Donnerstag, 10. Juni 2021

Arglistiges Verschweigen durch Testamentsvollstrecker bei fehlender Offenbarung von Denkmalschutz ?

Die Denkmalschutzeigenschaft eines Gebäudes, welches Kaufobjekt ist, kann sich als Sachmangel iSv. § 434 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 BGB darstellen. Ein Käufer einer Immobilie darf grundsätzlich davon ausgehen, dass diese nicht unter Denkmalschutz steht, da Denkmalschutz die Ausnahme von der Regel ist. Mit dem Denkmalschutz sind Verpflichtungen und Beschränkungen für den Eigentümer verbunden, die einer öffentlich-rechtlichen Baubeschränkung gleichkommen. So bedarf es bei Veränderungen der Genehmigung der zuständigen Behörde und das Denkmal ist in einem denkmalgerechten Zustand zu erhalten. Häufig sind sowohl Umbau wie auch Erhaltungsmaßnahmen nur unter (die Kosten erhöhenden) denkmalschutz-rechtlichen Auflagen möglich. Offen ist, ob das Gebäude in das Verzeichnis der geschützten Denkmäler aufgenommen sein muss, oder ausreichend ist, dass es in ein Verzeichnis von erkannten Denkmälern aufgenommen ist (so die Unterscheidung nach dem vorliegend zur Anwendung gekommenen Hamburger Denkmalschutzgesetz). 

Ausgangspunkt des Rechtsstreits war ein notarieller Kaufvertrag vom 21.12.2009, mit dem der Beklagte als Testamentsvollstrecker (der Erbengemeinschaft gehörten der Testamentsvollstrecker, sein Bruder und seien Schwester an) aus einem Nachlass seines 1999 verstorbenen Vaters ein mit einem Wohnhaus bebautes Grundstück in Hamburg an eine KG unter Ausschluss der Sachmängelhaftung veräußerte. Weiter hieß es in dem Kaufvertrag, dass der Verkäufer darauf hinweise, dass nach seiner Kenntnis das Objekt nicht in der Denkmalschutzliste eingetragen sei, „es jedoch aus Sicht des Denkmalpflegers erhaltenswerte Bauelemente gibt“. Tatsächlich war das Objekt in die Liste der erkannten Denkmäler aufgenommen worden und das diesbezügliche Informationsschreiben der Schwester des Testamentsvollstreckers am 17.05.2006 durch Postzustellungsurkunde zugestellt worden sowie an den beklagten Testamentsvollstrecker und seinen Bruder an die Grundstücksverwaltung gesandt worden. Der Kläger beabsichtigte das Haus zu sanieren und einer ursprünglichen Nutzung als Einfamilienhaus zuzuführen. In 2012 erhielt er im vereinfachten Verfahren eine Baugenehmigung. In 2013 wurde das Haus in die Denkmalliste eingetragen, woraufhin das Denkmalschutzamt einen Baustopp erließ. Für die geänderte Planung erhielt der Kläger eine Baugenehmigung unter Auflagen. Mit seiner Klage begehrte er als Ersatz des Minderwerts und vergeblicher Aufwendungen rund € 2,8 Mio. und Feststellung der Verpflichtung zum Ersatz weiterer Schäden. Der Klage wurde, nachdem das Landgericht sie abgewiesen hatte, auf die Berufung des Klägers hin vom OLG stattgegeben. Die Revision zum BGH führte zur Aufhebung des Urteils des OLG.

Auch wenn hier das Haus zum Zeitpunkt des Kaufvertragsabschlusses noch nicht in die Liste der Denkmäler eingetragen war, so war es doch in der Liste der erkannten Denkmäler eingetragen. Den Verkäufer treffe nach Ansicht des BGH eine Offenbarungspflicht hinsichtlich solcher Umstände, die für die Entschließung des Käufers von entscheidender Bedeutung seien und deren Mitteilung der Käufer nach der Verkehrsauffassung erwarten dürfe. Dies würde auch für die Eintragung in die Liste der erkannten Denkmäler gelten. Sie löse auch nach dem Hamburger Denkmalschutzgesetz (in der Fassung bei Kaufvertragsabschluss) die bußgeldbewehrte Pflicht aus, alle beabsichtigten Veränderungen dem Denkmalschutzamt anzuzeigen, woraufhin das Denkmalschutzamt prüfen könne, ob es ein Unterschutzstellungsverfahren einleite. Eine Unterschutzstellung sei wahrscheinlich, da es sich mit der Eintragung in das Verzeichnis der erkannten Denkmäler um ein Gebäude handele, wessen Erhaltung im öffentlichen Interesse läge. Vor diesem Hintergrund käme ein Anspruch des Klägers gegen den Beklagten aus Verschulden bei Vertragsschluss in Betracht. Voraussetzung wäre, da es sich bei der Eintragung in das Verzeichnis erkannter Denkmäler um einen Sachmangel handele, für den hier eine Haftung vertraglich ausgeschlossen sei, dass der Beklagte vorsätzlich arglistig gehandelt habe, § 444 BGB, und setze, wegen der Sperrwirkung der Sachmängelhaftung, eine vorsätzliche Verletzung der Aufklärungspflicht voraus.  

Eine Arglist des Beklagten negierte - anders als das OLG - der BGH.

Abzustellen sei auf den Beklagten, da dieser die Immobilie in seiner Eigenschaft als Testamentsvollstrecker veräußert habe und damit selbst Vertragspartner des Klägers geworden sei. Nur seine Person sei, soweit die rechtlichen Folgen einer Willenserklärung durch Willensmängel oder durch Kenntnis oder Kennenmüssen von Umständen beeinflusst würden, entscheidend. Nicht abgestellt werden könne auf den Fall (BGH, Urteil vom 08.04.2016 - V ZR 150/15 -), bei dem sich keiner der Verkäufer gem. § 444 Alt. 1 BGB auf den Ausschluss der Sachmängelhaftung berufen könne, wenn einer der Mitverkäufer einen Mangel arglistig verschweige. Der für den Nachlass handelnde Testamentsvollstrecker bilde mit den (hier weiteren) Erben keine Verkäufermehrheit. Mithin wäre eine eigene positive Kenntnis des Verkäufers erforderlich oder dass ihm die Kenntnis eines Wissensträgers analog § 166 BGB zugerechnet werden könne. Beides sei nicht der Fall.

Vorliegend habe der Beklagte darauf hingewiesen, dass das Haus unter Beobachtung des Denkmalschutzes stünde. Dass er Kenntnis von einer Eintragung in eine Liste erkannter Denkmäler gehabt habe, ist nicht bewiesen. Die Kenntnis seiner Schwester sei ihm nicht zuzurechnen, das er als Testamtsvollstrecker alleine der Verkäufer war; eine Zurechnung über das Institut der „Organisation eines innerbetrieblichen Informationsaustauschs“ käme daher hier nicht in Betracht. § 166 BGB sie hier nicht einschlägig, da nach den Feststellungen des OLG nicht davon auszugehen sei, dass der Beklagte seine Schwester damit betraut habe, bestimmte Aufgaben in Bezug auf das Grundstück zu erledigen. Auch die Rechtsprechung, dass eine Organisation im Rahmen des ihr zumutbaren sicherstellen müsse, dass die ihr ordnungsgemäß zugehenden, rechtserheblichen Informationen an die entscheidenden Personen weitergeleitet und von diesen zur Kenntnis genommen würden, greife nicht, da eine derartige Situation zwischen dem Beklagten und seinen Geschwistern nicht vorläge. Der Erbe sei nicht kraft Erbenstellung in die Organisation des Testamentsvollstreckers eingebunden, vielmehr beschränke die Testamentsvollstreckung die Erbenstellung. Auch könne dem Beklagten nicht das Wissen der Grundstücksverwaltung zugerechnet werden, da nicht vorgetragen wurde, dass diese in die Veräußerung des Hauses einbezogen worden sei. Die Wissenszurechnung aus den Grundsätzen „Organisation eines innerbetrieblichen Informationsaustauschs“ scheide auch hier aus, da diese im Verhältnis zwischen einem Grundstücksverkäufers und einer nur mit der Verwaltung beauftragten, rechtlich und organisatorisch selbständigen Verwaltung nicht stattfinde.

BGH, Urteil vom 19.03.2021 - V ZR 158/19 -

Sonntag, 6. Juni 2021

„Lenkende Ausschlagung“ der Erbschaft und für Anfechtung unbeachtlicher Motivirrtum

Die Beteiligte zu 1. war die Ehefrau des Verstorbenen, die Beteiligten zu 3. und 4. seine Kinder. In einem gemeinschaftlichen Testament hatten sich die Eheleute wechselseitig zu alleinigen Erben eingesetzt. Der Beteiligte zu 2. war der Sohn des Beteiligten zu 4. Die Beteiligten zu 1. und 4. schlugen in der Annahme, der Beteiligte zu 3. sei dann alleiniger Erbe, die Erbschaft aus und der Beteiligte zu 3. Stellte einen Erbscheinsantrag. Das Amtsgericht wies darauf hin, dass der Beteiligte zu 2. in der Erbfolge nach der Ausschlagung des Beteiligten zu 4. einrücke. Daraufhin änderte die Beteiligte zu 3. ihren Antrag und beantragte einen Teilerbschein, der sie als Erbin zu ½ ausweise.  Einen gleichen Antrag stellte der beteiligte zu 2. Am 26.06.2020 erklärte die Beteiligte zu 1. die Anfechtung ihrer Ausschlagung und die Einziehung der zwischenzeitlich erteilten Erbscheine. Sie kündigte die Stellung eines Erbscheinsantrages auf sich als Alleinerbin an und führte aus, der Grundbesitz seit erheblich belastet gewesen und nur die Beteiligte zu 3. und deren Ehemann seien in der Lagegewesen, diese Verbindlichkeiten abzutragen. Mit ihrer Ausschlagung habe sie erreichen wollen, dass die Beteiligte zu 3.  Alleinerbin werde, nachdem auch der Beteiligte zu 4. die Erbschaft ausgeschlagen habe. Der Beteiligte zu 2. trat dem Antrag der Beteiligten zu 1. entgegen. Derr Antrag der Beteiligten zu 1. Wurde vom Nachlassgericht zurückgewiesen. Dagegen legte die Beteiligte zu 1. Beschwerde ein, die, nachdem ihr das Nachlassgericht nicht abhalf, vom OLG zurückgewiesen wurde.

Das OLG negierte einen Anfechtungsgrund.

Zwar könne grundsätzlich ein Anfechtungsgrund vorliegen, wenn sich der Ausschlagende über die Person, bei der die Erbschaft aufgrund der Anfechtung anfalle, irre. Es würde sich dann im einen beachtlichen Rechtsfolgeirrtum handeln, der als Inhaltsirrtum grundsätzlich die Anfechtung rechtfertige. § 119 BGB. Ein Rechtsfolgenirrtum würde im Rahmen des § 119 BGB grundsätzlich einen zur Anfechtung berechtigenden Inhaltsirrtum darstellen. Dies sei dann der Fall, wenn der Erklärende über die Rechtsfolgen seiner Willenserklärung irrt, da die Erklärung nicht die von ihm erstrebte Rechtswirkung erzeuge, sondern eine solche bewirke, die sich davon unterscheide. Dies sei aber nur der Fall, wenn die vorgenommene Erklärung (das vorgenommene Rechtsgeschäft) eine wesentlich andere als die beabsichtigte Wirkung erzeuge. Der nicht erkannte Eintritt zusätzlicher oder mittelbarer Rechtswirkungen, die zu den gewollten und auch eingetretenen Rechtsfolgen hinzutreten würden, würden sich nicht als Irrtum über den Inhalt darstellen, sondern als nach § 119 BGB unbeachtlicher Motivirrtum (BGH, Urteil vom 29.06.2016 – IV ZR 387/15 -; BGH, Beschluss vom 05.07.2006 – IV ZB 39/05 -).

Vorliegend würde es sich um eine „lenkende Ausschlagung“ handeln. Auch dabei sei der Irrtum über die Person des nächstberufenen Erben eine beachtlicher Rechtsfolgenirrtum iSv. § 119 BGB. Mit der Ausschlagung würde nicht nur der Ausschlagende gem. § 1953 als Erbe wegfallen. Sondern zugleich die Erbschaft dem Nächstberufenen anfallen. Dieser Anfall sei die unmittelbare Rechtsfolge der Ausschlagung. Mithin könne grundsätzlich der Ausschlagende dann anfechten, wenn das Lenkungsziel der Ausschlagung verfehlt würde (in Rechtsprechung und Literatur strittig; teilweise wird auch hier ein unbeachtlicher Motivirrtum angenommen). Nach Ansicht des OLG käme es vorliegend auf den Meinungsstreit dazu aber nicht an. Sie habe gewusst, dass mit ihrer Ausschlagung die Beteiligten zu 3. und 4. Erben würden, wie sie es auch in ihrer Ausschlagungserklärung angegeben habe. Damit sei dies so von ihr gewollt worden. Sie habe sich lediglich darüber geirrt, dass mit der weiteren, danach vom Beteiligten zu 4. abgegebenen Ausschlagungserklärung der zunächst auf den Beteiligten zu 4. fallende Erbanteil dann nicht auf die Beteiligte zu 3. übergeht, sondern auf den Sohn des Beteiligten zu 4., den Beteiligten zu 2. Einem entsprechenden Irrtum könnte zwar auch der Beteiligte zu 4. Unterlegen sein, der dann seine Ausschlagung hätte anfechten können, was er aber nicht tat. Für die Beteiligte zu 1. Habe es sich jedenfalls nicht um eine unmittelbare Rechtsfolge ihrer Ausschlagungserklärung gehandelt, dass der Beteiligte zu 2. Miterbe wurde, sondern lediglich um eine mittelbare Rechtsfolge. Dies stelle aber keinen beachtlichen Rechtsfolgeirrtum nach § 119 BGB dar, sondern nur einen unbeachtlichen Motivirrtum.

OLG Frankfurt, Beschluss vom 06.02.2021 - 21 W 167/20 -

Freitag, 4. Juni 2021

Anwaltliche bei Ehegattentestament und Gebühren (Beratungs- oder Geschäftsgebühr ?)

Die Kläger waren Eheleute und wollten ein Testament aufsetzen. Dazu suchten sie den beklagten Rechtsanwalt auf, von dem sie sich beraten ließen. Dieser entwarf dann ein gemeinschaftliches Testament für die Eheleute, nach dem sich diese wechselseitig als Erben einsetzten. Mit dem Entwurf überließ der Beklagte den Klägern eine Abschlagsrechnung über € 1.808,80, woraufhin die Kläger das Mandat kündigten. Nunmehr rechnete der Kläger endgültig ab und machte eine 1,0fache Geschäftsgebühr gem. § 2 Abs. 2 RVG Nr. 2300 VV RVG nebst Auslagenpauschale und Umsatzsteuer geltend; als Wert setzte er den Betrag von € 450.000,00 ein.  Den sich daraus ergebenden Betrag von € 3.704,47 zahlten die Beklagten. Danach forderten sie Rückzahlung in Höhe von 3.293,92 und macht geltend, der Beklagte hätte lediglich eine Beratungsgebühr nach § 34 Abs. 1 RVG in Höhe von € 250,00 eine Mehrgebühr (Vertretung von zwei Auftraggebern) von 0,3 gem. § 2 Abs. 2 RVG Nr. 1008 VV RVG mit € 75,00 nebst Auslagenpauschale und Umsatzsteuer (insgesamt € 410,55) berechnen dürfen. Das Amtsgericht wies die Klage ab; auf die Berufung wurde dessen Urteil abgeändert und der Klage stattgegeben. Die zugelassene Revision wurde zurückgewiesen.

Der BGH verwies darauf, dass das Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG) bei der außergerichtlichen anwaltlichen Tätigkeit zwischen Beratung und Vertretung des Mandanten unterscheide. Die Beratung richte sich nur an den Mandanten und die Vergütung sei in § 34 RVG geregelt. Bei der Vertretung sie schon sprachlich ein Dritter erforderlich, gegenüber dem die Vertretung erfolge; diese werde mit einer Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 bis 2303 VV RVG vergütet. Ob Beratung oder Vertretung vorliege richte sich nach dem Inhalt des Auftrags.

Die auf die Erstellung eines Entwurfs eines Testaments gerichtete Tätigkeit eines Rechtsanwalts stelle sich als Beratung dar. Es läge weder das betreiben eines Geschäfts noch die Mitwirkung an der Gestaltung eines Vertrags iS. der Vorbemerkung 2.3 Abs. 3 VV RVG vor. Beratung und Entwurfs des Testaments beträfen nur den Mandanten, der das Testament errichten wolle. Dies würde auch dann gelten, wenn bei einer nichtehelichen Lebensgemeinschaf zwei aufeinander abgestimmte Testamente erstellt werden sollen.  Alleine die Kenntnis der zwei Mandanten von dem jeweiligen Testament des Anderen reiche für eine nach außen gerichtete Tätigkeit („Vertretung“) nicht aus, da beide zusammen den Auftrag erteilt hätten. Anders als bei einem Erbvertrag würde auch eine Mitwirkung an einem Vertrag iS. der Vorbemerkung 2.3 Abs. 3 VV RVG nicht begründen können, da jeder der Testierenden sein Testament jederzeit widerrufen oder ändern  könne (§ 2302 BGB).

Für ein gemeinschaftliches Testament sei umstritten, ob eine Geschäftsgebühr anfalle und der BGH habe dies bisher offen gelassen. Nunmehr stellte der BGH klar, dass die Mitwirkung bei der Errichtung eines gemeinschaftlichen Testaments kein Betreiben eines Geschäfts sei. Sie beträfe nur die Eheleute bzw. Lebenspartner, die das Testament errichten wollen (§§ 2265 Abs. 10 BGB, 10 Abs. 4 LPartG). Der Rechtsanwalt würde hier nicht die Interessen eines Testierenden gegen den jeweils anderen vertreten, da bei Auftraggeber seien, was auch im Hinblick auf das Verbot der Vertretung widerstreitender Interessen ergäbe (§ 43a Abs. 4 BRAO) problematisch wäre.

Es handelt sich dabei auch nicht um eine Mitwirkung bei der Gestaltung eines Vertrages, selbst wenn das Testament wechselbezügliche Verfügungen (§§ 2270, 2271 BGB) enthalte. Der Vertrag würde durch korrespondierende Willenserklärungen der Vertragspartner nach §§ 145ff BGB geprägt (Angebot und Annahme), demgegenüber das Testament durch eine einseitige, nicht empfangsbedürftige Erklärung errichtet würde (§ 1937 BGB). Das gemeinschaftliche Testament enthalte einseitige Verfügungen beider Eheleute/Lebenspartner, die durch wechselbezügliche Verfügungen voneinander abhängig gemacht werden könnten. Auch dies stelle einseitige Erklärungen der Eheleute dar.

Nr. 2300 VV RVG könne auch nicht durch erweiternde Auslegung über den in der Vorbemerkung zu der Bestimmung eine zusätzliche Fallgruppe, bezogen auf den Fall des gemeinschaftlichen Testaments, erfolgen. Dies schon deshalb, da auch ohne die erweiternde Auslegung über § 34 RVG eine angemessene Vergütung des Rechtsanwalts erreicht würde, da der Rechtsanwalt eine Gebührenvereinbarung vorschlagen und bei Zustimmung abschließen könne.

BGH, Urteil vom 15.04.2021  - IX ZR 143/20 -

Sonntag, 30. Mai 2021

Der Containerbetrieb als Zustandsstörer bei Inanspruchnahme durch den Grundstückseigentümer

Der Kläger hatte eine Lagerhalle an die zwischenzeitlich insolvente Mieterin vermietet. Ein Entsorgungsunternehmen (die Beklagte) wurde noch vor der fristlosen Kündigung und Zwangsräumung von der Mieterin beauftragt, zwei Abfallcontainer auf dem Grundstück aufzustellen und nach der Befüllung mit Altholz und Abbruchholz zu entsorgen. Da die Mieterin die Kosten nicht zahlte, holte die Beklagte die Container nicht ab. Nachdem das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Mieterin eröffnet wurde, erklärte sie die Beklagte bereit, die Container ohne den in ihnen befindlichen Inhalt abzuholen. Der Klage wurde vom Amtsgericht nur im Hinblick auf eine Abholung der Container ohne Inhalt stattgegeben. Auf die Berufung des Klägers wurde die Beklagte zur Abholung der Container mit Inhalt verurteilt. Die zugelassene Revision der Beklagten wurde zurückgewiesen.  

Nach Auffassung des BGH würden die auf dem Grundstück des Klägers mit Abfall befüllten Container eine rechtswidrige Beeinträchtigung des Eigentums des Klägers darstellen. Der Kläger habe einen Beseitigungsanspruch gem. § 1004 Abs. 1 S. 1 BGB. Zwar sei der Grundstückseigentümer nach § 1004 Abs. 2 BGB verpflichtet, das Abstellen von Gegenständen auf seinem Grundstück zu dulden, wenn dem Mieter selbst ein solches Recht gegenüber dem Eigentümer zustünde und der Dritte im Einverständnis mit dem Mieter handele. Von diesem Recht sei hier zwar auszugehen, doch erlösche dieses Recht. Müsse der Eigentümer den Verbleib der Gegenstände nicht dulden. Spätestens mit der vom Kläger beauftragten Zwangsräumung durch den Gerichtsvollzieher könne nicht mehr von einer Zustimmung des Klägers ausgegangen werden.

Die Beklagte könne auch als Zustandsstörer in Anspruch genommen werden. Zustandsstörer sei derjenige, der zwar die Beeinträchtigung nicht verursacht habe, durch dessen maßgeblichen Willen aber der beeinträchtigende Zustand aufrechterhalten bleibe. Der Zustandsstörer müsse auch die Quelle der Störung beherrschen, also sie beseitigen können. Erforderlich für die Zurechnung der Beeinträchtigung sei, dass diese zumindest mittelbar auf den Willen des Eigentümers oder Besitzers des störenden Gegenstandes zurückgehen würde. Dies sei in wertender Betrachtung festzustellen, wobei entscheidend sei, ob es Sachgründe dafür gäbe, dem Eigentümer/Besitzer der störenden Sache die Verantwortung für ein Geschehen aufzuerlegen.

Diese Voraussetzungen sah der BGH als gegeben an.

Der entscheidende Sachgrund für die Zurechnung läge darin, dass die Beklagte die Container nicht nur an den Mieter ausgeliefert habe, sondern sich auch verpflichtet habe, die nach erfolgter Befüllung wieder abzuholen und den Inhalt zu entsorgen. Bei einer wertenden Betrachtung sei es daher dem Verantwortungsbereich der Beklagten zuzurechnen, dass die gefüllten Container nicht abgeholt wurden. Alleine die Erwartung der Beklagten, die Mieterin würde ihrer vertraglichen Verpflichtung zur Zahlung der Vergütung nachkommen, und diese sich infolge der Insolvenz der Mieterin nicht erfüllte, stehe dem nicht entgegen. Der Kläger würde nicht in einem Vertragsverhältnis mit der Beklagten stehen.

Der Pflicht, auch die Befüllung der Container zu holen (und zu entsorgen), sei nicht deshalb entfallen, da die Mieterin die von ihr eingefüllten Gegenstände bereits vor der Befüllung auf dem Grundstück des Klägers hatte. Auch hier sei entscheidend, dass die Container gerade zur Befüllung mit den Abfällen zum anschließenden Abtransport durch die Beklagte aufgestellt worden seien. Für die Eigentumsbeeinträchtigung in ihrer konkreten Form sei es unerheblich, wo sich die von der Mieterin entsorgten Gegenstände vorher befanden.

Selbst wollte man annehmen, dass Dritte unberechtigt Abfall in die Container gefüllt haben würden, wäre die Beklagte Störer. Es würde ein adäquater Zusammenhang bestehen. Nur dann, wenn die Befüllung der aufgestellten und nicht abgeholten Behälter durch Dritte ein besonders eigenartiger, unwahrscheinlicher und nach dem Verlauf der Dinge außer Betracht zu lassender Umstand wäre, würde dies nicht gelten. Vorliegend seien die Behälter nicht verschlossen gewesen, weshalb es allgemeiner Lebenserfahrung entspräche, dass Dritte Abfälle in die geöffneten Behälter einwerfen würden. Dahinstehen könne ob dies auch für den (hier nicht vorliegenden) Fall gelten würde, dass Gift- oder Gefahrstoffe, deren Entsorgung mit hohen Kosten verbunden wären, gilt.

BGH, Urteil vom 26.03.2021 - V ZR 77/20 -

Freitag, 28. Mai 2021

Berücksichtigung von Nutzungsvorteilen im Rahmen der Vorteilsausgleichung (Dieselskandal)

Die Entscheidung betraf einen der vielen Fälle um den sogen. Dieselskandal. Der Kläger verlangte von dem beklagten Hersteller Schadensersatz wegen Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung an seinem VW Caddy Maxi CL 2.0 TDI. Das Landgericht hatte der Klage nur teilweise stattgeben; die Abweisung erfolgte wegen gezogener Nutzungsvorteile. Die Berufung des Klägers wurde zurückgewiesen. Mit der zugelassenen Revision verfolgte der Kläger seinen Anspruch erfolglos weiter.

Grundsätzlich habe, so der BGH, einen Anspruch auf Schadensersatz gem. § 826 BGB iVm § 31 BGB analog auf Erstattung des Kaufpreises und der hier von ihm aufgebrachten Umbaukosten Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs an den Beklagten Hersteller. Allerdings habe er sich im Wege der Vorteilsanrechnung die gezogenen Nutzungen anrechnen zu lassen.  

Die Einwände des Klägers, die Vorteilsanrechnung würde die Präventionswirkung des Deliktrechts verfehlen, das Gebot der unionsrechtskonformen Rechtsanwendung verletzen und die Beklagte unangemessen entlasten sowie die gesetzlichen Wertungen missachten, würden nicht greifen. Der BGH verwies dazu auf seine Urteile vom 25.05.2020 - VI ZR 252/19 - und vom 30.07.2020 - VI ZR 354/19 -. Hier hatte der BGH festgehalten, dass zwar das Deliktsrecht Präventionswirkung habe (BGH, Urteil vom 28.06.2011 - KZR 75/10 -), aber es nicht geboten sei, in Bezug auf die sich als  nützliche Folge der Kompensation der Prävention die Vorteilsausgleichung grundsätzlich auszuschließen, zumal dann der Ersatzanspruch in die Nähe eines dem deutschen Recht fremden Strafschadensersatzes rücke.  Die unionsrechtlichen Bestimmungen (hier in Form der Richtlinie 2007/46/EG seien nicht einschlägig, da diese nur fordern würden, dass die EU-Typenbestimmungen eingehalten würden, nichts aber dazu aussagen würden, ob ein Vorteilsausgleich auszugleichen bzw. nicht auszugleichen sei.

Die Berechnung des Vorteils gemäß § 287 ZPO, bei der von einer geschätzten Laufleistung von 300.000km ausgegangen wurde, sei nicht zu beanstanden. Der Vorteil errechne sich aus dem Bruttokaufpreis multipliziert mit den zurückgelegten Kilometern, dividiert durch die erwartete Restlaufleistung zum Zeitpunkt des Erwerbs.

Soweit eingewandt wurde, ein Nutzungsvorteil sei deshalb erheblich herabzusetzen, da die Fahrzeugnutzung rechtlich unzulässig gewesen sei, sei unbeachtlich, da es bei dem Vorteilsausgleich auf die tatsächliche Nutzung und die daraus gezogenen Vorteile, nicht auf eine fiktive Nutzungsmöglichkeit ankäme.

BGH, Urteil vom 02.03.2021 - VI ZR 147/20 -

Mittwoch, 26. Mai 2021

Fenstersturz des an Demenz erkrankten Bewohners und Haftung des Pflegeheimbetreibers

Die Klägerin klagte aus abgetretenen Recht der Ehefrau auf Zahlung von Schmerzensgeldes wegen tödlicher Verletzungen von deren Ehemann (Erblasser) auf Grund eines Sturzes aus einem Fensters des beklagten Alten- und Pflegeheims. Der Erblasser war hochgradig dement, litt unter Gedächtnisstörungen infolge Korsakow-Syndroms sowie psychisch-notorischer Unruhe. Er soll örtlich, zeitlich, räumlich und situativ sowie zeitweise zur Person desorientiert gewesen sein. Eine besondere Betreuung war im Hinblick auf Lauftendenzen, Selbstgefährdung, nächtlicher Unruhe und zeitweiser Sinnestäuschung bejaht worden. Der Erblasser wurde von der Beklagten in einem Zimmer im 3. OG, welches über zwei große Dachfenster verfügte, die nicht gegen unbeaufsichtigtes Öffnen gesichert waren, untergebracht. Aus einem der zwei Fenster stürzte er.

Klage und Berufung gegen das klageabweisende Urteil blieben ohne Erfolg. Die zugelassene Revision führte zur Aufhebung des Urteils und Zurückverweisung an das OLG. Dabei verwies der BGH auf seine ständige Rechtsprechung, dass durch den Heimvertrag Obhutspflichten der Beklagten gem. § 241 Abs. 2 BGB zum Schutz der körperlichen Unversehrtheit der ihr anvertrauten Bewohner begründet würden. Inhaltsgleich würde auch eine allgemeine Verkehrssicherungspflicht den Bewohnern gegenüber vor gesundheitlichen Schädigungen bestehen, die ihnen wegen Krankheit oder sonstiger körperlicher oder geistiger Einschränkungen durch sie selbst oder die Einrichtung und bauliche Gestaltung des Heims drohen würden. Die schuldhafte Pflichtverletzung der Beklagten würde sowohl Schadensersatzansprüche wegen vertraglicher Pflichtverletzung (§ 280 Abs. 1 BGB, § 278 S. 1 BGB) als auch korrespondierend deliktische Ansprüche (§ 823 BGB, § 831 BGB) begründen.

Diese Pflichten des Heimbetreibers seien aber begrenzt: sie müssten mit einem vernünftigen finanziellen und personellen Aufwand realisierbar sein. Maßstab sei das Erforderliche und für die Heimbewohner und das Pflegepersonal Zumutbare, wobei zu beachten sei, dass beim Wohnen im Heim die Würde sowie die Interessen und Bedürfnisse der Bewohner vor Beeinträchtigungen zu schützen und die Selbstständigkeit, Selbstbestimmung und die Selbstverantwortung der Bewohner zu wahren und zu fördern seien.

Den Spagat zwischen den Anforderungen auf Menschenwürde und Freiheitsrecht auf der einen Seite und Schutz der körperlichen Unversehrtheit nimmt der BGH, indem er auf eine sorgfältige Abwägung sämtlicher Umstände des Einzelfalls abstellt. Entscheidens sei das Gefahrenpotential durch körperliche und geistige Verfassung des Bewohners, wobei sich die einzuhaltende Sorgfalt und eventuell zu treffende Sicherungsmaßnahmen aus einer ex-ante-Betrachtung ergeben würden, ohne Berücksichtigung nur abstrakt denkbaren Sicherheitsrisiken und mithin orientiert an die konkrete Pflegesituation. Zum Einen will der BGH hier darauf abstellen, ob mit einer Schädigung ohne Sicherungsmaßnahmen zu rechnen sei, zum Anderen aber auch darauf, dass eine nicht wahrscheinliche Gefahr, die aber zu besonders schweren Folgen führen könne, berücksichtigt werden müsse. Diese Risikoprognose sei Voraussetzung zur Abwägung der Entscheidung zu erforderlichen Einschränkungen der persönlichen Freiheitsrechte des Heimbewohners und der personellen und finanziellen Möglichkeiten des Pflegeheims.

Zur Beweislage wies der BGH darauf hin, dass ein Sturzgeschehen dem „normalen, alltäglichen Gefahrenbereich“ im Heim zuzuordnen sei. Komme der Bewohner in einer solchen Situation zu Schaden, falle dies in seine Risikosphäre mit der Folge, dass er für eine Pflichtverletzung und deren Kausalität die Darlegungs- und Beweislast trage. Es handele sich um das allgemeine Lebensrisiko in einem vom Bewohner voll beherrschten Gefahrenbereich. Alleine der Sturz aus dem nicht verriegelten Fenster begründe damit keine kausale Pflichtverletzung.

Allerdings komme es zu einer Beweislastumkehr (bei der der Heimbetreiber den Nachweis pflichtgemäßen Verhaltens führen müsse), wenn der Bewohner im Herrschafts- und Organisationsbereich des Heimbetreibers zu Schaden käme und die ihn betreffenden Vertragspflichten (auch) bezwecken würden, den Bewohner vor einem solchen Schaden zu bewahren. Der Heimbetreiber müsse bei Risiken aus dem Betrieb, die von ihm voll beherrschbar seien, darlegen und beweisen, dass der Schaden nicht auf einem pflichtwidrigen Verhalten beruht. Dies sei der Fall, wenn der Patient in einem Krankenhaus bei einer Bewegungs- und Transportmaßnahme einer ihm betreuenden Krankenschwester stürze, s. auch § 630h BGB. Es gelte auch gelte auch bei Pflegeheimen, wenn bei einer konkreten Gefahrensituation die spezielle Obhutspflicht einer dafür eingesetzten Pflegekraft obliege und sich der Schaden in diesem Zusammenhang verwirkliche (so z.B. Sturz des Heimbewohners bei begleiteten Gang zur Toilette der Sturz beim Wechsel der Bettwäsche durch einen Pfleger).

Im konkreten Fall nahm der BGH keine Beweislastumkehr an. Zwar habe sich die Gefahrensituation im Sturz des Erblassers aus dem Fenster durch die fehlende Fenstersicherung verwirklicht. Allerdings habe dies außerhalb des voll beherrschbaren Gefahrenbereichs des Heimträgers stattgefunden. Der Erblasser sei zu diesem Zeitpunkt nicht der Obhut einer Pflegekraft im Rahmen einer konkreten Pflege- oder Betreuungsmaßnahme anvertraut gewesen: er habe sich überwiegend alleine in seinem Zimmer aufgehalten und habe nicht dauerhaft betreut und begleitet werden müssen.

Die Aufhebung des Urteils und Zurückverweisung an das OLG erfolgte, da der BGH die tatrichterliche Würdigung, die Beklagte hätte keine Vorkehrungen gegen ein Heraussteigen des Erblassers aus einem Fenster seines Zimmers treffen müssen, für unvollständig und rechtsfehlerhaft hielt. Die dazu notwendige Abwägung sei unvollständig gewesen.  Hier hätte das Berufungsgericht auf der Grundlage einer sorgfältigen ex-ante-Risikoprognose, die das gesamte Krankheitsbild des Erblassers in den Blick nehme, entscheiden müssen, ggfls. sachverständig beraten. Es habe aber nur einzelne dokumentierte Demenzerscheinungen isoliert und kursorisch betrachtet, ohne dabei eine eigene besondere Sachkunde aufzuweisen.

BGH, Urteil vom 14.01.2021 - III ZR 168/19 -

Montag, 24. Mai 2021

Auswirkung der in der Insolvenztabelle festgestellten Schadensersatzforderung für den Haftpflichtversicherer

Die GmbH, über deren Vermögen im September 2012 das Insolvenzverfahren eröffnet wurde, war bei der Beklagten im Rahmen einer Verkehrshaftungsversicherung im Risikobereich des Unternehmensgegenstandes der GmbH (Umzug und Lagerhalten) haftpflichtversichert. Der Kläger hatte die GmbH im Juni 2010 mit Umzugsleistungen einschl. Ein- und Auslagerung von Gegenständen beauftragt, bei denen es nach seinen Angaben zu Schäden gekommen sein soll. Seine Forderung meldete der Kläger am 18.10.2012 mit € 33.530,15 nebst Zinsen zur Tabelle an, die der Insolvenzverwalter in voller Höhe feststellte. Mit Schreiben vom 11.12.2012 und 05.07.2013 überließ der Insolvenzverwalter dem Kläger die Geltendmachung des Deckungsprozesses der GmbH als Versicherungsnehmerin gegen die Beklagte einschließlich der gerichtlichen Geltendmachung. Die Beklagte verwies darauf, den Anspruch bereits mit einer (auch unstreitigen) Zahlung abgegolten zu haben und lehnte eine weitere Regulierung ab. Nachdem der Kläger gegen die Beklagte Klage erhoben hatte, erfolgte in 2018 eine Schlussverteilung, aus der der Kläger € 14.307,07 erhielt und das Insolvenzverfahren wurde aufgehoben. Das Landgericht gab der Klage in Höhe der Klage auf Zahlung von € 30.608,80 statt. Das OLG wie die Klage, nachdem die Parteien den Rechtsstreit in Höhe von € 14.307,07 übereinstimmend für erledigt erklärt hatten, ab. Dagegen wandte sich der Kläger mit seiner Revision, die vom BGH zurückgewiesen wurde.

Vorliegend sei (von der Revision nicht angegriffen) vom Berufungsgericht festgestellt worden, dass der maximale Schaden des Klägers € 11.750,00 betrug und der Kläger insgesamt (einschl. der Schlussverteilung) € 20.307,07 erhalten habe. Der Kläger könne nicht unter Berufung auf den zur Tabelle festgestellten Betrag eine weitergehende Forderung geltend machen.

Bei Insolvenz des Versicherungsnehmers könne der Geschädigte gem. § 110 VVG ein Recht auf abgesonderte Befriedigung am Freistellungsanspruch des Versicherungsnehmers gegen dessen Haftpflichtversicherer geltend machen, mit der Folge, dass er diesen direkt auf Zahlung in Anspruch nehmen könne. Voraussetzung sei aber (wie im Verhältnis zwischen Versicherer und Versicherungsnehmer), dass der Haftpflichtanspruch des Geschädigten gem. § 106 S. 1 VVG festgestellt worden sei.

Eine solche Feststellung könne auch durch ein Anerkenntnis des Haftpflichtanspruchs (durch den nicht insolventen Versicherungsnehmer oder den Insolvenzverwalter) erfolgen. Eine widerspruchslose Feststellung des Haftpflichtanspruchs des Geschädigten zur Tabelle würde ein derartiges Anerkenntnis darstellen.

Allerdings sei die Bindungswirkung für den Versicherer an ein Anerkenntnis des Versicherungsnehmers (oder des Insolvenzverwalters) im Deckungsverhältnis nicht gegeben. Zwar sei gemäß § 105 VVG der Versicherungsnehmer frei ein Anerkenntnis zu erklären, doch bliebe dies ohne Einfluss auf das Deckungsverhältnis. Verspreche der Versicherungsnehmer dem Geschädigten mehr als diesem zustünde, habe der Versicherer das Recht, die Berechtigung des vom Geschädigten geltend gemachten Anspruchs zu prüfen. Ein Anerkenntnis ohne Zustimmung des Versicherers komme deshalb nach § 106 S. 1 VVG nur insoweit Bindungswirkung zu, als eine Haftpflichtschuld des Versicherungsnehmers nach materieller Rechtslage bestünde, was ggf. inzident im Deckungsprozess gegen den Versicherer zu klären sei.  

Dies gelte auch dann, wenn wie hier das Anerkenntnis durch widerspruchslose Feststellung des Haftpflichtanspruchs zur Tabelle erfolgt sei. Der Geschädigte würde im Insolvenzfall nicht benachteiligt, wenn die auch sonst für die Bindungswirkung von Anerkenntnissen nach § 106 S. 1 VVG geltenden Grundsätze herangezogen würden. Im Gegenteil würde es ansonsten zu einer Privilegierung des Geschädigten im Insolvenzfall kommen, wollte man dem Insolvenzverwalter die Befugnis einräumen, den Versicherer zu Gunsten des Geschädigten zu belasten.

Auch der Umstand, dass die in der Tabelle festgestellte Forderung wie ein rechtskräftiges Urteil gegenüber dem Insolvenzverwalter und allen Insolvenzgläubigern wirke (§ 178 Abs. 3 InsO) ändere daran nichts. § 201 Abs. 2 2 S. 1 InsO sähe nur vor, dass aus der nicht bestrittenen Eintragung in der Tabelle, gegen den Schuldner vollstrecken könnten. Die Vorschrift wirkt allerdings nicht gegen Dritte und bewirkt daher auch keine Bindungswirkung nach § 106 S. 1 VVG. Eine analoge Anwendung scheide auch aus.

Vorliegend hatte zwar die Beklaget auch eine Prämienforderung zur Tabelle angemeldet. Dass sie Kenntnis von der Anmeldung der Haftpflichtforderung hatte sei eben so wenig dargelegt wie eine Zustimmung der Beklagten zur Feststellung einer solchen zur Tabelle.

BGH, Urteil vom 10.03.2021 - IV ZR 309/19 -