Donnerstag, 2. November 2023

Mietrecht: Fiktiver Schadensersatz des Vermieters für Schönheitsrenovierung, Rückbau und Schäden

Der Kläger forderte als Vermieter nach Mietende und Auszug der ehemaligen Mieter (Beklagte) diese zur Durchführung von Schönheitsreparaturen und Rückbauarbeiten auf, dem die Beklagten nicht nachkamen. Der Kläger holte einen Kostenvoranschlag ein, ließ Teile der geforderten Maßnahmen durch Dritte durchführen, und verklagte dann die Beklagten auf Zahlung gemäß dem Kostenvoranschlag. Die Klage wurde erst- und zweitinstanzlich abgewiesen; das Berufungsgericht ließ allerdings zur Frage, ob im Mietrecht Schadensersatz fiktiv geltend gemacht werden könne (von ihm verneint) die Revision zu. Die insoweit beschränkt zugelassene und zu entscheidende Revision hatte Erfolg.

Bei seiner Entscheidung stellte das Berufungsgericht u.a. auf die Rechtsprechung des BGH zur fiktiven Schadensabrechnung im Werkvertragsrecht ab. Dem folgte der für Wohnraummietrecht zustände Senat des BGH für das Mietercht nicht. Sowohl im Hinblick auf den Ersatz von Kosten für die mieterseits nicht ausgeführten Schönheitsreparaturen (§ 280 Abs. 1, 3, § 281 Abs. 1 S. 1 BGB) als auch für den Rückbau durch Austausch von Wandfliesen und für die Malerarbeiten an der Wand des Treppenhauses (§ 280 Abs. 1 BGB, § 823 Abs. 1 BGB), ferner im Hinblick auf weiter durch die Beklagten verursachten Schäden am Mietgegenstand (§ 280 Abs. 1 BGB, § 823 Abs. 1 BGB), könne der Kläger nach dem Ende des Vertragsverhältnisses seinen Schaden fiktiv berechnen und diese fiktiven Kosten geltend machen.

D.h., der Vermieter könne wegen unterlassener Schönheitsreparaturen und Rückbaukosten vom Mieter anhand der voraussichtlich erforderlichen Kosten, aber (noch) nicht aufgewendeten (mithin fiktiven) Kosten seine Schadensersatzansprüche bemessen. Auch soweit der Kläger Teile der Arbeiten, für die er Ersatz begehre, bereits ausgeführt habe, könne er hier den gesamten Schaden ohne Bezug zu den tatsächlich getätigten Aufwendungen auf der Grundlage des von ihm eingeholten Kostenvoranschlags (und damit fiktiv) abrechnen (BGH, Urteil vom 05.04.2022 – VI ZR 7/21 -).  

Es sei in ständiger Rechtsprechung vom BGH anerkannt, dass Schadensersatzansprüche statt der Leistung mit den für die Instandsetzung oder -haltung oder den für den Rückbau der Mietsache erforderlichen aber noch nicht aufgewendeten (also fiktiven) Kosten bemessen werden könnten /BGH, Urteile vom 3.03.2021 -XII ZR 42/20 -, 12.03.2014 - XII ZR 108/13 -, 05.03.2014 - VIII ZR 205/13 -. 20.10.2004 - VIII ZR 378/03 -). Daran sei auch nach der Entscheidung des VII. Zivilsenats vom 22.02.2018 - VII ZR 46/17 - zur Begründung seiner gegenteiligen Rechtsansicht im Rahmen des Werkvertragsrechts festzuhalten. Die Erwägungen des VII. Zivilsenats würden - auch nach dessen Ansicht - auf den Besonderheiten des Werkvertragsrechts beruhen und ließen sich auf andere Vertragstypen nicht übertragen (BGH, Beschlüsse vom 08.10.2020 - VII AZR 1/20 -, 26.04.2022 – VIII ZR 364/20 -).  Zwar gäbe es, anders als im Kaufrecht, im Mietrecht einen mit dem werkvertraglichen Anspruch gem. § 637 Abs. 3 BGB (der vom VII. Zivilsenat zur Begründung seiner Auffassung herangezogen wurde) vergleichbaren Anspruch auf Zahlung eines Vorschusses für die (beabsichtigte) Selbstvornahme (Anm.: was nach Ansicht des VII. Zivilsenats eine fiktive Abrechnung ausschließt). Denn nach der Rechtsprechung des hier zur Entscheidung berufenen Senats (für Wohnraummietrecht) im laufenden (also nicht beendeten) Mietverhältnis unter den Voraussetzungen § 536a Abs. 2 Nr. 1 BGB ein Vorschussanspruch des Mieters bei Mietmängeln bestehen und könne auch der Vermieter einen Vorschuss in Höhe erforderlicher Renovierungskosten verlangt werden, wenn sich der Mieter mit der Durchführung der Renovierung in Verzug befände (BGH, Urteil vom 1403.2006 - VIII ZR 123/05 -, Beschluss vom 25.04.2022 - VIII ZR 364/20 -). Allerdings würden sich hier die Ansprüche nur zum Teil auf solche Ansprüche (Renovierung) beziehen, zum anderen sämtliche Ansprüche auf ein beendetes Mietverhältnis.

Das Berufungsgericht hatte seine Ansicht auch damit begründet, dass bei einer fiktiven Abrechnung die Gefahr einer Überkompensation bestehen würde. Doch könne der Geschädigte nur die zur Erfüllung der Leistungspflicht erforderlichen Kosten beanspruchen (Anm.: die er im Bestreitensfall darlegen und beweisen muss, wobei ggf. vom Gericht auch Sachverständigengutachten einzuholen ist). Auch sei zu beachten, dass der Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB) eine allen Rechten, Rechtslagen und Rechtsnormen immanente Inhaltsbegrenzung bilde (BGH, Urteil vom 08.07.2020 - VIII ZR 163/18 -).

Ebenso wie den Schadensersatzanspruch statt der Leistung (§ 280 Abs. 1, 3m § 281 Abs. 1 S. 1 BGB) könne der Kläger auch seinen das Integritätsinteresse betreffenden Schadensersatzanspruch neben der Leistung (§ 280 Abs. 1 BGB) wegen der Beschädigung der der Mietsache (hier bezüglich von Wandfliesen der Küche und des Flurs im Treppenhaus) auf der Grundlage voraussichtlicher (also fiktiver) Kosten bemessen. Anders als bei einem Schadenersatzanspruch statt der Leistung, der von vornherein nur auf Geldersatz gerichtet sei (§ 281 Abs. 4 BGB), könne der geschädigte Vermieter bezüglich des Schadensersatzanspruchs neben der Leistung wahlweise Naturalrestitution  oder Geldersatz begehren (BGH, Urteil vom 19.11.2014 - VIII ZR 191/13 -). Aufgrund der nach § 249 Abs. 2 BGB dem Geschädigten gewährten Ersetzungsbefugnis könne der Kläger auch hier die fiktiven Kosten gelten machen (BGH, Beschluss vom 08.10.2020 – VII ARZ 1/20 -). Dass dies ebenfalls vom VII. Zivilsenat im Hinblick auf das Werkvertragsrecht hinsichtlich eines solchen Schadensersatzanspruchs neben der Leistung (§ 634 Nr. 4, § 280 Abs. 1 BGB) verneint wurde (BGH, Urteil vom 22.02.2018 - VIII ZR 46/17 -), sei dies auf andere Vertragstypen nicht übertragbar (zudem sei der Fall auch nicht vergleichbar, als es dort eine Ersetzungsbefugnis des Bestellers im Hinblick auf den dortigen Überwachungsfehler des Architekten nicht gegeben habe).

Das Berufungsurteil konnte daher keinen Bestand haben und der BGH hob es, soweit es mit der Revision angefochten werden konnte, unter Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Berufungsgericht auf.

BGH, Urteil vom 19.04.2023 - VIII ZR 280/21 -

Montag, 30. Oktober 2023

Haftung bei auffahren eines Radfahrers auf Pkw

Der Kläger nahm mit seinem Rennrad an einem Zeitfahren seines Radsportvereins teil. Die Strecke führte über öffentliche, nicht für den übrigen Verkehr gesperrte Straßen. An der S-Straße schloss der Kläger annähernd zum Zeugen B. auf. Zu dieser Zeit fuhr der Kläger mit seinem Pkw Opel Astra ebenfalls die S-Straße in gleicher Fahrtrichtung mit ca. 30 km/h. Im weiteren verlauf der Straße wurde die Höchstgeschwindigkeit auf 40 km/h beschränkt. Ob der Kläger nach links zu einer Sportanlage abbiegen wollte, war streitig. Der Zeuge B. setzte zum Überholen des Pkw an. Der Kläger befand sich noch einige Meter hinter dem Zeugen B., wollte aber auch überholen. Kurz vor Beendigung des Überholvorgangs kollidierte der Zeuge B. mit der linken vorderen Ecke des Pkw (aus unklaren Grund) und stürzte. Der Beklagte bremste stark ab. Auch der Kläger bremste, wich nach rechts aus, konnte aber eine Kollision mit dem rechten Heck des Pkw nicht mehr verhindern und stürzte ebenfalls, wobei er sich Verletzungen zuzog.

Die Klage wurde vom Landgericht abgewiesen. Auf seine Berufung erließ des Oberlandesgericht (OLG) einen Hinweisbeschluss, demzufolge es beabsichtige, die Berufung wegen offensichtlicher Aussichtslosigkeit zurückzuweisen.

Grundsätzlich würden der Beklagte als Fahrer und Halter gemäß §§ 7, 18 Abs. 1 StVG und der Haftpflichtversicherer nach § 115 Abs. 1 Nr. 1 VVG eines unfallbeteiligten Fahrzeugs gesamtschuldnerisch für einen Schadensersatzanspruch haften. Die Verletzungen des Klägers seien beim Betrieb eines Fahrzeugs verursacht worden. Es läge keine höhere Gewalt nach § 7 StVG vor. Allerdings würde vorliegend die Gefährdungshaftung des Pkw gegenüber dem Mitverschulden des Klägers nach §§ 9 StVG, 254 BGB zurücktreten. Die Haftungsabwägung würde sich an den zu § 17 Abs. 1 entwickelten Rechtsgrundsätzen orientieren. Dazu seien alle unstreitigen oder erwiesenen Faktoren einzubeziehen, die zur Entstehung des Schadens beigetragen und einem der Beteiligten zuzurechnen seien (BGH, Urteil vom 21.11.2006 – VI ZR 115/05 -). Diese Abwägung könne auch zum vollständigen Ausschluss einer Einstandsverpflichtung führen, wenn das Verschulden des Geschädigten derart überwiege, dass die vom Schädiger ausgehende Ursache völlig zurücktrete (OLG Saarbrücken, Urteil vom 13.02.2014 – 4 U 59/13 -). Davon sei hier auszugehen.

Das OLG ging davon aus, dass es sich für den Kläger um einen typischen Auffahrunfall handele, der dem Anschein nach dadurch verursacht worden sei, dass er zu dicht aufgefahren sei oder unaufmerksam war; in beiden Fällen hätte er grob gegen seien Verkehrspflichten verstoßen.  Gemäß § 4 Abs. 1 S. 1 StVO müsse der Abstand zu einem vorausfahrenden Fahrzeug idR. so groß sein, dass auch hinter dem (gefahrlos) gehalten werden kann, wenn dieses plötzlich abgebremst wird. Grundlos dürfe der Vorausfahrende nach § 4 Abs. 1 S. 2 StVO nicht stark abbremsen, doch sei hier das starke Abbremsen durch die vorausgegangene Kollision mit dem weiteren Radfahrer ein zwingender Grund gewesen. Weiterhin berücksichtigte das OLG, dass sich der Kläger auf einer sportlich ambitionierten Zeitfahrt befunden habe, was offenbar Einfluss auf seinen Fahrstil gehabt und die Unfallgefahr erhöht habe. Ohne Bemühen um schnelles Vorankommen habe im Bereich einer Geschwindigkeitsbegrenzung keine Veranlassung zum Überholen [Anm.: Nach dem Beschluss befand sich die Geschwindigkeitsbegrenzung erst im weiteren Verlauf der Straße, nicht an der Unfallstelle] und – wohl in Vorbereitung des Überholmanövers- Unterschreitens des gebotenen Sicherheitsabstandes bestanden.

Es sei nicht erwiesen, dass der Beklagte nach links abbiegen wollte. Insoweit habe der Beklagte seine vorherige Angabe zulässig glaubhaft korrigiert (was vom OLF näher dargelegt wurde). Letztlich käme es für die Beurteilung der Kollision als typischen Auffahrunfall auch nicht darauf an, ob der Beklagte nach links abbiegen wollte. Der Kläger sei nicht auf den Pkw aufgefahren, da dieser plötzlich und unangekündigt nach links habe abbiegen wollen, sondern da der Pkw infolge der Kollision stark abgebremst worden sei. Plötzliche Ereignisse wie ein Unfall oder drohende Gefahren seien typischerweise Anlass für ein abruptes Abbremsen des Vorausfahrenden, weshalb gerade die Abstandsregeln gelten würden. Halte sich ein Verkehrsteilnehmer nicht an diese und kann er deshalb nicht mehr rechtzeitig reagieren, sei er als alleiniger Unfallverursacher des Auffahrunfalls anzusehen.

Ebenso unerheblich sei der Umstand, dass der Kläger nach seiner Sicht den eigenen Überholvorgang bereits eingeleitet habe. Auch dies würde nicht die Unterschreitung des Sicherheitsabstandes rechtfertigen, solange sich das überholende Fahrzeug noch hinter dem zu überholenden Fahrzeug auf dem rechten Fahrstreifenbefände. Nach den eigenen Angaben des Klägers sei er noch nicht auf die linke Fahrspur ausgeschert gewesen, sondern nur Richtung Mittellinie gefahren. Auch dass er „instinktiv“ nach dem Abbremsen nach rechts ausgewichen sei, spreche gegen ein bereits eingeleitetes Überholmanöver.

Die Berufung wurde nach dem Hinweisbeschluss zurückgenommen.

OLG Schleswig, Urteil vom 27.04.2023 - 7 U 214/22 -

Samstag, 28. Oktober 2023

Ungenehmigte Um- und Einbauten in Mietwohnung – Kündigung

Streitgegenständlich war der Einbau einer Badewanne durch den beklagten Mieter in einem ungefliesten Raum, die Anbringung eines Warmwasserboilers in der Küche und die Installation von Leitungen zum Elektrospeicher, ferner die Entfernung einer Dusche in der Küche Eine ursprünglich in der Küche befindliche Dusche wurde vom Mieter und die Verlegung von Leitungen durch die Trennwand von der Küche in das Bad zur (neuen) Badewanne, die u.a. zur fristlosen und fristgemäßen Kündigung durch den Rechtsvorgänger des Klägers als Vermieter führten.

Das Amtsgericht gab der Räumungsklage statt, wobei es jedenfalls die ordentliche Kündigung als begründet ansah. Der Einbau der Badewanne inklusive der Verlegung der Wasserleitungen und der Verfliesung sowie der Einbau eines Boilers würden eine schuldhafte nicht unerhebliche Verletzung der vertraglichen Pflichten des Mieters darstellen, § 573 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB.

Abzustellen sei auf den vertragsgemäßen Gebrauch. Der Rahmen dafür bestimme sich nach den beiderseitigen Rechten und Pflichten der Mietvertragsparteien. Veränderungen der Mietsache könnten zwar im Bereich des Möglichen und Zulässigen liegen, seien aber nur in engen Grenzen zulässig. Es stehe dem Mieter frei, eine Wohnung in einem bestimmten Zustand zu mieten oder sich für eine andere Wohnung zu entscheiden. Damit müsse der Mieter die Wohnung in dem Zustand belassen, wie er sie angemietet habe. Unter gewissen Umständen könne der Mieter zwar einen Anspruch auf Genehmigung von Veränderungen auf eigene Kosten haben, wenn diese zur Anpassung der Wohnung oder ihrer Einrichtungen z.B. an den technischen Fortschritt dienen würden. In der Regel seien aber Eingriffe in die Substanz, insbesondere bauliche Veränderungen der Mieträume, dem Mieter nicht gestattet.

Die Maßnahmen würden sich als Eingriff in die Substanz darstellen. Denn dadurch sei nach der Lebenserfahrung die Gefahr der Durchfeuchtung der Bausubstanz geschaffen worden, was selbst bei Einschaltung einer Fachfirma nicht ganz ausgeschlossen sei (LG Berlin in GE 1995, 429). Zudem sei im Mietvertrag explizit bestimmt, dass bauliche Veränderungen wie Um- und Einbauten sowie die Änderung der Installation der vorherigen Erlaubnis des Vermieters bedürfe; auch diese Regelung bestimme bei der Auslegung der Rechte und Pflichten zwischen den Vertragsparteien den Begriff des vertragsgemäßen Gebrauchs. Danach hätten der Einbau der Badewanne, die Verlegung von Wasserleitungen sowie die Installation eines Boilers der Zustimmung des Klägers (Vermieters) bedurft, die hier nicht vorlag.

Das Amtsgericht geht auch darauf ein, ob nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) der Vermieter zur Erteilung einer Erlaubnis verpflichtet sein konnte mit der Folge, dass die Geltendmachung einer Versagung im Kündigungsprozess rechtsmissbräuchlich mit der Folge der Klageabweisung sein könnte. Allerdings sei hier der Kläger nicht zur Einwilligung verpflichtet gewesen, weshalb er jetzt die Maßnahmen nicht dulden müsse. Nicht nur im Hinblick auf die möglichen Gefahren von solchen Maßnahmen (LG Berlin aaO.) sei hier ein Duldungsanspruch nicht gegeben; es könne allenfalls dann eine Verpflichtung der Erteilung einer entsprechenden Erlaubnis angenommen werden, wenn sich der Beklagte zum Einbau der Badewanne einer Fachfirma bedient hätte und entsprechende Nachweise über die ordnungsgemäße Ausführung erbringen könnte. Hier bestünden aber nach dem eingereichten Bildmaterial bereits Zweifel daran, dass eine Fachfirma beteiligt gewesen wäre.

Eine erhebliche schuldhafte Vertragsverletzung ergäbe sich auch daraus, dass sich der Beklagte durch ein vorprozessuales Aufforderungsschreiben zum Rückbau in keiner Weise verpflichtet gesehen habe, diesen Zustand zu beenden.

Der fortgesetzte vertragswidrige Gebrauch habe die Rechte des Klägers in erheblichem Maße verletzt. Die Gefährdung, die von Einbauten, insbesondere von unfachmännischen Einbauten von Badewannen und den dazu notwendigen Wasserleitungen ausgehen würde, müsse der Kläger nicht hinnehmen. Es sei nicht ersichtlich, weshalb es dem Kläger nicht vorab möglich gewesen sein sollte, den Vermieter um Zustimmung zu ersuchen, weshalb er nicht darauf habe vertrauen dürfen, dass eine Zustimmung erteilt würde. Er habe damit rechnen müssen, vom Kläger auf Wiederherstellung des ursprünglichen Zustandes in Anspruch genommen zu werden; das Unterlassen des geforderten Rückbaus verletzte die Rechte des Klägers an seinem Eigentum erheblich. Es handele sich um die Verletzung einer Hauptpflicht aus dem Mietverhältnis, wobei schützenswerte Interessen des Beklagten nicht ersichtlich seien.

Auch die nach erklärter Kündigung erfolgte Mitteilung des Klägers, den Rückbau vornehmen zu wollen, sei nicht ausreichend, um die Vertragsverstöße abzumildern. Ihm sei offensichtlich nicht klar, dass er lediglich eine Wohnung engmietet habe, in der er nicht eigenmächtig erhebliche Umbauten vornehmen dürfe.

AG Kreuzberg, Urteil vom 15.03.2022  - 13 C 285/18 -

Freitag, 27. Oktober 2023

Videoverhandlung und rechtliches Gehör für präsente Partei

Die Prozessordnungen sehen (teils seit vielen Jahren) die Möglichkeit vor, dass eine Teilnahme an mündlichen Verhandlungen vor Gerichten in Form der Videozuschaltung erfolgt. Seit Corona nimmt diese Art der Verfahrensteilnahme zu. Aber auch hier sind rechtstaatliche Grundsätze zu achten, sowohl im Hinblick auf den per Video zugeschalteten Teilnehmer der Verhandlung, wie auch (wie der der hiesigen Besprechung zugrunde liegende Fall zeigt) der im Gericht anwesenden Teilnehmer.

 Die Klägerin, die Akteneinsicht begehrte und diesbezüglich vor dem Finanzgericht (FG) Klage erhob, nahm an dem vom FG anberaumten Verhandlungstermin vor Ort (in der Person ihres Geschäftsführers) im Gerichtssaal teil. Dem Vertreter des Finanzamtes (FA) war auf Antrag gestattet worden, aus dem Dienstgebäude des FA heraus mittels Videokonferenz an der Verhandlung teilzunehmen, § 91a Abs. 1 S. 1 FGO. Die Klage wurde abgewiesen. Mit der dagegen eingelegten Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision machte die Klägerin u.a. als Verfahrensfehler geltend, dass während der Videoverhandlung das Bild des FA nicht vor ihr auf einem Bildschirm erschien, sondern nur hinter ihr an die Wand projiziert worden sei. Daher habe sich der Geschäftsführer umsehen müssen und so abwechselnd zwischen Richterbank und dem FA wechseln müssen. Das sei unzulässig, da so nicht die Möglichkeit bestanden habe, die Mimik und Gestik aller Teilnehmer der mündlichen Verhandlung zu erfassen. Auch habe der Geschäftsführer einem Redebeitrag des FA erst nach Körperdrehung folgen können, wenn dieser bereits begonnen habe. Das FA wandte u.a. ein, der Geschäftsführer habe die benannten Umstände während der Verhandlung nicht gerügt.

Der BFH gab der Beschwerde statt. Er sah hier eine Verletzung rechtlichen Gehörs (Art. 103 GG), weshalb er das Urteil des FG aufhob und den Rechtsstreit dorthin zurückverwies.

Rechtliches Gehör werde u.a. durch die Teilnahme an der mündlichen Verhandlung gewährt; Art. 103 Abs. 1 GG setze voraus, dass sich die Verfahrensbeteiligten bei Anwendung der gebotenen Sorgfalt über den gesamten Verfahrensstoff informieren können (BVerfG, Beschluss vom 08.06.1993 – 1 BvR 878/90 -).  Das Gericht könne den Beteiligten auf Antrag die Teilnahme in Form der „Videoübertragungstechnik“ erlauben, die „ohne Verlust an rechtsstaatlicher Qualität“ genutzt werden dürfe (BT-Drucks. 17/112, S. 10). Das Geschehen müsse vollständig übermittelt werden (dürfe sich also nicht auf einzelne Beteiligte beschränken) und jeder Beteiligte müsse zeitgleich die anderen Beteiligten visuell und akustisch wahrnehmen können.

Zur Verletzung des rechtlichen Gehörs bei Videoübertragungen stellte der BFH fest: Jeder Beteiligte müsse zeitgleich die Richterbank du die anderen Beteiligten visuell und akustisch wahrnehmen können. Daran ermangele es, wenn ein anwesender Beteiligter einen zugeschalteten Beteiligten nur sehen könne, wenn er sich selbst um 180° wenden würde. Dem Geschäftsführer sei es ohne sich entsprechend zu wenden nicht möglich gewesen, den Vertreter des FA bzw. die Richterbank zu sehen; ein zeitgleiches Sehen sei ausgeschlossen gewesen. Damit könnten ihm Einzelheiten, wie Mimik und Gestik, entgehen und - anders als im Rahmen einer Verhandlung in Anwesenheit aller Beteiligter – mögliche nonverbale Kommunikationen zwischen einem Beteiligten und der Richterbank entgehen. Selbst wenn im Regelfall die Beteiligten (Kläger / Beklagte) bei Präsenzverhandlungen nebeneinander sitzen würden, würden sie doch aus den Augenwinkeln eine entsprechende nonverbale Kommunikation mitbekommen können. Auch bestünde durch das widerholte Hin- und herschauen die Gefahr, dass der Geschäftsführer abgelenkt würde und deshalb seine Konzentration auf den Prozessstoff beeinträchtigt würde.

Auch wenn das Finanzgericht in Abwesenheit eines Beteiligten verhandeln und entscheiden könne (§ 91 Abs. 2 FGO), würde der per Videoverhandlung Beteiligte nicht abwesend sein und müsse daher der andere Beteiligte in der Lage sein, dessen verbalen und nonverbalen Äußerungen umfassend wahrzunehmen.

Die Klägerin sei mit ihrer Rüge auch nicht ausgeschlossen. Zwar würde grundsätzlich das Rügerecht gem. § 295 Abs. 1 ZPO iVm. § 155 S. 1 FGO verlorengehen, wenn ein verzichtbares Verfahrensrecht betroffen sei, wobei für den Verlust ausreichend sei, wenn eine rechtzeitige Rüge unterlassen würde. Allerdings würde dies nur in den Fällen angenommen, in denen der Kläger rechtskundig vertreten würde (BFH, Beschluss vom 29.10.2004 – XI B 213/02 -). Im finanzgerichtlichen Verfahren sei die Klägerin nicht rechtskundig vertreten gewesen. Zudem sei bei einer Parallelwertung in der Laiensphäre ein Verfahrensmangel im Hinblick auf den Rahmen der Videoverhandlung nicht ohne weiteres erkennbar.

BFH, Beschluss vom 18.08.2023 - IX B 104/22 -

Dienstag, 24. Oktober 2023

Videoaufzeichnung in WEG-Anlage und individueller Abwehranspruch

Die Klägerin als Wohnungseigentümerin begehrte den beklagten Wohnungseigentümern die Unterlassung der Aufstellung von Kameras, mit denen der Hausflur vor ihrer Wohnung aufgenommen werde. Die Parteien verglichen sich und erklärten den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt. Das Amtsgericht erlegte der Klägerin die Kosten auf. Die dagegen von der Klägerin eingelegte sofortige Beschwerde hatte teilweise Erfolg und führte zur Kostenaufhebung der gegenseitigen Kosten.

Das Landgericht stellte unter Verweis auf den Beschluss vom 28.10.2008 - VIII ZB 28/08 - darauf ab, dass im Rahmen der hier nach § 91a ZPO zu treffenden Kostenentscheidung nicht in einer rechtlich schwierigen Sache nur wegen dieser Kostenfolge keine bedeutsamen Rechtsfragen entschieden werden müssten. Vorliegend sei die Sach- und Rechtlage keinesfalls als geklärt anzusehen, weshalb eine Kostenaufhebung sachgerecht sei.

Das Amtsgericht hatte die Klage als unzulässig angesehen. Dem wollte das Landgericht nicht ohne weiteres folgen und verwies darauf, dass zwar nach dem reformierten Wohnungseigentumsgesetz (zum 01.12.2020) Wohnungseigentümer Abwehransprüche nach § 1004 BGB bezüglich des gemeinschaftlichen Eigentums nicht mehr selbst geltend machen könnten und der Abwehranspruch aus § 14 Abs. 1 Nr. 1 WEG bei der Gemeinschaft liege (BGH, Urteil vom 28.01.2022 - V ZR 106/21 -).

Nach Auffassung des Landgerichts sei es der Klägerin hier aber nicht um derartige Ansprüche gegangen. Sie wolle vielmehr die Unterlassung von Videoaufzeichnungen vom Eingangsbereich ihrer Wohnung bzw. Beseitigung eines entsprechenden Überwachungsdrucks. Im Kern verlange sie das Unterlassen von Aufnahmen von ihr beim Betreten/Verlassen der Wohnung. Solche Ansprüche würden sich aus § 823 BGB iVm. dem Allgemeinen Persönlichkeitsrecht oder aus der DSGV ergeben und es würde sich nicht um Ansprüche handeln, die nach § 9a Abs. 2 WEG der Wohnungseigentümergemeinschaft zur Ausübung übertragen worden seien. Die Ansprüche würden sich nicht aus dem gemeinschaftlichen Eigentum ergeben und hätten ihre Rechtsgrundlage auch nicht in dem Verhältnis der Wohnungseigentümergemeinschaft. Es handele sich um Individualansprüche der jeweils Beeinträchtigten (hier der Klägerin); deren Eigenschaft (auch) als Wohnungseigentümer führe nicht dazu, dass die GdWE an deren Stelle den Anspruch geltend machen müsse. Es handele sich auch nicht um eine mittelbare Folge einer primären Störung des Gemeinschaftseigentums (BGH, Urteil vom 28.01.2022 - V ZR 106/21 -). Der auf Abwehr einer Verletzung des Persönlichkeitsrechts gerichtete Anspruch sie ein individueller Anspruch. Betroffen sei nicht die WE-Anlage insgesamt oder das Sonder- oder Gemeinschaftseigentum.

Offen sei u.a., ob der Unterlassungsanspruch im geltend gemachten Umfang der Klägerin zugestanden habe, zudem hätten die Beklagten die Aufstellung funktionierender Kameras bestritten. Der Rechtsstreit sei daher offen gewesen. 

LG Frankfurt am Main, Beschluss vom 10.05.2023 - 2-13 T 33/23 -

Samstag, 21. Oktober 2023

Zur Frage des zulässigen Beweismittels: Kamera filmt Beschädigung am abgestellten Kfz

Mit seinem Urteil vom 15.08.2018 - VI ZR 233/17 - hatte der BGH entschieden, dass die permanente und anlasslose Aufzeichnung des Verkehrsgeschehens mit datenschutzrechtlichen Regelungen nicht vereinbar sei. Die Nutzung von Dashcam-Aufzeichnungen, die ein Unfallbeteiligter vom Unfallgesehen gefertigt habe, sei in einem Unfallhaftpflichtprozess gleichwohl verwertbar. Daran anknüpfend entschied das AG Lörrach einen Fall, bei dem mittels einer aufgestellten Wildkamera festgestellt werden sollte, wer ein Fahrzeug durch Beibringung von Kratzern schädigt.

Der Beklagte ist Eigentümer, der Kläger und der Drittwiderbeklagte sind Mieter einer Immobilie, in der neben den benannten auch die Eltern des Klägers und des Beklagten wohnen. Am Fahrzeug des auf dem Grundstück abgestellten Fahrzeugs des Klägers (dessen Eigentum vom Beklagten bestritten wurde) kam es im Zeitraum Oktober und November 2020 zu immer neuen Kratzern an dem Fahrzeug, weshalb der Drittwiderbeklagte am 26.11.2020 (im Einvernehmen mit dem Kläger), nachdem zuletzt neue Kratzer am 20.11.2020 festgestellt wurden, eine Wildkamera aufstellte, die das Fahrzeug und den Hauseingang filmte. Diese nahm nur auf, wenn der Bewegungssensor derselben Bewegungen feststellte. Am 30.11.2020 ist der Beklagte sichtbar, wie er sich - mit einem Schlüssel – am Heck des Fahrzeugs befindet. Den Schaden durch Kratzer verlangte der Kläger vom Beklagten; die Kratzer habe der Beklagte mit einem spitzen Gegenstand, wie einem Schlüssel, hineingeritzt.  Der Beklagte bestritt dies; er habe sich das Fahrzeug nur auf Wunsch seiner Mutter angesehen; zudem sei das Video der Wildkamera unverwertbar. Drittwiderklagend beantragte er festzustellen, dass der Drittwiderbeklagte keine Schadensersatzansprüche gegen ihn im Zusammenhang mit der Schädigung habe. Im Rahmen der mündlichen Verhandlung vor dem Amtsgericht (AG) wurde das sich in der beigezogenen staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsakte befindliche Video angesehen.

Das AG stellte zunächst fest, dass der Kläger Eigentümer des Fahrzeugs sei (was bestritten war). Mangels Eigentums hätte ansonsten seine Klage abgewiesen werden müssen. Das AG kam aufgrund der Videoaufzeichnung zu dem Ergebnis, dass der Schaden vom Beklagten verursacht wurde. Damit stellte sich die Frage der Verwertbarkeit der Aufzeichnung.

Dahingestellt ließ das AG, ob die Aufnahmen rechtmäßig waren. Es spräche allerdings vieles dafür, dass sie nach Art. 6 Datenschutzverordnung (DSGVO) unrechtmäßig erfolgten, wobei insbesondere zu berücksichtigen sei, dass die Aufnahmen auf dem Grundstück des Beklagten erfolgten und dieser mithin ohne Kenntnis in seinem privaten Bereich gefilmt wurde. Allerdings würden auch rechtswidrig erlangte Aufnahme nicht zwingend zu einem Beweisverwertungsverbot führen. Das Interesse des Klägers an der Durchsetzung seiner zivilrechtlichen Ansprüche, verankert im Grundgesetz mit dem Anspruch auf rechtliches Gehör gem. Art. 103 GG iVm. dem Interesse an einer funktionierenden Zivilrechtspflege und einer materiell richtigen Entscheidung auf der einen Seite, sei mit dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht des Beklagten aus Art. 2 Abs. 1 GG iVm. Art, 1 Abs. 1 GG in seiner Ausprägung als Recht auf informelle Selbstbestimmung und ggf. als Recht am eigenen Bild, soweit er auf einer Aufnahme erkennbar sei, abzuwägen (BGH, Urteil vom 15.05.2018 – VI ZR 233/17 -). Nach Maßgabe einer abgestuften Schutzwürdigkeit, in denen sich die Persönlichkeit verwirkliche, würden die sogen. sensitiven Daten (zugeordnet der Intim- und Geheimsphäre) besonderen Schutz genießen. Geschützt sei aber auch das Recht auf Selbstbestimmung bei der Offenbarung persönlicher Lebenssachverhalte, die lediglich zur Sozial- und Privatsphäre gehören würden.

Da die Kamera auf dem eigenen Grundstück des Beklagten aufgestellt gewesen sei und auch der Eingangsbereich des Hauses (und damit das Rein- und Rausgehen des Beklagten) zu sehen sei, sei ein sensibler Bereich betroffen. Man könne davon ausgehen, dass das eigene Grundstück ein geschützter Bereich sei, auf dem auch keine ungenehmigten Videoaufzeichnungen gefertigt werden dürfen. Zu berücksichtigen sei aber dass nur ein kleiner Bereich gefilmt worden sei und im Vordergrund das Fahrzeug zu sehen sei. Auch würde nur ein Teil gefilmt, bei dem man idR. nur kurz durchlaufen würde und keine besondere die Persönlichkeit entfaltende Tätigkeit vornehme. Damit sei die Privatsphäre des Beklagten hier nur in einem untergeordneten Maße betroffen gewesen.

Auf der anderen Seite sei der Kläger in schwerer Beweisnot gewesen. Er hatte in einem kurzen Zeitraum mehrere Beschädigungen an seinem Fahrzeug entdeckt und habe mit weiteren zu rechnen gehabt. Für ihn sei auch nicht auszuschließen gewesen, dass der Beklagte der Täter war (was hier vom AG nicht weiter ausgeführt wurde). Es sei bei dem Kläger das Rechtsgut Eigentum durch Sachbeschädigung betroffen, was als gewichtig anzusehen sei. Er und der Drittwiderbeklagte seien eingriffsschonend vorgegangen; so sei nur eine Wildkamera mit Bewegungssensor aufgestellt worden. Diese sie am 26.11. aufgestellt worden und am 30.11.2022 hätten sich der Kläger und der Drittwiderbeklagte mit dieser Aufnahme begnügt. Es sei ihnen also nur um die Beweissicherung der erfolgten Beschädigung gegangen.

Einer Verwertung der Aufzeichnung stünde nicht das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Beklagten entgegen. Die Privatsphäre des Beklagten sei nicht stark betroffen. Demgegenüber sei die Beweisnot des Klägers als hoch anzusehen. Der Umstand, dass auch Dritte von den Aufnahmen betroffen sein könnten, ändere an der Abwägung nichts. Ihrem Schutz sei durch die Regelungen des Datenschutzes selbst auch Rechnung getragen (BGH aaO.). Für den Kläger spreche dessen Interesse an der materiellen Wahrheit im Zivilprozess. Das Recht am eigenen Bild des Beklagten ändere auch nichts an der Abwägung, da ein Verbreiten nach § 22 KunstUrhG nicht beabsichtigt gewesen sei und auch nicht stattgefunden habe.

Der Beklagte könne sich auch nicht auf das einen ähnlichen Sachverhalt betreffende Urteil des OLG Karlsruhe vom 08.11.2001 – 12 U 180/21 – berufen, da diese vor dem Urteil des BGH zur Dashcam (aaO.). berufen- Das OLG habe auf das Interesse unbeteiligter Dritter abgestellt, was aber nach der BGH-Entscheidung nicht mehr stark zu gewichten sei. Bei dem beklagtenseits benannten Urteil des OLG Köln vom 05.07.2005 – 24 U 12/05 – sei es um Aufzeichnungen in einer Waschküche, und damit einem sensiblen Bereich gegangen, wie er hier nicht vorgelegen habe. Ebenso wenig greife das Urteil des LG Mühlhausen vom 12.05.2020 – 6 O 486/18 – zugunsten des Beklagten, da es sich dort um anlasslose Aufnahmen gehandelt habe, demgegenüber hier die kurzzeitigen Aufnahmen unter schwerer Beweisnot des Klägers bei zu befürchtenden weiteren Schädigungen erfolgt seien.

Der Klage wurde stattgegeben, der Drittwiderklage wurde stattgegeben (darauf wurde oben nicht näher eingegangen).

AG Lörrach, Urteil vom 27.02.2023 - 3 C 111/22 -

Montag, 16. Oktober 2023

Wohnraummodernisierung und Anforderung an Mieterhöhungserklärung

Der Mieter (Kläger) mietete von der Beklagten eine preisfreie Wohnung, Die Beklagte kündigte eine Modernisierung von Wohnung und Gebäude an. U.a. wurde ausgeführt, dass Mittel der KfW zur Durchführung der Maßnahmen beantragt seien. Nach Abschluss der Arbeiten erklärte die Beklagte dem Kläger die Erhöhung der Grundmiete aufgrund der Modernisierungsmaßnahmen von € 291,59 um € 83,79 auf € 375,38. Dem Schreiben war eine Anlage als Kostenzusammenstellung beigefügt. Der Kläger hielt die Mieterhöhung aus formellen Gründen für unwirksam, zahlte unter Vorbehalt und forderte dann (gerichtlich) die Zahlungen zurück. Das Amtsgericht gab der Klage statt. Die Berufung der Beklagten wurde zurückgewiesen, ebenso die vom Berufungsgericht zugelassene und eingelegte Revision.

Möglich sei es zwar, für die verschiedenen Modernisierungsmaßnahmen die jeweils entstandenen Gesamtkosten im Rahmen der Kostenzusammenstellung und Berechnung der Mieterhöhung nicht nach den einzelnen Gewerken aufgeschlüsselt oder anderweitig zu untergliedern. Das gelte für reine Modernisierungen als auch modernisierenden Instandsetzungen bei Anrechnung des Instandsetzungsanteils des Vermieters, § 559 Abs. 2 BGB. In diesem Fall der modernisierenden Instandsetzung reiche die Angabe der Gesamtkosten, ergänzt um die Angabe der Quote oder des bezifferten Betrages für den darin enthaltenen Instandsetzungsanteil.

Allerdings ermangele es dem Erhöhungsverlangen an einer ausreichenden Erläuterung der Mieterhöhung im Hinblick auf die in § 559b Abs. 1 S. 2 BGB genannte Vorschrift des § 559a BGB zur Anrechnung von Drittmitteln, weshalb die Mieterhöhungserklärung der Beklagten formell unwirksam sei. Nach § 559a BGB habe der Gesetzgeber für auf Modernisierungsmaßnahmen beruhende Mieterhöhungen eine Anrechnung bestimmter Mittel (Zuschüsse sowie zinsverbilligte oder zinslose Darlehen aus öffentlichen Haushalten, Aufwendungsbeihilfen, sonstige Drittmittel; dazu auch § 558 Abs. 5 BGB)  vorgesehen, die die Maßnahmekosten ganz oder teilweise decken würden. Vom oder für den Mieter von einem Dritten übernommene oder mit Zuschüssen aus öffentlichen Haushalten gedeckte Kosten würden nach § 559a Abs. 1 BGB nicht zu den aufgewendeten Kosten des Vermieters iSv. § 559 BGB gehören und deshalb nicht bei der Erhöhung der Miete nach § 559 Abs. 1 BGB angesetzt und auf den Mieter umgelegt werden. Im Falle zinsverbilligter oder zinsloser Darlehen oder Mietvorauszahlungen des Mieters oder Leistungen Dritter für den Mieter sowie aus Mitteln der Finanzierungsinstitute von Bund und Ländern verringere sich der Erhöhungsbetrag gem. § 559a Abs. 2 und 33 BGB um den Jahresbetrag der Zinsermäßigung des Zuschusses oder Darlehens. Dies erfolge, damit dies auch dem Mieter zugute komme (BGH, Urteil vom 01.04.2009 – VIII ZR 179/08 -).

Da damit die Pflicht zur Anrechnung dieser Drittmittel Bedeutung für den Umfang der geforderten Mieterhöhung habe, erstrecke sich im Hinblick auf die dem Mieter zu verschaffende Möglichkeit zur angemessenen Information und Nachprüfung die Pflicht des Vermieters zur Begründung auch auf die Voraussetzungen zur Anrechnung von Drittmitteln nach § 559a BGB.

Dem entspreche die Mieterhöhungserklärung nicht. Im Text und den beigefügten Unterlagen finde sich unmittelbar keine Angabe zu anzurechnenden Drittmitteln iSv. § 559a BGB. Möglich wäre zwar aus Sicht des objektiven Erklärungsempfängers dies als stillschweigende Erklärung der Beklagten zu verstehen, dass solche Mittel nicht in Anspruch genommen wurden. Dem würde entgegenstehen, dass in der Erhöhungserklärung „vollumfänglich“ auf die Ausführungen im Ankündigungsschreiben Bezug genommen wurde und dort auf die beabsichtigte Beantragung von Mitteln der KfW für die Durchführung verwiesen worden sei. Dieser Hinweis sei infolge der Bezugnahme bei der Auslegung zu berücksichtigen. Damit sei für den Empfänger unklar, welche Erklärung die Beklagte zur Inanspruchnahme von Drittmitteln letztlich habe abgeben wollen: Es erfolgte tatsächlich keine Inanspruchnahme, oder Drittmittel seien beantragt worden aber nicht bewilligt worden, oder gewähret Drittmittel seien nicht auf die Modernisierungsmaßnahmen anzurechnen oder bereits vorweg abgezogen und nicht gesondert ausgewiesen worden. Denkbar sei auch, dass die Beklagte eine Erklärung zu den Drittmitteln schlichtweg vergessen habe.

Damit sei die Mieterhöhungserklärung für die Beklagte nicht geeignet, dem Kläger diejenigen Informationen zu geben, die dieser benötige, um den Grund und den Umfang der Mieterhöhung auf Plausibilität überprüfen zu können und zu entscheiden, ob Bedarf für eine eingehende Kontrolle (z.B. Belegprüfung durch Einsichtnahme in Rechnungen / sonstige Belege, Zuziehung juristisch oder bautechnisch sachkundiger Personen) besteht (BGH, Urteil vom 20.07.2022 – VIII ZR 361/21 -).

BGH, Urteil vom 19.07.2023 - VIII ZR 416/21 -