Sonntag, 21. Mai 2023

Nachlasspflegschaft bei Vielzahl von (auch unbekannten) Erben gem. § 1961 BGB

Das OLG Brandenburg setzte sich mit den Hürden für eine von Nachlassgläubigern begehrte Nachlasspflegschaft auseinander, wenn diverse Erben unbekannt sind und diverse Erbausschlagungen von Miterben vorliegen. Denn eine unsichere Erbrechtslage nach § 1961 BGB könne nicht schon angenommen werden, wenn mehre Erben bekannt sind, die keinen Erbschein beantragt haben und auch untätig sind.

Die Antragstellerin begehrte als Nachlassgläubigern des Erblassers die Anordnung einer Nachlasspflegschaft zur Durchsetzung offener Darlehensforderungen. In Ansehung der komplexen Erbrechtslage (die nachverstorbene Ehefrau des Erblassers sei Miterbin geworden, weshalb deren unbekannte Erben nun auch zu berücksichtigen seien, neben den Abkömmlingen des Erblasers aus 1. Ehe, der auch nachverstorben sei, und en Abkömmlingen aus 2. Ehe, von denen zwei die Erbschaft ausgeschlagen hätten, der dritte die Ausschlagungsfrist versäumt habe und Erbe geworden sei; weiterhin sei ein Enkel Erbe geworden, da dessen Mutter die Einholung der Genehmigung für die Ausschlagung versäumt habe).

Das Amtsgericht wies den Antrag zurück. Dagegen wandte sich die Antragstellerin mit ihrer Beschwerde, der vom Amtsgericht nicht abgeholfen wurde und die nunmehr das Oberlandesgericht (OLG) rechtskräftig zurückwies.

Das OLG konstatierte, dass die Antragstellerin gemäß der Voraussetzung der § 1961 einen gegen den Nachlass gerichteten Anspruch geltend machte. Darüber hinaus sei aber eine unsichere Erbrechtslage erforderlich, § 1690 BGB. Der Erbe dürfe die Erbschaft noch nicht angenommen haben, die Annahme müsse ungewiss sein oder der Erbe müsse seiner Person nach unbekannt sein. Abzustellen sei auf die auch im Rahmen der Amtsermittlung erfolgte Überzeugungsbildung des Nachlassgerichts bzw. an seiner Stelle des Beschwerdegerichts, wobei auch im Fall des § 1961 BGB die besondere Situation des dem Erben fernstehenden Gläubigers zu berücksichtigen sei, dem die regelmäßig umfangreiche Nachforschung zur Beschaffung der erforderlichen Unterlagen zum Nachweis der Passivlegitimation des Erben nicht zugemutet werden könne.  Daraus schlussfolgerte das OLG, dass eine unsichere Erbrechtslage vorliege, wenn die maßgeblichen Verhältnisse in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht sehr weitläufig wären, weshalb dem Nachlassgläubiger nicht zugemutet werden könne, den Nachweis zur Erbenstellung zu erbringen. Das sei etwa der Fall, wenn alle potentiellen gesetzlichen und testamentarischen die Erbschaft ausgeschlagen hätten oder weder dem Nachlassgläubiger noch dem Nachlassgericht Erkenntnisse zur Person des Erben bekannt seien. Ausreichend für § 1961 BGB sei, dass beschaffbare Unterlagen zu keiner zweifelsfreien Würdigung der Erbrechtslage führen würden. Stehe mit hoher Wahrscheinlichkeit fest, wer Erbe sei, käme - auch wenn ein Erbschein nicht erteilt würde - eine Nachlasspflegschaft nicht in Betracht (in deren Rahmen der Nachlassgläubiger dann seinen Anspruch gegen den Nachlasspfleger als Vertreter des endgültigen Erben geltend machen kann).

Nach diesen vom OLG benannten Grundsätzen kann nach seiner Auffassung hier keine Nachlasspflegschaft abgeordnet werden. Dabei bezog sich das OLG auf ein anderes Verfahren, in dem die Erben des nachverstorbenen 2. Ehefrau des Erblassers bekannt waren und nach Erlass der hier streitigen Entscheidung des Nachlassgerichts bekannt wurde, dass eine dortige Miterbin die Erbschaft ausgeschlagen habe; ohne diese Feststellung wäre dem Antrag stattzugeben gewesen. Damit würden mit hoher Wahrscheinlichkeit alle Miterben feststehen.

Das OLG sah m Hinblick auf die nach Erlass der Entscheidung des Nachlassgerichts bekannt gewordene Erbausschlagung nach der 2. Ehefrau von einer Kostenauferlegung des Beschwerdeverfahrens aus Billigkeitsgründen ab. Die Entscheidung verdeutlicht aber, dass der Nachlassgläubiger vor der Beantragung einer Nachlasspflegschaft selbst tätig werden muss, um mögliche Erben festzustellen.

OLG Brandenburg, Beschluss vom 22.12.2022 - 3 W 84/22 -


Aus den Gründen:

Tenor

1. Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Amtsgerichts Bad Liebenwerda vom 13.05.2022 wird zurückgewiesen.

2. Von der Erhebung der Kosten für das Beschwerdeverfahren wird abgesehen.

Gründe

I.

Die Antragstellerin begehrt als Nachlassgläubigerin des Erblassers die Anordnung einer Nachlasspflegschaft zur Durchsetzung offener Darlehensforderungen.

Sie meint, es bestehe aufgrund zahlreicher Abkömmlinge und Erbschaftsausschlagungserklärungen eine unsichere Erbrechtslage, insbesondere auch hinsichtlich der nachverstorbenen Ehefrau des Erblassers, die Miterbin geworden sei. Bei der komplexen Erbrechtslage sei es ihr nicht zumutbar, alle Personenstandsurkunden zu beschaffen.

Mit Beschluss vom 13.05.2022 hat das Amtsgericht den Antrag auf Anordnung eiern Nachlasspflegschaft zurückgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Erben des Erblassers seien entgegen der Ansicht der Antragstellerin nicht unbekannt, sondern bislang lediglich untätig geblieben. Der Erblasser habe einen Sohn aus erster Ehe (R… T…), der nachverstorben sei. Aus zweiter Ehe stammten vier Kinder, von denen Si… T…, Sy… T… und K… T… jeweils für sich und ihre Abkömmlinge wirksam die Erbschaft ausgeschlagen hätten. Der Sohn T… T… habe die Ausschlagungsfrist verstreichen lassen und sei damit Erbe geworden. Erbe sei auch der Enkel L… H… geworden, weil seine Mutter von der rechtskräftigen Genehmigung der Ausschlagungserklärung keinen Gebrauch gemacht habe. Schließlich sei auch die nachverstorbene Ehefrau zur Hälfte Miterbin geworden, deren Erben seien bekannt. Die Antragstellerin könne die für die Beantragung eines Erbscheins erforderlichen Unterlagen bei den jeweils zuständigen Standesämtern - wie mit Schreiben vom 06.10.2021 (Bl. 16) mitgeteilt - beantragen und direkt an das Nachlassgericht übersenden lassen.

Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Antragstellerin, die ihren Antrag weiter verfolgt. Sie meint, die Verhältnisse der Erbfolge seien sehr weitläufig und kompliziert. So sei unklar, ob der Enkel L… H… Erbe geworden sei. Auch die Erbensituation nach der nachverstorbenen Ehefrau G… T… sei unsicher, wie sich aus ihrer Beschwerdegründung in der Parallelsache 70 VI 679/21 ergebe. Es genüge auch nicht, wenn lediglich einige Erben bekannt seien, andere hingegen nicht.

Das Amtsgericht hat der Beschwerde aus den Gründen des angefochtenen Beschlusses nicht abgeholfen und die Sache dem Senat zur Entscheidung vorgelegt.

II.

Die gemäß §§ 58 ff. FamFG zulässige Beschwerde ist unbegründet.

Die Voraussetzungen für die Anordnung eiern Nachlasspflegschaft nach § 1961 BGB liegen nicht vor.

Zwar macht die Antragstellerin, wie es § 1961 BGB voraussetzt, einen gegen den Nachlass gerichteten Anspruch geltend. Für die Bestellung eines Nachlasspflegers auf Antrag eines Gläubigers ist darüber hinaus aber, wie im Rahmen des § 1960 BGB auch, Voraussetzung, dass eine unsichere Erbrechtslage besteht. Der Erbe darf also die Erbschaft noch nicht angenommen haben, die Annahme muss ungewiss sein oder der Erbe muss seiner Person nach unbekannt sein (BeckOGK/Heinemann, BGB, Stand: 01.09.2022; § 1961 Rn. 20). Abzustellen ist hierbei auf die vom Nachlassgericht bzw. von dem an seine Stelle tretenden Beschwerdegericht aufgrund seiner Amtsermittlung gebildeten Überzeugung, wobei im Falle des § 1961 BGB auch die besondere Situation eines dem Erben fern stehenden Gläubigers zu berücksichtigen ist, dem regelmäßig umfangreiche Nachforschungen zur Beschaffung der erforderlichen Unterlagen zum Nachweis der Passivlegitimation des Erben nicht zugemutet werden können (BeckOGK/Heinemann, a. a. O. § 1961 Rn. 21). Danach liegt eine unsichere Erbrechtslage vor, wenn die für die Erbfolge maßgeblichen Verhältnisse in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht sehr weitläufig und verwickelt sind, sodass dem Nachlassgläubiger die Beschaffung der zum Nachweis der Erbenstellung, insbesondere zur Erteilung eines Erbscheins, erforderlichen Unterlagen nicht zugemutet werden kann. Dies ist etwa der Fall, wenn alle bekannten potentiellen gesetzlichen und testamentarischen Erben die Erbschaft ausgeschlagen haben oder wenn weder dem Nachlassgläubiger noch dem Nachlassgericht Erkenntnisse über die Person des Erben bekannt sind. Unsicherheit besteht auch, wenn mehrere Erbprätendenten über die Erbenstellung streiten. Entsprechende Unsicherheit besteht schon dann, wenn die beschaffbaren Unterlagen zu keiner zweifelsfreien Würdigung der Erbrechtslage führen (BeckOGK/Heinemann, a. a. O. § 1961 Rn. 22). Steht allerdings nach den tatsächlichen Verhältnissen mit hoher Wahrscheinlichkeit fest, wer Erbe ist, kommt die Anordnung einer Nachlasspflegschaft nicht in Betracht, auch wenn ein Erbschein nicht erteilt ist (KG, Beschluss vom 24.02.1998 - 1 W 364 und 365/98).

Dies zugrunde gelegt, liegt zum Zeitpunkt der Entscheidung des Senats über die Beschwerde keine unsichere Erbrechtslage (mehr) vor.

Die Abkömmlinge des Erblassers haben sämtlich die Erbschaft ausgeschlagen mit Ausnahme des Sohnes P… T… T… und des am 28.01.2019 nachverstorbenen Sohnes R… J… H…, geb. T…. Für die Enkel des Erblassers nach Sy… T… und nach K… T… und den Enkel M… H… liegen ebenfalls wirksame Ausschlagungserklärungen vor. Für den Enkel L… H… hat dessen allein sorgeberechtigte Mutter zwar eine notarielle Ausschlagungserklärung eingereicht und diese vom Familiengericht genehmigen lassen, allerdings die rechtskräftige amtsgerichtliche Genehmigung nicht fristgerecht beim Nachlassgericht eingereicht. Schließlich hat der am 28.01.2019 verstorbene R… J… H… nach Mitteilung des Standesamtes … einen Sohn namens F… K… hinterlassen. Hinsichtlich der weiteren Miterbin A… G… T…, der nachverstorbenen Ehefrau des Erblassers, hat der Senat bereits mit Beschluss vom 24.10.2022 - 3 W 85/22 - entschieden, dass die Voraussetzungen der Anordnung einer Nachlasspflegschaft mangels unsicherer Erbrechtslage nicht gegeben sind, nachdem im Beschwerdeverfahren geklärt werden konnte, dass für deren Miterbin M… Sch… eine wirksame Ausschlagungserklärung vorliegt. Damit stehen mit hoher Wahrscheinlichkeit alle Erben des Erblassers fest.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 81 Abs. 1 S. 2 FamFG. Der Beschwerdeführerin sind ausnahmsweise die Kosten ihrer erfolglosen Beschwerde nicht aufzuerlegen, weil dies unbillig erscheint. Denn diese blieb nur deshalb erfolglos, weil erst nach Erlass der erstinstanzlichen Entscheidung geklärt werden konnte, ob die Miterbin M… Sch… das Erbe wirksam ausgeschlagen hatte, so dass erst zweitinstanzlich die Voraussetzungen für die Anordnung der Nachlasspflegschaft entfallen sind.


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