Montag, 2. Oktober 2023

WEG: Pflicht des ausgeschiedenen Verwalters zur Erstellung der Jahresabrechnung für Vorjahr

Die klagende Gemeinschaft der Wohnungseigentümer (GdWE) begehrte mit ihrer Klage die Verurteilung der von ihr mit Beschluss vom 05.11.2021 mit sofortiger Wirkung abberufenen Verwalterin (Beklagte) die Erstellung der Jahresabrechnung 2020.  Auf Vorschlag des Gerichts einigten sich die Parteien, dass die Klägerin der Beklagten die Verwaltungsunterlagen zur Verfügung stellt und diese binnen 14 Tagen die Jahresabrechnung erstellt. Die zu beantwortenden Rechtsfragen waren die Grundlage für die vom Gericht sodann zu treffende Kostenentscheidung.

Nach einem Urteil des AG Kassel vom 11.11.2021 - 800 C 850//21 -, auf welches die Beklagte abstellte, soll der abberufene Verwalter für die Erstellung der Jahresabrechnung nicht zuständig sein. Es begründete dies mit der Änderung des WEG zum 01.12.2020durch das WEMoG, wonach die Erstellung der Jahresabrechnung Aufgabe der GdWE selbst sei und der Verwalter infolge der gesetzlichen Neufassung nur noch Organ der GdWE zur Umsetzung sei. Damit sei der jeweilige aktuelle Verwalter handlungsverpflichtet (§ 28 Abs. 2 WEG) und die frühere Rechtsprechung des BGH nicht mehr anwendbar.

Dem folgte das AG Wiesbaden nicht. Nach seiner Auffassung bliebe der der abgewählte Verwalter weiterhin verpflichtet und könne von daher auch verklagt werden. Es kondiziert, dass nach der Gesetzesänderung die GdWE für die Erstellung der Jahresabrechnung zuständig sei und der Verwalter nur ihr Organ. Allerdings würde die Beendigung der Organstellung nicht die Pflicht zur Erstellung der Jahresabrechnung tangieren. Zu berücksichtigen sei hier der Verwaltervertrag zwischen der GdWE und dem Verwalter als deren Organ. Mit seinem Urteil vom 16.02.2018 - V ZR 89/17 - habe der BGH in der Erstellung der Jahresabrechnung eine fortwirkende nachvertragliche Verpflichtung des ausgeschiedenen Verwalters gesehen, wenn der Anspruch zur Erstellung in der Amtszeit des Verwalters entstanden sei. Der Leitsatz der Entscheidung des BGH lautet:

Die Pflicht zur Erstellung der Jahresabrechnung gemäß § 28 Abs. 3 WEG trifft den Verwalter, der im Zeitpunkt der Entstehung der Abrechnungspflicht Amtsinhaber ist. Scheidet der Verwalter im Laufe des Wirtschaftsjahres aus seinem Amt aus, schuldet er - vorbehaltlich einer abweichenden Vereinbarung - die Jahresabrechnung für das abgelaufene Wirtschaftsjahr unabhängig davon, ob im Zeitpunkt seines Ausscheidens die Abrechnung bereits fällig war.“ 

Die Fälligkeit, so der BGH, würde nichts darüber aussagen, wer die Leistung schulde, weshalb für die Frage, welcher Verwalter verpflichtet sei, auf deren Zeitpunkt der Entstehung abzustellen sei. Dies wäre, auf den vorliegenden Streitfall bezogen, die abberufene Beklagte, da die Entstehung der Jahresabrechnung 2020 mit Ablauf des Jahres 2020 eintrat und sie zu diesem Zeitpunkt Verwalterin und nach § 28 Abs. 2 WEG zum Handeln verpflichtet war.

Der Entscheidung des AG Wiesbaden ist zuzustimmen. Das AG Kassel und die dies stützende Literatur (so Hügel/Elzer, WEG, 3. Aufl. § 28 Rn. 106) stellen fehlerhaft nur auf die Organstellung des Verwalters ab mit Hinweis darauf, dass diese Organpflicht keine nachwirkende Verpflichtungen begründe. Zwar ist dem zuzustimmen, doch ergibt sich hier eine naschwirkende Verpflichtung aus dem Verwaltervertrag, nach dem der Verwalter die Jahresabrechnung zu erstellen gehabt hätte, worauf zutreffend das AG Wiesbaden abstellte. Auf eine nachwirkende Vertragsverpflichtung hatte auch der BGH abgestellt, die durch des Gesetzesänderung zum 01.12.2020 nicht tangiert wurde.

Ob daneben auch der neue Verwalter (hier infolge seiner Organstellung) verpflichtet sein könnte die Jahresabrechnung (gar ohne gesonderte Vergütung) zu erstellen, war nicht entscheidungsrelevant (wie auch im Fall des BGH aaO.).

Dass die Kosten vom AG Wiesbaden gleichwohl der Klägerin auferlegt wurden erfolgte vor dem Hintergrund, dass die GdWE der ausgeschiedenen Verwalterin die Unterlagen zur Erstellung der Jahresabrechnung nicht zur Verfügung stellen wollte, sondern ihr nur eine Einsichtnahme in diese ermöglichen wollte.

AG Wiesbaden, Beschluss vom 26.05.2023 - 92 C 2882/22 -

Donnerstag, 28. September 2023

Verwerfung einer Berufung wegen unzureichender Berufungsbegründung

Der Kläger verklagte zunächst eine Autohaus P.A. GmbH & Co. KG auf Räumung und Zahlung rückständiger Pacht, nahm dann aber eine Berichtigung des Rubrums vor, demzufolge Herr P.A., der Geschäftsführer der Komplementärin der zunächst verklagten Gesellschaft als Beklagter bezeichnet wurde. Mit Teilurteil (Räumungsanspruch) gab das Landgericht der Klage statt. Der Beklagte legte Berufung ein. Nach deren Begründung erließ das Oberlandesgericht (OLG) einen Hinweisbeschluss und verwarf danach die Berufung als unzulässig. Dagegen wandte sich der Beklagte mit seiner Rechtsbeschwerde zum BGH, die allerdings vom BGH als zwar statthaft und Frist- und Formgerecht angesehen wurde, aber als unzulässig.

Die Unzulässigkeit ergebe sich daraus, dass die Voraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO  nicht erfüllt seien, insbes. eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts nicht zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich sei. Eine beklagtenseits angenommene Verletzung des Anspruchs auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG iVm. dem Rechtsstaatsprinzip) als auch eine Verletzung rechtlichen Gehörs negierte der BGH.

Das Landgericht hatte zur Begründung seiner Entscheidung u.a. darauf abgestellt, 

- dass der erstinstanzliche Prozessbevollmächtigte des Beklagten bestätigte, dass der Beklagte ein Pachtverhältnis mit dem Kläger habe, im Berufungsverfahren vom jetzigen Prozessbevollmächtigten lediglich ausführte, dass sich daraus nicht entnehmen lasse, der Beklagte würde sich immer noch darauf berufe, nicht Vertragspartner der Gesellschaft zu sein

- einen Verfahrensfehler des Landgerichts darin sah, dass dieses nur das Passivrubrum geändert habe, statt von einer Klagerücknahme gegen die Gesellschaft und neuen Klage gegen den Beklagten auszugehen, ohne allerdings die darin liegende Entscheidungserheblichkeit aufzuzeigen

- auf den entsprechenden Hinweisbeschluss lediglich die Mitteilung erfolgt sei, die Berufung würde nicht zurückgenommen und sich auch nicht dazu geäußert habe, ob in der Formulierung in der Berufungsbegründung, der Beklagte sei „zu Recht“ zur Räumung verurteilt worden, ein Schreibfehler zu sehen sei (Anm.: Dies wurde doch an sich gerade vom Beklagten angegriffen).

Verwundert schon die Berufung in Ansehung einer ersichtlich völlig unzureichenden Begründung, so auch die Rechtsbeschwerde gegen ihre Verwerfung, unabhängig von der vom BGH dargelegten Unzulässigkeit.

Der BGH wies darauf hin, dass die Berufungsbegründung nach § 520 Abs.3 S. 2 Nr. 2 ZPO die Umstände benennen müsse, die nach Ansicht des Rechtsmittelführers fehlerhaft seien, und er habe dazu darzulegen, weshalb sie fehlerhaft sein sollen und woraus sich die erforderliche Entscheidungserheblichkeit ergebe. Aus sich heraus verständlichen Angaben seien diejenigen Punkte rechtlicher Art darzulegen, die als unzutreffend beurteilt angesehen würden, und dazu die Gründe anzugeben,  aus denen heraus die Fehlerhaftigkeit und deren Erheblichkeit für die angefochtene Entscheidung folgen soll, wobei es nicht einmal darauf ankäme, ob die Ausführungen in sich schlüssig oder rechtlich haltbar seien (BGH, Beschluss vom 12.02.2020 - XII ZB 445/19 -). Die Berufungsbegründung müsse auf den konkreten Streitfall zugeschnitten sein; eine Rüge mit formularmäßigen Sätzen oder allgemeinen Redewendungen genüge dem nicht. Es müsse auf die Erwägungen des Erstgerichts eingegangen werden und dargelegt werden, weshalb diese unzutreffend seien und die Begründung müsse - ihre Richtigkeit unterstellt, dass ganze Urteil (Anm.: soweit angefochten) in Frage zu stellen. Dem entspräche, wie vom Oberlandesgericht zutreffend festgestellt, die Berufungsbegründung nicht.

So lasse die Berufungsbegründung schon nicht erkennen, ob und welche Angriffe materiell-rechtlicher Art gegen den Räumungsanspruch erhoben würden. So lasse sich nicht erkennen, ob nun nach Auffassung des Beklagten er (wie im Pachtvertrag benannt) nicht oder nicht mehr Vertragspartner des Klägers sei; seine Verweise beziehen sich auf erstinstanzliche Ausführungen zur Frage der „Rubrumsberichtigung“ ohne erkenne zu lassen, dass der Beklagte weiterhin seine Parteistellung als Mieter bestreiten wolle, ohne dass es darauf ankäme, dass der Beklagte trotz Hinweises seine Formulierung, das Räumungsurteil sei „zu Recht“ gegen ihn ergangen, klarstellte.  

Zur beanstandeten „Rubrumsberichtigung“ machte der BGH Ausführungen zur Rechtsgrundlage einer solchen und verwies darauf, dass ein hier evtl. auftretender Fehler nicht gem. § 319 ZPO berichtigt werden könne.  Erfolge durch das Gericht eine fehlerhafte Auslegung zur Person der verklagten Partei und würde damit eine tatsächlich nicht betroffene Partei verurteilt („Scheinbeklagter“), so könne diese den Rechtsbehelf ergreifen, der zur Beseitigung des gegen sie ergangenen Titels vorgesehen sei. Ein solches Urteil müsse durch das Berufungsgericht aus prozessrechtlichen Gründen in entsprechender Anwendung von § 538 Abs. 2 S. 1 Nr. 7 ZPO aufgehoben und der Rechtsstreit zurückverwiesen werden, damit eine Sachentscheidung gegenüber dem in Wahrheit gemeinten Beklagten ergehen könne. Auf die Frage, ob der Kläger möglicherweise doch materiell-rechtliche Ansprüche gegen den Scheinbeklagten habe, käme es nicht an.

Hier sei das Landgericht nach dem „Berichtigungsbeschluss“ der Ansicht gewesen, es habe sich um eine unschädliche Falschbezeichnung gehandelt, was es auch (was im Einzelnen vom BGH dargelegt wurde) begründet habe. Eine Auseinandersetzung damit sei durch den Beklagten im Rahmen der Berufung nicht erfolgt, der lediglich auf „rechtlich völlig nicht nachvollziehbaren Gründe“ anmerkte und (im Hinblick auf die seinerzeit umstrittene Tatsachenbehauptung zur Person des richtigen Räumungsschuldners) davon sprach, dass dies „der Rechtslage nicht gerecht“ werde, ohne auf die Auslegung des Landgerichts einzugehen.

Zudem fehle auch eine ausreichende Darlegung des Beklagten, weshalb die „Rubrumsberichtigung“ den Bestand des Urteils in Frage stellen könne. Wenn man nicht von einer „Falschbezeichnung“ im Klagerubrum ausgehen wolle, sondern davon, dass die Klage gegen eine fehlerhafte Person erhoben wurde, hätte dieser Fehler (Anm.: durch den Kläger) durch einen  gewillkürten Parteiwechsel behoben werden können und müssen.  Wäre dies - ggf. konkludent - erfolgt, wäre auch ein Prozessrechtsverhältnis zum Beklagten entstanden, welches Grundlage für das vorliegende Teilurteil sein könnte. Hier sei zudem der Beklagte vor Antragstellung darauf hingewiesen worden, welche Folgen eine rügelose Antragstellung (auf Klageabweisung) hätten, da dies dahingehend gewertet werden könne,   dass von ihm eine Sachentscheidung ihm gegenüber gewollt wäre, ohne dass zuvor die Zustellung einer Parteiänderungsschrift anhängig gemacht würde und ein Mangel nach § 295 Abs. 1 S. 1 ZPO geheilt würde. 

BGH, Beschluss vom 05.07.2023 - XII ZB 539/22 -

Dienstag, 26. September 2023

Unebenheiten auf Außenterrasse einer Gaststätte (Verkehrssicherungspflicht)

Streitgegenständlich war ein Sturz des Klägers auf einer in Art eines Biergartens angelegten Außenterrasse eines Gasthauses, bei der der Terrassenbelag aus verschiedenen Natursteinarten gestaltet war, die - ersichtlich - Niveauunterschiede und sonstige Unebenheiten und Vertiefungen hatten. Mit seiner Berufung wandte sich der Kläger erfolglos gegen das klageabweisende Urteil. Das OLG wies den Kläger in dem nachfolgend dargelegten Hinweisbeschluss nach § 522 ZPO auf die mangelnde Erfolgsaussicht seiner Berufung hin und wies diese sodann mit Beschluss vom 18.07.2023 zurück.

Der Kläger habe bereits die konkrete Ursache des Sturzes nicht vorgetragen, weshalb ein pflichtwidriges verhalten des beklagten zum Belag der Außentertrasse nicht festgestellt werden könne. Bei seiner Angabe, er sei über eine nicht eben verlegte Platte des Natursteinbodens gestolpert, ohne eine örtliche Eingrenzung der Unfallstelle vorzunehmen. Auch die vorgelegten Fotos würden dies nicht ersetzen, da eine Zuordnung nicht vorgenommen worden sei. Auch der Vortrag im Rahmen der Berufung, der Boden weise mindestens 1,6 cm Höhendifferenz in der Stufe auf, würde keinen konkreten Bezug zur Unfallstelle haben. 

Der Kläger habe auch nicht nachweisen können, infolge einer Unebenheit gestürzt zu sein. Im Rahmen einer informatorischen Anhörung  habe der Kläger angegeben, er habe  auf dem Weg zurück von der Toilette seine Freundin angeschaut und sei dann unvermittelt hingefallen. Die Freundin hatte Bilder von dem Weg gemacht aus erklärt, „Da mag er hängengeblieben sein“, um auf Nachfrage zu ergänzen, sie habe nicht sehen können, weshalb der Kläger stürzte. Das genüge nicht um auf einen durch Unebenheit verursachten Sturz zu schließen. 

Aber auch aus allgemeinen Erwägungen sah das OLG hier eine Haftung im Hinblick auf den Gesamtzustand  nicht als gegeben an. 

Auch käme dem Kläger hier kein Beweis des ersten Anscheins zugute. Soweit der Kläger meinen würde, der Anscheinsbeweis sei anzunehmen, wenn sich ein Sturz im Bereich einer gefährliche Stelle ereigne, könne darauf nicht abgestellt werden, da die konkrete Sturzstelle nicht bekannt sei und mithin nicht nachgewiesen sei, dass dort eine gefährliche Stelle gewesen sei. Die Ausführungen des Klägers würden sich lediglich allgemein zur Terrasse verhalten. Das sah das OLG nicht als ausreichend an. Es verwies darauf, dass die Gestaltung der Terrasse in ihrer Gesamtheit nicht als besonders gefahrenträchtig einzuordnen sei. 

Das OLG verwies auf die Rechtsprechung des BGH, derzufolge Vorkehrungen durch den Verkehrssicherungspflichtigen zu treffen seien, der eine Gefahrenlage für Dritte schaffe oder andauern lasse (BH, Urteil 31.10.2006 - VI ZR 223/05 -). Haftungsbegründend würde die Gefahrenquelle erst, sobald sich aus der zu verantwortenden Situation vorausschauend für einen sachkundigen  Urteilenden die naheliegende Gefahr ergäbe, , dass Rechtsgüter Dritter verletzt werden könnten (BGH, Urteil vom 03.02.2004 - VI ZR 95/03 -). Es seien die Vorkehrungen zu treffen, die nach den konkreten Umständen vorausschauend zur Beseitigung der Gefahr erforderlich und zumutbar seien. Der Dritte sei in der Regel nur vor gefahren zu schützen, die er selbst ausgehend von der sich ihm konkret bietenden Situation, bei der zu erwartenden Sorgfalt erfahrungsgemäß nicht oder nicht rechtzeitig erkennen und vermeiden könne (s. auch OLG Köln, Urteil vom 23.06.1993 - 2 U 198/92 -). Für die Terrasse bedeute dies, den Boden in einem zum Begehen geeigneten verkehrssicheren Zustand zu halten. 

Hier habe der Beklagte die mit vorhandenen Unebenheiten der Platten verbundene Gefahr weder ausräumen noch davor warnen müssen, da der Umstand bei Anwendung der erforderlichen Sorgfalt rechtzeitig erkennbar gewesen sei. Ein schlechthin gefahrenfreier Zustand habe nicht hergestellt werden müssen. Es sei auf dem ersten Blick sichtbar ein ungleichmäßiges Erscheinungsbild gegeben. Damit habe der Kläger seinen Gang an die Örtlichkeiten anzupassen gehabt. 

Richtig sei zwar, dass der Gastwirt auch damit rechnen müsse, dass seine Gäste sich wegen Genusses alkoholischer Getränke oder sonstiger Umstände unverständig verhalten und in ihrer Gehsicherheit beeinträchtigt sein könnten (vgl. OLG Naumburg, Urteil vom 10.05.2013 - 1 U 54/12 -). Auf einen solchen Zustand habe sich der Kläger aber nicht berufen, wobei ferner ein Vortrag des Klägers fehle, dass selbst bei verminderter Aufmerksamkeit ein gefahrloses betreten nicht möglich gewesen wäre. Nicht entgegen getreten sei der Kläger zudem den Angaben des Beklagten, dass es vor dem Sturz des Klägers weder für Gäste noch Personal Schwierigkeiten beim Begehen der Terrasse gegeben habe. Und der Kläger habe zudem angegeben, er habe auf seinem Weg seine Freundin angesehen, also den Blick des erkennbar nicht gleichmäßig ebenen Zustandes des Belages nicht auf diesen gerichtet. 

Bei Verletzung einer Schutznorm, die einen Schaden wie hier verhindern solle, würde zwar ein Anscheinsbeweis für Kausalität und Verschulden sprechen. Doch habe der Kläger keine Schutznorm benannt (er habe sich nur auf Normen für den Innenbereich berufen) und es sei eine solche auch nicht ersichtlich. 

OLG Frankfurt, Hinweisbeschluss vom 18.07.2023 - 17 U 33/23 -

Sonntag, 24. September 2023

Neu- oder Fortsetzungserkrankung - zur Darlegungslast des Arbeitnehmers

Die Parteien stritten um eine Entgeltfortzahlung durch den Arbeitgeber (Beklagte) im Krankheitsfall, § 3 Abs. 1 EFZG. Dabei machte der Kläger 10 Arbeitstage aus einem Zeitraum vom 18.08. bis 23.09.2020 geltend, für die er jeweils eine Erstbescheinigung vorgelegt hatte und vortrug, welche ICD-10-Codes mit welchen korrespondierenden Diagnosen oder Symptomen in den Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen (AU-Bescheinigungen) aufgeführt seien. Es lagen krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeiten in 2019 ab dem 24.08.2019 an 68 Arbeitstagen und in 2020 bis zum 18.08.2920 an 42 Arbeitstagen vor. Zu etwaigen Vorerkrankungen machte der Kläger Angaben zur Arbeitsunfähigkeitszeiten, die nach seiner Einschätzung auf denselben ICD-10-Code. Diagnosen und Symptomen beruhen würden und meinte, aus Datenschutzgründen sei er nicht verpflichtet, sämtliche Erkrankungen aus der vorhergehenden Zeit zu benennen, da nicht dieselbe Erkrankung iSv. § 3 Abs. 1 S. 2 EFZG vorliegen könne. Es sei für keine Erkrankung aus dem streitgegenständlichen Zeitraum der Sechs-Wochen-Zeitraum des § 3 Abs. 1 S. 1 EFZG ausgeschöpft. Die Beklagte, die bis zum 18.08.2020 Entgeltfortzahlung geleistet hatte, ging davon aus, dass es sich bei den Erkrankungen im streitbefangenen Zeitraum um nach § 3 Abs. 1 S. 1 EFZG berücksichtigungsfähige Vorerkrankungen handele, weshalb keine Verpflichtung zur weiteren Entgeltfortzahlung bestünde. Das Landgericht gab der Klage statt; das Landesarbeitsgericht änderte das Urteil ab und wies die Klage zurück. Die zugelassene Revision wurde vom BAG zurückgewiesen.

Bei schuldloser Erkrankung hat der Arbeitnehmer einen Anspruch auf Entgeltfortzahlung von sechs Wochen, § 3 Abs. 1 S. 1 EFZG. Wird der Arbeitnehmer danach neuerlich infolge derselben Krankheit arbeitsunfähig, verliert er gem. § 3 Abs. 1 S. 2 EFZG wegen der erneuten Arbeitsunfähigkeit seinen Entgeltfortzahlungsanspruch für einen weiteren Zeitraum von sechs Wochen dann nicht, wenn er vor der erneuten Arbeitsunfähigkeit mindestens sechs Monate nicht wegen derselben Krankheit arbeitsunfähig war oder bei Beginn der ersten Arbeitsunfähigkeit infolge derselben Krankheit eine Frist von zwölf Monaten abgelaufen ist. Dies darlegend führte das BAG aus, dass ein neuer Entgeltfortzahlungsanspruch von sechs Wochen vor Ablauf der benannten Fristen nur entstünde, wenn die Arbeitsunfähigkeit auf einer anderen Krankheit beruhen würde.

Da der Arbeitgeber zwar mittels der AU-Bescheinigungen über eine Erkrankung des Arbeitnehmers informiert ist, aber durch diese idR. die Art der Erkrankung nicht erfährt und daher nicht prüfen kann, ob innerhalb der maßgeblichen Fristen eine gleiche Krankheit vorliegt, musste sich das BAG mit der Darlegungslast der Parteien auseinandersetzen.  Es verwies darauf, dass bei einer die Arbeitsunfähigkeit bedingenden Erkrankung innerhalb der Zeiträume des § 3 Abs. 1 S.2 Nr. 1 und Nr. 2 EFZG eine abgestufte Darlegungslast gelten würde (BAG, Urteil vom 13.07.2005 - 5 AZR 389/04 -). Danach sei der Arbeitnehmer verpflichtet darzulegen, dass keine Fortsetzungserkrankung vorliegen würde, soweit sich dazu keine Angaben aus der AU-Bescheinigung entnehmen ließen. Hierzu könne er eine ärztliche Bescheinigung vorlegen. Bestreite der Arbeitgeber, dass eine neue Erkrankung vorliegt, habe der Arbeitnehmer Tatsachen vorzutragen, die den Schluss erlauben, es habe keine Fortsetzungserkrankung bestanden (BAG, Urteil vom 31.03.2021 - 5 AZR 197/20 -). Damit müsse er im Hinblick auf den maßgeblichen Zeitraum schildern, welche gesundheitlichen Beeinträchtigungen und Beschwerden mit welchen Auswirkungen auf seine Arbeitsfähigkeit bestanden und die behandelnden Ärzte von der Schweigepflicht entbinden; erst auf dieser Grundlage sei es dem 8beklagten) Arbeitgeber möglich, substantiiert vorzutragen. Auf ein Bestreiten durch den Arbeitgeber würde die Vorlage einer ärztlichen Bescheinigung nicht mehr ausreichend. Zudem könne sich eine AU-Bescheinigung, die von einem anderen Arzt als Erstbescheinigung ausgestellt würde, könne sich ohnehin nicht zum (Nicht-) Vorliegen einer Fortsetzungserkrankung verhalten. Die Folgen der Nichterweislichkeit einer Fortsetzungserkrankung habe allerdings der Arbeitgeber zu tragen (BAG, Urteil vom 21.03.2021 - 5 AZR 197/20 -).

Im Weiteren führte das BAG aus, dass die Zuweisung der abgestuften Darlegungslast keinen verfassungsrechtlichen Bedenken begegne und auch mit dem Unionsrecht im Einklang stehen würde. Dabei ging es auch auf den vom Kläger geltend gemachten Datenschutz ein, bei dem es sich um unionsrechtlich nicht vollständig determiniertes innerstaatliches Recht handeln würde. Die DS_GBO enthalte zahlreiche Öffnungsklauseln (z.B. Art. 88 DS-GVO), mit denen sie ausdrücklich die Normsetzungskompetenz auf die Mitgliedsstaaten übertrage, wodurch die sich von einer klassischen Verordnung unterscheide und in die Nähe einer Richtlinie rücken ließe. Für solche Regelungen verbliebe es bei der Kontrolle primär am Maßstab der Grundrechte des Grundgesetzes. Aus der Notwendigkeit einer verfassungskonformen Auslegung des Prozessrechts, insbesondere von § 138 Abs. 3 ZPO (nicht bestrittene Tatsachen gelten als zugestanden), könnten sich abweichende Anforderungen an die Darlegungslast wegen einer Verletzung des gem. Art. 2 Abs. 1 iVm. Art. 1 Abs. 1 GG geschützten allgemeinen Persönlichkeitsrechts einer Partei ergeben (BAG, Urteil vom 27.07.2017 - 2 AZR 681/16 -). Im Hinblick auf die Bindung an die insoweit maßgeblichen Grundrechte und der Verpflichtung zu einer rechtsstaatlichen Verfahrensgestaltung (BVerfG, Urteil vom 13.02.2007 - 1 BvR 421/05 -) müssten die Gerichte prüfen, ob einer Partei einer Partei eine Darlegung abverlangt werden könne, die in das allgemeine Persönlichkeitsrecht in Form der informellen Selbstbestimmung eingreift. Im Hinblick auf die abgestufte Darlegungs- und Beweislast (wobei den Arbeitnehmer die primäre Darlegungslast, den Arbeitgeber sodann die Beweislast trifft) sei, wie das BAG im Einzelnen begründet, die Offenlegung der Gesundheitsdaten und der damit verbundene Eingriff in sein Recht auf informelle Selbstbestimmung verhältnismäßig und gerechtfertigt. Er diene dem im Rechtsstaatsprinzip verankerten legitimen Zweck, eine materiell richtige Entscheidung anzustreben (BVerfG, Urteil vom 13.02.2007 - 1 BvR 421/05 -) und sei auch erforderlich. Die Erforderlichkeit ergebe sich daraus, dass Alternativen nicht gleich effektiv seien. So sei eine Auskunft der Krankenkassen über deren Einschätzung keine dem Justizgewährungsanspruch genügende Kontrolle. Zwar könne der Arbeitgeber eine Nachfrage halten, damit er ggf. schnell das Bestehen eines Anspruchs auf Entgeltfortzahlungsanspruch feststellen könne, doch anders als es § 7 Abs. 1 Nr. 1 EFZG für die AU-Bescheinigung vorsehen, entziehe das Gesetz dem Arbeitgeber auf eine Mitteilung nach § 69 Abs. 4 Halbs. 1 SGB X nicht ein Leistungsverweigerungsrecht, wobei die Krankenkassen wegen ihrer unmittelbar betroffenen finanziellen Interessen nicht als unparteiische Dritte angesehen werden könnten (die, entfalle der Entgeltfortzahlungsanspruch wegen einer Fortsetzungserkrankung, selbst zahlungspflichtig würden).

Auch eine eingeschränkte Offenlegung der Ursachen der krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeitszeiten zur Beurteilung einer Fortsetzungserkrankung stünde im Widerspruch mit rechtsstaatlichen Grundsätzen. Ebenso wenig käme in Betracht, nur dem Gericht gegenüber Vortrag zu halten bzw.  die Krankheiten nur einem Sachverständigen darzulegen scheide als ein dem Rechtsstaatsprinzip widerlaufendes „geheimes Verfahren“ aus, Art. 20 Abs. 3 GG; es verstoße zudem gegen das Verfahrensgrundrecht der Gewährung rechtlichen Gehörs nach Art. 103 GG. Der Arbeitgeber müsse zudem Kenntnis von behaupteten Krankheitsursachen haben, um dazu Stellung nehmen zu können.

Vorliegend sei mit dem Landesarbeitsgericht davon auszugehen, dass in Ermangelung eines substantiierten Sachvortrags des Klägers im streitgegenständlichen Zeitraum von einer Fortsetzungserkrankung auszugehen sei keine weiteren Entgeltfortzahlungsansprüche begründet seien.

Es genüge, unabhängig von der vom Kläger getroffenen zeitlichen und inhaltlichen Vorauswahl, kein bloßer Verweis auf Diagnoseschlüssel nach der IC-10 Klassifikation. Eine Fortsetzungserkrankung lasse sich nicht nur bei einem identischen Krankheitsbild feststellen, sondern auch dann, wenn die Krankheitssymptome auf demselben Grundleiden beruhen würden (BAG, Urteil vom 26.10.2016 - 5 AZR 167/16 -). Auf „derselben Krankheit“ iSv. § 3 Abs. 1 S. 2 EFZG könne die Arbeitsunfähigkeit auch bei ggf. immer wiederkehrenden (chronischen) Atemwegserkrankungen beruhen. Ohne einen konkreten Vortrag des Arbeitnehmers, welche gesundheitlichen Einschränkungen und Beschwerden bestanden, ließe sich nicht beurteilen, ob eine Fortsetzungserkrankung in Betracht käme. Die Angabe der Diagnoseschlüssel nach der IC-10 Klassifikation bzw. deren „Übersetzung“ in Krankheiten und Symptome genüge diesen Anforderungen nicht.

Auch müssten sich die Darlegungen des Arbeitnehmers zum Nichtvorliegen einer Fortsetzungserkrankung umfassend auf die Arbeitsunfähigkeitszeiten im maßgeblichen Zeitraum beziehen. Daran würde es hier aufgrund der Vorauswahl des Klägers ermangeln.

BAG, Urteil vom 18.01.2023 - 5 AZR 93/22 -

Freitag, 22. September 2023

Haftung bei Brand des abgestellten Fahrzeugs aus unbekannten Gründen

Der Motorroller des Beklagten zu 1., der in der Nähe einer Transformatorenstation der Klägerin vom Beklagten abgestellt worden war, brannte. Bei dem Brand wurde nicht nur der Motorroller zerstört, sondern die Transformatorenstation auch erheblich beschädigt. Die Klägerin begehrte vom Beklagten zu 1. und der mitverklagten Haftpflichtversicherung Schadensersatz mit der Begründung, dass - auch wenn kein technischer Defekt an Motorroller nachgewiesen werden könne, von dem sie ausginge - der Schaden bei dem Betrieb des Motorrollers entstanden sei, §§ 7 Abs. 1 StVG, 115 Abs. 1 VVG. Das Landgericht wies die Klage ab. Das OLG wies die Klägerin einem Beschluss gem. § 522 ZPO darauf hin, dass es beabsichtigte, deren Berufung gegen die landgerichtliche Entscheidung zurückzuweisen.

Das OLG verwies darauf, dass die Klägerin nicht zu beweisen vermocht habe, dass der Brand auf einer betriebsbedingten Gefahr aufgrund eines technischen Defekts des Motorrollers beruhe. Der vom Landgericht bestellte Sachverständige habe keine Anhaltspunkte für technische Ursachen (wie Reibung, Wärmequelle oder Kurzschluss) festgestellt. Nicht gehört werden könne die Klägerin damit, dass ihr das Risiko der Nichterweislichkeit der behaupteten Verursachung des Brandes durch einen technischen Defekt auferlegt würde.  

Es entspräche ständiger Rechtsprechung, dass der Geschädigte bei Geltendmachung eines Anspruchs aufgrund Gefährdungshaftung nach § 7 Abs. 1 StVG die anspruchsbegründende Tatsache, dass der Schaden bei dem Betriebs des Fahrzeugs entstanden sei, darzulegen und zu beweisen habe (bereits BGH, Urteil vom 21.11.1967 - VI ZR 108/66 -).

Weiterhin sei auch die Beklagtenseite nicht sekundär darlegungs- und beweisbelastet dafür, dass der Schaden nicht durch einen technischen Defekt entstand. Es sei nicht ersichtlich, dass die Beklagten, namentlich der Beklagte zu 1. (Halter) gegenüber der Klägerin über (dafür erforderliche) überlegene Erkenntnismöglichkeiten hinsichtlich der funktionswiese des Motorrollers verfügen würde. Auch läge (hier erörterte das OLG den prima-facie-Beweis) keine Typizität vor, aus der sich ergeben würde, dass es bei einem Abstellen eines Motorrollers im öffentlichen verkehrsraum in der Nähe zu einem Gebäude zur Verursachung eines Brandschadens aufgrund eines technischen Defekts am Motorroller kommen könne.

Auch würden hier die Grundsätze der Beweisvereitelung keine anderweitige Würdigung zulassen, da eine Beweisvereitelung nicht vorläge. Es müsste hier ein missbilligenswertes Verhalten auf Beklagten vorgelegen haben, welches darauf gerichtet gewesen sein müsste, die Beweislage des Gegners in einem laufenden oder künftigen Prozess nachteilig zu beeinflussen (BGH, Urteil vom 11.06.2015 . I ZR 226/13 -). Da hier die Kriminalpolizei vor der Entsorgung des Motorrollers unter Erstellung einer umfassenden Fotodokumentation eine Untersuchung auf mögliche Brandursachen vorgenommen habe, habe für den Beklagten zu 1. keine Veranlassung mehr bestanden, den Motorroller für weitere Untersuchungen vorzuhalten, zumal sich die Klägerin erst rund vier Jahre nach dem Vorfall darauf berufen habe, dass es auf ein weitere Untersuchung der Motorrollers ankäme.

Lasse sich nicht feststellen, dass der Brand des Motorrollers und in dessen Folge der Transformatorenstation auf einen technischen Defekt des Motorrollers oder auf andere Ursachen zurückzuführen ist, sei der Nachweis nicht geführt, dass sich der Schaden durch den Betrieb des Motorrollers des Beklagten zu 1. verwirklichte und sei eine Haftung der Beklagten nach § 7 Abs. 1 StVG zu verneinen. Ein Inbrandsetzen des Motorrollers durch eine Drittursache bzw. einen unbekannten Dritten würde die Haftung aus der Betriebsgefahr nach § 7 StVG nicht auslösen. Dies würde nämlich voraussetzen, dass es sich bei dem Schaden um eine Auswirkung derjenigen Gefahren handeln würde, hinsichtlich derer der Verkehr nach dem Sinn der Haftungsvorschrift  schadlos gehalten werden soll, d.h. dass die Schadensfolge in den Bereich der Gefahren fallen müsse, um derentwillen die Rechtsnorm erlassen worden sein (BGH, Urteil vom 24.01.2023 - VI ZR 1234/20 -).

Hanseatisches OLG Bremen, Hinweisbeschluss vom 05.07.2023 - 1 U 12/23 -

Sonntag, 17. September 2023

Rückschnitt vom Nachbargrundstück überhängender Äste

Immer wieder kommt es im Zusammenhang mit Anpflanzungen an einer Grundstücksgrenze zu einem Streit zwischen den Nachbarn, sei es, dass bei Anpflanzungen der in den Nachbarrechtsgesetzen der Länder vorgesehene Grenzabstand nicht eingehalten ist (vgl. z.B. §§ 38 ff NachbG HE), sei es, dass ein Überhang auf das benachbarte Grundstück vorliegt. Den Überhang kann der davon betroffene Nachbar gem. § 1004 BGB entgegentreten - wenn dessen Voraussetzungen vorliegen. § 1004 BGB lautet:

 (1) Wird das Eigentum in anderer Weise als durch Entziehung oder Vorenthaltung des Besitzes beeinträchtigt, so kann der Eigentümer von dem Störer die Beseitigung der Beeinträchtigung verlangen. Sind weitere Beeinträchtigungen zu besorgen, so kann der Eigentümer auf Unterlassung klagen.

(2) Der Anspruch ist ausgeschlossen, wenn der Eigentümer zur Duldung verpflichtet ist.

Ferner gibt § 910 BGB dem durch den Überhang beeinträchtigten Nachbarn auch ein Selbsthilferecht an die Hand:

(1) Der Eigentümer eines Grundstücks kann Wurzeln eines Baumes oder eines Strauches, die von einem Nachbargrundstück eingedrungen sind, abschneiden und behalten. Das Gleiche gilt von herüberragenden Zweigen, wenn der Eigentümer dem Besitzer des Nachbargrundstücks eine angemessene Frist zur Beseitigung bestimmt hat und die Beseitigung nicht innerhalb der Frist erfolgt.

(2) Dem Eigentümer steht dieses Recht nicht zu, wenn die Wurzeln oder die Zweige die Benutzung des Grundstücks nicht beeinträchtigen.

Vorliegend verlangte der Kläger vom Beklagten den Rückschnitt von Ästen und Zweigen diverser Bäume, da diese auf sein Grundstück ragten. Das Amtsgericht gab der Klage statt. Unter Abänderung dieses Urteils gab das Landgericht der Berufung allerdings statt und wies die Klage ab. Kernpunkt war, ob hier durch den Überhang das Eigentum des Klägers in anderer Weise als durch Entziehung oder Vorenthaltung des Besitzes beeinträchtigt wurde, § 1004 Abs. 1 S.1 BGB (das Selbsthilferecht des § 910 Abs. 1 BGB verlangt gem. Abs. 2, dass durch die Zweige die Benutzung des Grundstücks beeinträchtigt wird). In beiden Fällen ist mithin die Beeinträchtigung des Grundstücks durch die überragenden Äste/Zweige erforderlich.

Das Landgericht ging auf der Grundlage eines eingeholten Sachverständigengutachtens davon aus, dass ein Überhang bestand. Allerdings negierte es einen Anspruch des Klägers nach § 1004 Abs. 1 S. 1 BGB iVm. § 910 Abs. 1 S. 2 BGB im Hinblick auf § 910 Abs. 2 BGB, da die Benutzung des klägerischen Grundstücks durch den Überhang nicht als beeinträchtigt anzusehen sei.  

Nicht das subjektive Empfinden des Grundstückseigentümers sei für die Beurteilung, ob eine Beeinträchtigung vorliegt, entscheidend, vielmehr müsse der Überhang objektiv beeinträchtigend sein. Für das Nichtvorliegen der Beeinträchtigung sei allerdings der Nachbar darlegungs- und beweisbelastet, auf dessen Grundstück der Baum stehen würde, hier mithin der Beklagte (BGH, Urteil vom 11.06.2021 - V ZR 234/19 -). Dieser habe den von ihm zu erbringenden Nachweis erbracht.

Nach Auffassung der Berufungskammer des Landgerichts fehle es an einer relevanten Beeinträchtigung, wenn die Störung im Vergleich zu den Wirkungen des Rückschnitts außer Verhältnis stehen und deshalb unzumutbar sei. Dies sei z.B. dann der Fall, wenn die verlangte Maßnahme die Gefahr des Absterbens des Baues oder zu einer erhöhten Risikolage führe. Das Verlangen würde dann auf eine verbotene Beseitigung des Baumes hinauslaufen (im Anschluss an OLG Köln, Urteil vom 12.07.2011 - 4 U 18/10 -).  Da die Bäume (unstreitig) mindestens acht Jahre alt seien und der Kläger die Beseitigung nach § 47 Abs. 1 NachbG NRW daher nicht mehr verlangen könne, sei hier der in Rede stehende Anspruch des Klägers ausgeschlossen, da er auf die Beseitigung der Bäume hinauslaufe. Der Sachverständige sei in seinem Gutachten zu dem Schluss gelangt, dass bei dem klägerseits begehrten Rückschnitt kaum ein Baum überleben würde.

Das Landgericht bezog sich zur Stützung seiner Argumentation lediglich auf ein Urteil des OLG Köln vom 12.07.2011 - 4 U 18/10 -. Dort wurde ebenfalls festgehalten, dass eine Unzumutbarkeit bestünde, wenn in Folge des Rückschnitts es zu einem Absterben des Baumes oder einer erhöhten Risikolage käme.

Allerdings geht das Landgericht nicht auf das Urteil des BGH vom 11.06.2021 - V ZR 234/19 - ein, demzufolge das Selbsthilferecht nach § 910 Abs. 1 BGB nicht deshalb ausgeschlossen sei,  da durch die Beseitigung des Überhangs das Absterben des Baumes oder der Verlust seiner Standfestigkeit drohe, es sei denn, naturschutzrechtliche Beschränkungen stünden dem entgegen (was im vorliegenden Fall nicht benannt wurde). Das Selbsthilferecht würde uneingeschränkt bei Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen vorliegen, also wenn die Wurzeln oder Zweige die Benutzung des Grundstücks beeinträchtigen. Wörtlich führte der BGH aus: „Eine Verhältnismäßigkeits- oder Zumutbarkeitsprüfung, mit der der Ausschluss des Selbsthilferechts teilweise begründet wird (…), ist gesetzlich nicht vorgesehen und widerspräche den Vorstellungen des Gesetzgebers.“ Weiter verwies der BGH darauf, dass eine Einschränkung des Selbsthilferechts nach § 910 BGB auch nicht deshalb in Betracht käme, da eine landesrechtliche Ausschlussfrist zur Beseitigung des Baumes abgelaufen und mit dem Selbsthilferecht umgangen werden könne. Die nachbarrechtlichen Vorschriften der Länder würden kein Selbsthilferecht des beeinträchtigten Nachbarn in Bezug auf überhängende Äste/Zweige oder eingedrungene Wurzeln regeln und könnten dies mangels Gesetzgebungskompetenz die Regelung des § 910 BGB daher auch nicht einschränken.

Während der Anspruch des beeinträchtigten Eigentümers nach § 1004 BGB jedenfalls der Regelverjährung des § 195 BGB unterfällt (wobei es bei einem Überhang darauf ankommt, wann welcher Teil des überhängenden Astes gewachsen ist), unterliegt das Selbsthilferecht nach § 910 BGB keiner Verjährung (BGH, Urteil vom 22.02.2019 - V ZR 136/18 -).

Allerdings betrifft das Urteil des BGH vom 11.06.2021 - V ZR 234/19 - lediglich das Selbsthilferecht nach § 910 BGB. Der Ansatz des Landgerichts in der hier besprochenen Entscheidung ist auch unter Beachtung des Urteils des BGH zutreffend, da sich der BGH zur Begründung der fehlenden Verhältnismäßigkeits- und Zumutbarkeitsprüfung lediglich auf das unabhängig von den Nachbarrechten der Länder geltende Selbsthilferecht des § 910 BGB bezog, bei dem er keine Verjährungsproblematik sah. Dies lässt sich auch aus den Gründen des Urteils des BGH nicht auf den Anspruch aus § 1004 BGB übertragen. Für den Kläger in dem hier besprochenen Verfahren vor dem Landgericht bedeutet dies, dass er zwar von seinem Nachbarn keinen Rückschnitt beanspruchen kann, aber sehr wohl diesen nach § 910 BGB trotz der Gefährdung der Bäume selbst durchführen könnte.

LG Köln, Urteil vom 02.03.2023 - 6 S 27/20 -

Samstag, 16. September 2023

Geschäftswert im Erbscheinerteilungsverfahren bei Rückübertragungsrecht an Grundstück

Der Mutter des Erblassers (die Beteiligte) wurde auf deren Antrag am 20.09.2021 ein Erbschein als Alleinerbin erteilt; der Erblasser war kinderlos. Zum Nachlass gehörte ein Grundstück, welches die Beteiligte mit notariellen Vertrag auf ihren Sohn übertrug und an dem sie sich einem lebenslänglichen unentgeltlichen Nießbrauch vorbehielt; ferner war in dem notariellen Vertrag geregelt, dass sich die Beteiligte für den Fall, dass ihr Sohn ohne Hinterlassung von Abkömmlingen versterben würde. Am 25.10.2021 schloss die Beteiligte einen notariellen Vertrag, bei dem sie als Rückforderungsberechtigte (genannt Erwerberin) als auch als Alleinerbin (genannt Veräußerer) auftrat und erklärte die Einigung, dass das Grundstück auf die Erwerberin übergeht und bewilligte die dann auch im Grundbuch vollzogene Einigung.

Das Nachlassgericht schätzte den Wert des Grundstücks mit € 350.000,00, den Wert des Gesamtnachlasses mit € 375.000,00. Die Beteiligte legte insoweit Beschwerde ein, als der Wert mit mehr als € 25.000,00 festgesetzt wurde. Das Nachlassgericht half der Beschwerde nicht ab. Das zur Entscheidung über die Beschwerde berufene OLG gab der Beschwerde statt.

Bei dem von der beteiligten durch Abschluss des notariellen Vertrages vom 25.10.2021 handele es sich um die Erfüllung des Rückübertragungsanspruchs und mit diesem um die Erfüllung einer vom Erblasser herrührenden Verbindlichkeit iSv. § 40 Abs. 1 S. 2 GNotKG. Erblasserschulden seien Verbindlichkeiten, die vom Erblasser herrühren und ihm gegenüber bereits bestünden. Abzugrenzen seien sie von Erbfallschulden, bei denen es sich um Verbindlichkeiten handeln würde, die den Erben als solche treffen (§ 1967 Abs. 2 BGB), insbesondere Pflichtteilsansprüche, Vermächtnisse und Auflagen.

Der Rückübertragungsanspruch habe der Beteiligten nicht aus Anlass des Erbfalls zugestanden, sondern da sich durch den Tod des Erblassers ein vertraglicher Rückübertragungsanspruch verwirklicht habe. Dieser sei Gegenstand eines Rechtsgeschäfts unter Lebenden gewesen (notarieller Übertragungsvertrag auf den Sohn), der eine vorweggenommene Erbfolge regele und eine Vereinbarung für den Fall des Vorversterbens des Sohnes enthalte, mit der der Verbleib des Grundbesitzes im Familienbesitz gesichert werden sollte (BGH, Beschluss vom 05.12.1996 - V ZB 27/96 -).

Nicht entgegenstehen würden der Annahme einer Erblasserschuld die aufschiebenden Bedingungen.

Der Anspruch war durch den Tod des Sohnes aufschiebend bedingt. Erblasserschulden könnten aber nicht nur bereits fest begründete Pflichten sein, sondern grundsätzlich alle vermögensrechtlichen Beziehungen, auch „unfertige“, noch werdende oder schwebende Rechtsbeziehungen, also auch bedingte, befristete oder künftige Bindungen und Lasten. Entscheidend sei lediglich, dass der Verpflichtungsgrund zu Lebzeiten des Erblassers gegeben war. Soweit teilweise aus dem Urteil des BGH vom 07.06.1991 - V ZR 214/89 -, Erblasserschulden seien auch die erst in der Person des Erben entstehenden Verbindlichkeiten, die als solche auch dem Erblasser entstanden wären, wenn er nicht verstorben wäre, abgeleitet würde, es würde sich um eine Erbfallschuld handeln, da sie ohne das Ablebend es Erblassers nicht entstanden wäre, teilweise eine Erblasserschuld angenommen würde, es handele sich um eine Erblasserschuld, da der Anspruch auf Rückforderung der Leistung wegen des Todes des Erblassers ihren Zweck verfehle (§ 812 Abs. 2 S. 2 Alt. 2 BGB). Der hier erkennende Senat des OLG folgert aus dem vom Erblasser eingegangene, auf seinen Tod aufschiebend bedingte Verpflichtung zur Rückübertragung eine aus dem Wesen des bedingten Rechtsgeschäfts, das tatbestandlich vollendet und voll gültig sei und nur seine Rechtswirkungen bis zum Eintritt oder Ausfall der Bedingung offen halte, eine Erblasserschuld.

Die weitere Bedingung bestünde darin, dass der „Veräußerer“ (hier die Mutter) das Rückforderungsrecht ausüben würde. Dies würde der Annahme der Erblasserschuld nicht entgegenstehen, da für die Entstehung des Rückübertragungsanspruchs eine weitere Willenserklärung von Seiten des Erblassers nicht erforderlich gewesen sei. Dass vorliegend die an Rückübertragungsanspruch geltend machende Beteiligte auch Alleinerbin des Erblassers war, ändere daran nichts. Als Erbin habe sie, nachdem der Erblasser im Übertragungsvertrag bereits die entsprechende Verpflichtungserklärung abgegeben habe, nichts weiter zu tun gehabt, als in Erfüllung des Rückübertragungsanspruchs die Rückauflassung zu erklären.

Da aber die aus der Rückauflassung Berechtigte und die Erbin des Erblassers dieselbe Person sei, mithin Forderung und Schuld in der Person der Beteiligten vereinigt worden seien, läge ein Erlöschen des Rückübertragungsanspruchs qua Konfusion vor. Das aber habe nicht zur Folge, dass Verbindlichkeiten bei der Kostenermittlung nach § 40 Abs. 1 Nr. 2, S. 2 GNotKG nicht zu berücksichtigen seien (BGH, Beschluss vom 26.11.1952 - V BLw 62/52 -). Das folge daraus, dass das Verfügungsrecht, welches durch Erteilung eines Erbscheins dem Erben erteilt würde, für ihn wirtschaftlich und wertmäßig nur insoweit Bedeutung habe, als er nicht ohnehin als Inhaber von Ansprüchen gegen den Erblaser verfügungsberechtigt gewesen sei.

OLG Düsseldorf, Beschluss vom 11.07.2023 - I-3 Wx 74/23 -