Immer wieder kommt es im
Zusammenhang mit Anpflanzungen an einer Grundstücksgrenze zu einem Streit
zwischen den Nachbarn, sei es, dass bei Anpflanzungen der in den Nachbarrechtsgesetzen
der Länder vorgesehene Grenzabstand nicht eingehalten ist (vgl. z.B. §§ 38 ff
NachbG HE), sei es, dass ein Überhang auf das benachbarte Grundstück vorliegt. Den
Überhang kann der davon betroffene Nachbar gem. § 1004 BGB entgegentreten -
wenn dessen Voraussetzungen vorliegen. § 1004 BGB lautet:
(1) Wird das Eigentum in anderer Weise als durch
Entziehung oder Vorenthaltung des Besitzes beeinträchtigt, so kann der
Eigentümer von dem Störer die Beseitigung der Beeinträchtigung verlangen. Sind
weitere Beeinträchtigungen zu besorgen, so kann der Eigentümer auf Unterlassung
klagen.
(2) Der Anspruch ist ausgeschlossen, wenn der
Eigentümer zur Duldung verpflichtet ist.
Ferner gibt § 910 BGB dem durch
den Überhang beeinträchtigten Nachbarn auch ein Selbsthilferecht an die Hand:
(1) Der Eigentümer eines Grundstücks kann Wurzeln
eines Baumes oder eines Strauches, die von einem Nachbargrundstück eingedrungen
sind, abschneiden und behalten. Das Gleiche gilt von herüberragenden Zweigen,
wenn der Eigentümer dem Besitzer des Nachbargrundstücks eine angemessene Frist
zur Beseitigung bestimmt hat und die Beseitigung nicht innerhalb der Frist
erfolgt.
(2) Dem Eigentümer steht dieses Recht nicht zu, wenn
die Wurzeln oder die Zweige die Benutzung des Grundstücks nicht
beeinträchtigen.
Vorliegend verlangte der Kläger
vom Beklagten den Rückschnitt von Ästen und Zweigen diverser Bäume, da diese auf
sein Grundstück ragten. Das Amtsgericht gab der Klage statt. Unter Abänderung dieses
Urteils gab das Landgericht der Berufung allerdings statt und wies die Klage
ab. Kernpunkt war, ob hier durch den Überhang das Eigentum des Klägers in
anderer Weise als durch Entziehung oder Vorenthaltung des Besitzes
beeinträchtigt wurde, § 1004 Abs. 1 S.1 BGB (das Selbsthilferecht des § 910
Abs. 1 BGB verlangt gem. Abs. 2, dass durch die Zweige die Benutzung des Grundstücks
beeinträchtigt wird). In beiden Fällen ist mithin die Beeinträchtigung des Grundstücks
durch die überragenden Äste/Zweige erforderlich.
Das Landgericht ging auf der
Grundlage eines eingeholten Sachverständigengutachtens davon aus, dass ein
Überhang bestand. Allerdings negierte es einen Anspruch des Klägers nach § 1004
Abs. 1 S. 1 BGB iVm. § 910 Abs. 1 S. 2 BGB im Hinblick auf § 910 Abs. 2 BGB, da
die Benutzung des klägerischen Grundstücks durch den Überhang nicht als beeinträchtigt
anzusehen sei.
Nicht das subjektive Empfinden
des Grundstückseigentümers sei für die Beurteilung, ob eine Beeinträchtigung
vorliegt, entscheidend, vielmehr müsse der Überhang objektiv beeinträchtigend
sein. Für das Nichtvorliegen der Beeinträchtigung sei allerdings der Nachbar
darlegungs- und beweisbelastet, auf dessen Grundstück der Baum stehen würde, hier
mithin der Beklagte (BGH, Urteil vom 11.06.2021 - V ZR 234/19 -). Dieser habe
den von ihm zu erbringenden Nachweis erbracht.
Nach Auffassung der Berufungskammer
des Landgerichts fehle es an einer relevanten Beeinträchtigung, wenn die
Störung im Vergleich zu den Wirkungen des Rückschnitts außer Verhältnis stehen
und deshalb unzumutbar sei. Dies sei z.B. dann der Fall, wenn die verlangte Maßnahme
die Gefahr des Absterbens des Baues oder zu einer erhöhten Risikolage führe.
Das Verlangen würde dann auf eine verbotene Beseitigung des Baumes hinauslaufen
(im Anschluss an OLG Köln, Urteil vom 12.07.2011 - 4 U 18/10 -). Da die Bäume (unstreitig) mindestens acht
Jahre alt seien und der Kläger die Beseitigung nach § 47 Abs. 1 NachbG NRW
daher nicht mehr verlangen könne, sei hier der in Rede stehende Anspruch des Klägers
ausgeschlossen, da er auf die Beseitigung der Bäume hinauslaufe. Der Sachverständige
sei in seinem Gutachten zu dem Schluss gelangt, dass bei dem klägerseits
begehrten Rückschnitt kaum ein Baum überleben würde.
Das Landgericht bezog sich zur
Stützung seiner Argumentation lediglich auf ein Urteil des OLG Köln vom
12.07.2011 - 4 U 18/10 -. Dort wurde ebenfalls festgehalten, dass eine
Unzumutbarkeit bestünde, wenn in Folge des Rückschnitts es zu einem Absterben
des Baumes oder einer erhöhten Risikolage käme.
Allerdings geht das Landgericht
nicht auf das Urteil des BGH vom 11.06.2021 - V ZR 234/19 - ein, demzufolge das
Selbsthilferecht nach § 910 Abs. 1 BGB nicht deshalb ausgeschlossen sei, da durch die Beseitigung des Überhangs das
Absterben des Baumes oder der Verlust seiner Standfestigkeit drohe, es sei
denn, naturschutzrechtliche Beschränkungen stünden dem entgegen (was im
vorliegenden Fall nicht benannt wurde). Das Selbsthilferecht würde
uneingeschränkt bei Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen vorliegen,
also wenn die Wurzeln oder Zweige die Benutzung des Grundstücks beeinträchtigen.
Wörtlich führte der BGH aus: „Eine Verhältnismäßigkeits- oder
Zumutbarkeitsprüfung, mit der der Ausschluss des Selbsthilferechts teilweise
begründet wird (…), ist gesetzlich nicht vorgesehen und widerspräche den
Vorstellungen des Gesetzgebers.“ Weiter verwies der BGH darauf, dass eine
Einschränkung des Selbsthilferechts nach § 910 BGB auch nicht deshalb in Betracht
käme, da eine landesrechtliche Ausschlussfrist zur Beseitigung des Baumes
abgelaufen und mit dem Selbsthilferecht umgangen werden könne. Die
nachbarrechtlichen Vorschriften der Länder würden kein Selbsthilferecht des
beeinträchtigten Nachbarn in Bezug auf überhängende Äste/Zweige oder
eingedrungene Wurzeln regeln und könnten dies mangels Gesetzgebungskompetenz
die Regelung des § 910 BGB daher auch nicht einschränken.
Während der Anspruch des
beeinträchtigten Eigentümers nach § 1004 BGB jedenfalls der Regelverjährung des
§ 195 BGB unterfällt (wobei es bei einem Überhang darauf ankommt, wann welcher
Teil des überhängenden Astes gewachsen ist), unterliegt das Selbsthilferecht
nach § 910 BGB keiner Verjährung (BGH, Urteil vom 22.02.2019 - V ZR 136/18 -).
Allerdings betrifft das Urteil
des BGH vom 11.06.2021 - V ZR 234/19 - lediglich das Selbsthilferecht nach §
910 BGB. Der Ansatz des Landgerichts in der hier besprochenen Entscheidung ist
auch unter Beachtung des Urteils des BGH zutreffend, da sich der BGH zur
Begründung der fehlenden Verhältnismäßigkeits- und Zumutbarkeitsprüfung lediglich
auf das unabhängig von den Nachbarrechten der Länder geltende Selbsthilferecht
des § 910 BGB bezog, bei dem er keine Verjährungsproblematik sah. Dies lässt
sich auch aus den Gründen des Urteils des BGH nicht auf den Anspruch aus § 1004
BGB übertragen. Für den Kläger in dem hier besprochenen Verfahren vor dem
Landgericht bedeutet dies, dass er zwar von seinem Nachbarn keinen Rückschnitt
beanspruchen kann, aber sehr wohl diesen nach § 910 BGB trotz der Gefährdung
der Bäume selbst durchführen könnte.
LG Köln, Urteil vom
02.03.2023 - 6 S 27/20 -