Das rechtliche Gehör (Art. 103
GG) ist ein Grundpfeiler der Rechtsordnung. Es dient einem fairen Verfahren. Seine
Verletzung führt notwendig dazu, dass ein Urteil aufzuheben ist (und der
Rechtstreit an das zuvor befasste Gericht zurückverweisen wird), wenn dessen
Entscheidung auf der Verletzung rechtlichen Gehörs beruht. Und immer wieder
werden Urteile von Instanz- und Obergerichten veröffentlicht, die gerade dies
thematisieren.
So auch vorliegend. Das LAG
Berlin-Brandenburg hatte darüber zu entscheiden, ob das beklagte Land dem schwerbehinderten
Kläger Vergütung für den Zeitraum Dezember 2016 bis Mai 2017 zu zahlen hatte,
was mit der Begründung eines Annahmeverzugs des Klägers unterlassen wurde. Dabei
war zu klären, ob der Kläger für die vereinbarte Vollzeittätigkeit in der Datenverarbeitung
dauerhaft krankheitsbedingt leistungsunfähig war und daher ein Annahmeverzug
nach § 297 BGB ausgeschlossen war. Das Arbeitsgericht hatte die Klageabgewiesen;
das LAG hatte ihr im Wesentlichen stattgegeben. Dabei negierte es, anders als
noch das Arbeitsgericht, eine ausreichende Indizwirkung von drei vom beklagten
Land vorgelegten vertrauensärztlichen Stellungsnahmen (eine vor, eine während
und eine nach dem streitgegenständlichem Zeitraum) , die für den fraglichen Zeitraum
eine Leistungsunfähigkeit des Klägers bejahten.
Nach Ansicht des BAG hatte das
LAG deshalb gegen den Anspruch des beklagten Landes auf rechtliches Gehör verstoßen,
da es einen gebotenen Hinweis auf seine vom Arbeitsgericht abweichende
Auffassung nicht rechtzeitig gegeben und damit dem beklagten Land die
Möglichkeit abgeschnitten habe, dazu mit erläuterndem oder ergänzenden
Sachvortrag zu reagieren.
Würdige ein Gericht einen
Sachverhalt oder Vorbringen in einer Weise, mit der ein gewissenhafter und
kundiger Prozessbeteiligter nach dem bisherigen Verfahrensverlauf nicht rechnen
müsse, verstoße das Gericht elementar gegen seine Hinweispflicht nach § 139
Abs. 1 ZPO und damit das Gebot des rechtlichen Gehörs aus Art. 103 GG, wenn es
nicht darauf hinwirke, dass sich die Partei rechtzeitig und vollständig über alle erheblichen Tatsachen
erklärt und gegebenenfalls ergänzt und Beweismittel benennt. Deshalb dürfe ein
Berufungsbeklagter grundsätzlich darauf vertrauen, dass ihm das
Berufungsgericht einen Hinweis nach § 139 ZPO erteilt, wenn es von der
Beweiswürdigung des Erstgerichts abweichen wolle, wobei er einen Anspruch
darauf habe, dies so rechtzeitig vor einem Termin zu erfahren, dass er noch
rechtzeitig vor dem Termin darauf reagieren könne (BVerfG, Beschluss vom
01.08.2017 - 2 BvR 3068/14 -).
Diese Grundsätze zur
Beweiswürdigung würden auch dann gelten, wenn (wie hier) das Erstgericht sich
vom Arbeitgeber zu eigen gemachte ärztliche Stellungnahmen als ausreichend
ansehe, ein den Annahmeverzug ausschließendes Unvermögen des Arbeitnehmers iSd.
§ 297 BGB zu indizieren. Das sei vom LAG verkannt worden.
Der Berufung des Arbeitgebers auf
eine Leistungsunfähigkeit iSd. § 297 BGB des Arbeitnehmers stelle sich als eine
beachtliche Einwendung dar. Für diese sei er darlegungs- und beweisbelastet
(BAG, Urteil vom 22.08.2018 - 5 AZR 592/17 -). Ein Arbeitgeber habe regelmäßig
keine eigenen näheren Kenntnisse über den Gesundheitszustand seines
Arbeitnehmers, weshalb er seiner primären Darlegungslast durch Hinweis auf die
Leistungsunfähigkeit hindeutende Umstände genüge. Deshalb genüge auch die
Vorlage einer gutachterlichen Stellungnahme (so auch vom Betriebsarzt), wenn er
sich diese zu eigen mache (BAG, Urteil vom 22.08.2018 aaO.).
Ob hier vorgelegte ärztliche
Stellungnahmen als Privatgutachten zu qualifizieren seien, sei eine der
Beweiswürdigung unterliegende tatrichterliche Wertung. Deshalb könne ein
Brufungsbeklagter bei beabsichtigter anderweitiger Würdigung durch das Berufungsgericht
darauf vertrauen, ihn gem. § 139 ZPO rechtzeitig einen rechtlichen Hinweis
erteilt und ihm die Gründe für seine vom Erstgericht abweichende Würdigung
mitteilt.
Das sei hier nicht erfolgt.
Erstmals sei das beklagte Land im Rahmen der Berufungsverhandlung der Hinweis
erteilt worden, die vorgelegten ärztlichen Stellungnahmen würden nach Ansicht
der Berufungskammer kein Indiz für eine Leistungsunfähigkeit des Klägers
darstellen. Dem beklagten Land sei damit die Möglichkeit genommen worden, zu
einer Kernfrage des Rechtstreits (die das Arbeitsgericht noch zu seinen Gunsten
beantwortete), der abweichenden Annahme des LAG entgegenzutreten. Da das
beklagte Land auch nach dem Protokoll der Verhandlung eine Schriftsatzfrist zu
den Hinweis erbat, habe das LAG auch nicht davon ausgehen dürfen, es wolle dazu
keine weiteren Rechtsausführungen oder weiteren Vortrag halten.
Da das beklagte Land im Rahmen
seiner Nichtzulassungsbeschwerde zum BAG dargelegt habe, mit welchen Erwägungen
es auf einen rechtzeitigen Hinweis des LAG reagiert hätte, um dessen Bedenken
gegen eine Indizwirkung zu zerstreuen, könne nicht ausgeschlossen werden, dass
das LAG bei Kenntnis seine Ansicht geändert hätte und doch angenommen hätte,
dass das beklagte Land seiner primären Darlegungslast genügte. In diesem Fall
hätte das LAG zu prüfen gehabt, ob dem der Kläger ausreichend substantiiert
entgegen getreten sei und ob – evtl. nach Beweisaufnahme – eine Leistungsunfähigkeit
des Klägers vorlag oder nicht.
BAG, Beschluss vom 28.08.2019 - 5 AZN 381/19 -