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Dienstag, 30. Juli 2024

Wer trägt die Kosten der Videoverhandlung (§ 128a Abs. 3 ZPO) und Neu- / Übergangsregelung

Das Arbeitsgericht gestattete den Parteien auf Antrag des Beklagtenvertreters, an der Güteverhandlung gem. § 128a Abs. 3 ZPO an einem anderen Ort zu verweilen und von dort im Wege der Film- und Tonübertragung teilzunehmen (Videoverhandlung). Der Beklagtenvertreter nahm auch an der Verhandlung im Wege der Videoübertragung teil, demgegenüber der Klägervertreter im Gerichtssaal anwesend war. Nach der Güteverhandlung nahm der Klägervertreter die Klage schriftsätzlich zurück. Die Gerichtskasse machte u.a. bei dem Kläger Kosten in Höhe von € 15,00 für die Videokonferenzverbindung geltend. Der dagegen eingelegten Erinnerung gab das Arbeitsgericht nicht statt, ließ aber die Beschwerde zum Landesarbeitsgericht (LAG) zu. Dieser dann vom Kläger eingelegten Beschwerde gab das LAG statt.

Mit der Klagerücknahme waren dem Kläger die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen, § 260 Abs. 3 S. 2 2. Alt. ZPO. Zwar folgte das LAG nicht der Argumentation des Klägers, dass nach § 12a ArbGG jede Partei im erstinstanzlichen arbeitsgerichtlichen Verfahren seien Kosten selbst trage. Es ging darauf zutreffend nicht ein, da es sich hier nicht um die von § 12a ArbGG betroffenen Kosten handelt, insoweit es sich um Gerichtskosten handelt. Vorliegend handelte es sich um eine Kostenpauschale nach Nr. 9019 KV-GKG.

Das LAG stellte darauf ab, dass sich aus Nr. 9019 KV-GKG direkt ergäbe, wer die Auslagenpauschale zu tragen habe. Sie falle für die Inanspruchnahme der Videoverbindung an und sei von demjenigen zu tragen, der sie in Anspruch nehmen würde. Der Wortlaut verdeutliche, dass Kostenschuldner derjenige sein soll, der die Videoverbindung in Anspruch nehme. Dies aber sei nicht der Kläger und seine Prozessvertretung gewesen, die anwesend gewesen seien, sondern der diese auch beantragende Beklagte bzw. sein Prozessvertreter gewesen, weshalb die Pauschale dem Beklagten aufzuerlegen sei.

Anmerkung: Künftighin wird sich die Frage der Kostentragung für die Teilnahme an einer Videokonferenzverbindung bei Gerichtsverhandlungen nur noch für solche Videokonferenzen stellen können, bei denen die Streitsache nach dem 18.07.2024 anhängig wurde.  Denn durch das Gesetz zur Förderung des Einsatzes von Videokonferenztechnik in der Zivilgerichtsbarkeit und den Fachgerichtsbarkeiten vom 18.07.2024 (BGBl I Nr. 237), in Kraft seit dem 19.07.2024, wurde Nr. 9019 KV-GKG, aufgehoben. Streitig könnte in Ansehung von § 71 GKG (Übergangsregelung) nur sein, , ob die Pauschale auch nach dem 18.07.2024 erhoben werden kann für Videoverhandlungen nach dem 18.07.2024, wenn das Verfahren vor dem 19.07.2024 bereits anhängig war

LAG Nürnberg, Beschluss vom 16.05.2024 - 5 Ta 35/24 -

Freitag, 15. März 2024

Faires Verfahren bei Videoverhandlung ohne „Nahblick“ auf Richterbank ?

Im Rahmen der Verhandlung, die auf Antrag der Beschwerdeführer als Videoverhandlung (§ 91a FGO; diese Norm entspricht § 128a ZPO) durchgeführt wurde, wurde nur eine Kamera im Gerichtssaal eingesetzt, die die Richterbank in der Totalen (also alle Richter zusammen) abbildete, mangels einer von den Beschwerdeführern steuerbaren Zoomfunktion diesen – so ihr Vorwurf – nicht die Möglichkeit gegeben habe, die Unvoreingenommenheit der Richter durch einen Blick ins Gesicht zu prüfen. Die Beschwerdeführer beriefen sich in ihrer Verfassungsbeschwerde gegen eine Entscheidung des Bundesfinanzhofes (BFH) auf eine Verletzung des gesetzlichen Richters gem. Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG. Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) nahm die Beschwerde nicht zu Entscheidung an.

 Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG bestimme, dass niemand seinem gesetzlichen Richter entzogen werden dürfe. Grundsätzlich bedeute dies, dass kein anderer Richter tätig werden dürfe, der nicht nach allgemeinen Normen des Gesetzes und der Geschäftsverteilungspläne zur Entscheidung berufen sei. Allerdings könne Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG nicht al eine formale Bestimmung verstanden werden, die stets dann bereits erfüllt sei, wenn die Richterzuständigkeit allgemein und eindeutig geregelt sei. Vielmehr gewährleiste das Grundgesetz den Beteiligten eines gerichtlichen Verfahrens auch einen unabhängigen und unparteilichen Richter. Neben sachlicher und persönlicher Unabhängigkeit des Richters (Art. 97 Abs. 1 und 2 GG) sei es wesentliches Kennzeichen der Rechtsprechung im Sinne des Grundgesetzes, dass die richterliche Tätigkeit nicht von einem „nicht beteiligten Dritten“ ausgeübt würde. Die richterliche Tätigkeit erfordere daher eine unbedingte Neutralität gegenüber den Verfahrensbeteiligten. Dies sei auch zugleich ein gebot der Rechtsstaatlichkeit. Die Frage, ob Befangenheitsgründe gegen die Mitwirkung eines Richters sprechen, berühre so die Rechtsstellung der Verfahrensbeteiligten.

Es würde von den Beschwerdeführern nicht eine nicht vorschriftsmäßige Besetzung bei dem Finanzgericht (FG) gerügt, vielmehr beanstandet, dass keine von ihnen steuerbare Zoomfunktion bestanden habe, und damit nicht die Möglichkeit bestanden habe, die über die Vollzähligkeit hinausgehende mentale Anwesenheit und Unvoreingenommenheit der Richterbank überprüfen zu können, also ein eventueller Befangenheitsgrund nicht erkennbar gewesen wäre. Dies genüge alleine aber noch nicht, auf einen bösen Schein oder einen Verdacht der Befangenheit zu schließen, der zu einer Verletzung des Rechts auf den gesetzlichen Richter führen könne. Nur die unrichtige Besetzung, nicht aber die fehlende Möglichkeit von deren (rechtzeitiger) Überprüfung begründe die Verletzung des Rechts auf den gesetzlichen Richter (anders BFH, Beschluss vom 30.06.2023 – V B 13/22 -). Damit führe ein fehlender Nahblick und eine dadurch begründete Unsicherheit, ob Verhalten oder Mimik für eine Befangenheit sprechen könnten, nicht zur fehlerhaften Besetzung. Der Schutz des Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG könne nicht auf den Bereich der Möglichkeit vorverlagert werden. 

Durch eine fehlende Überprüfungsmöglichkeit der Unvoreingenommenheit könne gegebenenfalls das Recht auf ein faires Verfahren verletzt worden sein (worauf sich die Beschwerdeführer aber nicht bezogen hätten und welches nach ihrem Vortrag hier auch nicht vorgelegen habe). 

Zu den wesentlichen Grundsätzen eines rechtsstaatlichen Verfahrens gehöre ein Faires Verfahrens, welches seine Grundlagen im Rechtsstaatsprinzip in Verbindung mit den Freiheitsrechten und Art. 1 Abs. 1 GG habe. Das faire Verfahren bedürfe je nach sachlichen Gegebenheiten einer Konkretisierung. Die Gerichte hätten den Schutzgehalte der in Frage stehenden Verfahrensnormen und anschließend die Rechtsfolgen ihrer Verletzung zu bestimmen. Dabei seien Bedeutung und Tragweite des Rechts auf ein faires Verfahren angemessen zu berücksichtigen, damit dessen wertsetzende Bedeutung auch auf der Rechtsanwendungsebene gewahrt bleibe. Die Verkennung des Schutzgehalts einer Verfahrensnorm könne daher in das Recht eines Beteiligten auf ein faires Verfahren eingreifen. 

Es sei daher denkbar, dass das Recht auf ein faires Verfahren im Rahmen des § 91a FGO eine Überprüfungsmöglichkeit der Neutralität und Unabhängigkeit der Richterbank für die Beteiligten gewährleiste. Auch sei nicht auszuschließen, dass bei dem derzeitigen Stand, wenn aus der Distanz gefilmt würde, damit die gesamte Richterbank erscheine, je nach räumlichen Gegebenheiten oder ggf. der Qualität der technischen Hilfsmittel die Beobachtungsmöglichkeit eingeschränkt sein könnte und hinter jener bei Anwesenheit vor Ort zurückbleiben könnte. 

Diese Möglichkeit wurde hier aber als für die Beschwerde vom BVerfG schon deshalb nicht als tragfähig angesehen. Die Beschwerdeführer, die selbst die Videoverhandlung beantragt hätten, hätten ihre konkrete Situation nicht hinreichend substantiiert beschrieben, um in ihrem Fall die Verletzung des Rechts auf ein faires Verfahren beurteilen zu können.  So sei nicht erkennbar, dass eine fehlende Kontrollmöglichkeit nicht auf einer unzureichenden eigenen Ausstattung beruht habe oder wie die konkreten örtlichen Gegebenheiten und die Übertragungsqualität sowie wie sich etwaige dadurch bedingte Einschränkungen dargestellt hätten. Es könne daher nicht abschließend beurteilt werden, ob tatsächlich keine Kontrollmöglichkeit bestanden habe. 

Zudem hätten es die Beschwerdeführer entgegen den Anforderungen aus dem aus § 90 Abs. 2 S. 1 BVerfGG abgeleiteten Grundsatz der Subsidiarität nicht  dargelegt, dass sie im Laufe der Verhandlung vor dem FG etwaige Einschränkungen der Beobachtungsfähigkeit von Verhalten oder nonverbaler Kommunikation beanstandet hätten. 

BVerfG, Beschluss vom 15.01.2024 - 1 BvR 1615/23 -