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Sonntag, 1. Mai 2022

Pflichtteilsberechtigter hat keinen Anspruch auf ein Sachverständigengutachten für Grundstückswertermittlung


Im Streit zwischen den Parteien war, ob der Pflichtteilsberechtigte im Rahmen des verlangten notariellen Nachlassverzeichnisses vom Erben zur Ermittlung des Verkehrswertes eines zum Nachlass gehörenden Grundstücks ein Sachverständigengutachten eines öffentlich bestellten und vereidigten Sachverständigen verlangen kann. Vom Erben wurde ein Schätzgutachten des Ortsgerichts Rüsselsheim dem Nachlassverzeichnis beigefügt. Das Landgericht wies die Klage ab. Die vo Kläger eingelegte Berufung wurde zurückgewiesen.

§ 2314 BGB als Grundlage des Auskunftsanspruchs des Pflichtteilsberechtigten sehe die Ermittlung des Wertes von Nachlassgegenständen vor. So sollen dem Berechtigten vom Verpflichteten die Informationen zugeleitet werden, die diesen in die Lage versetzen seinen Pflichtteilsanspruch, ggf. unter Zuhilfenahme eines Sachverständigen, zu berechnen. Auch wenn der Erbe dem Bestandsverzeichnis, welches er auf Verlangen notariell erklären muss, keine Wertangaben beifügen müsse, habe der Pflichtteilsberechtigte einen vom Auskunftsanspruch zu trennenden Wertermittlungsanspruch, der unabhängig vom Wissen und den Vorstellungen des Verpflichteten sei.

Gutachten dieser Art könnten den Streit über den (fiktiven oder realen) Wert von Gegenständen nicht entscheiden, weshalb bei einem gerichtlichen Streit meist weitere Gutachten erforderlich würden (BGH, Urteil vom 19.04.1989 - IV a ZR 85/88 -). Damit käme einem Wertgutachten nicht selten lediglich die Funktion zu, das Prozessrisiko besser abzuschätzen. Dass der Berechtigte ohne derartige vorbereitende Sachverständigengutachten auskommen könne zeige auch § 1379 BGB, der dem Ehegatten bei Beendigung des gesetzlichen Güterstandes einen Anspruch auf Wertermittlung lediglich auf eigene Kosten gebe (BGH aaO.).

Das OLG vertritt die Auffassung, dass schon mit der Vorlage der Schätzung des Ortsgerichts der Erbe seiner gesetzlichen Verpflichtung iSv. § 2314 BGB nachkommen würde. So sei das Ortsgericht nach § 2 Ortsgerichtsgesetz in Hessen eine berufene Stelle für Grundstücksschätzungen, da ihm das Schätzungswesen obläge und es eine Hilfsbehörde der Justiz sei. Die Mitglieder des Ortsgerichts würden über besondere Sachkunde verfügen, da sie besondere Kenntnisse zur Lage der zu schätzenden Grundstücke und um deren wertbildende Faktoren hätten. Das beruhe auf ihrer Kenntnis des örtlichen Grundstücksmarktes. Nach § 8 Ortsgerichtsgesetz sei persönliche Voraussetzung für die Ernennung zu Ortsgerichtsmitgliedern deren Vertrautheit mit der Schätzung von Grundstücken, wobei hinzu käme, dass Grundstücksschätzungen nach § 18 Ortsgerichtsgesetz in der Besetzung mit drei Mitgliedern vorzunehmen sei.

§ 2314 BGB schreibe auch nicht zwingend die Einholung eines Sachverständigengutachtens vor, weshalb die Einholung einer ortsgerichtlichen Schätzung ausreichend sei. Eine Qualifikation als öffentlich bestellter und vereidigter Sachverständiger sei im Gesetz nicht geregelt; eine Allgemeinvereidigung habe unabhängig davon keinen Einfluss auf Qualifikation und Unabhängigkeit, wobei eine Unparteilichkeit entsprechend den Regelungen zur Befangenheit eines gerichtlich bestellten Sachverständigen (§ 406 ZPO) vorliegen müsse. Die Wertermittlung als solche müsse nach einer gängigen Methode erfolgen (wie hier eine Verkehrswertermittlung). Da die vorliegende Wertermittlung sowohl eine Bodenwertermittlung als auch eine Verkehrswertermittlung (bei gegebener Selbstnutzung) enthalte und die baulichen Besonderheiten berücksichtige, erfülle sie die Voraussetzungen des § 2314 BGB, um dem Kläger ein umfassendes Bild über den Nachlassgegenstand und damit seinen Pflichtteilsanspruch zu verschaffen.

OLG Frankfurt am Main, Urteil vom 08.12.2021 - 12 U 110/21 -

Montag, 2. August 2021

Keine Schmälerung des Pflichtteilsanspruchs durch Grabpflegekosten

Die Frage, ob bei der Berechnung des Pflichtteilsanspruchs Grabpflegekosten berücksichtigt werden können oder nicht lässt sich mit „Ja“ als auch „Nein“ beantworten – es kommt nämlich darauf an. Dies verdeutlicht ein Urteil des BGH. In dem diesem Urteil zugrundeliegenden Verfahren machte der Kläger gegen die Beklagten einen Zusatzpflichtteil geltend. Nach der testamentarischen Verfügung der Erblasserin sollten einige Erben 10%, andere 5% aus dem Erlös erhalten; der Rest sei für die Beerdigung und 20-jährige Grabpflege. Der Kläger vertrat die Ansicht, ihm stünde im Hinblick auf diese nach dem Testament bei der Verteilung der Erbmasse nicht berücksichtigten Grabpflegekosten ein  Zusatzpflichtteil gem. § 2305 BGB zu.

1. Der BGH verwies in seiner Entscheidung darauf, dass Grabpflegekosten bereits deshalb keine Nachlassverbindlichkeiten darstellen würden, da es sich bei ihnen nicht um Beerdigungskosten nach § 1968 BGB handeln würde, für deren Kosten der Erbe aufkommen müsse. Beerdigungskosten nach § 1968 BGB seien nur die Kosten des Bestattungsaktes selbst, der mit der Errichtung einer zur Dauereinrichtung bestimmten und geeigneten Grabstätte seinen Abschluss fände. Damit würden die Instandhaltung und Pflege der Grabstätte oder auch das Grabmal allenfalls eine sittliche Verpflichtung der Erben darstellen, nicht aber zu den Beerdigungskosten iSv. § 1968 zählen. Der Umstand, dass Grabpflegekosten nach § 10 Abs. 5 Nr. 3 ErbStG erbschaftssteuerlich von dem ererbten Vermögen bei der Steuerberechnung in Abzug zu bringen sei, würde dies daran nichts ändern, da der Gesetzgeber in Ansehung des ErbStG keine Veranlassung gesehen habe, § 1968 BGB zu ändern (Hinweis: § 10 Abs. 5 Nr. 3 ErbStG benennt auch ausdrücklich Bestattungskosten, Grabdenkmal und Kosten üblicher Grabpflege, nicht pauschal Beerdigungskosten wie in § 1968 BGB).

Außerdem treffe die Instandhaltungspflicht für Grabstätten nach den Friedhofssatzungen den Grabnutzungsberechtigten, der nicht notwendig personenidentisch mit dem Erben sein müsse. Die ist m.E. ein nicht überzeugendes Argument, da bei fehlender Personenidentität auf die Erben entweder keine Kosten zukämen, mithin solche den Erbschaftserwerb nicht mindern würden. Eine Minderung würde nur eintreten, wenn die Erben zur Nutzung der Grabstätte an den Nutzungsberechtigten ein Entgelt entrichten bzw. dessen Zahlungspflicht ganz oder teilweise übernehmen müssten, was dann allerdings der Argumentation des BGH zur Nichtbeachtung entgegenstünde, da in diesem Fall nicht die Friedhofssatzung entgegenstünde.

Im Ergebnis ist aber dem BGH zuzustimmen, da in § 10 Abs. 3 Nr. 5 EstG nicht der Terminus des § 1968 übernommen wurde und der Gesetzgeber auch keine Angleichung der Tatbestände in § 1968 vornahm (woraus auch der BGH verwies). 

2. Die testamentarische Regelung, einen näher dargelegten Vermögenswert für eine 20-jährige Pflege zu nutzen, könne hier auch keine dem Pflichtteilsberechtigten entgegenzuhaltende Nachlassverbindlichkeit begründen. Zu berücksichtigende Nachlassverbindlichkeiten seien in § 1967 Abs. 2 BGB aufgelistet; hierbei handele es sich um vom Erblasser herrührende Schulden als auch Verbindlichkeiten, die den Erben treffen (wie Verbindlichkeiten aus Pflichtteilsrechten,  Vermächtnissen und Auflagen; BGH, Beschluss vom 27.08.2014 - XII ZB 133/12 -).  

Die Regelung zur Grabpflege stelle sich auch nicht als berücksichtigungsfähige Auflage iSv. § 1967 Abs. 2 BGB dar. Eine Auflage sei eine Verfügung von Todes wegen, durch die einem Erben oder Vermächtnisnehmer eine Verpflichtung auferlegt würde, ohne dass eine begünstigte Person ein Recht auf Leistung habe.  Da hier allen Erben aufgegeben worden sei, nach dem Verkauf und der prozentualen Aufteilung den Rest für die Beerdigung und die Grabpflege auszugeben, führe dies zu einer Nachlassverbindlichkeit in Form einer Erbfallschuld. Auflagen und Vermächtnisse seien aber gegenüber Pflichtteilsansprüchen nachrangig. Der Vorrang des Pflichtteilsanspruchs ergäbe sich aus § 1991 Abs. 4 BGB, in dem für die Berichtigung von solchen durch die Erben für Pflichtteilsansprüche, Auflagen und Vermächtnisse auf eine Berichtigung in einem Insolvenzverfahren abgestellt werde. Nach § 327 Abs. 1 InsO seien Pflichtteilsansprüche vor Verbindlichkeiten des Erblassers aus von diesem angeordneten Auflagen und Vermächtnissen zu  befriedigen; damit solle verhindert werden, dass der Erblasser durch freigiebige Vermächtnisanordnungen und Auflagen den Pflichtteilsanspruch aushöhlt oder schmälert.

Als Nachlassverbindlichkeiten könnten die Grabpflegekosten nur angesehen werden, wenn der Erblasser bereits zu Lebzeiten einen Grabpflegevertrag abgeschlossen hätte, der gemäß § 1922 BGB (Gesamtrechtsnachfolge) bindet. Ein solcher Vertrag sei aber nicht geschlossen worden. Der Unterschied eines vom Erblasser abgeschlossenen Grabpflegevertrages zu dem hier vorliegenden Fall bestünde darin, dass der Grabpflegevertrag keine Auflage im Testament darstelle, sondern eine Nachlassverbindlichkeit nach § 1967 Abs. 1 BGB.

BGH, Urteil vom 26.05.2021 - IV ZR 174/20 -

Dienstag, 18. August 2020

Steht die Scheinehe dem gesetzlichen Erbrecht entgegen ?

Die Beteiligte zu 2. war seit Juni 2019 die Ehefrau des Erblassers, die Beteiligten zu 1. und 3. die Söhne des Erblassers. Bereits mit Testament aus 2016 enterbte der Erblasser den Beteiligten zu 3. Die Beteiligten zu 1. und 2. beantragten einen gemeinschaftlichen Erbschein als Erben zu je ½, den das Amtsgericht am 19.11.2019 erließ. Mit der dagegen erhobenen sofortigen Beschwerde machte der Beteiligte zu 3. geltend, die Beteiligte zu 2. sei die Lebensgefährtin des Beteiligten zu 1. und es habe sich bei der Ehe mit seinem Vater nur um eine Scheinehe gehandelt, um so den Pflichtteilsanspruch von ihm zu minimieren.

Die sofortige Beschwerde wurde nach Nichtabhilfe durch das Amtsgericht vom OLG als unbegründet zurückgewiesen.

Die Beteiligten zu 1. und 2. seien die gesetzlichen Erben des Verstorbenen, da der Verstorbene den Beteiligten zu 3., ohne einen Erben zu bestimmen, von der Erbfolge ausgeschlossen habe, § 1838 BGB.

Das OLG weist zwar darauf hin, dass seitens des Beteiligten zu 3. keine konkreten Anhaltspunkte für die Behauptung der Scheinehe und damit keinen Aufhebungsgrund nach § 1314 Abs. 2 Nr. 5 BGB benannt wurde (Einigkeit der Eheleute bei Eheschließung, keine eheliche Lebensgemeinschaft eingehen zu wollen, § 1353 BGB). Allerdings kam es darauf nicht an. Die Beteiligte zu 2. sei als Ehefrau Erbin zu ½ (§§ 1931, 1371 BGB) und ihr Erbrecht nicht nach § 1933 BGB (es müssten die Voraussetzungen für eine Scheidung gegeben sein und der Erblasser diese beantragt oder einer solchen zugestimmt haben) ausgeschlossen. Auch habe der Erblasser keinen Antrag auf Aufhebung der Ehe gestellt; mache aber der Erblasser trotz Kenntnis des Aufhebungsgrundes davon keinen Gebrauch, verbleibe es beim Erbrecht des Ehegatten. Die Ausnahme nach § 1318 Abs. 5 BGB, dass die Kenntnis der Aufhebbarkeit der Ehe wegen Geschäftsunfähigkeit, Bigamie, Verwandtschaft, Formverstoß oder Geistesstörung bei Eheschließung das gesetzliche Erbrecht auch ausschließe, greife hier nicht. Die Aufhebbarkeit wegen Scheinehe falle nicht unter § 1318 Abs. 5 BGB.

Brandenburgisches OLG, Beschluss vom 18.03.2020 - 3 W 27/20 -

Freitag, 3. Juli 2020

Umgehung des Erben durch gesellschaftsvertragliche Regelungen ?


Das Verfahren vor dem BGH zeigte anschaulich die Möglichkeiten auf, Vermögenswerte im Todesfall auch außerhalb eines Testaments auf Dritte zu übertragen, ohne dass der Erbe oder Pflichtteilsberechtigte notwendig Ansprüche geltend machen kann.

Ausgangspunkt ist die Überlegung, dass eine gesellschaftsrechtliche Regelung, nach der eine Gesellschaft beim Tod eines Gesellschafters unter den verbleibenden Mitgesellschaftern fortgesetzt wird und Abfindungsansprüche (der Erben / Pflichtteilsberechtigten) ausgeschlossen werden, ohne dass dies eine ergänzungsbedürftige Schenkung iSv. § 2325 BGB (Regelung zum Pflichtteilsergänzungsanspruch) darstelle. Diesbezüglich bedarf es jeweils einer Einzelfallprüfung.

Der Pflichtteilsergänzungsanspruch nach § 2325 BGB setze eine Schenkung des Erblassers nach § 516 BGB voraus, was mithin bedeute, so der BGH, dass der Empfänger aus dem Vermögen des Gebers unentgeltlich bereichert würde. Unentgeltlichkeit läge bei fehlender Abhängigkeit von einer Gegenleistung, gleich in welcher Art, vor.

Bei der Zuwachsung der Gesellschaftsanteile auf den oder die verbliebenen Gesellschafter käme es daher darauf an, ob eine Gegenleistung vorliege oder nicht. Läge sie nicht vor, sei Unentgeltlichkeit gegeben und würde der Erbe bzw. Pflichtteilsberechtigte Ansprüche geltend machen können. Ein allseitiger Abfindungsausschluss für den Fall des Ausscheidens eines Gesellschafters sei nicht als Schenkung zu werten. Es sei nicht davon auszugehen, dass die gesellschaftsvertragliche Nachfolgevereinbarung (auch wenn sie Abfindungsansprüche der Erben ausschließe) den Sinn habe, dem Nachfolger etwas zuzuwenden, sondern dazu diene, das Gesellschaftsunternehmen nach dem Tod des Gesellschafters zu erhalten. Bei dem Abfindungsausschluss handele es sich auch um ein aleatorisches (also zufallsabhängiges) Geschäft, da jeder Gesellschafter dem anderen das gleiche zuwende und jeder das Risiko in Kauf nähme, dass der Vorteil der Nachfolge in den Anteil dem anderen Gesellschafter zufällt.

Im konkreten Fall wurde aber diese gesellschaftsrechtliche Zuwachsung negiert und eine Unentgeltlichkeit angenommen. Auch wenn, wie der BGH ausführte, entgegen der Annahme des Berufungsgerichts nicht die Anzahl der Gesellschafter (2) also solche dies begründen würde, könne dies aber sehr wohl bedeuten, dass für Fortführung des Unternehmens nicht im Vordergrund stünde. Vorliegend (die Gesellschaften in Form Gesellschaften bürgerlichen Rechts nach § 705 BGB) hielten eine Wohnung zur Eigennutzung durch die Gesellschafter, eine Wohnung zur verbilligten Vermietung an einen Angehörigen der Gesellschafter.

Auch habe vorliegend das Berufungsgericht zutreffend ein aleatorisches Geschäft verneint. Es sei rechtsfehlerfrei davon ausgegangen, dass der Erblasser mit der Vereinbarung kein Verlustrisiko einging, sondern die abfindungsfreie Übertragung gerade seiner Zielsetzung entsprochen habe. Zwar sei für die Annahme einer Schenkung nicht Voraussetzung, dass der Gesellschaftsvertrag auch oder alleine zu dem Zweck geschlossen wurde, Pflichtteilsansprüche von Abkömmlingen zu mindern, würde dies allerdings im besonderen Maße für den Schenkungswillen der beteiligten sprechen. Debei sei auch zu berücksichtigen, dass die Gesellschafter Eheleute gewesen seien (Kläger im verfahren ist der Sohn aus 1. Ehe des verstorbenen Ehemanns). Auch wenn der Erblasser erst nach der gesellschaftsvertraglichen Regelung zugunsten seiner Frau testiert habe und er nicht an das Testament gebunden war, läge darin gleichwohl die Willensrichtung, der Beklagten (Ehefrau) Vermögen unter Ausschluss des Klägers zuzuwenden. Und sollte tatsächlich der Erblasser vor seiner Frau versterben, würde dies nichts schaden, da er dann alles hätte und selbst insgesamt neu testieren pp. könne.

Soll mithin mittels einer gesellschaftsvertraglichen Regelung ein Erbe ausgeschlossen werden, erfordert dies eine gründliche Überlegung zum Grund und sinnvollerweise dessen Dokumentation. Der Anschein (zwei-Personen-Gesellschaft zwischen Eheleuten) kann den Regelungszweck im Sinne der Aufrechterhaltung einer Gesellschaft entgegenstehen und damit nicht anerkannt werden.

BGH, Urteil vom 03.06.2020 - IV ZR 16/19 -

Montag, 30. September 2019

Stundung des Pflichtteils wegen unbilliger Härte und Interessenabwägung

Die Kläger (zwei Söhne des Erblassers) machten Pflichtteilsansprüche gegen die Beklagte (Enkelin des Erblassers) als Alleinerbin geltend. Wesentlicher Vermögensgegenstand des Nachlasses war ein bebautes Grundstück, welches von der Beklagten mit ihrer Familie zu Wohnzwecken genutzt wurde. Die Beklagte hatte Klageabweisung und hilfsweise Stundung des Pflichtteils beantragt. Das Landgericht hatte die Beklagte unter Zurückweisung des Stundungsantrages zur Zahlung verurteilt. Die dagegen von der Beklagten eingelegte Berufung wurde vom OLG gem. § 522 Abs. 2 ZPO zurückgewiesen. Im Hinblick auf den Hilfsantrag (Stundung) legte die Beklagte Nichtzulassungsbeschwerde zum BGH ein. Der BGH hob insoweit das Urteil des OLG auf und verwies den Rechtsstreit an das OLG zurück.

Das OLG wies die Berufung erneut nach Vernehmung eines Zeugen zurück.

Der Erbe könne nach § 2331a Abs. 1 BGB die Stundung des Pflichtteils verlangen, wenn die sofortige Erfüllung des gesamten Anspruchs für ihn wegen der Art der Nachlassgegenstände eine unbillige Härte wäre, insbesondere wenn sie ihn zur Aufgabe des Familienheims oder zur Veräußerung eines Wirtschaftsguts zwingen würde, welches für ihn und seine Familie die wirtschaftliche Lebensgrundlage bilde. Dabei seien die Interessen der Pflichtteilsberechtigten angemessen zu berücksichtigen. Vorliegend würden die Interessen der Pflichtteilsberechtigten das Interesse am Erhalt des Familienheims deutlich übersteigen.

Alleine der Umstand, dass das Haus zum Zeitpunkt des Erbfalls noch nicht die Lebensgrundlage der Beklagten und ihrer Familie gebildet habe, würde noch nicht einen Grund darstellen, die Stundung zu versagen.

Bei den Interessen der Pflichtteilsberechtigten sei aber zu berücksichtigen, dass der Erbe durch einen mit allen Mitteln  geführten Rechtsstreit bereits eine lange Verzögerung erreicht habe, weshalb hier zu Gunsten der Kläger zu berücksichtigen sei, dass die Beklagte bereits 2014 einen unbefristeten Stundungsantrag gestellt hat und damit die Ausgleichung um ca. fünf Jahre hinausgezögert habe.

Eine Stundung käme auch dann nicht in Betracht, wenn der Erbe absehbar auch durch die Stundung nicht in die Lage versetzt würde, sich jemals die Mittel zur Erfüllung des Pflichtteilsanspruchs zu verschaffen. Dafür spräche vorliegend bereits der Umstand, dass die Beklagte nach fünf Jahren noch immer nicht über Mittel zur Erfüllung des Pflichtteilsanspruchs verfüge, da sie nur über Elterngeld bzw. nunmehr (wohl) eine Vergütung im Rahmen einer Teilzeitbeschäftigung und Kindergeld verfüge, ihr Ehemann arbeitslos sei und ein Bauspardarlehen zu bedienen sei. Im Rahmen der mündlichen Verhandlung vom 16.05.2019 habe die Beklagte zudem erklärt, keinen Zeitpunkt benennen zu können, zu dem sie den Pflichtteilsanspruch befriedigen könne; soweit sie im weiteren Verlauf der Verhandlung erklärte, die Kinder seien bis zum 30.06.2024 aus dem Gröbsten heraus und sie dann eine Leistung für möglich halte, und dieses Datum als Termin benannte, sei nicht ersichtlich, dass dies auf realistischen Tatsachen und Erwägungen beruhe.

Im Rahmen der Interessensabwägung sei zudem zu berücksichtigen, dass die Beklagte 2014 zum Zeitpunkt des Anfalls der Erbschaft über ein anderes Familienheim verfügt habe. Es habe daher keine Notwendigkeit bestanden, ein nach ihren Angabe unbewohnbares Haus mit einen nach ihren Angaben erforderlichen Aufwand von € 120.000,00 wieder bewohnbar zu machen, da ihr auch zum damaligen Zeitpunkt bereits aufgrund ihrer begrenzten finanziellen Mittel hätte klar sein müssen, dass sie Fremdmittel in diesem Umfang nicht kurzfristig mobilisieren könne. Sie habe einen Bausparkredit von € 46.000,00 aufgenommen und für die Arbeiten an dem jetzigen Familienheim aufgewandt, ohne in Betracht zu ziehen, zunächst die berechtigten Ansprüche der klagenden Pflichtteilsberechtigten (€ 59.000,00) zu befriedigen. Das Haus sei erst durch diese weiteren Aufwendungen der Beklagten zu dem von § 2331a BGB besonderen Schutz genießenden Gegenstand geworden.

Zu berücksichtigen sei weiter, dass die Beklagte statt der Investitionen das bebaute Grundstück zu einem Betrag von € 150.000,00 an den Zeugen S. hätte veräußern können mit der Folge, dass sie den Pflichtteil hätte bedienen können und selbst noch einen Überschuss behalten hätte.

Ferner sei auch das Alter der klagenden Pflichtteilsberechtigten zu berücksichtigen, die am 30.06.2024 59 bzw. 62 Jahre alt wären. Es sei ihnen nicht zuzumuten, bis zu einem solchen Alter ihre Ansprüche gegen ein Wohnbedürfnis der Beklagten in einem „durchaus übergroßen Haus“ zurückzustellen.

OLG Rostock, Urteil vom 20.06.2019 - 3 U 32/17 -