Nach dem Tod des Vaters war gemäß Testament die Kindesmutter alleinige Erbin. Das Familiengericht ordnete eine Ergänzungspflegschaft für die Kinder hinsichtlich deren Vertretung für eine eventuelle Geltendmachung des Pflichtteils an. Hiereggen richtete sich die sofortige Beschwerde der Kindesmutter, der vom Beschwerdegericht stattgegeben wurde.
Da die Entscheidung, ob ein Pflichtteil geltend gemacht werden soll, nicht Teil eines Rechtsgeschäfts sei, sei der alleine als Erbe eingesetzte Ehegatte nicht gem. §§ 1629 Abs. 2 S. 1, 1824 Abs. 2, 181 BGB von der gesetzlichen Vertretung der Kinder ausgeschlossen.
Allerdings könne das Familiengericht dem Elternteil in dieser Angelegenheit die Vertretungsmacht entziehen, und zwar im Hinblick auf möglicherwies gegenläufige Interessen von Erben und Pflichtteilsberechtigten. Erforderlich seien Anhaltspunkte für einen konkreten, erheblichen Interessensgegensatz, was nicht schon darin zum Ausdruck käme, dass der überlebende Ehegatte weder Pflichtteilsansprüche erfüllt noch sicherstellt. Bei der Prüfung sei eine Gefährdung des Pflichtteils insbesondere gegen die Wahrung des Familienfriedens abzuwägen. Weder für die Anspruchsberechnung (dazu § 1640 BGB) noch für die Entscheidung zur Geltendmachung des Anspruchs bedürfe es eines Pflegers, es sei denn, der erbende Elternteil gefährde des Pflichtteilsanspruch.
Für eine solche Gefährdung würde sich hier nichts ergeben. Die Beschwerdeführerin habe mit dem Nachlassgericht kooperiert und den Nachlass überschlägig mitgeteilt; es sei weder ersichtlich, dass sie mit der Nachlassverwaltung überfordert wäre, noch dass sie bestrebt sei, ihre Kinder zu benachteiligen. Da zudem die Verjährung des Pflichtteilsanspruchs bis zur Vollendung des 21. Lebensjahres gehemmt sei (§ 207 Abs. 1 S. 2 Nr. 2a BGB), könne die Ergänzungspflegschaft ohnehin nur Sicherungsaufgaben haben, da die mögliche Geltendmachung des Pflichtteilsanspruchs dem Kind nach Erreichen der Volljährigkeit vorbehalten bleibe.
Sicherungsaufgaben seien hier auch nicht geboten. Dabei käme es nicht darauf an (worauf das Familiengericht abgestellt habe) ob die Kinder (wie beim Berliner Testament) die Stellung von Schlusserben hätten. Auch der Schlusserbe sei nicht vor benachteiligenden Zwischenverfügungen des Erben geschützt; die Bindungswirkung sei des Berliner Testaments rein erbrechtlicher Natur (§ 2270 Abs. 1, 2 BGB) und schließe Verfügungen unter Lebenden nicht aus. In beiden Fällen wären die Kinder mithin auf Ersatzansprüche (§§ 2287, 2288 BGB) angewiesen.
OLG Köln, Beschluss vom
17.04.2024 - 10 WF 16/24 -
Aus den Gründen:
Tenor
Auf die Beschwerde der Kindesmutter wird
der Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Aachen vom 21.12.2023 - 220
F 300/23 - aufgehoben.
Gerichtskosten für das
Beschwerdeverfahren werden nicht erhoben. Eine Erstattung außergerichtlicher
Kosten des Beschwerdeverfahrens findet nicht statt.
Wert des Beschwerdeverfahrens: 4.000,00 EUR
(§§ 45 Abs. 1 Nr. 1 FamGKG)
Gründe
I.
Der Vater der
im Rubrum näher bezeichneten Kinder ist verstorben; Alleinerbin aufgrund
testamentarischer Erbfolge ist die Kindesmutter und Ehefrau des Verstorbenen.
Mit dem
angefochtenen Beschluss hat das Amtsgericht - Familiengericht - Aachen
Ergänzungspflegschaft hinsichtlich der Vertretung der Kinder bei einer
eventuellen Geltendmachung des Pflichtteils angeordnet. Zur Begründung hat es
ausgeführt, da der Nachlass möglicherweise werthaltig sei - nach Aussage der
Kindesmutter handelt es sich maßgebend um ein Konto und eine finanzierte
Doppelhaushälfte - bestehe bei Prüfung bzw. Sicherstellung des Pflichtteils
eine Interessenkollision. Hiergegen richtet sich das - vom Amtsgericht als
sofortige Beschwerde ausgelegte und mit Nichtabhilfeentscheidung vorgelegte -
Rechtsmittel der Kindesmutter, die der Ansicht ist, eine nur abstrakte
Interessenkollision genüge nicht, um eine Ergänzungspflegschaft anzuordnen.
II.
Die Beschwerde
der Kindesmutter ist zulässig - allerdings wäre, da es sich um eine
Endentscheidung nach § 38 FamFG gehandelt hat (vgl. Zöller-Feskorn, 35.
Aufl. (2024), § 38 FamFG, Rn. 6a), eine Abhilfeentscheidung des
Amtsgerichts ohnehin nicht möglich gewesen, § 58 Abs. 1, 68
Abs. 1 S. 2 FamFG (vgl. KG, Beschl. v. 04.03.2010 - 17 UF 5/10, FamRZ
2010, 1171) - und hat auch in der Sache Erfolg.
Die Einsetzung
eines Ergänzungspflegers für den Bereich der Pflichtteilsansprüche der Kinder
ist vorliegend nicht geboten.
1. Zu
Recht hat das Amtsgericht zunächst festgehalten, dass der allein eingesetzte
Ehegatte nicht schon kraft Gesetzes nach §§ 1629 Abs. 2 S. 1,
1824 Abs. 2, 181 BGB von der gesetzlichen Vertretung der Kinder
ausgeschlossen ist, wenn er entscheiden soll, ob die beim Tod des anderen
Ehegatten entstandenen Pflichtteilsansprüche der Kinder geltend gemacht werden.
Denn die Entscheidung, ob der Pflichtteil geltend gemacht werden soll, ist
nicht Teil eines Rechtsgeschäfts (Gsell/Krüger/Lorenz/Reymann, Beck-online
Großkommentar (Stand: 01.03.2024), § 2317, Rn. 74). Der Elternteil kann
vielmehr grundsätzlich selbst entscheiden, ob die Pflichtteilsansprüche der
Kinder geltend gemacht werden sollen (Müko-Lange, 9. Aufl. (2022), § 2317,
Rn. 14).
2. Wegen
der möglicherweise gegenläufigen Interessen von Erbe und
Pflichtteilsberechtigtem, auf die das Amtsgericht auch zur Begründung
abgestellt hat, kann zwar das Familiengericht nach §§ 1629 Abs. 2
S. 3, 1789 Abs. 2 S. 3 BGB dem Elternteil in dieser
Angelegenheit die Vertretungsmacht entziehen und insoweit eine Pflegschaft
anordnen. Die hierin liegende Teilentziehung der elterlichen Gewalt ist jedoch
nicht ohne Weiteres gerechtfertigt (vgl. Bergschneider-Weisbrodt, Familienvermögensrecht,
3. Aufl. (2016), Rn. Rn. 8.119) und noch nicht einmal dann geboten, wenn der
überlebende Ehegatte etwa die Pflichtteilsansprüche der Kinder weder erfüllt
noch sicherstellt (vgl. Müko-Lange, 9. Aufl. (2022), § 2317, Rn. 14).
Vielmehr bedarf es Anhaltspunkten für einen konkreten, erheblichen
Interessengegensatz (so bereits Senat, Beschl. v. 19.07.2018 - 10 WF 172/17,
FamRZ 2019, 704, ferner Bergschneider-Weisbrodt, a.a.O.; Grziwotz/Fröhler in:
Groll/Steiner, Praxis-Handbuch Erbrechtsberatung, 6. Aufl. (2024), Rn. 14.187),
da die Entziehung der Vermögenssorge nur erforderlich ist, wenn sie dem Wohl
der Kinder dient. Dabei ist die mögliche Gefährdung des Pflichtteils
insbesondere gegen die Wahrung des Familienfriedens abzuwägen (vgl.
Gsell/Krüger/Lorenz/Reymann, Beck-online Großkommentar (Stand: 01.03.2024),
§ 2317, Rn. 74, 75). Weder für die Anspruchsberechnung (hinsichtlich deren
das vom gesetzlichen Vertreter beim Familiengericht einzureichende
Vermögensverzeichnis Aufschluss geben kann, § 1640 BGB) noch für die
Entscheidung, ob der Anspruch geltend gemacht wird, bedarf es daher eines
Pflegers, es sei denn, dass der erbende Elternteil den Pflichtteilsanspruch des
Kindes gefährdet (vgl. Grüneberg-Weidlich, 83. Aufl. (2024), § 2317, Rn.
4).
3. Für
eine solche Gefährdung ist vorliegend nichts ersichtlich. Die Kindesmutter hat
bislang mit dem Gericht kooperiert und den Nachlass (überschlägig) mitgeteilt.
Anhaltspunkte, dass sie mit dessen Verwaltung überfordert wäre oder danach
strebt, ihre Kinder zu benachteiligen, bestehen nicht. Weil - worauf die
Beschwerde zu Recht verweist - die Verjährung etwaiger Pflichtteilsansprüche
ohnehin nach § 207 Abs. 1 S. 2 Nr. 2a BGB bis zur
Vollendung des 21. Lebensjahres gehemmt ist, hätte eine solche Ergänzungspflegschaft
ohnehin allenfalls Sicherungsaufgaben, während die eigentliche Geltendmachung
dem Kind nach Erreichen der Volljährigkeit vorbehalten bliebe (Grziwotz/Fröhler
in: Groll/Steiner, Praxis-Handbuch Erbrechtsberatung, 6. Aufl. (2024), Rn.
14.187).
Auch solche
Sicherungsaufgaben sind vorliegend indes nicht geboten. Hierbei spielt es,
anders als das Amtsgericht meint, auch keine Rolle, ob die Kinder (wie beim
sog. "Berliner Testament") eine (Schluss-)Erbenstellung innehaben
oder nicht. Selbst eine Schlusserbenstellung würde die Kinder nicht vor
benachteiligenden Zwischenverfügungen des Erben schützen, da die
Bindungswirkung des Berliner Testaments eine rein erbrechtliche ist (vgl.
§ 2270 Abs. 1, 2 BGB) und Verfügungen unter Lebenden nicht verbietet
(Müko-Musielak, 9. Aufl. (2022), § 2269, Rn. 34); die Kinder wären
insoweit ebenso auf Ersatzansprüche angewiesen (§§ 2287, 2288 BGB), wie
sie es vorliegend - im Falle von den Pflichtteil schädigenden Handlungen -
ebenfalls sind. Beide Situationen sind also in diesem Punkte rechtlich
vergleichbar. Insbesondere bietet das Pflichtteilsrecht - selbst, wenn es über
den Ergänzungspfleger ausgeübt würde - keine rechtliche Handhabe, den Erben zu
einer bestimmten Verwaltung des Nachlassvermögens zu zwingen.
Die
Kostenentscheidung beruht auf § 81 FamFG, § 20 FamGKG.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen