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Samstag, 21. Oktober 2023

Zur Frage des zulässigen Beweismittels: Kamera filmt Beschädigung am abgestellten Kfz

Mit seinem Urteil vom 15.08.2018 - VI ZR 233/17 - hatte der BGH entschieden, dass die permanente und anlasslose Aufzeichnung des Verkehrsgeschehens mit datenschutzrechtlichen Regelungen nicht vereinbar sei. Die Nutzung von Dashcam-Aufzeichnungen, die ein Unfallbeteiligter vom Unfallgesehen gefertigt habe, sei in einem Unfallhaftpflichtprozess gleichwohl verwertbar. Daran anknüpfend entschied das AG Lörrach einen Fall, bei dem mittels einer aufgestellten Wildkamera festgestellt werden sollte, wer ein Fahrzeug durch Beibringung von Kratzern schädigt.

Der Beklagte ist Eigentümer, der Kläger und der Drittwiderbeklagte sind Mieter einer Immobilie, in der neben den benannten auch die Eltern des Klägers und des Beklagten wohnen. Am Fahrzeug des auf dem Grundstück abgestellten Fahrzeugs des Klägers (dessen Eigentum vom Beklagten bestritten wurde) kam es im Zeitraum Oktober und November 2020 zu immer neuen Kratzern an dem Fahrzeug, weshalb der Drittwiderbeklagte am 26.11.2020 (im Einvernehmen mit dem Kläger), nachdem zuletzt neue Kratzer am 20.11.2020 festgestellt wurden, eine Wildkamera aufstellte, die das Fahrzeug und den Hauseingang filmte. Diese nahm nur auf, wenn der Bewegungssensor derselben Bewegungen feststellte. Am 30.11.2020 ist der Beklagte sichtbar, wie er sich - mit einem Schlüssel – am Heck des Fahrzeugs befindet. Den Schaden durch Kratzer verlangte der Kläger vom Beklagten; die Kratzer habe der Beklagte mit einem spitzen Gegenstand, wie einem Schlüssel, hineingeritzt.  Der Beklagte bestritt dies; er habe sich das Fahrzeug nur auf Wunsch seiner Mutter angesehen; zudem sei das Video der Wildkamera unverwertbar. Drittwiderklagend beantragte er festzustellen, dass der Drittwiderbeklagte keine Schadensersatzansprüche gegen ihn im Zusammenhang mit der Schädigung habe. Im Rahmen der mündlichen Verhandlung vor dem Amtsgericht (AG) wurde das sich in der beigezogenen staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsakte befindliche Video angesehen.

Das AG stellte zunächst fest, dass der Kläger Eigentümer des Fahrzeugs sei (was bestritten war). Mangels Eigentums hätte ansonsten seine Klage abgewiesen werden müssen. Das AG kam aufgrund der Videoaufzeichnung zu dem Ergebnis, dass der Schaden vom Beklagten verursacht wurde. Damit stellte sich die Frage der Verwertbarkeit der Aufzeichnung.

Dahingestellt ließ das AG, ob die Aufnahmen rechtmäßig waren. Es spräche allerdings vieles dafür, dass sie nach Art. 6 Datenschutzverordnung (DSGVO) unrechtmäßig erfolgten, wobei insbesondere zu berücksichtigen sei, dass die Aufnahmen auf dem Grundstück des Beklagten erfolgten und dieser mithin ohne Kenntnis in seinem privaten Bereich gefilmt wurde. Allerdings würden auch rechtswidrig erlangte Aufnahme nicht zwingend zu einem Beweisverwertungsverbot führen. Das Interesse des Klägers an der Durchsetzung seiner zivilrechtlichen Ansprüche, verankert im Grundgesetz mit dem Anspruch auf rechtliches Gehör gem. Art. 103 GG iVm. dem Interesse an einer funktionierenden Zivilrechtspflege und einer materiell richtigen Entscheidung auf der einen Seite, sei mit dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht des Beklagten aus Art. 2 Abs. 1 GG iVm. Art, 1 Abs. 1 GG in seiner Ausprägung als Recht auf informelle Selbstbestimmung und ggf. als Recht am eigenen Bild, soweit er auf einer Aufnahme erkennbar sei, abzuwägen (BGH, Urteil vom 15.05.2018 – VI ZR 233/17 -). Nach Maßgabe einer abgestuften Schutzwürdigkeit, in denen sich die Persönlichkeit verwirkliche, würden die sogen. sensitiven Daten (zugeordnet der Intim- und Geheimsphäre) besonderen Schutz genießen. Geschützt sei aber auch das Recht auf Selbstbestimmung bei der Offenbarung persönlicher Lebenssachverhalte, die lediglich zur Sozial- und Privatsphäre gehören würden.

Da die Kamera auf dem eigenen Grundstück des Beklagten aufgestellt gewesen sei und auch der Eingangsbereich des Hauses (und damit das Rein- und Rausgehen des Beklagten) zu sehen sei, sei ein sensibler Bereich betroffen. Man könne davon ausgehen, dass das eigene Grundstück ein geschützter Bereich sei, auf dem auch keine ungenehmigten Videoaufzeichnungen gefertigt werden dürfen. Zu berücksichtigen sei aber dass nur ein kleiner Bereich gefilmt worden sei und im Vordergrund das Fahrzeug zu sehen sei. Auch würde nur ein Teil gefilmt, bei dem man idR. nur kurz durchlaufen würde und keine besondere die Persönlichkeit entfaltende Tätigkeit vornehme. Damit sei die Privatsphäre des Beklagten hier nur in einem untergeordneten Maße betroffen gewesen.

Auf der anderen Seite sei der Kläger in schwerer Beweisnot gewesen. Er hatte in einem kurzen Zeitraum mehrere Beschädigungen an seinem Fahrzeug entdeckt und habe mit weiteren zu rechnen gehabt. Für ihn sei auch nicht auszuschließen gewesen, dass der Beklagte der Täter war (was hier vom AG nicht weiter ausgeführt wurde). Es sei bei dem Kläger das Rechtsgut Eigentum durch Sachbeschädigung betroffen, was als gewichtig anzusehen sei. Er und der Drittwiderbeklagte seien eingriffsschonend vorgegangen; so sei nur eine Wildkamera mit Bewegungssensor aufgestellt worden. Diese sie am 26.11. aufgestellt worden und am 30.11.2022 hätten sich der Kläger und der Drittwiderbeklagte mit dieser Aufnahme begnügt. Es sei ihnen also nur um die Beweissicherung der erfolgten Beschädigung gegangen.

Einer Verwertung der Aufzeichnung stünde nicht das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Beklagten entgegen. Die Privatsphäre des Beklagten sei nicht stark betroffen. Demgegenüber sei die Beweisnot des Klägers als hoch anzusehen. Der Umstand, dass auch Dritte von den Aufnahmen betroffen sein könnten, ändere an der Abwägung nichts. Ihrem Schutz sei durch die Regelungen des Datenschutzes selbst auch Rechnung getragen (BGH aaO.). Für den Kläger spreche dessen Interesse an der materiellen Wahrheit im Zivilprozess. Das Recht am eigenen Bild des Beklagten ändere auch nichts an der Abwägung, da ein Verbreiten nach § 22 KunstUrhG nicht beabsichtigt gewesen sei und auch nicht stattgefunden habe.

Der Beklagte könne sich auch nicht auf das einen ähnlichen Sachverhalt betreffende Urteil des OLG Karlsruhe vom 08.11.2001 – 12 U 180/21 – berufen, da diese vor dem Urteil des BGH zur Dashcam (aaO.). berufen- Das OLG habe auf das Interesse unbeteiligter Dritter abgestellt, was aber nach der BGH-Entscheidung nicht mehr stark zu gewichten sei. Bei dem beklagtenseits benannten Urteil des OLG Köln vom 05.07.2005 – 24 U 12/05 – sei es um Aufzeichnungen in einer Waschküche, und damit einem sensiblen Bereich gegangen, wie er hier nicht vorgelegen habe. Ebenso wenig greife das Urteil des LG Mühlhausen vom 12.05.2020 – 6 O 486/18 – zugunsten des Beklagten, da es sich dort um anlasslose Aufnahmen gehandelt habe, demgegenüber hier die kurzzeitigen Aufnahmen unter schwerer Beweisnot des Klägers bei zu befürchtenden weiteren Schädigungen erfolgt seien.

Der Klage wurde stattgegeben, der Drittwiderklage wurde stattgegeben (darauf wurde oben nicht näher eingegangen).

AG Lörrach, Urteil vom 27.02.2023 - 3 C 111/22 -

Samstag, 12. März 2022

Persönlichkeitsrechtsverletzung bei öffentlichen Bericht über Sexualleben des Partners

Der Kläger war der Lebensgefährte der Moderatorin S.K. Die Beklagte betrieb das Internetportal www.bild.de.  Am 28.11.2017 veröffentlichte die Beklagte auf ihrer Internetseite unter voller Nennung von Vor- und Zunamen der Beteiligten „Promi-Ladys“  einen mit „Bei den Promi-Ladys herrscht Sex-Flaute !“  einen Artikel. In dem u.a. ausgeführt wurde, dass S.K. in einem Interview mit „Bunte“ über ihr „Sex-Leben mit ihrem Partner S…S…“ (dem Kläger) geklagt habe, dass sie meist zu müde seien, um zwischenmenschliche Zärtlichkeiten auszutauschen und  zwei Jungs im Alter von zwei und vier Jahren hätten, ferner, dass sie nicht nur Jungs wolle sowie „Mein Mann kann nur Jungs !“. Der Kläger begehrte von der Beklagten die Unterlassung der Nennung seines Namens im Zusammenhang mit der streitgegenständlichen Berichterstattung als Partner von S.K. . Das Landgericht gab der Klage statt, das Oberlandesgericht wies sie ab. Auf die Revision stellet der BGH das landgerichtliche Urteil wieder her.

Anspruchsgrundlage auf Unterlassung sei § 823 Abs. 1, § 1004 (analog) BGB iVm. Art. 1 Abs. 1, Art 2 Abs. 1 GG. Ausgangspunkt sei die überprüfbare Sinndeutung der angegriffenen Äußerung. Durch die Angabe einer „Sex-Flaute“, wonach es allenfalls noch selten zu sexuellen Kontakten käme, da bei „meistens viel zu müde“ seien, ergäbe sich der Sinngehalt. Der Kläger wolle im Zusammenhang mit dieser Aussage nicht als Partner von S.K, genannt werden und wende sich dagegen, mit den in den Aussagen enthaltenen Informationen auch zu seinem Sexualleben namentlich und damit für den Leser ohne weiteres identifizierbar in Verbindung gebracht zu werden.

Die namentliche Erwähnung greife in das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Klägers ein. Dies nicht nur in seiner Ausprägung als Recht auf informationelle Selbstbestimmung. Dieses soll neben der ungewollten Preisgabe von Daten im Rahmen privater Rechtsbeziehungen vor deren intransparenter Verarbeitung und Nutzung durch Private schützen. Davon zu unterschieden sei der Schutz vor der Verarbeitung personenbezogener Berichte und Informationen als Ergebnis eines Kommunikationsprozesses. Dieser Schutzbedarf gründe in der sichtbaren Verbreitung bestimmter Informationen im öffentlichen Raum und die Gefährdung für die Persönlichkeitsentfaltung ergebe sich hier aus Form und Inhalt der Veröffentlichung selbst. Da sich der Kläger vorliegend nicht gegen eine Pflicht zur Preisgabe von Daten  wende, sondern gegen die Verbreitung von Informationen über sein Sexualleben im öffentlichen Raum, seien die äußerungsrechtlichen Ausprägungen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts maßgebend.

Dahinstehen könne, ob die absolut geschützte Intimsphäre betroffen sei, da jedenfalls wegen der bestehenden Nähe zu dieser der innere Bereich seiner Privatsphäre betroffen sei. Das durch Art. 2 Abs. 1, 1 Abs. 1 GG, Art. 8 Abs. 1 EMRK gewährleistete Recht auf Achtung der Privatsphäre gestehe jedermann einen autonomen Bereich der eigenen Lebensgestaltung zu, in dem er seine Individualität unter Ausschluss anderer entwickeln und wahrnehmen könne. Der Schutz sei thematisch als auch räumlich bestimmt. Er umfasse typischerweise als „privat“ eingestufte Informationen, etwa da die öffentliche Zurschaustellung als ungeschicklich geltem das Bekanntwerden als peinlich empfunden würde oder nachteilige Reaktionen der Umwelt auslösen würden. Entsprechendes würde bei Informationen zur Häufigkeit sexueller Kontakte in einer Paarbeziehung ohne weiteres der Fall sein, weshalb hier in die Privatsphäre des Klägers eingegriffen worden sei.

Der Umstand, dass S.K. als Lebenspartnerin des Klägers diese wiedergegebenen Informationen im angegriffenen Artikel von S.K. selbst preisgegeben worden seien, ändere daran nichts. Zwar sei der Schutz nicht gegeben bei einem Einverständnis des Betroffenen. Auch wäre zu erwägen, ob sich der Betroffene die Selbstbegebung durch einen anderen (Partner, minderjährige Kinder, Bevollmächtigte oder im Falle der freiwilligen Mitveranlassung) zurechnen lassen müsse. Vorliegend habe aber der Kläger selbst nicht eine „Sex-Flaute“ öffentlich gemacht und auch S.K. ihn nicht namentlich benannt. Dass der Kläger, wovon das Berufungsgericht ausgegangen sei, auch ohne Namensnennung als Partner von S.K. erkennbar sei, ändere hier aber daran nichts, dass er selbst nicht tätig wurde und nicht in die Nennung seines Namens eingewilligt habe. Die Selbstöffnung von S.K. gegenüber der Öffentlichkeit hinsichtlich ihres von der „Sex-Flaute“ mitbetroffenen Partners ergäbe sich aus den Äußerungen nicht, auch nicht daraus, dass er (z.B. über Wikipedia) als Partner von S.K. recherchierbar war.

 

Der Eingriff in das Persönlichkeitsrecht sei auch rechtswidrig gewesen. Das Schutzinteresse des Klägers überwiege das durch Art. 5 Abs. 1 GG, Art 10 Abs. 1 EMRK geschützte Recht zur Meinungsfreiheit der Beklagten. Als Rahmen recht liege die Reichweite des Persönlichkeitsrechts nicht absolut fest; es müsse durch Abwägung der widerstreitenden Interessen grundrechtlich geschützter Belange bestimmt werden. Eine Rechtswidrigkeit läge dann vor, wenn das Schutzinteresse des Betroffenen die schutzwürdigen Belange der anderen Seite überwiege (BGH, Urteil vom 29.06.2021 - VI ZR 52/18 -).

Bei der Abwägung sei von entscheidender Bedeutung, ob die die Berichterstattung durch ein berechtigtes Informationsinteresse der Öffentlichkeit rechtfertigen ließe. Maßgeblich sei dabei, ob im konkreten Fall eine Angelegenheit von öffentlichen Interesse ernsthaft und sachbezogen erörtert würde oder ob lediglich die Neugier der Leser nach privaten Angelegenheiten prominenter Personen befriedigt würde (BGH, Urteil vom 10.11.2020 - VI ZR 62/17 -). Je größer der Informationswert sei, desto mehr müsse das Schutzinteresse des Betroffenen zurücktreten (und umgekehrt). Von erheblicher Bedeutung sei dabei auch, welche Rolle dem Betroffenen in der Öffentlichkeit zukäme. Eine in der Öffentlichkeit unbekannte Person könne daher einen besonderen Schutz ihrer Privatsphäre beanspruchen, nicht aber eine Person des öffentlichen Lebens. Auch sei zwischen einer Berichterstattung über Tatsachen als Beitrag zur Diskussion in einer demokratischen Gesellschaft (z.B. Wahrnehmung von Amtsgeschäften durch Politiker) und einer Berichterstattung über Einzelheiten des Privatlebens einer Person, die keine solche Ausgaben habe, zu unterscheiden.

Damit überwiege hier das Interesse des Klägers. Zwar könne es sein, dass die Abhandlung zu den Auswirkungen familiärer und beruflicher Belastungen auf das Beziehungsleben der Eltern von öffentlichen Interesse sei und von daher die Publikation der öffentliche Äußerung von S.K. bezogen auf ihre Person durch die Beklagte zulässig war. Alleine dies bedeute aber nicht, dass dies auch in Bezug auf den Kläger unter Benennung seines Namens zulässig sein müsste. Bei ihm handele es sich nicht um eine Person des öffentlichen Lebens; wie das Berufungsgericht  festgestellt habe, sei er in der breiten Öffentlichkeit weitgehend unbekannt. Ein öffentliches Interesse, ihn seiner Anonymität zu entziehen und so die breite Öffentlichkeit auch über sein Sexualleben zu informieren, sei nicht zu erkennen.

BGH, Urteil vom 14.12.2021 - VI ZR 403/19 -