Posts mit dem Label einstweilige Anordnung werden angezeigt. Alle Posts anzeigen
Posts mit dem Label einstweilige Anordnung werden angezeigt. Alle Posts anzeigen

Samstag, 13. Mai 2023

Durchsetzung der Kindesanhörung im Verfahren zur Regelung des Umgangsrechts

Die Parteien waren die Eltern des Kindes L., geb. 2018, welches bei der Antragsgegnerin (AG) lebte. Vom Antragsteller wurde die Regelung des Umgangs und der Informationspflicht beim Familiengericht beantragt. Das Familiengericht bestimmte einen Termin zur Kindesanhörung; in der Verfügung wurde das persönliche Erscheinen der Antragsgegnerin angeordnet und diese aufgefordert, „für das Erscheinend es Kindes Sorge zu tragen“. Zudem wurde ein Hinweis auf Zwangsmittel nach § 35 Abs. 3 FamFG erteilt. Die Antragsgegnerin sowie ihr Kind erschienen nicht; mit Anwaltsschriftsatz wurde behauptet, sie habe mit dem Kind vor dem Gerichtsgebäude gestanden, das Kind habe sich aber geweigert, in das Gebäude zu gehen und mit dem Richter alleine zu reden. Das Familiengericht setzte unter Verweis auf § 89 FamFG gegen die Antragsgegnerin ein Ordnungsgeld in Höhe von € 500,00 fest. Gegen diesen Beschluss legte die Antragsgegnerin erfolgreich (nach Nichtabhilfe durch das Familiengericht) Beschwerde ein.

Die Festsetzung eines Ordnungsgeldes käme hier nicht in Betracht. Für das persönliche Erscheinen der Antragsgegnerin fehle es an einer eindeutigen Anordnung. Zwar sie sie zunächst angeordnet worden, durch den Zusatz aber deutlich gemacht, dass dies lediglich das Erscheinen des Kindes sichern soll. Es könne daher offen bleiben, ob das Erscheinen des betreuenden Elternteils im Rahmen einer Kindesanhörung überhaupt angeordnet werden dürfe (OLG Celle, Beschluss vom 29.07.2019 - 21 WF 123/19 -) und im Vollstreckungsverfahren nach § 33 FamFG geprüft werden dürfe. Ein Ordnungsgeld nach § 33 Abs. 3 S. 1 FamFG gegen die Mutter wegen des Nichterscheinens des Kindes käme nicht in Betracht, da dies nur für die Beteiligten selbst vorgesehen sei.

Auch die Voraussetzungen für ein Zwangsgeld nach § 35 FamFG lägen nicht vor. Es handele sich dabei, anders als die Ordnungsmittel nach § 33 FamFG, um ein in die Zukunft gerichtetes Beugemittel, durch welches eine Handlung oder Unterlassung erzwungen werden soll, ohne Sanktionscharakter zu haben (BGH, Beschluss vom 06.09.2017 - XII ZB 42/17 -). Dies würde aber eine gerichtliche Anordnung voraussetzen, die in der Zukunft noch durchgesetzt werden soll. Da der (einzige) Termin zur Vornahme der Handlung aber bereits abgelaufen war, läge die Voraussetzung nicht vor (OLG Karlsruhe, Beschluss vom 06.08.1997 - 2 WF 71/97 -).

Wie aber soll Verfahren werden, wenn eine verfahrensrechtliche Durchsetzung der Verpflichtung des betreuenden Elternteils, das Kind zur gerichtlichen Anhörung zu bringen, nicht möglich ist ?  Die Norm des § 35 FamFG sei ungeeignet (OLG Celle aaO.; Kammergericht, Beschluss vom 17.05.2019 - 18 UF 32/19 -), da sie sich nur auf einen konkreten Termin beziehe, die Festsetzung und Vollstreckung von Zwangsmitteln aber voraussetze, dass eine Zuwiderhandlung bereits erfolgt sei. Es würde eine Gesetzeslücke bestehen. Auch eine zwangsweise Vorführung des Kindes nach § 33 Abs. 3 S. 3 FamFG käme nicht in Betracht, da ein vierjähriges Kind nicht unentschuldigt fernbleiben würde.

Als Lösungsansatz sieht das OLG bei einer als zwingend vorzunehmenden persönlichen Anhörung des Kindes, welche an der notwendigen Mitwirkung des betreuenden Elternteils scheitere, die verfahrensrechtliche Prüfung, ob nicht aus Verhältnismäßigkeitsgründen ein schwerwiegender Grund für das Absehen von der Kindesanhörung nach § 159 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 FamFG vorliege. Sollte dieser Grund nicht angenommen werden können, wäre materiell-rechtlich eine vorläufige Entziehung des Aufenthaltsbestimmungsrechts nach § 1666 BGB zu überlegen, was häufig die Einleitung eines gesonderten Verfahrens erforderlich mache. Zudem könne - gegebenenfalls in einem gesonderten Verfahren - eine einstweilige Anordnung ohne vorherige Anhörung des Kindes ergehen.

OLG Karlsruhe, Beschluss vom 11.01.2023 - 5 WF 138/22 -

Montag, 24. Oktober 2022

Aussetzung der Vollziehung trotz Verzicht auf Räumungsschutz

Die Beschwerdeführerin (Mieterin) hatte in einem Räumungsrechtsstreit einen gerichtlichen Räumungsvergleich mit der Vermieterseite geschlossen und in diesem eine Räumung zu einem bestimmten Zeitpunkt vollstreckungsfähig erklärt und auf die Stellung von Räumungsschutzanträgen gem. § 794a Abs. 1, 2 ZPO verzichtet. Allerdings ist die Beschwerdeführerin dann nicht ausgezogen und hat einen Räumungsvollstreckungsschutzantrag gestellt über den bisher nicht rechtskräftig entschieden wurde (die Rechtsbeschwerde der Beschwerdeführerin gegen die Zurückweisung des Schutzantrages ist noch beim BGH anhängig). Zur Sicherung ihrer Position (des Besitzes an der Wohnung) stellte die Beschwerdeführerin auch einen Antrag auf einstweilige Aussetzung der Vollziehung des Räumungsvergleichs, §§ 570 Abs. 3 1. Halbs., 575 Abs. 4, 794a Abs. 1 ZPO. Der vom Amtsgericht abgelehnte Antrag wurde vom BGH als Rechtsbeschwerdegericht bewilligt unter der Voraussetzung der Zahlung der im Vergleich vereinbarten Bruttomiete durch die Beschwerdeführerin.

Der BGH wies darauf hin, er könne als Rechtsbeschwerdegericht auch im Wege der einstweiligen Anordnung die Vollziehung einer Entscheidung der ersten Instanz aussetzen, wenn dem Rechtsbeschwerdeführer bei einem Vollzug größere Nachteile drohen würden als dem Gegner, die Rechtsbeschwerde zudem zulässig erscheine und nicht von vornherein ohne Erfolgsaussicht sei.

Hier würden der Beschwerdeführerin bei einer Vollstreckung unwiederbringliche Nachteile durch den Verlust der Wohnung entstehen, vor dem sie in Ansehung eines mittels ärztlichen Attests belegten Schussverletzung am Kopf drei Monate nach Abschluss des Vergleichs und daraus noch andauernden besonderen persönlichen und gesundheitlichen Situation zu schützen sei. Zwar würde der Beschwerdegegner nach vorgelegten Unterlagen auch nicht unerhebliche Nachteile im Falle eines Verbleibs der Beschwerdeführerin in der Wohnung erleiden, doch würden die Nachteile der Beschwerdeführerin vorliegend überwiegen.

Die vom Beschwerdegericht zugelassene Rechtsbeschwerde gegen die Versagung des Räumungsschutzes sei form- und fristgerecht eingelegt worden (also zulässig). Es könnten ihr auch Erfolgsaussichten nicht abgesprochen werden. Die Frage, ob ein Verzicht auf Räumungsschutz nach § 794a Abs. 1, 2 ZPO in einem gerichtlichen Räumungsvergleich wirksam sei und ob er sich auf zum Zeitpunkt des Vergleichsabschlusses unvorhersehbare und unbekannte Härtegründe beziehe, sei umstritten und höchstrichterlich bisher nicht geklärt (BGH, Beschluss vom 28.10.2008 - VIII ZB 28/08 -). Daher könne hier ein Erfolg der Rechtsbeschwerde derzeit nicht verneint werden. Es kämen hier unter Umständen die Unwirksamkeit des Verzichts auf Räumungsschutz aus § 313 BGB (Wegfall vorausgesetzter künftiger Umstände) in Betracht, da nach dem Vortrag der Beschwerdeführerin nicht ausgeschlossen sei, dass die Geschäftsgrundlage aufgrund ihrer nachträglich eingetretenen und unvorhersehbaren gesundheitlichen Situation entfallen sei.

BGH, Beschluss vom 03.06.2022 - VIII ZB 44/22 -

Samstag, 27. November 2021

BVerfG: Einstweilige Versagung des Prozessfortgangs vor Berufungsgericht (§ 32 BVerfGG)

Der Beschwerdeführer hatte sich an das Bundesverfassungsgericht gewandt, da ihr Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe (PKH) vom Berufungsgericht zurückgewiesen wurde. Er sah sich daher der Gefahr ausgesetzt, im Berufungsverfahren nicht mehr anwaltlich vertreten zu sein. Hier besteht allerdings Anwaltszwang, so dass es ihm nicht möglich wäre, sich zur Sache einzulassen oder Anträge zu stellen. Die Zurückweisung durch das Berufungsgericht erfolgte mit der Begründung, die Bedürftigkeit sei von dem Beschwerdeführer nicht hinreichend dargelegt worden.

Mit seiner Entscheidung erklärte das BVerfG der Beschwerdeführerin gesetzte Fristen für wirkungslos und untersage eine Terminierung vor einer Entscheidung des BVerfG, längstens für sechs Monate, § 32 Abs. 1, Abs. 2 BVerfGG. Dieser einschneidende Eingriff in ein laufendes zivilrechtliches Verfahren wurde vom BVerfG damit begründet, dass vorbehaltlich einer weitergehenden Prüfung davon ausgegangen werde, dass die Versagung der Prozesskostenhilfe nicht offensichtlich gerechtfertigt sei.

Die vorläufige Regelung nach § 32 Abs. 1 BVerfGG könne erfolgen, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus einem anderen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten sei, wobei wegen der weittragenden Folgen ein strenger Maßstab anzulegen sei.

Die einstweilige Anordnung diene dazu, die Schaffung vollendeter Tatsachen zu verhindern. Von daher würden Gründe, die für die Verfassungswidrigkeit der angegriffenen Maßnahme vorgetragen würden, grundsätzlich außer Betracht bleien müssen, es sei denn, das Begehren des Beschwerdeführers erweise sich von vornherein unzulässig oder offensichtlich unbegründet. Lägen derartige Versagungsgründe nicht vor, sei eine Folgenabwägung vorzunehmen, welche Nachteile bei Erlass einer einstweiligen Anordnung entstünden und welche bei Versagung derselben entstünden.

Die Verfassungsbeschwerde sei hier nicht von vornherein unbegründet; vielmehr sei es möglich, dass das Berufungsgericht bei der Versagung der PKH für die zweite Instanz den Beschwerdeführer in seinen Rechten aus Ar. 3 Abs. 3 GG iVm. dem Rechtsstaatsprinzip aus Art. 20 Abs. 3 GG verletzte. Es seien möglicherweise vom Berufungsgericht die Anforderungen an die Darlegung der Bedürftigkeit des Beschwerdeführers überspannt worden. Dafür spreche, dass dem seit Jahren grundsicherungsberechtigte Beschwerdeführer sowohl in erster Instanz als auch bereits im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren vor dem BGH PKH bewilligt worden sei und dortige Rückfragen offensichtlich befriedigend waren.

Die Folgenabwägung nach § 32 Abs. 1 BVerfGG würde hier zugunsten des Beschwerdeführers ausfallen. Die Folgen fehlender anwaltlicher Vertretung im Berufungsrechtszug würden schwer wiegen als der Umstand, dass sich später herausstelle, das dass durch eine einstweilige Untersagung unterbrochene Verfahren ohne Rechtsverstoß hätte durchgeführt werden können. Im ersten Fall hätte der Beschwerdeführer die Möglichkeit, der ggf. rechts- und verfassungswidrig unterlassenen Beiordnung eines Rechtsanwalts im Hauptsacheverfahren über eine Nichtzulassungsbeschwerde bzw. Revision (so evtl. wegen fehlerhafter Anwendung von Präklusionsvorschriften oder fehlerhaft angenommener schuldhafter Säumnis) zu korrigieren. Eine verlässliche Beurteilung sei hier nicht möglich, da die erforderliche Prognose des weiteren Prozessverlaufs vom Verhalten aller anderen Prozessbeteiligten und des Entscheidungsausgangs abhänge, insbesondere nach der auch in der Hauptsache zuvor erfolgten Aufhebung und Rückverweisung durch den BGH. Ein Rechtsmittelverlust des Beschwerdeführers infolge der Ablehnung von PKH und der damit verbundenen Versagung der Beiordnung eines Prozessbevollmächtigten sei daher nicht ausgeschlossen. Demgegenüber könne das Berufungsverfahren, sollte sich die angegriffene Entscheidung als verfassungsgemäß erweisen, lediglich zu einem späteren Zeitpunkt fortgeführt werden.

BVerfG, Beschluss vom 03.09.2021 - 2 BvR 1514/21 -

Sonntag, 17. Mai 2020

Datenschutz: Auswertung von Krankendaten durch Übermittlung an Forschungszentrum


Der Antrag des Versicherten einer gesetzlichen Krankenkasse war auf eine einstweilige Anordnung durch das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) gerichtet, den Vollzug der durch Art. 1 des Gesetzes für eine bessere Versorgung durch Digitalisierung und Innovation vom 09.12.2019 in das SGB V eingefügten §§ 68a Abs. 5 und 303a bis 303f außer Kraft zu setzen, hilfsweise § 68a nur mit einem Einwilligungserfordernis und § 303b Abs. 1 nur mit einer Widerspruchsmöglichkeit des gesetzlich Versicherten anzuwenden. Er leide an einer Erbkrankheit und befürchte, trotz Pseudo- und Anonymisierung reidentifiziert werden zu können, sieht auch die Möglichkeit eines Datenmissbrauchs durch Dritte und Unberechtigte. Haupt- und Hilfsantrag wurden zurückgewiesen.

§ 68a Abs. 5 SGB V würde die Krankenkassen ermächtigen, versichertenbezogene Daten ihrer Versicherten pseudonymisiert oder, wenn möglich, auch anonymisiert auszuwerten, um den Versorgungsbedarf im Hinblick auf digitale Innovationen und deren Einfluss auf der Versorgung der gesetzlich Versicherten zu ermitteln und deren möglichen Einfluss auf etwaige positive Versorgungseffekte digitaler Anwendungen zu evaluieren.  Die §§ 303a ff SGB V würden ein Datentransparenzverfahren etablieren, in dem die Daten wie Alter, Geschlecht, Wohnort und bestimmte Gesundheitsdaten an den Spitzenverband Bund der Krankenkassen übermittelt und anschließend an ein noch zu etablierendes Forschungszentrum weitergegeben würden. Dabei solle gewährleistet sein, dass die Pseudonyme eindeutig einem bestimmten Versicherten zugeordnet werden können, um darauf basierend beispielsweise medizinische Langzeitstudien oder Längsschnittanalysen durchführen zu können.

Da das Ergebnis der Verfassungsbeschwerde nicht feststehen würde, der Antrag nicht von vornherein unbegründet erscheine, sei eine Folgenabwägung vorzunehmen. Dabei sei ein besonders strenger Maßstab anzulegen, da ein Aussetzen eines in Kraft getretenen Gesetzes stets ein erheblicher Eingriff in die Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers bedeute. Entscheidend sei daher, ob die Nachteile für den Antragsteller irreversibel oder nur schwer revidierbar wären. Danach scheide hier eine Aussetzung aus.

Die vorgesehene Datenverarbeitung und –übermittlung sei vor allem wegen der teils sensiblen und in hohem Maße persönlichkeitsrelevanten Charakters der genutzten Daten ein erheblicher Grundrechtseingriff, der durch die Menge der Daten , die erhoben, übermittelt, ausgewertet und anderweitig verarbeitet werden dürften, verstärkt werde. Dieser Nachteil trete aber nicht durch den Vollzug der Normen ein, sondern erst dann, wenn entgegen der gesetzlichen Regelung ein Personenbezug zu bestimmten Versicherten hergestellt würde. Das aber versuche das Gesetz durch Vorkehrungen und prozedurale Sicherungen zu verhindern. Auch die Missbrauchsanfälligkeit größerer Datensammlungen für den unberechtigten Zugriff Dritter bedeute einen, vom Gesetz nicht gebilligten Zwischenschritt, dessen Eintritt  nicht mit hinreichender Sicherheit als unmittelbar bevorstehend angenommen werden könne. Wegen zu Unrecht erhobener und gespeicherter Daten, die sich hierzu bei den berechtigten Stellen befänden, könne auch ein Löschungsantrag gestellt werden, so dass der eingetretene Nachteil nicht irreversibel wäre.

Würde dem Eilantrag stattgegeben, wäre eine Übermittlung der sich ohnehin bei den Krankenkassen befindlichen Daten und deren Auswertung nicht möglich. Zwar könnte, würde die Verfassungsbeschwerde abgewiesen werden, die Übermittlung und Auswertung nachgeholt werden. Aber das Ziel des Gesetzgebers, den Bedarf und die Effekte von digitalen Anwendungen mittels empirischer Datengrundlagen zuverlässig einschätzen zu können, würde erheblich zeitlich aufgeschoben und damit erheblich erschwert.

Damit würden die dem Antragsteller bei Nichtergehen einer einstweiligen Anordnung drohenden Nachteile nicht mit der erforderlichen Deutlichkeit die Nachteile überwiegen, die bei einem Erlass der Anordnung trotz späterer Erfolglosigkeit einer noch zu erhebenden Verfassungsbeschwerde einzutreten drohen würden. Angesichts dessen könne auch dem Hilfsantrag nicht stattgegeben werden.

BVerfG, Beschluss vom 19.03.2020 - 1 BvQ 1/20 -