Sonntag, 28. Juli 2024

Ergänzungspflegschaft für Minderjährigen zur bei Pflichtteilsanspruch ?

Nach dem Tod des Vaters war gemäß Testament die Kindesmutter alleinige Erbin. Das Familiengericht ordnete eine Ergänzungspflegschaft für die Kinder hinsichtlich deren Vertretung für eine eventuelle Geltendmachung des Pflichtteils an. Hiereggen richtete sich die sofortige Beschwerde der Kindesmutter, der vom Beschwerdegericht stattgegeben wurde.

Da die Entscheidung, ob ein Pflichtteil geltend gemacht werden soll, nicht Teil eines Rechtsgeschäfts sei, sei der alleine als Erbe eingesetzte Ehegatte nicht gem. §§ 1629 Abs. 2 S. 1, 1824 Abs. 2, 181 BGB von der gesetzlichen Vertretung der Kinder ausgeschlossen.

Allerdings könne das Familiengericht dem Elternteil in dieser Angelegenheit die Vertretungsmacht entziehen, und zwar im Hinblick auf möglicherwies gegenläufige Interessen von Erben und Pflichtteilsberechtigten. Erforderlich seien Anhaltspunkte für einen konkreten, erheblichen Interessensgegensatz, was nicht schon darin zum Ausdruck käme, dass der überlebende Ehegatte weder Pflichtteilsansprüche erfüllt noch sicherstellt.  Bei der Prüfung sei eine Gefährdung des Pflichtteils insbesondere gegen die Wahrung des Familienfriedens abzuwägen. Weder für die Anspruchsberechnung (dazu § 1640 BGB) noch für die Entscheidung zur Geltendmachung des Anspruchs bedürfe es eines Pflegers, es sei denn, der erbende Elternteil gefährde des Pflichtteilsanspruch.

Für eine solche Gefährdung würde sich hier nichts ergeben. Die Beschwerdeführerin habe mit dem Nachlassgericht kooperiert und den Nachlass überschlägig mitgeteilt; es sei weder ersichtlich, dass sie mit der Nachlassverwaltung überfordert wäre, noch dass sie bestrebt sei, ihre Kinder zu benachteiligen. Da zudem die Verjährung des Pflichtteilsanspruchs bis zur Vollendung des 21. Lebensjahres gehemmt sei (§ 207 Abs. 1 S. 2 Nr. 2a BGB), könne die Ergänzungspflegschaft ohnehin nur Sicherungsaufgaben haben, da die mögliche Geltendmachung des Pflichtteilsanspruchs dem Kind nach Erreichen der Volljährigkeit vorbehalten bleibe.

Sicherungsaufgaben seien hier auch nicht geboten. Dabei käme es nicht darauf an (worauf das Familiengericht abgestellt habe) ob die Kinder (wie beim Berliner Testament) die Stellung von Schlusserben hätten. Auch der Schlusserbe sei nicht vor benachteiligenden Zwischenverfügungen des Erben geschützt; die Bindungswirkung sei des Berliner Testaments rein erbrechtlicher Natur (§ 2270 Abs. 1, 2 BGB) und schließe Verfügungen unter Lebenden nicht aus. In beiden Fällen wären die Kinder mithin auf Ersatzansprüche (§§ 2287, 2288 BGB) angewiesen.

OLG Köln, Beschluss vom 17.04.2024 - 10 WF 16/24 -


Aus den Gründen:

Tenor

Auf die Beschwerde der Kindesmutter wird der Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Aachen vom 21.12.2023 - 220 F 300/23 - aufgehoben.

Gerichtskosten für das Beschwerdeverfahren werden nicht erhoben. Eine Erstattung außergerichtlicher Kosten des Beschwerdeverfahrens findet nicht statt.

Wert des Beschwerdeverfahrens: 4.000,00 EUR

(§§ 45 Abs. 1 Nr. 1 FamGKG)

Gründe

I.

Der Vater der im Rubrum näher bezeichneten Kinder ist verstorben; Alleinerbin aufgrund testamentarischer Erbfolge ist die Kindesmutter und Ehefrau des Verstorbenen.

Mit dem angefochtenen Beschluss hat das Amtsgericht - Familiengericht - Aachen Ergänzungspflegschaft hinsichtlich der Vertretung der Kinder bei einer eventuellen Geltendmachung des Pflichtteils angeordnet. Zur Begründung hat es ausgeführt, da der Nachlass möglicherweise werthaltig sei - nach Aussage der Kindesmutter handelt es sich maßgebend um ein Konto und eine finanzierte Doppelhaushälfte - bestehe bei Prüfung bzw. Sicherstellung des Pflichtteils eine Interessenkollision. Hiergegen richtet sich das - vom Amtsgericht als sofortige Beschwerde ausgelegte und mit Nichtabhilfeentscheidung vorgelegte - Rechtsmittel der Kindesmutter, die der Ansicht ist, eine nur abstrakte Interessenkollision genüge nicht, um eine Ergänzungspflegschaft anzuordnen.

II.

Die Beschwerde der Kindesmutter ist zulässig - allerdings wäre, da es sich um eine Endentscheidung nach § 38 FamFG gehandelt hat (vgl. Zöller-Feskorn, 35. Aufl. (2024), § 38 FamFG, Rn. 6a), eine Abhilfeentscheidung des Amtsgerichts ohnehin nicht möglich gewesen, § 58 Abs. 1, 68 Abs. 1 S. 2 FamFG (vgl. KG, Beschl. v. 04.03.2010 - 17 UF 5/10, FamRZ 2010, 1171) - und hat auch in der Sache Erfolg.

Die Einsetzung eines Ergänzungspflegers für den Bereich der Pflichtteilsansprüche der Kinder ist vorliegend nicht geboten.

1. Zu Recht hat das Amtsgericht zunächst festgehalten, dass der allein eingesetzte Ehegatte nicht schon kraft Gesetzes nach §§ 1629 Abs. 2 S. 1, 1824 Abs. 2, 181 BGB von der gesetzlichen Vertretung der Kinder ausgeschlossen ist, wenn er entscheiden soll, ob die beim Tod des anderen Ehegatten entstandenen Pflichtteilsansprüche der Kinder geltend gemacht werden. Denn die Entscheidung, ob der Pflichtteil geltend gemacht werden soll, ist nicht Teil eines Rechtsgeschäfts (Gsell/Krüger/Lorenz/Reymann, Beck-online Großkommentar (Stand: 01.03.2024), § 2317, Rn. 74). Der Elternteil kann vielmehr grundsätzlich selbst entscheiden, ob die Pflichtteilsansprüche der Kinder geltend gemacht werden sollen (Müko-Lange, 9. Aufl. (2022), § 2317, Rn. 14).

2. Wegen der möglicherweise gegenläufigen Interessen von Erbe und Pflichtteilsberechtigtem, auf die das Amtsgericht auch zur Begründung abgestellt hat, kann zwar das Familiengericht nach §§ 1629 Abs. 2 S. 3, 1789 Abs. 2 S. 3 BGB dem Elternteil in dieser Angelegenheit die Vertretungsmacht entziehen und insoweit eine Pflegschaft anordnen. Die hierin liegende Teilentziehung der elterlichen Gewalt ist jedoch nicht ohne Weiteres gerechtfertigt (vgl. Bergschneider-Weisbrodt, Familienvermögensrecht, 3. Aufl. (2016), Rn. Rn. 8.119) und noch nicht einmal dann geboten, wenn der überlebende Ehegatte etwa die Pflichtteilsansprüche der Kinder weder erfüllt noch sicherstellt (vgl. Müko-Lange, 9. Aufl. (2022), § 2317, Rn. 14). Vielmehr bedarf es Anhaltspunkten für einen konkreten, erheblichen Interessengegensatz (so bereits Senat, Beschl. v. 19.07.2018 - 10 WF 172/17, FamRZ 2019, 704, ferner Bergschneider-Weisbrodt, a.a.O.; Grziwotz/Fröhler in: Groll/Steiner, Praxis-Handbuch Erbrechtsberatung, 6. Aufl. (2024), Rn. 14.187), da die Entziehung der Vermögenssorge nur erforderlich ist, wenn sie dem Wohl der Kinder dient. Dabei ist die mögliche Gefährdung des Pflichtteils insbesondere gegen die Wahrung des Familienfriedens abzuwägen (vgl. Gsell/Krüger/Lorenz/Reymann, Beck-online Großkommentar (Stand: 01.03.2024), § 2317, Rn. 74, 75). Weder für die Anspruchsberechnung (hinsichtlich deren das vom gesetzlichen Vertreter beim Familiengericht einzureichende Vermögensverzeichnis Aufschluss geben kann, § 1640 BGB) noch für die Entscheidung, ob der Anspruch geltend gemacht wird, bedarf es daher eines Pflegers, es sei denn, dass der erbende Elternteil den Pflichtteilsanspruch des Kindes gefährdet (vgl. Grüneberg-Weidlich, 83. Aufl. (2024), § 2317, Rn. 4).

3. Für eine solche Gefährdung ist vorliegend nichts ersichtlich. Die Kindesmutter hat bislang mit dem Gericht kooperiert und den Nachlass (überschlägig) mitgeteilt. Anhaltspunkte, dass sie mit dessen Verwaltung überfordert wäre oder danach strebt, ihre Kinder zu benachteiligen, bestehen nicht. Weil - worauf die Beschwerde zu Recht verweist - die Verjährung etwaiger Pflichtteilsansprüche ohnehin nach § 207 Abs. 1 S. 2 Nr. 2a BGB bis zur Vollendung des 21. Lebensjahres gehemmt ist, hätte eine solche Ergänzungspflegschaft ohnehin allenfalls Sicherungsaufgaben, während die eigentliche Geltendmachung dem Kind nach Erreichen der Volljährigkeit vorbehalten bliebe (Grziwotz/Fröhler in: Groll/Steiner, Praxis-Handbuch Erbrechtsberatung, 6. Aufl. (2024), Rn. 14.187).

Auch solche Sicherungsaufgaben sind vorliegend indes nicht geboten. Hierbei spielt es, anders als das Amtsgericht meint, auch keine Rolle, ob die Kinder (wie beim sog. "Berliner Testament") eine (Schluss-)Erbenstellung innehaben oder nicht. Selbst eine Schlusserbenstellung würde die Kinder nicht vor benachteiligenden Zwischenverfügungen des Erben schützen, da die Bindungswirkung des Berliner Testaments eine rein erbrechtliche ist (vgl. § 2270 Abs. 1, 2 BGB) und Verfügungen unter Lebenden nicht verbietet (Müko-Musielak, 9. Aufl. (2022), § 2269, Rn. 34); die Kinder wären insoweit ebenso auf Ersatzansprüche angewiesen (§§ 2287, 2288 BGB), wie sie es vorliegend - im Falle von den Pflichtteil schädigenden Handlungen - ebenfalls sind. Beide Situationen sind also in diesem Punkte rechtlich vergleichbar. Insbesondere bietet das Pflichtteilsrecht - selbst, wenn es über den Ergänzungspfleger ausgeübt würde - keine rechtliche Handhabe, den Erben zu einer bestimmten Verwaltung des Nachlassvermögens zu zwingen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 81 FamFG, § 20 FamGKG.


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