Die Parteien stritten um eine Entgeltfortzahlung durch den Arbeitgeber (Beklagte) im Krankheitsfall, § 3 Abs. 1 EFZG. Dabei machte der Kläger 10 Arbeitstage aus einem Zeitraum vom 18.08. bis 23.09.2020 geltend, für die er jeweils eine Erstbescheinigung vorgelegt hatte und vortrug, welche ICD-10-Codes mit welchen korrespondierenden Diagnosen oder Symptomen in den Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen (AU-Bescheinigungen) aufgeführt seien. Es lagen krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeiten in 2019 ab dem 24.08.2019 an 68 Arbeitstagen und in 2020 bis zum 18.08.2920 an 42 Arbeitstagen vor. Zu etwaigen Vorerkrankungen machte der Kläger Angaben zur Arbeitsunfähigkeitszeiten, die nach seiner Einschätzung auf denselben ICD-10-Code. Diagnosen und Symptomen beruhen würden und meinte, aus Datenschutzgründen sei er nicht verpflichtet, sämtliche Erkrankungen aus der vorhergehenden Zeit zu benennen, da nicht dieselbe Erkrankung iSv. § 3 Abs. 1 S. 2 EFZG vorliegen könne. Es sei für keine Erkrankung aus dem streitgegenständlichen Zeitraum der Sechs-Wochen-Zeitraum des § 3 Abs. 1 S. 1 EFZG ausgeschöpft. Die Beklagte, die bis zum 18.08.2020 Entgeltfortzahlung geleistet hatte, ging davon aus, dass es sich bei den Erkrankungen im streitbefangenen Zeitraum um nach § 3 Abs. 1 S. 1 EFZG berücksichtigungsfähige Vorerkrankungen handele, weshalb keine Verpflichtung zur weiteren Entgeltfortzahlung bestünde. Das Landgericht gab der Klage statt; das Landesarbeitsgericht änderte das Urteil ab und wies die Klage zurück. Die zugelassene Revision wurde vom BAG zurückgewiesen.
Bei schuldloser Erkrankung hat der Arbeitnehmer einen Anspruch auf Entgeltfortzahlung von sechs Wochen, § 3 Abs. 1 S. 1 EFZG. Wird der Arbeitnehmer danach neuerlich infolge derselben Krankheit arbeitsunfähig, verliert er gem. § 3 Abs. 1 S. 2 EFZG wegen der erneuten Arbeitsunfähigkeit seinen Entgeltfortzahlungsanspruch für einen weiteren Zeitraum von sechs Wochen dann nicht, wenn er vor der erneuten Arbeitsunfähigkeit mindestens sechs Monate nicht wegen derselben Krankheit arbeitsunfähig war oder bei Beginn der ersten Arbeitsunfähigkeit infolge derselben Krankheit eine Frist von zwölf Monaten abgelaufen ist. Dies darlegend führte das BAG aus, dass ein neuer Entgeltfortzahlungsanspruch von sechs Wochen vor Ablauf der benannten Fristen nur entstünde, wenn die Arbeitsunfähigkeit auf einer anderen Krankheit beruhen würde.
Da der Arbeitgeber zwar mittels der AU-Bescheinigungen über eine Erkrankung des Arbeitnehmers informiert ist, aber durch diese idR. die Art der Erkrankung nicht erfährt und daher nicht prüfen kann, ob innerhalb der maßgeblichen Fristen eine gleiche Krankheit vorliegt, musste sich das BAG mit der Darlegungslast der Parteien auseinandersetzen. Es verwies darauf, dass bei einer die Arbeitsunfähigkeit bedingenden Erkrankung innerhalb der Zeiträume des § 3 Abs. 1 S.2 Nr. 1 und Nr. 2 EFZG eine abgestufte Darlegungslast gelten würde (BAG, Urteil vom 13.07.2005 - 5 AZR 389/04 -). Danach sei der Arbeitnehmer verpflichtet darzulegen, dass keine Fortsetzungserkrankung vorliegen würde, soweit sich dazu keine Angaben aus der AU-Bescheinigung entnehmen ließen. Hierzu könne er eine ärztliche Bescheinigung vorlegen. Bestreite der Arbeitgeber, dass eine neue Erkrankung vorliegt, habe der Arbeitnehmer Tatsachen vorzutragen, die den Schluss erlauben, es habe keine Fortsetzungserkrankung bestanden (BAG, Urteil vom 31.03.2021 - 5 AZR 197/20 -). Damit müsse er im Hinblick auf den maßgeblichen Zeitraum schildern, welche gesundheitlichen Beeinträchtigungen und Beschwerden mit welchen Auswirkungen auf seine Arbeitsfähigkeit bestanden und die behandelnden Ärzte von der Schweigepflicht entbinden; erst auf dieser Grundlage sei es dem 8beklagten) Arbeitgeber möglich, substantiiert vorzutragen. Auf ein Bestreiten durch den Arbeitgeber würde die Vorlage einer ärztlichen Bescheinigung nicht mehr ausreichend. Zudem könne sich eine AU-Bescheinigung, die von einem anderen Arzt als Erstbescheinigung ausgestellt würde, könne sich ohnehin nicht zum (Nicht-) Vorliegen einer Fortsetzungserkrankung verhalten. Die Folgen der Nichterweislichkeit einer Fortsetzungserkrankung habe allerdings der Arbeitgeber zu tragen (BAG, Urteil vom 21.03.2021 - 5 AZR 197/20 -).
Im Weiteren führte das BAG aus, dass die Zuweisung der abgestuften Darlegungslast keinen verfassungsrechtlichen Bedenken begegne und auch mit dem Unionsrecht im Einklang stehen würde. Dabei ging es auch auf den vom Kläger geltend gemachten Datenschutz ein, bei dem es sich um unionsrechtlich nicht vollständig determiniertes innerstaatliches Recht handeln würde. Die DS_GBO enthalte zahlreiche Öffnungsklauseln (z.B. Art. 88 DS-GVO), mit denen sie ausdrücklich die Normsetzungskompetenz auf die Mitgliedsstaaten übertrage, wodurch die sich von einer klassischen Verordnung unterscheide und in die Nähe einer Richtlinie rücken ließe. Für solche Regelungen verbliebe es bei der Kontrolle primär am Maßstab der Grundrechte des Grundgesetzes. Aus der Notwendigkeit einer verfassungskonformen Auslegung des Prozessrechts, insbesondere von § 138 Abs. 3 ZPO (nicht bestrittene Tatsachen gelten als zugestanden), könnten sich abweichende Anforderungen an die Darlegungslast wegen einer Verletzung des gem. Art. 2 Abs. 1 iVm. Art. 1 Abs. 1 GG geschützten allgemeinen Persönlichkeitsrechts einer Partei ergeben (BAG, Urteil vom 27.07.2017 - 2 AZR 681/16 -). Im Hinblick auf die Bindung an die insoweit maßgeblichen Grundrechte und der Verpflichtung zu einer rechtsstaatlichen Verfahrensgestaltung (BVerfG, Urteil vom 13.02.2007 - 1 BvR 421/05 -) müssten die Gerichte prüfen, ob einer Partei einer Partei eine Darlegung abverlangt werden könne, die in das allgemeine Persönlichkeitsrecht in Form der informellen Selbstbestimmung eingreift. Im Hinblick auf die abgestufte Darlegungs- und Beweislast (wobei den Arbeitnehmer die primäre Darlegungslast, den Arbeitgeber sodann die Beweislast trifft) sei, wie das BAG im Einzelnen begründet, die Offenlegung der Gesundheitsdaten und der damit verbundene Eingriff in sein Recht auf informelle Selbstbestimmung verhältnismäßig und gerechtfertigt. Er diene dem im Rechtsstaatsprinzip verankerten legitimen Zweck, eine materiell richtige Entscheidung anzustreben (BVerfG, Urteil vom 13.02.2007 - 1 BvR 421/05 -) und sei auch erforderlich. Die Erforderlichkeit ergebe sich daraus, dass Alternativen nicht gleich effektiv seien. So sei eine Auskunft der Krankenkassen über deren Einschätzung keine dem Justizgewährungsanspruch genügende Kontrolle. Zwar könne der Arbeitgeber eine Nachfrage halten, damit er ggf. schnell das Bestehen eines Anspruchs auf Entgeltfortzahlungsanspruch feststellen könne, doch anders als es § 7 Abs. 1 Nr. 1 EFZG für die AU-Bescheinigung vorsehen, entziehe das Gesetz dem Arbeitgeber auf eine Mitteilung nach § 69 Abs. 4 Halbs. 1 SGB X nicht ein Leistungsverweigerungsrecht, wobei die Krankenkassen wegen ihrer unmittelbar betroffenen finanziellen Interessen nicht als unparteiische Dritte angesehen werden könnten (die, entfalle der Entgeltfortzahlungsanspruch wegen einer Fortsetzungserkrankung, selbst zahlungspflichtig würden).
Auch eine eingeschränkte Offenlegung der Ursachen der krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeitszeiten zur Beurteilung einer Fortsetzungserkrankung stünde im Widerspruch mit rechtsstaatlichen Grundsätzen. Ebenso wenig käme in Betracht, nur dem Gericht gegenüber Vortrag zu halten bzw. die Krankheiten nur einem Sachverständigen darzulegen scheide als ein dem Rechtsstaatsprinzip widerlaufendes „geheimes Verfahren“ aus, Art. 20 Abs. 3 GG; es verstoße zudem gegen das Verfahrensgrundrecht der Gewährung rechtlichen Gehörs nach Art. 103 GG. Der Arbeitgeber müsse zudem Kenntnis von behaupteten Krankheitsursachen haben, um dazu Stellung nehmen zu können.
Vorliegend sei mit dem Landesarbeitsgericht davon auszugehen, dass in Ermangelung eines substantiierten Sachvortrags des Klägers im streitgegenständlichen Zeitraum von einer Fortsetzungserkrankung auszugehen sei keine weiteren Entgeltfortzahlungsansprüche begründet seien.
Es genüge, unabhängig von der vom Kläger getroffenen zeitlichen und inhaltlichen Vorauswahl, kein bloßer Verweis auf Diagnoseschlüssel nach der IC-10 Klassifikation. Eine Fortsetzungserkrankung lasse sich nicht nur bei einem identischen Krankheitsbild feststellen, sondern auch dann, wenn die Krankheitssymptome auf demselben Grundleiden beruhen würden (BAG, Urteil vom 26.10.2016 - 5 AZR 167/16 -). Auf „derselben Krankheit“ iSv. § 3 Abs. 1 S. 2 EFZG könne die Arbeitsunfähigkeit auch bei ggf. immer wiederkehrenden (chronischen) Atemwegserkrankungen beruhen. Ohne einen konkreten Vortrag des Arbeitnehmers, welche gesundheitlichen Einschränkungen und Beschwerden bestanden, ließe sich nicht beurteilen, ob eine Fortsetzungserkrankung in Betracht käme. Die Angabe der Diagnoseschlüssel nach der IC-10 Klassifikation bzw. deren „Übersetzung“ in Krankheiten und Symptome genüge diesen Anforderungen nicht.
Auch müssten sich die Darlegungen des Arbeitnehmers zum Nichtvorliegen einer Fortsetzungserkrankung umfassend auf die Arbeitsunfähigkeitszeiten im maßgeblichen Zeitraum beziehen. Daran würde es hier aufgrund der Vorauswahl des Klägers ermangeln.
BAG, Urteil vom 18.01.2023
- 5 AZR 93/22 -
Aus den Gründen:
Tenor
1. Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Hessischen Landesarbeitsgerichts vom 14. Januar 2022 - 10 Sa 898/21 - wird zurückgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten der Revision zu tragen.
Tatbestand
Die Parteien
streiten über Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall.
Der Kläger
arbeitete bei der Beklagten seit dem 27. Januar 2012 in der
Gepäckabfertigung. Die Beklagte ist ein Unternehmen, das Bodendienstleistungen
am Flughafen in F erbringt. Der Stundenlohn des Klägers betrug 12,56 Euro.
Nach den nicht mit Verfahrensrügen angegriffenen Feststellungen des
Landesarbeitsgerichts war der Kläger im Jahr 2019 in der Zeit ab dem
24. August 2019 an 68 Kalendertagen arbeitsunfähig erkrankt und im
Jahr 2020 bis zum 18. August 2020 an weiteren 42 Kalendertagen, wobei
die Beklagte bis zum 13. August 2020 Entgeltfortzahlung nach § 3
Abs. 1 EFZG leistete.
Mit seiner
Klage hat der Kläger Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall für zehn Arbeitstage
(71,2 Stunden) aus dem Zeitraum vom 18. August 2020 bis zum
23. September 2020 geltend gemacht. Er hat hierbei mehrere
Erstbescheinigungen vorgelegt und vorgetragen, welche ICD-10-Codes mit welchen
korrespondierenden Diagnosen oder Symptomen in den
Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen aufgeführt gewesen seien. Bezüglich etwaiger
Vorerkrankungen hat er Angaben zu Arbeitsunfähigkeitszeiten gemacht, die nach
seiner Einschätzung auf denselben ICD-10-Codes bzw. Diagnosen oder Symptomen
beruhten. Der Kläger hat gemeint, aus Datenschutzgründen sei er nicht
verpflichtet, sämtliche Erkrankungen aus der davorliegenden Zeit offenzulegen.
Zu vorhergehenden Atemwegsinfekten müsse er sich nicht äußern, weil insoweit
nicht „dieselbe Erkrankung“ iSd. § 3 Abs. 1 Satz 2 EFZG
vorliegen könne. Hiervon ausgehend sei für keine der Erkrankungen aus dem
streitgegenständlichen Zeitraum der Sechs-Wochen-Zeitraum nach § 3
Abs. 1 Satz 1 EFZG ausgeschöpft.
Der Kläger hat sinngemäß beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an ihn 894,27 Euro brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 1. Oktober 2020 zu zahlen.
Die Beklagte
hat Klageabweisung beantragt. Sie hat gemeint, sie sei ab dem 18. August
2020 nicht mehr verpflichtet, Entgeltfortzahlung zu leisten. Sie gehe davon
aus, dass bezüglich der Erkrankungen im streitgegenständlichen Zeitraum
anrechenbare Vorerkrankungen vorgelegen hätten, die eine Verpflichtung zur
weiteren Entgeltfortzahlung ausschlössen.
Das
Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Auf die Berufung der Beklagten hat
das Landesarbeitsgericht das Urteil des Arbeitsgerichts abgeändert und die
Klage abgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision
verfolgt der Kläger die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils,
während die Beklagte die Zurückweisung der Revision beantragt.
Entscheidungsgründe
Die Revision
des Klägers ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat das Urteil des
Arbeitsgerichts zu Recht abgeändert und die Klage abgewiesen. Die zulässige
Klage ist unbegründet.
I. Der
Kläger hat für die streitgegenständlichen 71,2 Stunden aus dem Zeitraum
vom 18. August 2020 bis zum 23. September 2020 keinen Anspruch auf
Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall aus § 3 Abs. 1 EFZG.
1. Wird
ein Arbeitnehmer durch Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit an seiner
Arbeitsleistung verhindert, ohne dass ihn ein Verschulden trifft, sieht
§ 3 Abs. 1 Satz 1 EFZG im Hinblick auf die sozioökonomische
Risikoverteilung im Arbeitsverhältnis (vgl. Oberthür jM 2022, 65, 67) einen
Anspruch auf Entgeltfortzahlung vor. Dieser Anspruch, der von dem an sich nach
den Vorschriften des allgemeinen Schuldrechts iVm. § 614 BGB auch im
Arbeitsverhältnis geltenden Grundsatz „Ohne Arbeit kein Lohn“ (vgl. BAG
16. Mai 2012 - 5 AZR 347/11 - Rn. 26, BAGE 141,
330) abweicht, ist grundsätzlich auf die Dauer von sechs Wochen wegen einer
Erkrankung begrenzt (vgl. BAG 11. Dezember 2019 - 5 AZR
505/18 - Rn. 13, BAGE 169, 117). Wird ein Arbeitnehmer infolge
derselben Krankheit erneut arbeitsunfähig, verliert er nach § 3
Abs. 1 Satz 2 EFZG wegen der erneuten Arbeitsunfähigkeit den
Entgeltfortzahlungsanspruch für einen weiteren Zeitraum von höchstens sechs
Wochen nur dann nicht, wenn er vor der erneuten Arbeitsunfähigkeit mindestens
sechs Monate nicht infolge derselben Krankheit arbeitsunfähig war (Nr. 1)
oder seit Beginn der ersten Arbeitsunfähigkeit infolge derselben Krankheit eine
Frist von zwölf Monaten abgelaufen ist (Nr. 2). Vor Ablauf dieser Fristen
entsteht ein neuer Entgeltfortzahlungsanspruch für die Dauer von sechs Wochen
daher nur dann, wenn die Arbeitsunfähigkeit auf einer anderen Krankheit beruht.
Diese Regelungen sollen die wirtschaftliche Belastung der Arbeitgeber durch die
Entgeltfortzahlungspflicht begrenzen. Es handelt sich um eine Einschränkung der
Rechte des wiederholt erkrankten Arbeitnehmers, die auf einer besonderen
Zumutbarkeitsregelung des Gesetzgebers beruht (vgl. Joussen SAE 2006, 147,
148).
2. Ist
der Arbeitnehmer innerhalb der Zeiträume des § 3 Abs. 1 Satz 2
Nr. 1 und Nr. 2 EFZG länger als sechs Wochen an der Erbringung der
Arbeitsleistung verhindert, gilt eine abgestufte Darlegungslast (vgl.
grundlegend BAG 13. Juli 2005 - 5 AZR 389/04 -
zu I 6 der Gründe, BAGE 115, 206; ebenso 31. März 2021
- 5 AZR 197/20 - Rn. 26; 10. September 2014
- 10 AZR 651/12 - Rn. 27, BAGE 149, 101). Zunächst
muss der Arbeitnehmer - soweit sich aus der
Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung dazu keine Angaben entnehmen lassen -
darlegen, dass keine Fortsetzungserkrankung besteht. Hierzu kann er eine
ärztliche Bescheinigung vorlegen. Bestreitet der Arbeitgeber, dass eine neue
Erkrankung vorliegt, hat der Arbeitnehmer Tatsachen vorzutragen, die den
Schluss erlauben, es habe keine Fortsetzungserkrankung bestanden (BAG
31. März 2021 - 5 AZR 197/20 - Rn. 26;
10. September 2014 - 10 AZR 651/12 - Rn. 27, aaO;
ErfK/Reinhard 23. Aufl. EFZG § 3 Rn. 44; MüKoBGB/Müller-Glöge
9. Aufl. EFZG § 3 Rn. 87; BeckOK ArbR/Ricken Stand
1. Dezember 2022 EFZG § 3 Rn. 73; Joussen SAE 2006, 147,
151 f.). Er muss laienhaft bezogen auf den gesamten maßgeblichen Zeitraum
schildern, welche gesundheitlichen Beeinträchtigungen und Beschwerden mit
welchen Auswirkungen auf seine Arbeitsfähigkeit bestanden und die behandelnden
Ärzte von der Schweigepflicht entbinden. Denn erst ausgehend von diesem Vortrag
ist regelmäßig dem Arbeitgeber substantiierter Sachvortrag möglich. Auf das
Bestreiten des Arbeitgebers genügt die bloße Vorlage einer ärztlichen
Bescheinigung nicht mehr. Eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung, die von einem
anderen Arzt ausgestellt ist, kann sich auch als Erstbescheinigung ohnehin
nicht zum (Nicht-)Vorliegen einer Fortsetzungserkrankung verhalten. Die Folgen
der Nichterweislichkeit einer Fortsetzungserkrankung hat der Arbeitgeber zu tragen
(BAG 31. März 2021 - 5 AZR 197/20 - Rn. 26 mwN).
3. Die
Zuweisung der abgestuften Darlegungslast an den Arbeitnehmer nach Maßgabe der
dargestellten Grundsätze begegnet keinen verfassungsrechtlichen Bedenken.
a) Die
grundrechtliche Prüfung der Anforderungen an die Darlegungs- und Beweislast ist
auch unter Berücksichtigung der unionsrechtlich geprägten Regelungen zum
Datenschutz primär am Maßstab der Grundrechte des Grundgesetzes vorzunehmen
(vgl. BVerfG 6. November 2019 - 1 BvR 16/13 - [Recht auf
Vergessen I] Rn. 42, BVerfGE 152, 152; zu § 38 Abs. 1
Satz 1 und Abs. 2 iVm. § 6 Abs. 4 Satz 2 BDSG vgl. BAG
25. August 2022 - 2 AZR 225/20 - Rn. 20). Beim
Datenschutzrecht handelt es sich um unionsrechtlich nicht vollständig
determiniertes innerstaatliches Recht. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs
der Europäischen Union bestehen hinsichtlich datenschutzrechtlicher Regelungen
und den diese ergänzenden arbeitsrechtlichen Regelungen „geteilte
Zuständigkeiten“ der Union und der Mitgliedstaaten (vgl. EuGH 22. Juni
2022 - C-534/20 - [Leistritz] Rn. 30 ff.). Die DS-GVO
enthält zahlreiche Öffnungsklauseln (ua. Art. 88 DS-GVO), mit denen sie
die Normsetzungskompetenz ausdrücklich auf die Mitgliedstaaten überträgt,
wodurch sie sich von einer klassischen Verordnung unterscheiden und in die Nähe
einer Richtlinie rücken lässt (so ausdrücklich die Schlussanträge des
Generalanwalts de la Tour vom 27. Januar 2022 - C-534/20 -
[Leistritz] Fn. 28). Für solche Regelungen bleibt es nach der zitierten
Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG 6. November 2019
- 1 BvR 16/13 - [Recht auf Vergessen I] aaO) bei der Kontrolle
primär am Maßstab der Grundrechte des Grundgesetzes.
b) Aus
der Notwendigkeit einer verfassungskonformen Auslegung des Prozessrechts,
insbesondere von § 138 Abs. 3 ZPO, können sich abweichende
Anforderungen an die Darlegungslast wegen einer Verletzung des gemäß
Art. 2 Abs. 1 iVm. Art. 1 Abs. 1 GG geschützten allgemeinen
Persönlichkeitsrechts einer Partei ergeben (BAG 27. Juli 2017
- 2 AZR 681/16 - Rn. 16, BAGE 159, 380; 29. Juni
2017 - 2 AZR 597/16 - Rn. 21, BAGE 159, 278). Dieses
ist hier in Form des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung (vgl. dazu
BVerfG 4. November 2022 - 2 BvR 2202/19 - Rn. 25;
29. Juli 2022 - 2 BvR 54/22 - Rn. 28) betroffen. Wegen
der nach Art. 1 Abs. 3 GG bestehenden Bindung an die insoweit
maßgeblichen Grundrechte und der Verpflichtung zu einer rechtsstaatlichen
Verfahrensgestaltung (BVerfG 13. Februar 2007 - 1 BvR
421/05 - Rn. 93, BVerfGE 117, 202; 9. Oktober 2002
- 1 BvR 1611/96, 1 BvR 805/98 -
zu C II 3 b der Gründe, BVerfGE 106, 28; zum Einfluss
des Rechtsstaatsprinzips BVerfG 25. Juli 1979 - 2 BvR
878/74 - zu B I 1 der Gründe, BVerfGE 52, 131) müssen
die Gerichte prüfen, ob einer Partei eine Darlegung abverlangt wird, die mit
dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht des Betroffenen, hier in seiner Ausprägung
als Recht auf informationelle Selbstbestimmung, nicht mehr vereinbar ist.
c)
Soweit die abgestufte Darlegungs- und Beweislast bei Fortsetzungserkrankungen
vom Arbeitnehmer die Offenlegung von Gesundheitsdaten verlangt, ist der damit
verbundene Eingriff in sein Recht auf informationelle Selbstbestimmung aus
Art. 2 Abs. 1 iVm. Art. 1 Abs. 1 GG verhältnismäßig und
damit gerechtfertigt.
aa) Das
Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung schützt die Befugnis des
Einzelnen, grundsätzlich selbst über die Preisgabe und Verwendung seiner
persönlichen Daten zu bestimmen (BVerfG 4. November 2022 - 2 BvR
2202/19 - Rn. 25; 1. Dezember 2020 - 2 BvR 916/11,
2 BvR 636/12 - Rn. 198 mwN, BVerfGE 156, 63). Wenn der
Arbeitnehmer zur Durchsetzung seines Anspruchs auf Entgeltfortzahlung im
gerichtlichen Verfahren die seinen Arbeitsunfähigkeitszeiten zugrunde liegenden
Erkrankungen mitteilen muss, liegt ein Eingriff vor.
bb)
Dieser Grundrechtseingriff ist jedoch gerechtfertigt. Er dient dem im
Rechtsstaatsprinzip verankerten legitimen Zweck, eine materiell richtige
Entscheidung anzustreben (vgl. BVerfG 13. Februar 2007 - 1 BvR
421/05 - Rn. 93, BVerfGE 117, 202; 9. Oktober 2002
- 1 BvR 1611/96, 1 BvR 805/98 -
zu C II 4 a aa der Gründe, BVerfGE 106, 28) und
ist zur Erreichung dieses Zwecks geeignet sowie erforderlich. Nach Offenlegung
der den Arbeitsunfähigkeitszeiten zugrunde liegenden Beschwerden und Erkrankungen
ist durch eine sachverständige Überprüfung feststellbar, ob der Arbeitnehmer an
Fortsetzungserkrankungen iSv. § 3 Abs. 1 Satz 2 EFZG gelitten
hat. Auf diese Art und Weise kann wirkungsvoller Rechtsschutz gewährt werden,
wie es die Garantie effektiven Rechtsschutzes aus Art. 19 Abs. 4 GG
bzw. die Justizgewährungspflicht aus Art. 2 Abs. 1 iVm. Art. 20
Abs. 3 GG erfordern (vgl. dazu BVerfG 8. November 2022
- 2 BvR 2480/10 - Rn. 134). Zudem wird durch die Darlegung
im Prozess das in Art. 103 Abs. 1 GG geschützte rechtliche Gehör der
Gegenseite gesichert, die sich zu den dort mitgeteilten Tatsachen äußern kann.
cc) Der
Eingriff ist erforderlich, weil keine gleich effektiven Mittel zur Verfügung
stehen, die weniger stark in das Grundrecht auf informationelle
Selbstbestimmung eingreifen. Die vom Kläger aufgeführten Alternativen sind
nicht in derselben Art und Weise geeignet, eine materiell richtige Entscheidung
unter Erfüllung des Justizgewährungsanspruchs ohne Verletzung des Anspruchs auf
rechtliches Gehör der Gegenseite zu erreichen.
(1) Die
Mitteilung der Krankenkasse zum (Nicht-)Vorliegen von Fortsetzungserkrankungen
ermöglicht keine dem Justizgewährungsanspruch genügende Kontrolle (vgl. BAG
10. September 2014 - 10 AZR 651/12 - Rn. 28,
BAGE 149, 101; 13. Juli 2005 - 5 AZR 389/04 -
zu I 5 der Gründe, BAGE 115, 206). § 69 Abs. 4
Halbs. 1 SGB X erlaubt den Krankenkassen die Mitteilung ihrer
Einschätzung an den Arbeitgeber, bindet aber weder diesen noch die Gerichte für
Arbeitssachen. Die Regelung wurde im Interesse des Arbeitgebers geschaffen,
damit er ggf. schnell das Bestehen eines Anspruchs auf Entgeltfortzahlung feststellen
kann (BT-Drs. 12/5187 S. 39). Anders als es § 7 Abs. 1
Nr. 1 EFZG für die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vorsieht, entzieht das
Gesetz dem Arbeitgeber aber auf die Mitteilung gemäß § 69 Abs. 4
Halbs. 1 SGB X nicht sein Leistungsverweigerungsrecht. Vor diesem
Hintergrund hat die Mitteilung der Krankenkasse keinen mit einer
Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vergleichbaren Beweiswert (aA LAG
Baden-Württemberg 8. Juni 2016 - 4 Sa 70/15 -
zu I 2 c aa der Gründe). Dies gilt gerade mit Blick darauf,
dass die Krankenkassen wegen ihrer unmittelbar betroffenen finanziellen
Interessen nicht als unparteiische Dritte angesehen werden können. Muss der
Arbeitgeber wegen des Nichtbestehens einer Fortsetzungserkrankung gemäß
§ 3 Abs. 1 Satz 2 EFZG Entgeltfortzahlung leisten, ist die
Krankenkasse nicht zur Zahlung von Krankengeld verpflichtet, § 49
Abs. 1 Nr. 1 SGB V (vgl. ErfK/Rolfs 23. Aufl. SGB V
§ 49 Rn. 3; BeckOK SozR/Tischler Stand 1. Dezember 2022
SGB V § 49 Rn. 5). Da der Arbeitgeber die Beurteilung der Krankenkasse
nicht auf anderem Wege gerichtlich überprüfen lassen kann (BAG 13. Juli
2005 - 5 AZR 389/04 - zu I 5 der Gründe,
BAGE 115, 206; MüKoBGB/Müller-Glöge 9. Aufl. EFZG § 3
Rn. 87), ist im arbeitsgerichtlichen Verfahren um Entgeltfortzahlung eine
gerichtliche Kontrolle zu ermöglichen. Dies gilt erst recht, wenn Arbeitnehmer
nicht in der gesetzlichen Krankenversicherung versichert sind. Hier hat der
Arbeitgeber außerhalb des gerichtlichen Verfahrens keine Möglichkeit zu
überprüfen, ob eine Fortsetzungserkrankung vorliegt. Eine Differenzierung der
Anforderungen an die Darlegungs- und Beweislast nach der gesetzlichen
Krankenversicherungspflicht ist nicht sachlich zu rechtfertigen.
(2) Die
weiteren vom Kläger erwogenen Möglichkeiten, ohne oder nur mit eingeschränkter
Offenlegung der Ursachen der krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeitszeiten das
Vorliegen einer Fortsetzungserkrankung zu beurteilen, stehen im Widerspruch zu
elementaren rechtsstaatlichen Grundsätzen. Ein Sachvortrag nur gegenüber dem
Gericht kommt ebenso wenig in Frage wie die vom Kläger in Betracht gezogene
Variante, Krankheitsursachen nur einem Sachverständigen offenzulegen, der dem
Gericht und der Gegenseite lediglich das - bindende - Ergebnis seiner
Begutachtung mitteilt. Derart „geheime Verfahren“ verstoßen gegen das
Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) und entziehen dem Arbeitgeber
sein Verfahrensgrundrecht auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG).
Die grundgesetzliche Gewährleistung rechtlichen Gehörs konkretisiert das
Rechtsstaatsprinzip. Der Einzelne soll nicht bloßes Objekt des Verfahrens sein,
sondern vor Entscheidungen, die seine Rechte betreffen, zu Wort kommen, um
Einfluss auf das Verfahren und dessen Ergebnis nehmen zu können. Die Parteien
müssen sich zu dem Sachverhalt, der einer gerichtlichen Entscheidung zugrunde
gelegt wird, vor Erlass der Entscheidung äußern dürfen. Eine Art. 103
Abs. 1 GG genügende Gewährung rechtlichen Gehörs setzt voraus, dass die
Verfahrensbeteiligten erkennen können, auf welchen Tatsachenvortrag es für die
Entscheidung ankommen kann (BVerfG 8. Juni 1993 - 1 BvR
878/90 - zu C I der Gründe, BVerfGE 89, 28; BeckOK
GG/Radtke Stand 15. August 2022 GG Art. 103 Rn. 8). Der
Arbeitgeber muss daher die vom Kläger behaupteten Krankheitsursachen kennen, um
die Aussagekraft eines eingeholten Sachverständigengutachtens ggf. unter
Hinzuziehung eines anderen Sachverständigen beurteilen und hierzu Stellung
nehmen zu können.
dd) Die
den Arbeitnehmer treffende Darlegungsobliegenheit ist angemessen und
verhältnismäßig im engeren Sinne. Dies erfordert, dass der mit der Maßnahme
verfolgte Zweck und die zu erwartende Zweckerreichung nicht außer Verhältnis zu
der Schwere des Eingriffs stehen. Hierzu sind die hinter der
Darlegungsobliegenheit stehenden Interessen und der Schutz der betroffenen
Grundrechte miteinander abzuwägen (vgl. BVerfG 13. Februar 2007
- 1 BvR 421/05 - Rn. 94, BVerfGE 117, 202; 9. Oktober
2002 - 1 BvR 1611/96, 1 BvR 805/98 -
zu C II 4 a der Gründe, BVerfGE 106, 28; 25. Juli
1979 - 2 BvR 878/74 - zu B I 1 der Gründe,
BVerfGE 52, 131). Nach diesen Maßstäben muss das Recht des Klägers auf
informationelle Selbstbestimmung hinter den Verfahrensgrundrechten und den
Grundrechten aus Art. 12 Abs. 1, Art. 14 Abs. 1 GG des
Arbeitgebers zurücktreten. Am Schutz der den Gesundheitszustand betreffenden
Informationen besteht zwar grundsätzlich ein hohes Interesse (vgl. auch die
Wertung in Art. 9 Abs. 1 DS-GVO und BAG 12. September 2006
- 9 AZR 271/06 - Rn. 29, BAGE 119, 238 zum Schutz von
Gesundheitsdaten in der Personalakte). Auf Seiten der Arbeitgeberin ist jedoch
neben den Verfahrensgrundrechten die in § 3 Abs. 1 EFZG gesetzlich
geregelte wirtschaftliche Zumutbarkeitsgrenze einer grundsätzlich auf sechs
Wochen beschränkten Pflicht zur Entgeltfortzahlung bei Arbeitsunfähigkeit zu
berücksichtigen. Diese bewirkt eine Beschränkung der wirtschaftlichen Belastung
des Arbeitgebers (Art. 12 Abs. 1, Art. 14 Abs. 1 GG) durch
die in der Entgeltfortzahlungspflicht liegende Durchbrechung des im
Arbeitsvertragsrecht geltenden Grundsatzes „Ohne Arbeit kein Lohn“. Ohne
entsprechenden Vortrag des Arbeitnehmers wird ein Berufen des Arbeitgebers auf
die gesetzlich vorgesehene Zumutbarkeitsregelung regelmäßig ins Leere laufen,
weil er ohne Kenntnis der Ursachen der Arbeitsunfähigkeit nicht in der Lage
ist, deren Voraussetzungen einzuwenden. Ob die Entgeltfortzahlungspflicht nach
den gesetzlichen Regelungen wegen einer Fortsetzungserkrankung ausgeschlossen
ist, muss zudem - wie ausgeführt - mit Blick auf den
verfassungsrechtlich garantierten Justizgewährungsanspruch in einem
rechtsstaatlichen Verfahren und unter Gewährleistung des Anspruchs auf
rechtliches Gehör (Art. 103 GG) nachprüfbar sein.
4. Die
Verteilung der Darlegungs- und Beweislast zum Nachweis einer
Fortsetzungserkrankung iSv. § 3 Abs. 1 Satz 2 EFZG steht im
Einklang mit Unionsrecht.
a) Die
Datenverarbeitung besonders geschützter personenbezogener Daten richtet sich in
Gerichtsverfahren nach Art. 9 Abs. 2 Buchst. f DS-GVO. Hiernach
ist - entgegen Art. 9 Abs. 1 DS-GVO - die Verarbeitung besonderer
Kategorien personenbezogener Daten, hier der Gesundheitsdaten einer natürlichen
Person, zulässig, wenn sie zur Geltendmachung, Ausübung oder Verteidigung von
Rechtsansprüchen oder bei Handlungen der Gerichte im Rahmen ihrer justiziellen
Tätigkeit erforderlich ist. Diese Norm dient der Sicherung des
Justizgewährungsanspruchs: Das Datenschutzregime soll nicht so weit gehen, dass
die legitime Durchsetzung von Rechten nicht mehr möglich ist (Frenzel in
Paal/Pauly 3. Aufl. DS-GVO Art. 9 Rn. 37). Vor dem Hintergrund
der Waffengleichheit und des effektiven Rechtsschutzes gilt entsprechendes auch
für die Rechtsverteidigung bzw. die Abwehr von Ansprüchen (vgl. VG Wiesbaden
19. Januar 2022 - 6 K 361/21.WI - Rn. 73).
b) Die
Verarbeitung von Daten zu den Erkrankungen und gesundheitlichen Beschwerden,
die in der Vergangenheit zu einer Arbeitsunfähigkeit des Klägers geführt haben,
ist im gerichtlichen Verfahren über Ansprüche auf Entgeltfortzahlung im
Krankheitsfall nach Art. 9 Abs. 2 Buchst. f DS-GVO zulässig. Die
Verarbeitung der entsprechenden sensiblen Daten ist für die justizielle
Tätigkeit erforderlich, denn das Vorliegen von Fortsetzungserkrankungen iSv.
§ 3 Abs. 1 Satz 2 EFZG im jeweils maßgeblichen Zeitraum kann
- ggf. mittels eines Sachverständigengutachtens - nur nach
entsprechendem Vortrag des Arbeitnehmers zu den seiner Arbeitsunfähigkeit
zugrunde liegenden Erkrankungen ermittelt werden (sh. auch Rn. 16). Auch
bei Abwägung der beiderseitigen Interessen (vgl. Weichert in Kühling/Buchner 3. Aufl.
DS-GVO Art. 9 Rn. 86; aA - keine Interessenabwägung
notwendig - Gola/Heckmann/Schulz 3. Aufl. DS-GVO Art. 9
Rn. 34) sind schutzwürdige Betroffeneninteressen nicht vorrangig, weil die
Informationen für die gerichtliche Entscheidungsfindung notwendig und neben den
Verfahrensgrundrechten auch materielle Rechte der Beklagten (Art. 12, 14
GG) für die Prüfung der gesetzlichen Zumutbarkeitsregelung des EFZG sprechen.
In der mündlichen Verhandlung besteht zudem die Möglichkeit,
erforderlichenfalls nach § 52 Satz 2 Halbs. 2 ArbGG iVm.
§ 171b Abs. 1 Satz 1 ZPO bei der Erörterung von
Krankheitsursachen die Öffentlichkeit auszuschließen (vgl. MüKoZPO/Pabst
6. Aufl. GVG § 171b Rn. 4 f.).
c) Ohne
dass es vorliegend darauf ankam, ist ausgehend von obigen Grundsätzen auch eine
vorprozessuale Datenverarbeitung beim Arbeitgeber gestützt auf § 26
Abs. 3 BDSG iVm. Art. 9 Abs. 2 Buchst. b DS-GVO (vgl.
hierzu BAG 1. Juni 2022 - 5 AZR 28/22 -
Rn. 56 ff. mwN) grundsätzlich möglich. Eine entsprechende
Datenverarbeitung erfolgt in Ausübung von Rechten und zur Erfüllung rechtlicher
Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis iSv. § 26 Abs. 3 BDSG, nämlich
bei der Durchführung der in § 3 Abs. 1 EFZG geregelten
Entgeltfortzahlungspflicht im Rahmen dessen, was zur Prüfung ihrer Voraussetzungen
arbeitgeberseits erforderlich ist.
5.
Ausgehend von diesen Grundsätzen ist die Annahme des Landesarbeitsgerichts, die
Zeiten der Arbeitsunfähigkeit des Klägers im streitgegenständlichen Zeitraum
hätten keine weiteren Entgeltfortzahlungsansprüche begründet, rechtsfehlerfrei.
Mangels substantiierten Vortrags des Klägers ist vom Vorliegen von
Fortsetzungserkrankungen auszugehen, so dass ihm wegen des Überschreitens des
Entgeltfortzahlungszeitraums von sechs Wochen kein Anspruch auf
Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall nach § 3 Abs. 1 EFZG mehr
zustand.
a) Der
Kläger, der innerhalb der Zeiträume des § 3 Abs. 1 Satz 2
Nr. 1 und Nr. 2 EFZG länger als sechs Wochen an der Erbringung der
Arbeitsleistung verhindert war, ist der ihn nach den oben dargestellten
Grundsätzen treffenden abgestuften Darlegungslast (sh. Rn. 10) nicht
nachgekommen.
aa)
Nachdem die Beklagte, die in dem Jahr vor dem streitgegenständlichen Zeitraum
für (deutlich) mehr als sechs Wochen Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall
geleistet hatte, das Vorliegen jeweils „neuer“ Erkrankungen iSd. § 3
Abs. 1 Satz 1 iVm. Satz 2 EFZG bestritten hat, hätte der Kläger
zum Nichtvorliegen von Fortsetzungserkrankungen umfassend vortragen müssen.
Hierfür genügt - unabhängig von der von ihm getroffenen zeitlichen und
inhaltlichen „Vorauswahl“ - ein bloßer Verweis auf Diagnoseschlüssel nach
der ICD-10 Klassifikation nicht. Die Revision lässt außer Acht, dass eine
Fortsetzungserkrankung nicht nur bei einem identischen Krankheitsbild vorliegt,
sondern ebenso, wenn die Krankheitssymptome auf demselben Grundleiden beruhen
(BAG 26. Oktober 2016 - 5 AZR 167/16 - Rn. 52 mwN,
BAGE 157, 102; vgl. auch BeckOK ArbR/Ricken Stand 1. Dezember 2022
EFZG § 3 Rn. 73; MüKoBGB/Müller-Glöge 9. Aufl. EFZG § 3
Rn. 61 f.). Das Vorliegen „derselben Krankheit“ iSv. § 3
Abs. 1 Satz 2 EFZG ist auch bei ggf. immer wiederkehrenden
(chronischen) Erkrankungen der Atemwege im maßgeblichen Zeitraum nicht von
vornherein ausgeschlossen. Ohne einen konkreten Vortrag dazu, welche
gesundheitlichen Einschränkungen und Beschwerden bestanden, lässt sich nicht
beurteilen, ob eine Fortsetzungserkrankung in Betracht kommt. Nur nach
entsprechenden Darlegungen des Arbeitnehmers ist dem beweisbelasteten
Arbeitgeber ein weiterer Vortrag möglich. Der Vortrag des Klägers, der - für
einzelne Zeiträume - lediglich die Diagnoseschlüssel nach der ICD-10
Klassifikation bzw. deren „Übersetzung“ in Krankheiten oder Symptome aufführt,
genügt diesen Anforderungen nicht.
bb)
Darüber hinaus müssen sich die Darlegungen des Arbeitnehmers zum Nichtvorliegen
von Fortsetzungserkrankungen umfassend auf die Arbeitsunfähigkeitszeiten im
maßgeblichen Vorzeitraum beziehen. Auch daran fehlte es hier aufgrund der vom
Kläger getroffenen, für das Gericht und die Beklagte nicht nachprüfbaren
„Vorauswahl“ der aus seiner Sicht maßgeblichen Erkrankungen. Für etliche
Arbeitsunfähigkeitszeiträume im jeweiligen zeitlichen Rahmen von § 3
Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 und Nr. 2 EFZG fehlt jeglicher Vortrag.
b) Dem
Senat ist eine Endentscheidung möglich, ohne dass dem Kläger Gelegenheit zu
ergänzendem Sachvortrag zu geben war. Einen etwaigen Verstoß des
Berufungsgerichts gegen Hinweispflichten (vgl. dazu BAG 23. März 2016
- 5 AZR 758/13 - Rn. 41, BAGE 154, 337) hinsichtlich
der Erforderlichkeit weiteren Sachvortrags zu seinen Vorerkrankungen hat der
Kläger nicht gerügt. Ein etwaiger derartiger Verstoß hätte innerhalb der
Revisionsbegründungsfrist zum Gegenstand der Revision gemacht werden können und
müssen, was nicht geschehen ist.
II.
Mangels Hauptforderung besteht auch kein Anspruch des Klägers auf Zinsen.
III. Die
Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
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