Im Rahmen der Verhandlung, die auf
Antrag der Beschwerdeführer als Videoverhandlung (§ 91a FGO; diese Norm
entspricht § 128a ZPO) durchgeführt wurde, wurde nur eine Kamera im
Gerichtssaal eingesetzt, die die Richterbank in der Totalen (also alle Richter
zusammen) abbildete, mangels einer von den Beschwerdeführern steuerbaren
Zoomfunktion diesen – so ihr Vorwurf – nicht die Möglichkeit gegeben habe, die
Unvoreingenommenheit der Richter durch einen Blick ins Gesicht zu prüfen. Die
Beschwerdeführer beriefen sich in ihrer Verfassungsbeschwerde gegen eine
Entscheidung des Bundesfinanzhofes (BFH) auf eine Verletzung des gesetzlichen
Richters gem. Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG. Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG)
nahm die Beschwerde nicht zu Entscheidung an.
Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG bestimme,
dass niemand seinem gesetzlichen Richter entzogen werden dürfe. Grundsätzlich bedeute
dies, dass kein anderer Richter tätig werden dürfe, der nicht nach allgemeinen
Normen des Gesetzes und der Geschäftsverteilungspläne zur Entscheidung berufen
sei. Allerdings könne Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG nicht al eine formale Bestimmung
verstanden werden, die stets dann bereits erfüllt sei, wenn die Richterzuständigkeit
allgemein und eindeutig geregelt sei. Vielmehr gewährleiste das Grundgesetz den
Beteiligten eines gerichtlichen Verfahrens auch einen unabhängigen und unparteilichen
Richter. Neben sachlicher und persönlicher Unabhängigkeit des Richters (Art. 97
Abs. 1 und 2 GG) sei es wesentliches Kennzeichen der Rechtsprechung im Sinne
des Grundgesetzes, dass die richterliche Tätigkeit nicht von einem „nicht
beteiligten Dritten“ ausgeübt würde. Die richterliche Tätigkeit erfordere daher
eine unbedingte Neutralität gegenüber den Verfahrensbeteiligten. Dies sei auch
zugleich ein gebot der Rechtsstaatlichkeit. Die Frage, ob Befangenheitsgründe
gegen die Mitwirkung eines Richters sprechen, berühre so die Rechtsstellung der
Verfahrensbeteiligten.
Es würde von den
Beschwerdeführern nicht eine nicht vorschriftsmäßige Besetzung bei dem
Finanzgericht (FG) gerügt, vielmehr beanstandet, dass keine von ihnen
steuerbare Zoomfunktion bestanden habe, und damit nicht die Möglichkeit bestanden
habe, die über die Vollzähligkeit hinausgehende mentale Anwesenheit und
Unvoreingenommenheit der Richterbank überprüfen zu können, also ein eventueller
Befangenheitsgrund nicht erkennbar gewesen wäre. Dies genüge alleine aber noch nicht,
auf einen bösen Schein oder einen Verdacht der Befangenheit zu schließen, der zu
einer Verletzung des Rechts auf den gesetzlichen Richter führen könne. Nur die
unrichtige Besetzung, nicht aber die fehlende Möglichkeit von deren
(rechtzeitiger) Überprüfung begründe die Verletzung des Rechts auf den
gesetzlichen Richter (anders BFH, Beschluss vom 30.06.2023 – V B 13/22 -).
Damit führe ein fehlender Nahblick und eine dadurch begründete Unsicherheit, ob
Verhalten oder Mimik für eine Befangenheit sprechen könnten, nicht zur
fehlerhaften Besetzung. Der Schutz des Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG könne nicht auf
den Bereich der Möglichkeit vorverlagert werden.
Durch eine fehlende Überprüfungsmöglichkeit
der Unvoreingenommenheit könne gegebenenfalls das Recht auf ein faires
Verfahren verletzt worden sein (worauf sich die Beschwerdeführer aber nicht bezogen
hätten und welches nach ihrem Vortrag hier auch nicht vorgelegen habe).
Zu den wesentlichen Grundsätzen
eines rechtsstaatlichen Verfahrens gehöre ein Faires Verfahrens, welches seine
Grundlagen im Rechtsstaatsprinzip in Verbindung mit den Freiheitsrechten und
Art. 1 Abs. 1 GG habe. Das faire Verfahren bedürfe je nach sachlichen Gegebenheiten
einer Konkretisierung. Die Gerichte hätten den Schutzgehalte der in Frage
stehenden Verfahrensnormen und anschließend die Rechtsfolgen ihrer Verletzung
zu bestimmen. Dabei seien Bedeutung und Tragweite des Rechts auf ein faires
Verfahren angemessen zu berücksichtigen, damit dessen wertsetzende Bedeutung
auch auf der Rechtsanwendungsebene gewahrt bleibe. Die Verkennung des
Schutzgehalts einer Verfahrensnorm könne daher in das Recht eines Beteiligten
auf ein faires Verfahren eingreifen.
Es sei daher denkbar, dass das
Recht auf ein faires Verfahren im Rahmen des § 91a FGO eine
Überprüfungsmöglichkeit der Neutralität und Unabhängigkeit der Richterbank für
die Beteiligten gewährleiste. Auch sei nicht auszuschließen, dass bei dem
derzeitigen Stand, wenn aus der Distanz gefilmt würde, damit die gesamte
Richterbank erscheine, je nach räumlichen Gegebenheiten oder ggf. der Qualität
der technischen Hilfsmittel die Beobachtungsmöglichkeit eingeschränkt sein
könnte und hinter jener bei Anwesenheit vor Ort zurückbleiben könnte.
Diese Möglichkeit wurde hier aber
als für die Beschwerde vom BVerfG schon deshalb nicht als tragfähig angesehen.
Die Beschwerdeführer, die selbst die Videoverhandlung beantragt hätten, hätten
ihre konkrete Situation nicht hinreichend substantiiert beschrieben, um in
ihrem Fall die Verletzung des Rechts auf ein faires Verfahren beurteilen zu
können. So sei nicht erkennbar, dass eine
fehlende Kontrollmöglichkeit nicht auf einer unzureichenden eigenen Ausstattung
beruht habe oder wie die konkreten örtlichen Gegebenheiten und die
Übertragungsqualität sowie wie sich etwaige dadurch bedingte Einschränkungen
dargestellt hätten. Es könne daher nicht abschließend beurteilt werden, ob
tatsächlich keine Kontrollmöglichkeit bestanden habe.
Zudem hätten es die Beschwerdeführer
entgegen den Anforderungen aus dem aus § 90 Abs. 2 S. 1 BVerfGG abgeleiteten
Grundsatz der Subsidiarität nicht
dargelegt, dass sie im Laufe der Verhandlung vor dem FG etwaige
Einschränkungen der Beobachtungsfähigkeit von Verhalten oder nonverbaler
Kommunikation beanstandet hätten.
BVerfG, Beschluss vom 15.01.2024
- 1 BvR 1615/23 -