StVG den Verkehr schadlos halten wolle. Dabei käme es nicht darauf an, ob der Brand, etwas durch den Kurzschluss  der Batterie, unabhängig von dem Fahrbetrieb vor, während oder nach der Fahrt eintrete. Denn jedenfalls sei – anders als bei einer vorsätzlichen Inbrandsetzung eines ordnungsgemäß zum Parken abgestellten Fahrzeugs – das Schadensgeschehen durch das Kraftfahrzeug selbst und die von ihm ausgehenden Gefahren (mit) geprägt worden.

Das Berufungsgericht habe zwar zutreffend festgestellt, dass das Parken eines Fahrzeugs zum Betrieb desselben gehöre. Der betrieb dauere fort, solange das Fahrzeug im Verkehr gelassen würde. Alleine de9i Anwesenheit eines Kfz an der Unfallstelle rechtfertige aber nicht die Annahme, ein Schaden sie bei dem betrieb des Fahrzeugs entstanden. Erforderlich sei vielmehr, dass die Fahrweise oder der Betrieb dieses Fahrzeugs zum Schaden beigetragen habe (BGH, Urteil vom 26.04.2005 - VI ZR 168/04 -).  Auch wenn hier der Brand auf das klägerische Fahrzeug durch Auslaufen von Benzin bei dem anderen Fahrzeug habe übergreifen können, da dieses zum klägerischen Fahrzeug lief und sich entzündete, reiche dies nicht. Als entscheidend sah der BGH die Ursache des Brandes bei dem schädigenden Fahrzeug an, die nicht habe festgestellt werden können.  

Das Berufungsgericht hatte es für die Haftung der Beklagten ausreichen lassen, dass die Brandursache ungeklärt bleib und eine Brandstiftung nicht habe nachgewiesen werden können, ferner das brennende Benzin zum klägerischen Wagen lief und diesen in Brand setzte. Damit habe das Berufungsgericht die haftungsbegründenden Voraussetzungen und die Beweislast des Klägers verkannt.

Für die haftungsbegründenden Voraussetzungen (hier nach § 7 Abs. 1 StVG) trage der Kläger die Beweislast. Ein Indizienbeweis könne ausreichend sein, wenn andere Schlüsse aus den Indiztatsachen ernstlich nicht in Betracht kämen. Soweit das Berufungsgericht darauf abgestellt habe,  der Nachweis einer Brandstiftung habe nicht geführt werden können,  sei das Berufungsgericht rechtsfehlerhaft wohl davon ausgegangen, die beklagte hätte eine Brandstiftung nachwiesen müssen. Zwar könnte der Ausschluss einer Brandstiftung als Brandursache als Indiz dafür in Betracht kommen, dass  der Brand dem Betrieb des Fahrzeugs zuzurechnen sei; sei aber offen, ob eine Brandstiftung vorliegt, so wäre damit kein Indiz für die Ursächlichkeit des Betriebs gegeben.

BGH, Urteil vom 12.12.2023 - VI ZR 76/23 -